„Wenn das Leben Risse bekommt …“ - Vom Umgang mit Krisen

von Almut Künkel und Bettina Wittmann-Stasch

 

Für die Frage nach dem Umgang mit Krisen im Schulalltag oder in der außerschulischen Begegnung mit Jugendlichen lassen sich aus handwerklicher Expertise Einsichten gewinnen. Auf der Internetseite einer Baufirma ist zum Stichwort „Riss“ nachzulesen:

„Risse beruhen auf Formveränderungen des Mauerwerks […]. Diese können durch die Anordnung von Dehnungsfugen oder durch konstruktive Bewehrungen vermieden werden. Über entsprechende Lösungen muss im Einzelfall entschieden werden. Jeder Fall ist anders; ein paar Prinzipien können Wege zur Auffindung der Schadensursache, besser noch zur Schadensvermeidung, zeigen.“ 1

In baulicher Hinsicht sind Risse demnach zunächst einmal Folgen von Formveränderungen. Risse im Leben beruhen ebenso auf Veränderungen, auf Bewegungen. Der Riss zeigt an, dass sich das Mauerwerk des Lebens aufgrund von Veränderungen und Spannungen selbst verändert und auch verändern, d. h. „anpassen“, muss.

Beruhigend ist dabei die Auskunft der Firma Fischer, Bausanierung: „Jedes Bauwerk weist Risse auf. Rissbreiten bis 0,2 mm (Haarrisse) gelten als ungefährlich und schränken die Gebrauchstauglichkeit und Lebensdauer […] nicht ein.“ 2

Allerdings gilt auch: „Größere Rissbreiten vor allem an Außenbauteilen führen zu Mangelerscheinungen wie Wassereintritt und Korrosion. Besonders Tragkonstruktionen sind gefährdet, da Risse im schlimmsten Fall zu Brüchen führen können, was ein erhebliches Gefahrenpotenzial in sich birgt.“ 3

Das heißt: Jugendliche, die eine Krise durchleben, brauchen jemanden, der ihr „Mauerwerk“ im Blick hat: aufmerksame, verlässliche und respektvolle Begleitung. Vielen Religionslehrkräften wird zugeschrieben, dass sie zu solcher Begleitung die „Richtigen“ seien – und wer diese Aufgabe für sich so annimmt, bei dem ist das auch so. Die Weiterbildung Schulseelsorge kann dabei als Grundlage dienen und das geeignete „Handwerkszeug“ anbieten, damit Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger (weitergebildete Religionslehrkräfte, Pastorinnen und Pastoren oder Diakoninnen und Diakone) Ansprechpartnerinnen und Unterstützer sein können.



Krisenanlässe

Krisenanlässe liegen einerseits in der individuellen Lebensgeschichte des Einzelnen, sind aber andererseits bei Jugendlichen auch Teil der altersgemäßen Entwicklung.


1. Lebensgeschichtliche Erfahrungen

Schicksalsschläge oder gravierende Verstörungen – auch wenn sie nicht alle auf der gleichen Ebene stehen – können zu Rissen und „Baufälligkeit“ führen. Beispiele dafür sind:

  • Todesfälle innerhalb der Familie oder des engeren Bezugsystems,
  • schwere Erkrankungen des Heranwachsenden selbst oder eines Familienmitgliedes,
  • Verkehrsunfälle mit Dauerfolgen,
  • materielle Unsicherheit oder Armut, z. B. durch Arbeitslosigkeit der Eltern,
  • Trennung und Scheidung der Eltern,
  • Tod eines Mitschülers oder Lehrers,
  • Umzug an einen anderen Ort,
  • Mobbing, Missbrauch oder andere Gewalterfahrungen.

 
2. Altersspezifische Anlässe

Neben solchen individuellen Erfahrungen gibt es altersspezifische Krisen, die besonders in Schwellensituationen auftauchen: Im Übergang vom Kind zum Jugendlichen und dann vom Jugendlichen zum Erwachsenen verändert sich die Stabilität der eingeübten Beziehungs- und Verhaltensmuster. Wenn das Leben in Bewegung gerät, wenn etwas aufhört und etwas Neues anfängt, bilden sich im „Umbauprozess“ fast notwendigerweise Risse, die eben auch die Funktion haben, der „Formveränderung“ Raum zu geben.

Etwas überspitzt könnte man sagen: Die Jugendzeit selber ist eine einzige Krise – allerdings gilt gleichzeitig: „Das Potenzial der Pubertät wird viel zu wenig genutzt. Sie bedeutet ja nicht nur Horror. Das Gehirn ist bereit zu Höchstleistungen, es bildet Moralvorstellungen aus; die Großhirnrinde, zuständig für kognitive Aufgaben, legt gewaltig zu. Signale werden 30-mal schneller weitergeleitet. Die Intelligenz steigt. Es ist eine hochpotente Zeit.“ (Haug-Schnabel 2008, S. 152f.)

Die Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen ist eine Phase, die die Heranwachsenden (und ihre erwachsenen Begleiter) oft an die Grenzen bringt. Dabei leben Jugendliche heute besonders lange in der Spannung, dass sie materiell und sozial von ihren Eltern abhängig sind, aber die eigene kognitive und emotionale Entwicklung parallel dazu auf Unabhängigkeit, Lösung und Neudefinition der familiären Beziehungen programmiert ist. Im Unterschied zur Orientierung an der Familie in der Kindheit hat im Jugendalter die Gleichaltrigengruppe zentrale Bedeutung. Stärker noch als im Kontext familiärer Beziehungen entscheidet sich im Abgleich mit der Peergroup die Frage danach, wer und was ich bin. Die Frage nach der eigenen Identität konzentriert sich dabei vor allem darauf, wie ich von anderen gesehen und bewertet werde. Die Außenverlagerung der inneren Entwicklung erzeugt angesichts von Facebook, YouTube und What‘s app den enormen Druck, sich selbst permanent zu präsentieren. Mit den überall kursierenden „Selfies“ wird im wörtlichen wie im übertragenen Sinn ein Bild produziert, das andere sehen und bewerten sollen und das die abgebildete Person inszeniert – ein z. T. gefährliches Spiel, das die entwicklungsbedingten Krisenpotentiale Jugendlicher noch einmal verschärft.



Der Umgang mit Krisen: unterschiedliche Bewältigungsstrategien

Ein wichtiges Ergebnis der gegenwärtigen Diskussion ist, dass für die Frage des Umgangs mit Krisen weder der Inhalt noch der „Schwierigkeitsgrad“ entscheidend sind. Ein Ereignis – wie z. B. Trennung der Eltern oder schulische Schwierigkeiten – wird von unterschiedlichen Personen nicht nur unterschiedlich erlebt, sondern auch unterschiedlich bewältigt: Im besten Fall kann es in die eigene Entwicklung integriert werden, im schlechtesten Fall entwickelt sich ein lebenslanges Trauma. Für unseren Zusammenhang heißt das: Nicht die Art oder das Gewicht einer Krise, sondern die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien entscheiden darüber, ob und wie eine individuelle oder lebensgeschichtliche Herausforderung gemeistert werden kann.


1. Destruktive Bewältigungsstrategien

Zunächst ein Blick auf die Jugendlichen, die Krisenanlässe eher als Überforderung erleben und mit destruktiven Mustern reagieren. Diese können – um es noch einmal baulich auszudrücken – die „Tragkonstruktionen“ gefährden und im schlimmsten Fall zu Brüchen führen.

Im Bereich der destruktiven Verarbeitungsmuster unterscheidet man zwischen

  • depressiven, gegen sich selbst gewendeten Verhaltensweisen (Rückzug, Isolation, Ängste, psychosomatische Beschwerden, Sucht- und Rauschmittel, Essstörungen und Suizid)
  • und aggressiver Verarbeitung durch Gewalt, Flucht, Vandalismus, Wutausbrüche, Provokationen, Schuldzuweisung an andere.

Was das bedeuten kann, soll an der Äußerung von Svenja, 16 Jahre, Schülerin im Berufsvorbereitungsjahr, deutlich gemacht werden: „Die sagen, ich bin viel zu fett – einfach total hässlich! Immer stehe ich alleine rum.“ Bei einer Orientierung an destruktiven Mustern könnte es sein, dass Svenja – sollte sie eher mit Verhalten aus dem depressiven Bereich reagieren – sich vielleicht selbst isoliert oder zurückzieht, eine Essstörung, psychosomatische Beschwerden oder Suchtverhalten entwickelt. Reagiert sie dagegen eher mit Mustern aus dem aggressiven Bereich, könnte es zu Wutausbrüchen und Gewalt gegen die Klassenkameraden oder zu autoaggressiven Varianten kommen: „Wenn ich mich ritze, spüre ich wenigstens den Schmerz. Das tut gut.“ Oder sogar: „Ich bring mich um – ich weiß nicht, was das alles noch soll ...“

Aus systemischer Sicht sind auch diese depressiven oder aggressiven Bewältigungsstrategien bereits erste Lösungsversuche, mit denen jemand auf eine Krise, eine Veränderung reagiert. Die destruktiven Verhaltensweisen haben die Funktion, dass sie angesichts des inneren Drucks (vgl. das Stichwort: „Formveränderung“ im baulichen Bereich) zumindest kurzfristig Entlastung schaffen. In diesem Sinne gilt aus systemischer Perspektive:

„Probleme sind Lösungen“ 4 , weil auch mit den destruktiven Bewältigungsstrategien zumindest versucht wird, eine als problematisch erlebte Situation durch Druckabbau zu entschärfen. Dennoch sind Lösungen dieser Art weder für die Betroffenen noch für ihr soziales Umfeld hilfreich und nützlich. In der Regel erweisen sie sich sogar als Problemverstärker: Rückzug und Isolation werden das berechtigte Bedürfnis nach Anerkennung nicht stillen, eine Essstörung könnte den Teufelskreis der Sucht auslösen und die Gesundheit ruinieren. Ebenso werden Gewaltreaktionen gegen Klassenkameradinnen Svenjas Akzeptanz durch die Gruppe deutlich verringern statt sie zu steigern.

Im systemischen Bereich spricht man in diesem Zusammenhang von Lösungen erster Ordnung (Mücke 2003), die – trotz der offensichtlichen negativen Folgen – von den Betroffenen oft mit großem Beharrungsvermögen weiterverfolgt werden.

Die Aufgabe für Svenja (und die Menschen, die sie in der Krise begleiten) wird also darin liegen, die Lösung erster Ordnung, sprich die destruktiven Bewältigungsmechanismen zugunsten hilfreicherer Lösungen aufzugeben, was sich in der Regel als extrem schwierige Aufgabe darstellt.

In einem zweiten Schritt kann dann ein sogenannter „Statt-Plan“ 5 , entwickelt werden, eine realistische und handlungsorientierte Alternative, die es ihr ermöglicht, Lösungen zweiter Ordnung 6 und damit konstruktive Bewältigungsideen zu kreieren. Dafür wird Svenja vermutlich auf Unterstützung angewiesen sein, evtl. auch durch Therapie und Beratung, d. h. außerhalb der schulischen Möglichkeiten.
Doch zunächst geht es bei Jugendlichen, die destruktive Muster als Lösung erster Ordnung einsetzen, um eine Art Erste-Hilfe-Einsatz. Hier ist ein Mensch gefragt, der diese akute Situation wahrnimmt und eine mögliche Gefahr für Leib und Leben abwendet. Dabei bleibt es ein Balanceakt, auf der einen Seite das Bedürfnis des Jugendlichen nach Selbstbestimmung zu respektieren, auf der anderen Seite in Notfällen auch gegen den Willen des Jugendlichen Maßnahmen zu ergreifen.


2. Konstruktive Bewältigungsmechanismen: Resilienz

Der Begriff Resilienz ist im Deutschen am besten mit Widerstandsfähigkeit wiederzugeben. Er beschreibt die Fähigkeit, trotz schwieriger Lebensumstände und Belastungen Ressourcen zu entwickeln, die bei der Bewältigung von Krisen hilfreich sind. Resiliente Menschen haben ein gut funktionierendes psychisches Immunsystem. Sie sind „Stehaufmännchen“, die auch Krisensituationen erstaunlich gut meistern – so wie Pippi Langstrumpf, die literarische Symbolfigur für resilientes Verhalten, die ja auch trotz aller Widrigkeiten keine bleibenden Schäden davon trägt.

Beruhigend ist: Die meisten Jugendlichen können mit den Herausforderungen ihrer Entwicklung oder mit Schicksalsschlägen auch ohne Krisenintervention von außen erstaunlich gut umgehen. Sie haben eine ausreichende Resilienz entwickelt. Oder, noch einmal mit den nüchternen Worten der Firma Fischer, Bausanierung: „Jedes Bauwerk weist Risse auf. Rissbreiten bis 0,2 mm (Haarrisse) gelten als ungefährlich und schränken die Gebrauchstauglichkeit und Lebensdauer des Bauwerks nicht ein.“ 7

Die Resilienzforschung hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, woran es liegt, dass Menschen mit vergleichbaren Herausforderungen unterschiedlich gut umgehen können. Empirische Untersuchungen über Menschen, die alle eine sehr schwierige Kindheit erlebt haben, zeigen, dass der seit Freud angenommene Automatismus (etwas verkürzt gesagt) „schwere Kindheit = schweres Leben“ für einen durchaus relevanten Anteil der untersuchten Biografien eben gerade nicht zutrifft. Der finnische Psychologe Ben Furman hat in seinem Buch mit dem inspirierenden Titel „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“ (Dortmund 52005) dieses Phänomen aufgegriffen und kommt zu dem Schluss: Interessanter als die Frage danach, warum Menschen so geworden sind, wie sie sind, ist eigentlich die Frage, warum sie eben gerade nicht so geworden sind, wie man aufgrund der widrigen Lebensumstände oder der persönlichen Schicksalsschläge vermuten könnte. Menschen können also konstruktive Bewältigungsstrategien entwickeln, die auch dann die Stabilität des „Mauerwerks des Lebens“ erhalten, „wenn das Leben Risse bekommt“.

Merkmale solcher konstruktiven Bewältigungsstrategien sind:

  1. Realistische Einschätzung und Akzeptanz der Krisensituation sowie Zugang zu den damit verbundenen Gefühlen: „Ich bin traurig, wütend, enttäuscht etc., weil mich im Moment XY stark belastet und beeinträchtigt.“
  2. Eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung: „Veränderung ist möglich, nichts bleibt, wie es ist: Es gab ein Leben vor der Katastrophe und es wird auch ein Leben danach geben!“
  3. Lösungs- und Zukunftsorientierung statt Vergangenheits- und Problemfixierung: „Was soll und kann in Zukunft sein, was möchte ich, was wird mir gut tun?“ statt: „Warum ist es so gekommen und wer ist daran Schuld?“ (Obwohl auch solches Denken im Katastrophenfall zunächst sein Recht hat.)
  4. Übernahme von Selbstverantwortung: „Was kann ich dazu beitragen, dass es mir wieder besser geht, welche Alternativen kann ich entwickeln?“ (entspricht der oben beschriebenen Suche nach „Lösungen zweiter Ordnung“) und: „Wer oder was kann mich dabei unterstützen?“ (Frage nach Ressourcen).
  5. Vertrauen in die Selbstwirksamkeit (Self-Empowerment) und Übernahme von Selbstverantwortung: „Ich habe selber Einfluss darauf, wie es mit mir weitergeht. Ich bin nicht ohnmächtiges Opfer der Umstände, sondern Mitgestalter meines eigenen Lebens.“
  6. Die Fähigkeit, andere um Unterstützung zu bitten und das eigene soziale Netz gerade in Krisensituationen zu nutzen: „Ich ziehe mich nicht zurück, sondern teile mich mit.“

Die Grundhaltung resilienter Menschen lässt sich zusammenfassend so umschreiben: „Was auch immer auf mich zukommt – ich werde einen Weg finden, damit umgehen zu können. Es wird eine Lösung geben. Ich kann selbst etwas dazu beitragen, mit einer Krise und nach einer Krise weiter zu leben“.



Was können wir tun? – Vier Beispiele „protektiver“ Maßnahmen zum Aufbau von Resilienz für Lehrerinnen und Lehrer

Wir als lebensbegleitende Menschen von Kindern und Jugendlichen können in erheblichem Maße dazu beitragen, Resilienz zu trainieren, um damit konstruktive Bewältigungsstrategien für Krisensituationen zu verankern. Dazu abschließend einige Anregungen – alle nicht neu und alle nicht originell, aber doch wert noch einmal ins Bewusstsein gerückt zu werden.


1. „Heute schon gelobt?“

Jugendlichen positive Rückmeldung zu geben, persönlichen Leistungen anzuerkennen, aber vor allem auch die individuelle Persönlichkeit zu würdigen, ist der Schlüssel für die Entwicklung konstruktiver Bewältigungsstrategien.

Dabei geht es nicht darum, beliebig und pädagogisch motiviert Dinge schönzureden, sondern zunächst einmal den eigenen Blick zu erweitern und die eigene Defizitfixierung aufzulösen. Wenn z. B. ein Schüler massive Lernschwierigkeiten hat, keine Hausaufgaben macht oder oft den Unterricht stört, dann hilft es, sich daran zu erinnern, dass dies nicht alles ist, was zu ihm zu sagen wäre. Denn er hat ganz sicher auch Fähigkeiten. Vielleicht hat er eine hohe soziale Kompetenz oder er ist in der Klasse wegen seines Humors, seiner Sportlichkeit oder anderem mehr anerkannt. Ihm diese Fähigkeit zurückzumelden und nicht nur bei seinen offensichtlichen Schwächen zu bleiben, kann ihn stark machen und ihm helfen, mit seinen schulischen Schwierigkeiten besser umzugehen und ihn Hilfe auch annehmen zu lassen.

Wenn solche Fähigkeiten in Bezug auf diesen bestimmten Schüler nicht direkt ins Auge springen, ist es ratsam, sich – evtl. auch mit anderen Kolleginnen und Kollegen – Zeit zu nehmen unter dem Leitsatz: „Du kannst an jedem Menschen irgendetwas finden, das du ehrlicherweise anerkennen kannst!


2. „Du schaffst das!“ – Jugendliche brauchen Herausforderungen, an denen sie wachsen können

Ein Amt mit Gestaltungsmöglichkeit und die Übernahme von Verantwortung für andere stärken das Bewusstsein dafür, auch in Krisen auf die Erfahrung der Selbstwirksamkeit zurückgreifen zu können. Die gemeinsame Reflexion: „Wie hast du es geschafft, die gestellte Aufgabe zu bewältigen?“ vertieft diese Erfahrung. So werden die vorhandenen persönlichen und sozialen Ressourcen in Erinnerung gerufen, z. B.: „Ich habe mir überlegt, womit ich erstmal anfange. Und mir dann bei dem, was ich alleine nicht konnte, Hilfe von meiner Freundin geholt“. Das alles sind nützliche Strategien – auch in Krisensituationen.


3. „Wie willst du das besser in den Griff bekommen?“

Im Umgang mit Jugendlichen und ihren Themen liegt es manchmal nahe, aus der Erwachsenenperspektive Hinweise oder gar Tipps zur Lösung von Herausforderungen zu geben – die oft jedoch verhallen. Die erwachsene Lebenserfahrung lässt sich so nicht weitergeben – Erfahrungen müssen selbst gemacht werden. Günstiger ist es deshalb, sich mit Ratschlägen oder konkreten Lösungen zurückzuhalten und stattdessen die Lösungsansätze des Gegenübers anzuregen. Aktive Beteiligung, Mitbestimmung, eigenständige Problembearbeitung und Übernahme von Selbstverantwortung stärken auch hier das Vertrauen in die eigenen Bewältigungskompetenzen: „Ich kann selber etwas tun und bin kein ohnmächtiges Opfer. Ich kann Ideen entwickeln und umsetzen“.

Es ist oft erstaunlich, wie viele konstruktive Ideen Jugendliche entwickeln, wenn sie danach wirklich gefragt werden.


4. „Keiner muss alleine bleiben“

Die Unterstützung Jugendlicher beim Aufbau von Beziehungen ist im schulischen und auch im kirchlichen Kontext ein wichtiger Faktor. Als begleitende Personen können wir einerseits in der Gruppe oder Klasse ein Klima schaffen, das Beziehungen fördert und den Einzelnen in seiner Einzigartigkeit sichtbar macht, respektiert und würdigt. Andererseits können wir uns selber als verlässliche und glaubwürdige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfügung stellen oder Jugendliche anregen, im eigenen sozialen Umfeld Beziehungen aufzubauen oder zu reaktivieren: „Wen gibt es, dem du vertraust, und wie kannst du Kontakt zu ihm oder ihr aufbauen?“



Ausblick

„Wenn das Leben Risse bekommt“ … Ja, das Leben bekommt Risse – das ist unvermeidlich. Aber wir können durch unsere Arbeit mit Kindern und Jugendlichen etwas dazu beitragen, dass das Mauerwerk ihres Lebens mit allen Beschädigungen und Formveränderungen so gefügt ist, dass es Spannungen und Risse aushält und die Tragfähigkeit erhalten bleibt. Nicht Krisen an sich sind problematisch, sondern der unterschiedliche Umgang von Jugendlichen (und Erwachsenen!) mit ihnen. Destruktive Bewältigungsstrategien erfordern von uns erhöhte Aufmerksamkeit und in der Regel auch konkrete Interventionen. Konstruktive Bewältigungsmuster und Resilienz können auch in einer akuten Krise aktiviert werden. Günstiger ist es aber, wenn Jugendliche sie vorher einüben konnten. Als Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger und als Lehrkräfte haben wir eine riesige Chance: Menschen stark machen fürs Leben!


Anmerkungen

  1. http://www.baunetzwissen.de/standardartikel/Mauerwerk_Risse-in-Mauerwerksbauteilen_162906.html
  2. http://www.abdichtung.info/riss/sanierung.html
  3. ebd.
  4. So der schöne Titel des Lehr- und Lernbuchs für systemische Beratung und Psychotherapie von Klaus Mücke.
  5. Der Begriff stammt aus der Ausbildungsarbeit des Norddeutschen Instituts für Kurzzeittherapie, NIK, Bremen.
  6. Paul Watzlawick, vgl.: www.christian-grueber.com/Texte/PDF/ Watzlawick,%20L%F6sungen.pdf. Zugriff am 10.09.2014; 20.09 Uhr
  7. http://www.abdichtung.info/riss/sanierung.html; Zugriff am 14.09.2014; 12.30 Uhr 

 

Literatur

  • Furmann, Ben: Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten, Heidelberg 52012.
  • Haug-Schnabel, Gabriele: Pubertät, in: Der Spiegel, 21/2008, S. 152f.)
  • Mücke, Klaus: Probleme sind Lösungen. Systemische Beratung und Psychotherapie – ein pragmatischer Ansatz. Lehr- und Lernbuch. Potsdam 2009, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage.
  • www.christian-grueber.com/Texte/PDF/Watzlawick,%20L%F6 sungen.pdf. Zugriff am 10.09.2014; 20.09 Uhr. 



Hinweis
:

Die Weiterbildung Schulseelsorge am Religionspädagogischen Institut in Loccum hat zum Ziel, Lehrkräfte genau zu solcher Arbeit – wie oben beschrieben – zu befähigen. Jährlich beginnen ein bis zwei Ausbildungsgänge. Die Ausbildung ermöglicht, besondere Aufgaben an der Schule wahrzunehmen. Im Vordergrund steht dabei die Seelsorge an Schülerinnen und Schülern sowie an Lehrerinnen, Lehrern und Eltern.

Was Schulseelsorge in der jeweiligen Schule ist und sein kann, ist in hohem Maße von der eigenen Person und den Herausforderungen der konkreten Praxis abhängig. Ziel des berufsbegleitenden Weiterbildungskurses für Schulseelsorge ist die darauf gerichtete Erweiterung der inhaltlichen und methodischen Kompetenz.

Viele Schulleitungen schätzen dieses Angebot als einen besonderen Beitrag zur Schulkultur. Durch das Engagement der Schulseelsorgenden wird Religion an dem Ort erfahrbar, an dem Kinder und Jugendliche einen Großteil ihres Lebens verbringen. Dies wollen die evangelischen Kirchen stärken und fördern. Die Weiterbildung im RPI Loccum erfolgt durch ein Team (Almut Künkel, Astrid Lier, Hartmut Talke und Bettina Wittmann-Stasch) und wird finanziell von der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers getragen – mit Unterstützung der Ev.-luth. Landeskirchen Oldenburg, Schaumburg-Lippe und der Reformierten Kirche.