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Gerhard Büttner, Volker Elsenbast, Hanna Roose (Hg.): Zwischen Kanon und Lehrplan, Lit Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-643-10005-4, 173 Seiten, 19,90 Euro.

Der gerade erschienene Aufsatzband vereinigt Beiträge aus einer Tagung aus dem Jahre 2007, die in Kooperation von Comenius-Institut, Technischer Universität Dortmund und Universität Lüneburg durchgeführt worden ist. Die Veröffentlichung kommt zur rechten Zeit: Ist mit der Kompetenzdebatte die Frage der Auswahl verbindlicher Inhalte erst einmal beendet oder bekommt die Frage eines „Kanons“ eine neue Dringlichkeit? Dies wird in religionspädagogischer Perspektive „im Schnittfeld von biblischem Kanon und Bildungskanon“ von namhaften Autorinnen und Autoren diskutiert. Entsprechend der Thematik werden die Akzente und Ausgangspunkte der Aufsätze sehr unterschiedlich gesetzt: Während Stefan Alkier, Hanna Roose, Peter Müller, Michael Welker stärker ausgehend von der Frage des biblischen Kanons biblische Bildungsinhalte und –ziele in den Blick nehmen, thematisieren Veit-Jakobus Dieterich, Frieder Spaeth, Michael Fricke, Bernhard Dressler, Hartmut Rupp, Martin Schreiner, Gerhard Büttner ausgehend von bildungstheoretischen und religionsdidaktischen Überlegungen die Frage religiöser Bildung im Rückbezug auf grundlegende biblische Inhalte. Aber mit dieser Perspektivzuordnung wird der Ertrag der einzelnen Ausarbeitungen nur ansatzweise erfasst. Spannend ist zu lesen, wie in je eigener Weise die Grundfrage eines „Kerns“ der Bibel als „große Erzählung“ (Stefan Alkier), als auf Bibel bezogenes „Glaubenswissen“ (Michael Welker) oder in Form von zentralen biblischen „Schlüsselbegriffen“ (Peter Müller) im Blick auf Kinder und Jugendliche bedacht wird.

Der biblische Kanon als „vielstimmiges Gesprächsangebot“ bietet Lernchancen, die Hanna Roose in Form einer Karthographie zum Thema „Was nach dem Tod ist“ entfaltet. Veit-Jakobus Dieterich zeigt in historischer Perspektive, wie im Kontext der jeweiligen religionspädagogischen Konzeptionen „das Ganze“ (Johann Amos Comenius) des biblischen Zugangs jeweils sehr unterschiedlich beantwortet wurde, während Frieda Spaeth am Beispiel der baden-württembergischen Bildungspläne den Zugriff auf biblische Inhalte und Texte rekonstruiert. Michael Fricke erörtert Formen biblischer Texte im Zusammenhang religionspädagogischer Zielsetzungen und formuliert „Lernmöglichkeiten“ im Umgang mit biblischen Texten ohne die Frage nach dem Bibelkanon im Lehrplan normativ zu beantworten.

Ohnehin ist das Plädoyer für didaktische Vielfalt ein gemeinsamer Nenner der doch sehr divergierenden Ansätze. Am radikalsten verwirft Bernhard Dressler die Frage eines Bildungskanons. Kerncurricula werden durch Kompetenzen bestimmt, nicht durch eine Definition „stofflich-thematischer Gehalte“. Allerdings entschärft seine Anerkennung der Bedeutung von „Wissen“ für den Kompetenzerwerb die thetische Entgegensetzung von Kompetenz- und Inhaltsorientierung. Auf der methodischen Ebene verbindet Hartmut Rupp Kompetenz- und Inhaltsorientierung mit dem Vorschlag eines siebenschrittigen Lernrituals. Martin Schreiner bietet Einblicke in die didaktische Konzeption des neuen Unterrichtswerkes „Mitten ins Leben“.

Der Beitrag von Gerhard Büttner nimmt die „Suche“ nach dem Elementaren im Anschluss an Klafki auf. Büttner rät zur Gelassenheit, insofern die Rezeptionsweisen der Adressaten die Frage nach dem Elementaren in je eigener Weise bestimmen. Fazit: Der strittige Diskurs in der Kompetenzdebatte spiegelt die Kanonfrage wider. Aber: Wer keine vorschnellen Antworten erwartet, findet in diesem Band wertvolle Impulse für eine Beschäftigung mit der Kanonfrage im Horizont religiöser Bildungsprozesse.

Friedhelm Kraft

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2009

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