Realität akzeptieren – Profit maximieren!“ - Ehrlichkeit und Handel. Der Film „Agraprofit” im Unterricht

Von Bettina Wittmann-Stasch

 

Der Film „Agraprofit” im Unterricht der Berufsbildenden Schule

Der satirische Kurzfilm „Agraprofit”1 dokumentiert eine Aktion, die im September 2012 auf dem Wochenmarkt einer nicht genannten deutschen Großstadt durchgeführt wurde. Das dafür frei erfundene Unternehmen „Agraprofit” soll angeblich neu auf dem Markt sein. Es präsentiert sich mit einem innovativen Verkaufskonzept: Produkte wie Kaffee, Schokolade und Bananen, aber auch Eier aus regionaler Erzeugung sollen – sogar noch unter Discountpreisen – „fair produziert“ verkauft werden. Die beiden Marktverkäufer belügen dabei ihre Kundschaft keineswegs, sondern sie konfrontieren diese trotz ihrer einnehmenden Freundlichkeit mit den Produktions- und Handelsbedingungen der angebotenen Billiglebensmittel. Dies wird offenbar von vielen Leuten überhört. Die aufgestellten Schilder zeigen schonungslos, was hinter den Produkten steckt: „Bereits mit sieben Jahren arbeiten unsere kleinen Helfer wie die Großen: Ernten, Bäume fällen, Pestizide ausbringen. Dabei lernen sie fürs Leben.”

Einer der beiden Verkäufer dazu: „Also wir machen ja auch mit Kinderarbeit die Schokolade. (…) Naja, es wird eben oft angekreidet, dass Kindersklaverei so ein Problem sei, aber da sagen wir, da wollen wir einen Imagewechsel.“ Die Marktbesucher reagieren auf diese Form der Verkaufsgespräche unterschiedlich: die einen entsetzt, die anderen verwundert, etliche hören genau hin und kaufen dann – überraschend – doch. Die Schokolade-Kundin greift nach obigem Verkaufsgespräch jedenfalls zu.

Was die Käufer nicht wissen konnten: Alle Erzeugnisse an diesem Marktstand kamen in Wirklichkeit aus Öko-Landbau und aus (echtem) Fairem Handel. Und die beiden Marktbeschicker sind im Gegensatz zu den Marktbesuchern Schauspieler, die – nach einem gemeinsamen Brainstorming mit den Auftraggebern – die unterschiedlichen Themen spontan in den Gesprächen mit den Kunden platzieren.

„Agraprofit” hinterlässt die Frage, wie man sich selbst an einem solchen Marktstand verhalten hätte. Wie reagieren die Menschen, wenn sie ungeschminkt hören, welche Zustände andernorts mit ihrem Einkauf hier verbunden sind? Der Film wirft überdies auch die grundsätzliche Frage auf: Wonach entscheide ich eigentlich, wie ich lebe, was ich tue? Habe ich Kriterien, an denen ich mich orientiere, vielleicht sogar unverrückbare Grundpfosten? Oder entscheide ich immer aus dem Bauch heraus?

 


Didaktische Splitter

Die im Film angesprochenen Themen sind vielfältig und in (nahezu allen) Lerngruppen der Sek II mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen einsetzbar. Die nun folgenden Überlegungen aber zielen auf den Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen. Naheliegend ist es dabei, den Film „Agraprofit” für den Religionsunterricht mit Auszubildenden im Einzelhandel oder in anderen wirtschaftsorientierten Berufen einzusetzen 2. Auszubildende im Einzelhandel lernen ausdrücklich, wie man sich z. B. um die Warenpräsentation so kümmert, „dass die Kaufentscheidung gleich ein bisschen leichter fällt 3.Azubis müssen natürlich ehrlich sein und dennoch sollen sie möglichst geschickt auf Fragen von Kunden und Kundinnen eingehen. Die beiden Verkäufer am Marktstand im Film sind ehrlich, sie gehen auf die Kunden ein – und doch hält man kaum für möglich, was dabei geschieht, weil grundsätzlich wichtige „Selbstverständlichkeiten” auf den Kopf gestellt werden. Positiv besetzte Reizworte wie „fair”, „Imagewechsel”, Kinder dürfen etwas „wie die Großen” usf. werden in einem neuen Zusammenhang karikiert verwendet und umgedreht. Überlegungen, die bei Kaufentscheidungen normalerweise eine Rolle spielen (z. B. Qualität und Preis), werden im Film schier unmerklich mit den Produktionsbedingungen verbunden, über die sich der Normal-Einkäufer seltener Gedanken macht. Und während das Recht des Kunden hier in Deutschland auf einen „fairen Preis” ganz deutlich eine Rolle spielt und spielen soll, ist das Recht des Produzenten auf einen „fairen Preis” im Sinne einer gerechten Entlohnung offenbar zweitrangig. Die (mindestens) Zweiteilung der Welt wird damit deutlich.

Schülerinnen und Schüler sind auf zwei Ebenen im Filmgeschehen angesprochen: zum einen als potentielle Kunden und zum anderen – gewissermaßen auf der Metaebene – als Verkäuferinnen und Verkäufer. Viele Produkte aus fairem Handel (z. T. auch mit Bio-Siegel) sind inzwischen in Supermarktketten wie Lidl, Aldi, REWE und EDEKA zu kaufen. Es gibt einen Stamm von Kaufinteressenten, die genau nach solchen Produkten suchen. Nachhaltiger Konsum bewegt viele Menschen und hat einen langsam steigenden Marktanteil erobert.

Auszubildende für diese Thematik zu sensibilisieren und gerechte Produktionsbedingungen als christlich-ethische Fragestellung zu vermitteln, sind somit die Ziele dieser Unterrichtseinheit.4

Ein Problem bei diesem Thema für den Religionsunterricht (RU) sei jedoch nicht verschwiegen: Es ist so ungemein erwartbar, dass es im RU irgendwann um diese beiden Themen geht, um Gerechtigkeit und um Fairness. Schüler und Schülerinnen erwarten schon fast das „Gutmenschentum” als ethischen Richtwert. Hier dennoch einen Überraschungserfolg zu erzielen und Schülerinteresse zu wecken, ohne moralinsauer zu wirken, ist deshalb eine Kunst. Der satirische Werbefilm „Agraprofit”5 hat das Zeug dazu, diesen Spagat zu bewerkstelligen. Mit 250.000 Klicks innerhalb von drei Wochen übertraf der Film 2013 alle Erwartungen – damit ist „Agraprofit“ der erfolgreichste politische Kampagnenfilm zum Fairen Handel bislang 6.Fachwissenschaftliche Streifzüge

Der innere Kern des biblischen Gerechtigkeitsverständnisses ist es, das Recht der Schwachen zu schützen. Das Alte Testament kennt dabei etliche Rechtsvorschriften, die Ausgleich schaffen sollen. Denn Gerechtigkeit gilt zwar als von Gott verfügt, doch wird sie „erst von Menschen in ihrem täglichen Füreinander-Handeln errichtet, vom Aneinander-Denken getragen (…) und ist darum ständig gefährdet.”7 Diese Spur zieht sich weiter: Denn auch das Neue Testament „nimmt das antike Wirtschaftssystem aus der Sicht der Unterschicht wahr. Menschen werden häufig als Opfer wirtschaftlicher Mechanismen gesehen, die in prophetischer Tradition aufgedeckt und angeklagt werden”8 (vgl. M 4).

Luthers wirtschaftsethische Grundorientierung könnte man auch als „Option für die Armen” sehen, auch wenn er diese Worte natürlich nicht verwendet hat und seine zahlreichen wirtschaftsethischen Schriften zum eher unbekannten Teil seines Werkes gehören. Scharf kritisiert er die Orientierung des Warenpreises am Gesetz von Angebot und Nachfrage. Gegen den Marktpreis setzt er eine Orientierung am gerechten Preis. Er spricht sich so für eine klare Verpflichtung der Wirtschaft auf ethische Prinzipien aus. Luthers Aussagen in ihrer leidenschaftlichen Kritik an ungerechten – in der globalisierten Wirtschaft heute zuweilen schon zur Normalität gewordenen – wirtschaftlichen Verhältnissen bleiben heute nach wie vor bedenkenswert. Sie bewahren davor, sich mangels überzeugender Alternativen mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden (vgl. M 5).
Beide Stränge auch in den Unterricht einfließen zu lassen – die biblischen Grundlagen und Luthers Wirtschaftsethik – kann auf gute Weise mit den im Film aufgefundenen Denkstrukturen zusammenwirken.


Zur Praxis des Unterrichts 9

Je nachdem, wie intensiv einzelne Elemente bearbeitet werden sollen, sind fünf bis sechs Doppelstunden für diese Unterrichtseinheit zu veranschlagen 10

Die erste Doppelstunde: „Samstagvormittag, ein Marktstand, irgendwo in Deutschland …“. Als imaginäre Marktbesucher erleben die Schülerinnen und Schüler den Film „Agraprofit”. Der direkte Beginn der Einheit mit dem Film ermöglicht es, spontan Gedanken und Reaktionen aufzugreifen:

  • Welche Frage, welcher Zusammenhang steht für mich im Vordergrund?
  • Welche Szene, welche Person, welchen Satz habe ich noch vor Augen bzw. im Ohr? (M 1).
     

Da der Film mit karikierenden Elementen arbeitet, ist es sinnvoll, anhand des Filmtransskriptes (M 2) mögliche Missverständnisse auszuräumen. 11


Die Auseinandersetzung mit dem Film mündet in einen interessegeleiteten Zugang, in dem die Schülerinnen und Schüler den Gesprächsgang am Verkaufsstand nachlesen und anschließend einen Fokus auswählen, mit dem sie in Kleingruppen weiterarbeiten. Dabei sollten alle drei Themenfelder „Kinderarbeit”, „Produktionsbedingungen” und „Fairer Handel” abgedeckt werden. Die Schülerinnen und Schüler untersuchen, wie diese Themen im Film bearbeitet werden und was man demgegenüber landläufig darunter verstehen würde (M 3). 12

M 4 leitet dazu über, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die fiktive Lage der Arbeiter einer Kakaoplantage versetzen: Plötzlich besteht (imaginär) eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass „Ivory Choc“ als Marke verkauft wird, weil die Umsätze in Europa durch die Aufklärungskampagnen einbrechen. Die Arbeiter müssen aktiv werden. Vorgabe: Der Hauptinteressent ist Mitglied im Unternehmerverband der „Christlichen Unternehmer in Deutschland“. Die Schülerinnen und Schüler werden deshalb aufgefordert, einen Brief an diesen Kaufinteressenten zu schreiben, in den Sie biblische Positionen als Untermauerung ihrer Forderungen einfließen lassen (M 4). Dieser Perspektivwechsel ermöglicht ein empathisches und tieferes Verstehen der Arbeitnehmer-Situation und erfordert von Schülerseite gleichzeitig eine verstehende Auseinandersetzung mit dem biblischen Gerechtigkeitsverständnis 13.In der darauffolgenden Doppelstunde lernen die Schülerinnen und Schüler Luthers oben beschriebene Position zu wirtschaftlichem Handeln kennen und lernen dabei, dass kirchliches Engagement für den fairen Handel sowohl biblische als auch historisch gut verankerte Wurzeln hat (M 5). Sie erstellen ihren eigenen „Fünf-Punkte-Plan für ethisch korrektes Handeln“ (M 6). In einer Kleingruppe erarbeiten sie nun eine neue Spielszene für „Samstagvormittag, ein Marktstand, irgendwo in Deutschland …“ und überlegen sich dafür, wie die Verkäufer jetzt auftreten und die Kunden reagieren könnten, wenn die biblisch-ethischen Grundsätze umgesetzt wären.

Im Sinne der vollständigen Handlung 14 bewerten die Schülerinnen und Schüler am Ende ihren eigenen Lernzuwachs in einem Karusellgespräch (M 8). Mit dem „Ökologischen Fußabdruck“ (M 9) lässt sich zusätzlich auch das eigene Verhalten in diesem Themenkomplex entdecken. Dieser Schritt bietet sich besonders dann an, wenn im Fächerverbund mit Politik gearbeitet wird.

 

Literatur und Internetquellen

  • www.yool.de/agraprofit
  • www.ausbildung.de/berufe
  • www.bpb.de/lernen/themen-im-unterricht/ 224197/was-darf-satire
  • https://info.brot-fuer-die-welt.de/thema/fairer-handel
  • www.fussabdruck.de/fussabdrucktest/#/start/index
  • Unter www.endlich-wachstum.de/kapitel/die-globale-dimension/ gibt es das alternativ einsetzbare Spiel „Wir spielen Welt“ zum kostenlosen Download
     
  • Bieberstein, Klaus / Bormann, Lukas: Gerechtigkeit / Recht, in: Crüsemann, Frank u. a. (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, München 2009
  • Jochum-Bortfeld, Carsten / Kessler, Rainer: Wirtschaftssystem, in: Crüsemann, Frank u. a. (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, München 2009
  • Völkel, Jan: Religion und Ethik in der Wirtschaft, in: RU Praktisch – Berufliche Schulen, Göttingen 2013

 

 Anmerkungen

  1. www.yool.de/agraprofit; 5:29 Min.
  2. Hier im Fokus: mit dreijähriger Ausbildungszeit, d.h. Niveaustufe 4.
  3. www.ausbildung.de/berufe/kauffrau-im-einzelhandel
  4. Ebenso gut denkbar wäre es mit diesem Filmmaterial, das Menschenbild genauer zu untersuchen (z. B. in Kombination mit dem Fachunterricht Deutsch), dann mit etwas anderer Ausrichtung innerhalb der Lernfelder, z. B. mit Schwerpunktsetzung auf der Gottebenbildlichkeit (vgl. Niveaustufe 4, A2: Die Schülerinnen und Schüler verstehen die Gottebenbildlichkeit des Menschen als theologisch-anthropologische Grundaussage und erörtern Konsequenzen, die sich daraus ergeben). Dieser Gedankenstrang wird aus Platz- und Zeitgründen hier nicht weiterverfolgt.
  5. Satiren bergen zwar die Gefahr, vor allem von jungen Menschen nicht als solche wahrgenommen – oder missverstanden – zu werden. Im Unterricht aber auf diese Sprachform ganz zu verzichten, wäre m.E. falsch. Denn eine Auseinandersetzung mit modernen, weniger „literarisch-verstaubten” Formen der Satire verknüpft und fördert nicht nur literarisches und – in diesem Fall – ethisches Lernen, sie bietet auch die Möglichkeit, sich der perspektivischen Vermittlung von Wirklichkeit bewusst zu werden (vgl. zu dieser Diskussion auch www.bpb.de/lernen/themen-im-un terricht/224197/was-darf-satire).
  6. Produziert von der Gießener Werbeagentur YOOL im Auftrag von Weltladen-Dachverband und Naturland.
  7. Bieberstein, Klaus / Bormann, Lukas: Gerechtigkeit / Recht, In: Crüsemann, Frank u. a. (Hg): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, München 2009, 197.
  8. Jochum-Bortfeld, Carsten / Kessler, Rainer: Wirtschaftssystem, in: Crüsemann, Frank u. a. (Hg): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, München 2009, 665f.
  9. Der Unterrichtsvorschlag folgt den unterrichtlichen Vorgaben in Berufsbildenden Schulen und ist in der Bewegung des Handlungskreises gedacht, siehe M0_Ni4_LSundHK_Glaube und Wirtschaft.
  10. vgl. Makrosequenz zu den Doppelstunden unter M0_Lernsituation und Handlungskreis.
  11. Vgl. manche der Kommentare zum Film, aber auch die Reaktionen der Marktbesucher.
  12. Eine Internetrecherche bei https://info.brot-fuer-die-welt.de/thema/fairer-handel kann ggf. bei der Überbrückung von Wissenslücken behilflich sein.
  13. Je nach Lerngruppe wären hier Ergänzungen durch Material zum Gerechtigkeitsverständnis anderer Religionen oder religiöser Schriften einsetzbar, siehe auch die Zakat-Steuer im Islam. Oder: relilex.de/schlagwort/gerechtigkeit-weltreligionen.
  14. Vgl. „Konzept Handlungsorientierung in der beruflichen Bildung“ unter http://www.nibis.de/nibis3/uploads/2nlq-a2/files/bHO-Gesamtkonzept.pdf.
     

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