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Georg Langenhorst und Elisabeth Naurath (Hg)
Kindertora – Kinderbibel – Kinderkoran
Neue Chancen für (inter)religiöses Lernen,
Herder Verlag, Freiburg/Breisgau 2017,
ISBN 978-3-451-37660-3, 312 Seiten, 24,99 Euro

Dieser Sammelband einer Religionspädagogik der Vielfalt enthält die Vorträge von christlichen, jüdischen und muslimischen Forscherinnen und Forschern auf dem interreligiösen Kongress 2015 über kindbezogene Bearbeitungen der drei Heiligen Bücher. Aus dem Titel des Bandes ergibt sich die Frage: Wie lässt sich das „Erfolgsmodell Kinderbibel“ auf andere Religionen übertragen?

Der erste Teil befasst sich mit Grundlagenforschung aus christlicher Sicht, beginnend mit dem Bericht des Regensburger Religionspädagogen Michael Fricke „Zur Geschichte einer pädagogischen Erfolgsgattung“, der Kinderbibel (S. 17ff.). Der Wiener Robert Schelander fragt, wie die interreligiöse Thematik von der neueren Kinderbibelforschung aufgenommen wird (S. 40ff.), z. B.: Gehört Isaaks Nichtopferung in eine Kinderbibel, eine Kindertora und einen Kinderkoran? Anschließend überträgt der Paderborner Systematiker Klaus von Stosch seinen komparativen Ansatz auf das Thema (S. 63ff.).

Im zweiten Teil definiert Dorothea M. Salzer „Kindertora“ funktional vom Zielpublikum her (S. 91ff.) und schildert die Entwicklung der Gattung. Die Literaturwissenschaftlerin Hassadah Stichnothe ordnet die Kindertora als Untergenre der jüdischen Kinderliteratur des 20. Jh. zu im Unterschied zu den Titeln des 19. Jh., bei denen es sich meist um Schulbücher handelte (S. 111ff.). Da die Tora Juden als heilig gilt, „ist das Genre der Kindertora von der Spannung zwischen der Unantastbarkeit des Heiligen Textes […] und dem Bedürfnis nach einem kreativen Umgang mit diesem einerseits, sowie der Notwendigkeit der Vermittlung eines fremdsprachlichen, komplizierten Textganzen an unerfahrene Leser andererseits geprägt“ (S. 114). Die Verfasserin lobt die neue, von Darius Gilmont ansprechend illustrierte Kindertora von Hanna Liss / Bruno Landthaler (5 Bde, Berlin 2014-16), die den hebräischen Text in deutscher Übersetzung nach der Leseordnung der Synagoge für jüdische Familien bietet (vgl. Landthaler S. 137ff.).

Georg Langenhorst (S. 157ff.) fragt im dritten Teil nach trialogischen Lernperspektiven, denn Schülerinnen und Schüler sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei Heiligen Schriften kennen. Elisabeth Naurath (S. 180ff.) schildert einen interreligiösen Projekttag, an dem drei muslimische Mädchen eine Sure auf Arabisch singend und betend rezitieren. Anschließend beschreibt sie „religiöse Differenzerfahrungen“ beim Lesen oder Vorlesen aus den heiligen Büchern, fragt nach kindgemäßen Übersetzungen sowie hermeneutischer Kompetenzförderung. Der Zürcher Praktologe Thomas Schlag nennt drei Qualitätskriterien religiöser Kinderliteratur: Zugänglichkeit, Dialog- und Interpretationsoffenheit sowie Schönheit der Erstbegegnung. Er wünscht sich ein „Differenzbewusstsein“ mit Respekt vor den Überlieferungen (S. 200ff.). Marion Keuchen will „mit Bildern elementar bilden“, indem sie an ihrem für alle Bebilderungen identischen Analyseraster zeigt, dass „Bewertungen der Bilder wie ‚ansprechend’, ‚bunt’ oder ‚kindgerecht’ […] der theologischen Tiefgründigkeit der Bildwerke nicht gerecht“ werden (S. 223ff.).

Im vierten Teil suchen Hamideh Mohagheghi, Yasar Sarikaya und Dorothea Emert „Zugänge aus muslimischer Sicht“ (S. 259ff.) und stellen zwei neue Titel vor: Lamya Kaddor/Rabeya Müller: Der Koran für Kinder und Erwachsene, München 2008 (vergriffen), und Hamideh Mohagheghi / Dietrich Steinwede: Sein sind die schönsten Namen. Literatur wie Texte des Koran in einfacher Sprache, Ostfildern 2011. Titel aus Moscheen bleiben leider ebenso unberücksichtigt wie die zweiprachige Ausgabe einer Schulbibel „Qur’an für Schüler (Guz’ ‘Amma), übersetzt und kommentiert von Muhammad Ahmad Rassoul (Köln 1984).

In abstrakter Fachsprache entsprechen die Aufsätze evangelischem, katholischem, jüdischem oder islamischen Selbstverständnis mit der Frage: Wie kann eine Weltreligion ihre Heilige Schrift für Kinder „alltagstauglich“ gestalten? Weiterführend frage ich, ob diese Binnensicht zu erweitern ist durch Motivvergleiche aus den drei Heiligen Büchern (z.B. Gottesnamen und Gottesbezug, Schöpfung, Werte und Normen, Mann und Frau, Gewalt), denn nur im Vergleich mit anderen lernen wir uns selbst wahrhaft kennen. Wo bleibt eine konkrete Didaktik des Trialogs in Kooperation mit der Praxis?

Christine Reents

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2017

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