Besucht: Die Aegidienkirche Hannover

Von Oliver Friedrich

 

„Wir haben mit Farbe an die Wand unseres zerstörten Hauses geschrieben, wo wir sind. Aber wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört.“ Meine Mutter erzählte immer mal wieder davon, wie die nach dem Krieg zerstreute Familie versuchte, wieder zueinanderzufinden. Bruder und Vater mussten in den Krieg ziehen. Der Rest der Familie blieb in Königsberg zurück. Mit Farbe hinterließen sie an den Mauerresten ihres zerbombten Hauses eine Botschaft für den vermissten Bruder und den vermissten Vater. Sie haben trotzdem nie wieder etwas von beiden gehört. Der Vater wurde später für tot erklärt. Auf ein Wiedersehen mit ihrem Bruder hoffte meine Mutter bis zu ihrem eigenen Tod.

Ich kenne sie noch, diese Geschichten von Krieg, Flucht und Vertreibung. Ich habe noch Menschen kennengelernt, die in Gefangenschaft waren, die von Bombennächten im Luftschutzbunker und von brennenden Städten erzählen konnten.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist nun mehr als 70 Jahre her. Langsam verblassen die Erinnerungen. Immer weniger Menschen können noch davon erzählen, wie es damals war, als die Sirenen heulten, die Bomben fielen und die Städte brannten. Die Kriegsgeneration ist hochbetagt, die meisten sind inzwischen gestorben.

Die Aegidienkirche in Hannover wurde bei Luftangriffen 1943 zerstört. Nach dem Krieg wurde sie nicht wieder aufgebaut. Die Ruine der Kirche ist heute ein Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt. Seit 1983 ist Hannover die Partnerstadt von Hiroshima. Die japanische Stadt schenkte Hannover eine Friedensglocke, die im Turmeingang der Aegidienkirche hängt. Immer am 6. August wird die Glocke geschlagen. Ihr Klang erinnert dann nicht nur an den Atombombenabwurf auf Hiroshima, sondern mahnt, die Sehnsucht nach Frieden nicht aufzugeben und die Opfer von Krieg und Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart nicht zu vergessen.

Auch die Ruine der St. Nikolai-Kirche im Zentrum Hamburgs erinnert an die Zerstörung der Stadt. In Stuttgart hat man die Johanneskirche so aufgebaut, dass die Wunden, die der Krieg ihr zugefügt hat, bis heute sichtbar sind und die Frauenkirche in Dresden war bis zu ihrem Wiederaufbau ein Trümmerhaufen mitten in der Stadt, der zum zentralen Ort der Friedensbewegung wurde.

Je weniger Menschen noch berichten können, wie sie den Krieg erlebt haben, desto wichtiger werden Orte, die erinnern und mahnen und so Erinnerung und Mahnung an kommende Generationen weitergeben. Man braucht dafür nicht unbedingt eine Kirchenruine. Ein Kriegerdenkmal, zeitgemäß gedeutet, kann diese Funktion in vielen Städten und Dörfern auch erfüllen.

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Ruine der Aegdienkirche an der Breiten Straße / Osterstraße in Hannover. © Christian A. Schröder / Wikimedia