Ethische Urteilsbildung zum Thema „Krieg und Frieden“– Unterrichtsideen für die Sekundarstufe II

Von Deike Ockenga

 

Das Thema „Krieg und Frieden“ ist nicht selten Gegenstand des evangelischen Religionsunterrichts. Derzeit liegt jedoch ein besonderes Augenmerk auf diesem Thema, da es nicht allein ein leider tagesaktuelles Thema ist, sondern auch in den Abiturjahrgängen 2019 und 2020 in Niedersachsen als Inhalt für den Kompetenzbereich Ethik verbindlich vorgegeben ist.
Die vertiefend zu fördernden inhaltsbezogenen Kompetenzen des Kompetenzbereichs Ethik sind anhand der Problematik von Krieg und Frieden zu bearbeiten. Die inhaltsbezogenen Kompetenzen lauten:
Die Schülerinnen und Schüler

  • stellen biblisch-theologische Grundlagen christlicher Ethik dar.
  • erörtern anhand eines exemplarischen Konflikts ethische Problemstellungen.

 

Eine weitere, wenn auch nicht zu vertiefende, Kompetenz lautet: Die Schülerinnen und Schüler vergleichen Grundformen ethischer Urteilsbildung.
Auch einige der für den Kompetenzbereich Ethik vorgegebenen biblischen Basistexte und verbindlichen Grundbegriffe finden hier Anwendung, z. B. Exodus 20,1-17; Matthäus 7,12; Matthäus 22,34-40 sowie die Begriffe „Dekalog“ und „Ethik und Moral“.
Im Folgenden soll nun eine Möglichkeit gezeigt werden, wie dieses Thema behandelt werden kann. Je nach Zusammensetzung, Größe und Anforderungsniveau der Lerngruppe müssen die angebotenen Vorgehensweisen und Materialien angepasst werden.

 


Formen ethischer Urteilsbildung

Das Kerncurriculum bietet verschiedene Grundformen ethischer Urteilsbildung an, schreibt jedoch keine vor. Als hilfreich und notwendig haben sich die utilitaristische, die deontologische und die Verantwortungsethik erwiesen. Die utilitaristische Ethik fragt nach dem größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl an Personen. Etwas gilt also als richtig, wenn möglichst viele Menschen davon profitieren. Hauptvertreter dieser Ethik sind John Stuart Mill und Jeremy Bentham. Ein zeitgenössischer Verfechter des Utilitarismus ist der umstrittene australische Philosoph Peter Singer. Er räumt z. B. Eltern nach der Geburt ihres Kindes eine gewisse Bedenkzeit ein, ob sie ein behindertes Kind behalten oder töten wollen. Würden sie das Kind töten, hätten sie die Chance auf ein gesundes Baby und könnten so ihr Glück, laut Singer, vergrößern.

Die deontologische Ethik wird auch Pflichtenethik genannt, da sie vorgibt, dass der Mensch sich immer an gewisse Prinzipien zu halten habe. Immanuel Kant sieht den kategorischen Imperativ als Grundlage für die Deontologie: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Dies ist ohne Ausnahme gültig und nicht an Bedingungen geknüpft. So ist es z. B. verboten, Notlügen anzuwenden, auch wenn dies negative Konsequenzen nach sich ziehen kann. Da Lügen nicht erlaubt ist und dem Zusammenleben der Menschen schadet, darf niemals eine Ausnahme gemacht werden. Gleichzeitig befreit das Befolgen der Pflichten jedoch auch von Schuld. Sollte man also durch das Befolgen der Pflichten negative Auswirkungen verursachen, kann man dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da man sich an alle Pflichten gehalten hat.

Der von Max Weber geprägte Begriff der Verantwortungsethik bezeichnet eine Ethik, die sich im Gegensatz zur Deontologie durchaus mit den Folgen einer Entscheidung und somit der Frage nach der Schuld auseinandersetzt. Dietrich Bonhoeffer erklärt, dass der Mensch nicht für sich allein, sondern auch für seine Mitmenschen verantwortlich sei. So sei es auch möglich, sich in gewissen Situationen gegen ein Prinzip zu stellen, wohlwissend, dass dies zwar falsch, gleichzeitig jedoch die Rettung vieler Menschen bedeuten könnte – so z. B. bei der Beteiligung am Hitler-Attentat, bei dem Bonhoeffer durchaus bewusst war, dass diese Tat ein Mord sein würde, er dadurch jedoch helfen könnte, vielen Menschen viel Leid zu ersparen. Er widerspricht damit Kants Überlegungen zur deontologischen Ethik: „Es wird sich auch hier gerade im verantwortlichen Aufsichnehmen von Schuld die Unschuld eines allein an Christus gebundenen Gewissens am besten erweisen.“ In Hoffnung auf Rechtfertigung durch Gott nimmt Bonhoeffer die Schuld auf sich.

Eine „christliche Ethik“ gibt es in diesem Sinne nicht. Als größtes Problem erweisen sich an dieser Stelle die teilweise widersprüchlichen Aussagen des Neuen und des Alten Testaments. Als ein Beispiel ist hier die Aussage „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Exodus 21,24) zu nennen, die im direkten Widerspruch zur Bergpredigt (z. B. Matthäus 5,38f. und 43-45) steht. An diesen Stellen müssen mit den Schülerinnen und Schülern der historische Kontext und die genauere Bedeutung dieser Aussagen erarbeitet werden. Es könnte jedoch z. B. die Ethik der Bergpredigt oder die Goldene Regel als ein Bewertungsmaßstab bei ethischen Entscheidungen angelegt werden. Bei allen genannten Ethiken ist nicht nur zu beachten, in welcher Weise definiert wird, was richtig und was falsch ist. Es muss auch auf die Frage nach der Schuld eingegangen werden. So ist es z. B. besonders bei der deontologischen Ethik wichtig, dass – wenn man entsprechend der Ethik gehandelt hat – sich die Frage nach Schuld nicht stellt, da der Ethik entsprechend „richtig“ gehandelt wurde, auch wenn man dadurch einer anderen Person geschadet hat.1 Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage der persönlichen Schuldgefühle. Auch wenn jemand z. B. juristisch als unschuldig gilt, kann diese Person sich selbst schuldig fühlen.


Unterrichtsideen für die Sekundarstufe II

Der Themenkomplex „Krieg und Frieden“ bietet zur Bearbeitung unzählige Möglichkeiten, deshalb an dieser Stelle eine Konzentration auf die folgende Auswahl an Themen:

  • „Terror – Ihr Urteil“ – ist es richtig, ein entführtes Flugzeug, das einen Anschlag auf eine Menschenmenge plant, abzuschießen?
  • Militärseelsorge – ist es richtig, diese mit Steuergeldern zu finanzieren?
  • Waffenlieferungen – ist es richtig, dass Deutschland Waffen in den Irak liefert? (Debatte aus dem Jahr 2014)
  • Dietrich Bonhoeffer – ist es richtig, einen Tyrannen zu töten?
     

Außerdem wäre auch die derzeitige Situation in Syrien ein möglicher Unterrichtsgegenstand, allerdings muss dies sehr sorgfältig abgewogen werden. Möglicherweise befinden sich Schülerinnen und Schüler in der Lerngruppe, die persönlich betroffen sind, weil sie z. B. selbst geflohen sind oder Verwandte im Kriegsgebiet haben. So ist es schwierig abzuschätzen, was eine Thematisierung des Krieges bei den Betroffenen auslösen könnte. Des Weiteren könnte es sein, dass Mitschülerinnen und -schüler sich aus Rücksicht nicht äußern möchten und so keine Auseinandersetzung mit dem Thema zustande kommt.

Auch die Debatte um Waffenlieferungen könnte möglicherweise problematisch sein, falls sich Schülerinnen und Schüler aus dem Irak in der Lerngruppe befinden, deshalb an dieser Stelle nur Hinweise auf mögliche Unterrichtsmaterialien 2  (M 1).

 


Krieg – und Frieden?

Das Themenfeld lautet eigentlich „Krieg und Frieden“, jedoch beziehen sich die obigen Themen eher auf den Zustand des Krieges. Um stärker die Friedensthematik zu bearbeiten, wäre z. B. eine Auseinandersetzung mit der Jahreslosung 3 2019 denkbar, die die Schülerinnen und Schüler überlegen lässt, wie der Weg zum Frieden konkret aussehen könnte. Auch hier könnten sich im Anschluss Debatten über Waffenlieferungen oder den so genannten „gerechten Krieg“ anschließen.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Beschäftigung mit „Friedensmacher/innen“ wie Martin Luther King, Mahatma Gandhi oder Bertha von Suttner.4

 


Schritte zur ethischen Urteilsbildung

Das Ziel der Unterrichtseinheit ist ein ethisches Urteil mit Hilfe der Schritte zur ethischen Urteilsbildung (M 2). Dieses dient der differenzierten Auseinandersetzung mit einer ethischen Streitfrage, um danach zu dieser begründet Stellung nehmen zu können. Schülerinnen und Schüler urteilen häufig vorschnell, da sie Sachverhalte nicht aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Sie bekommen kein umfassendes Bild, sondern sehen nur einen kleinen Ausschnitt eines viel größeren Problems. Häufig ist ihnen die Menge der zu berücksichtigenden Meinungen nicht bewusst. Einige empfinden die Schritte als „einengendes Korsett“, andere hingegen sind dankbar für die Hinweise, die ihnen durch die Fragen gegeben werden, und verwenden die Schritte wie eine „Checkliste“, um keinen wichtigen Aspekt außer Acht zu lassen.

Die Schritte zur ethischen Urteilsbildung veranlassen die Schülerinnen und Schüler, sich differenziert mit Themen auseinanderzusetzen und sich auch in Positionen hineinzuversetzen, die ihrer persönlichen Einstellung (zunächst) widersprechen. Dafür ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler präzise Fragestellungen bearbeiten. So wird z. B. bei dem Thema „Militärseelsorge“ die konkrete Frage gestellt, ob die Militärseelsorge weiterhin durch staatliche Steuergelder von etwa 30 Mio. Euro gefördert werden sollte. Die bereits erwähnten Friedensthemen sind hingegen nicht sinnvoll, wenn ein ethisches Urteil erarbeitet werden soll.

 


Militärseelsorge: Ist es richtig, diese mit Steuergeldern zu finanzieren?

Das Arbeitsfeld „Militärseelsorge“ ist vielen Schülerinnen und Schülern wenig vertraut, so dass ein größeres Interesse als bei bereits bekannten Themen zu erwarten ist. Dies bedeutet jedoch auch, dass sie stärker angeleitet werden müssen, um tatsächlich alle Aspekte der Fragestellung erfassen. Für die ethische Urteilsbildung ist eine konkrete Fragestellung nötig, welche an dieser Stelle z. B. durch einen Zeitungsartikel eingeleitet werden kann.5  In der Diskussion ergeben sich schnell verschiedene und durchaus konträre Interessensgruppen, z. B. die betroffenen Soldatinnen und Soldaten, deren Angehörige, die betreuenden Geistlichen und – indirekt betroffene – Steuerzahler, was für eine Positionierung und Stellungnahme wichtig ist. Auch theologisch ist es ein interessantes und vielseitiges Thema. So argumentieren einige Schülerinnen und Schüler, dass der Mensch nach den Zehn Geboten nicht töten dürfe und die Soldatinnen und Soldaten so „selbst schuld“ seien, wenn es ihnen nach einem Einsatz schlecht gehe. Typische Aussagen sind z. B. „die wussten ja, worauf sie sich einlassen“ oder „die machen das ja freiwillig, dann müssen sie auch schauen, wie sie damit klar kommen“. Auch die Bergpredigt wirbt für Gewaltverzicht. Andererseits sind die Nächstenliebe und die Fürsorge für die Mitmenschen ein wichtiger Bestandteil der Botschaft Jesu, sodass die Seelsorge für traumatisierte Menschen ganz klar in den Aufgabenbereich der Kirche gehört – auch wenn es sich bei den betroffenen Personen um Angehörige des Militärs handelt. Auch die ethischen Grundformen lassen unterschiedliche Argumentationen zu. Wirtschaftliche Faktoren spielen bei der Entscheidungsfindung ebenfalls eine Rolle und sollten durchaus berücksichtigt werden. Einerseits könnte man argumentieren, dass z. B. für den Steuerzahler Kosten anfallen, um die Militärseelsorge zu finanzieren, die allerdings in Bezug auf die Einwohnerzahl Deutschlands nur wenigen Personen nutzt. Andererseits können die Soldatinnen und Soldaten, die nach einem Einsatz gut betreut werden und Traumata überwinden können, in das Berufsleben zurückkehren bzw. weiterhin daran teilhaben. Sie müssen nicht wegen Erwerbsunfähigkeit durch Steuern finanziert werden, was letztendlich teurer wäre als die Finanzierung der Militärseelsorge.

Die Schülerinnen und Schüler müssen nun die verschiedenen Positionen erarbeiten und dann abwägen, welche Argumente sie am Ende ein begründetes Urteil fällen lassen (M 3). Da es teilweise keine eindeutig richtige oder falsche Entscheidung gibt, müssen die Schülerinnen und Schüler ganz persönlich eine für sie vertretbare Entscheidung treffen. Dies fällt vielen sehr schwer, da sie in ihrem Schulleben häufig erleben, dass es nur eine richtige Lösung für eine Aufgabe gibt. Die Struktur der ethischen Urteilsbildung ist zwar auch vorgegeben, jedoch geht es in den einzelnen Schritten auch um ihre persönliche Position zu verschiedenen Sachverhalten und besonders um die Begründung der eigenen Position. Die Argumentation in der Urteilsbegründung ist entscheidend.

 


„Terror – Ihr Urteil“: Ist es richtig, ein Flugzeug abzuschießen, das einen Anschlag auf eine Menschenmenge plant?

Der auf Ferdinand von Schirachs Drama „Terror“ basierende Film „Terror – Ihr Urteil“ bietet verschiedene Möglichkeiten, die Frage um das Abschießen eines gekaperten Flugzeugs zu bearbeiten. Zunächst stellt sich die Frage des Mediums, denn neben der Vorführung des Films wäre es auch möglich, das Buch zu lesen oder die in dieser Spielzeit verfügbare Theateraufführung zu besuchen. Am ehesten in den regulären Schulalltag integrierbar ist sicher die Vorführung des Films.6

Bei der Auseinandersetzung mit der Fragestellung ist es wichtig zu beachten, dass die Art der Argumentation und somit auch der Weg der Urteilsbildung anders ist als in anderen Streitfragen. Denn in dem Werk „Terror – Ihr Urteil“ geht es nicht mehr darum, ob ein gekapertes Flugzeug, das in ein voll besetztes Fußballstadion geflogen werden soll, abgeschossen werden darf. Stattdessen ist dies bereits geschehen und es geht nun darum, ob der „Täter“ in einer Gerichtsverhandlung für diese Tat als Mörder verurteilt oder freigesprochen wird. Die Frage nach der Schuld spielt an dieser Stelle also eine große Rolle. Themen wie Sünde, Schuld und Rechtfertigung müssen in der Diskussion bedacht werden.7 Wird der Fall mit den Maßstäben der utilitaristischen Ethik betrachtet, war das Abschießen des Flugzeugs die richtige Entscheidung, da zwar die Menschen im Flugzeug getötet wurden, die Menschen im Fußballstadion jedoch gerettet wurden. Der Abschuss hat also einen größeren „Nutzen“, sodass der Täter freizusprechen wäre. Diese Argumentationsstrategie verfolgt der Rechtsanwalt Biegler bei der Verteidigung von Major Koch. Er gibt zu bedenken, dass Major Koch durch sein Verhalten 70.000 Menschen gerettet habe und man ihn so nicht als Mörder verurteilen könne. Zwar habe Major Koch gegen Prinzipien verstoßen, jedoch sei dies in dem hier vorliegenden Einzelfall richtig gewesen, um die 70.000 Menschen im Stadion zu retten. Die Frage nach Schuld stellt sich nicht, da die Rettung der vielen Menschen im Stadion im Vordergrund steht. Folgt man jedoch der Pflichtenethik, die z. B. das Tötungsverbot als Entscheidungsgrundlage vorgibt, wäre ein Abschießen falsch und der Täter somit schuldig zu sprechen. Staatsanwältin Nelson argumentiert auf eben diese Weise. Sie erklärt, dass Major Koch sich über das Prinzip des Tötungsverbots und über den Einsatzbefehl hinweggesetzt habe und er somit die Schuld am Tod der 164 Passagiere habe. Zwar seien auch viele Menschen gerettet worden, jedoch sei es nicht möglich und auch moralisch nicht richtig, Menschenleben zahlenmäßig gegeneinander aufzuwiegen. Die Würde des Menschen ist laut Gesetz unantastbar und dieses Prinzip dürfe unter keinen Umständen in Frage gestellt oder sogar dagegen verstoßen werden. Die Staatsanwältin bleibt bei der eindeutigen Entscheidung, dass Major Koch des Mordes schuldig zu sprechen sei.

Sollte Major Koch schuldig gesprochen werden, gäbe es noch die Möglichkeit, dass er durch den Bundespräsidenten nach Art. 60 GG begnadigt werden würde. Der vorherige Schuldspruch bliebe jedoch bestehen. Major Koch würde also die Schuld für die Taten zugesprochen bekommen, er ginge jedoch straffrei aus. Einige Schülerinnen und Schüler könnten dies als Kompromisslösung sehen und für diese Entscheidung plädieren. Die Begnadigung durch den Bundespräsidenten wäre jedoch nicht garantiert und Major Koch könnte nach einer Verurteilung nur darauf hoffen, dass dies geschieht.
Einige Informationen aus den verschiedenen Aussagen vor Gericht lassen die Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder an ihrem Urteil zweifeln und die eigene Entscheidung in Frage stellen. So stellt sich bei der Vernehmung des Oberstleutnants Lauterbach heraus, dass nicht versucht wurde, das Stadion zu evakuieren und auf diese Weise zu versuchen, die Menschen in der Allianz-Arena zu retten, obwohl für diesen Vorgang genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Frau Meiser wirft bei ihrer Befragung ein, dass es theoretisch möglich sei, dass entgegen der Vermutung vielleicht doch Passagiere in das Cockpit eingedrungen sein und die Terroristen überwältigt haben könnten. So wäre ein Abschuss nicht nötig gewesen.

Die Vorgehensweise des Films ist ungewöhnlich, da die Zuschauerinnen und Zuschauer direkt vom Richter angesprochen und zu einem Urteil aufgefordert werden. Die Schülerinnen und Schüler erleben, dass ihre persönliche Entscheidung eine direkte Auswirkung auf den Ausgang des Gerichtsverfahrens hat. Sie befinden sich in der Rolle der Schöffen und können somit in das Geschehen eingreifen. Neben den gehörten Argumenten spielt bei der Urteilsfindung sicher auch die Atmosphäre im Gerichtsaal eine Rolle, da es fraglich ist, dass die Schülerinnen und Schüler sich bei der Urteilsfindung ganz frei von ihren Emotionen für ein Urteil entscheiden können. So ist z. B. das Auftreten der Angehörigen Frau Meiser sehr beklemmend, als sie von der Beerdigung des leeren Sargs ihres Mannes erzählt. Ebenso eindrücklich ist die Reaktion der Ehefrau von Major Koch, als dieser gefragt wird, ob er auch geschossen hätte, wenn seine Frau im Flugzeug gesessen hätte. Die Rolle des Rechtsanwaltes hingegen wirft Fragen auf, da er während der Verhandlung mehrfach den Richter und die Staatsanwältin provoziert. Sein arrogantes Verhalten wirkt auf die Schülerinnen und Schüler eher unsympathisch, während sie seiner Argumentation jedoch häufig zustimmen. Dies kann zu einem Problem bei der Urteilsfindung werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen versuchen, sich bei ihrer Entscheidung nicht von ihren Gefühlen, sondern von Argumenten leiten zu lassen.

Neben der gesetzlichen Frage nach der Un-/Schuld bleibt für den Betroffenen die Frage, ob er selbst mit der Tat und der auf sich geladenen Schuld leben kann. Durch sein aktives Eingreifen hat Major Koch den Tod der Passagiere verursacht. Auch wenn er vom Gericht freigesprochen werden würde, bleibt die Schuld am Tod der Menschen bestehen. Mit diesen Gefühlen muss Major Koch für den Rest seines Lebens umgehen. Auch dies muss bei der Urteilsbildung berücksichtigt werden.

Gegebenenfalls bewerten die Schülerinnen und Schüler Major Kochs Handeln als „Heldentat“. Hier wäre zu diskutieren, aus welchen Motiven heraus Major Koch tatsächlich gehandelt hat. Er gibt an, dass er nur wenige Momente zur Entscheidung hatte. War es ihm tatsächlich am wichtigsten, die Menschen im Stadion zu retten? Oder wollte er eigentlich etwas anderes? Man könnte ihm auch unterstellen, dass er allein – wie als Soldat üblich – den „Feind“ bekämpfen wollte, also die Terroristen, die das Flugzeug entführt haben, und das Flugzeug nur deshalb abgeschossen hat, weil er die Terroristen töten wollte. Das Motiv seines Handelns wäre also nicht die Rettung der Menschen im Stadion, sondern die Vernichtung des Feindes. Es wäre zu diskutieren, ob dies in der Bewertung seines Vorgehens einen Unterschied machen würde und ob die Schülerinnen und Schüler Major Koch je nach Motiv eher frei oder schuldig sprechen würden (M 4).

Bereits bei der Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen hat der Film für viel Aufsehen gesorgt, auch Diskussionsrunden zu dem Film sind z. T. online verfügbar.8 Es war möglich, als Zuschauer während der Ausstrahlung über den Ausgang der Verhandlung abzustimmen. Daraufhin wurde dann das passende Ende ausgestrahlt. Auch bei den Theateraufführungen wird in einer Pause vom jeweiligen Theaterpublikum vor Ort abgestimmt, mit welchem Urteilsspruch die Aufführung enden soll. Es ist sogar möglich, online zu schauen, wie bei verschiedenen Aufführungen in unterschiedlichen Städten entschieden wurde.9 Auch diese Ergebnisse können im Unterricht diskutiert werden, da sich die Frage stellt, warum die Entscheidung der Fernsehausstrahlung so viel eindeutiger ist als die Entscheidungen bei den Theateraufführungen. Bei der Erstausstrahlung im Fernsehen plädierten etwa 85 Prozent der Zuschauer auf Freispruch, bei den Theateraufführungen hingegen etwa 60 Prozent.

 


Fazit

Durch die täglichen Nachrichten von Anschlägen, Kriegsverletzten, Vergeltungsschlägen und vielleicht sogar eigene Erfahrungen in Kriegsgebieten, wie z. B. in Syrien, ist das Thema „Krieg“ gerade in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler erschreckend präsent.
Während zu hoffen ist, dass ein Krieg für unsere Schülerinnen und Schüler in naher Zukunft nicht zum alltäglichen Leben gehören wird, bleibt der Themenkomplex „Krieg und Frieden“ ein vielseitiger, interessanter und herausfordernder Unterrichtsgegenstand.

 

Anmerkugen: 

  1. Vorgeschlagenes Unterrichtsmaterial: Hülsmann, Matthias: Moment mal! Grundbegriffe und biblische Basistexte, 52-58 (M1-M8). Hülsmann, Matthias: Konfession: Evangelisch. Basiswissen, 153-156. Außerdem Wangerin, Ole: Christliche Friedensethik und Militärseelsorge, in: entwurf, Krieg und Frieden, 46. Außerdem zur Verantwortungsethik: Bonhoeffer, Dietrich: Ethik, 280f; 438.
  2. www.evangelisch.de/inhalte/109042/19-08-2014/wir-wuerden-uns-schuldig-machen; www.ekd.de/20140828_schneider_irak.htm; www.fr.de/fr-serien/gerechtigkeit/margot-kaessmann-mouhanad-khorchide-waffen-liefern-ist-zu-einfach-a-546381.
  3. Jahreslosung 2019: Gott spricht: „Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Psalm 34,15).
  4. Landgraf, Michael: Krieg und Frieden – ein Arbeitsheft für den Unterricht. Bestandteil von entwurf 1/2014.
  5. www.deutschlandfunk.de/streit-um-militaerseelsorge.862.de.html?dram:article_id=227773.
  6. Kostenloses Unterrichtsmaterial zum Film von Dr. Manfred Karsch ist online über das Katholische Filmwerk verfügbar: www.materialserver.filmwerk.de/arbeitshilfen/AH_Terror_A4_web.pdf
  7. Zur Thematisierung von Schuld: Bonhoeffer, Dietrich: Ethik, 280f.; 438.
  8. Z. B. Sendung „hart aber fair“ vom 17.10.2016, verfügbar auf youtube.
  9. Abstimmungsergebnisse der verschiedenen Theateraufführungen: http://terror.theater/
     

 
Literatur

  • Bonhoeffer, Dietrich: Ethik (DBW 6), Gütersloh 42013
  • Hülsmann, Matthias: Konfession: Evangelisch. Basiswissen, Gütersloh 32013
  • Hülsmann, Matthias: Moment mal! Grundbegriffe und biblische Basistexte, Stuttgart 2013
  • Karsch, Manfred: Terror. Ihr Urteil. Arbeitshilfe. Frankfurt a. M. 2016, www.materialserver.filmwerk. de/arbeitshilfen/AH_Terror_A4_web.pdf
  • Landgraf, Michael: Krieg und Frieden – ein Arbeitsheft für den Unterricht. Bestandteil von entwurf 01/2014, Velber
  • Wangerin, Ole: Christliche Friedensethik und Militärseelsorge, in: entwurf, Krieg und Frieden, 01/ 2014, Velber, 40-49
     

 
Websites

  • http://terror.theater
  • www.fr.de/fr-serien/gerechtigkeit/margot-kaess mann-mouhanad-khorchide-waffen-liefern-ist-zu-einfach-a-546381
  • www.deutschlandfunk.de/streit-um-militaerseel sorge.862.de.html?dram:article_id=227773
  • www.ekd.de/20140828_schneider_irak.htm
  • www.evangelisch.de/inhalte/109042/19-08- 2014/wir-wuerden-uns-schuldig-machen