Das seelsorgerlich-beratende Kurzgespräch

von Evelyn Schneider

 

Es ist nicht die Dauer, die für das Format „Kurzgespräch“ entscheidend ist, sondern die Haltung und damit verbunden die Art der Gesprächsführung. Das Grundprinzip ist: Die ratsuchende Person ist Experte ihrer Situation, ihrer Probleme und der möglichen Lösungen. Aufgabe der beratenden Person ist es, den Gesprächspartner zu der von ihm selbst angestrebten Lösung zu führen. Oft wird dies mit einem Bild aus der Nautik illustriert: Die ratsuchende Person ist der Kapitän seines Schiffes, er weiß das Ziel. Die beratende Person ist der Steuermann, der Wege findet, wie man dahin kommt, Klippen kennt etc. Das Instrument dafür ist das Mäeutische Fragen und die Lösungsorientierung. Mäeutik ist die Hebammenkunst, die etwas hervorzubringen hilft, was noch im Verborgenen ist, aber nichts Eigenes schafft. Das ist eine Fragekunst, die auf die Selbsterkundung abzielt, die sich sprachlich und gedanklich nur am Gegenüber orientiert. Wie wird das umgesetzt? Wenn auch die Führung eines Kurzgespräches komplex ist und viel Übung braucht, können einige Merkmale hier herausgegriffen werden, um das Besondere eines Kurzgesprächs zu erläutern.

  1. Man achtet genau auf die Sprache des Anderen und nutzt seine Sprachebene. Menschen drücken sich vorzugsweise in bestimmten Repräsentationsebenen von Sprache aus. Es gibt
    - die visuelle Repräsentationsebene („Ich habe total den Überblick verloren…“),
    - die auditive Repräsentationsebene („Ich verstehe das nicht…“),
    - die kinästhetische Repräsentationsebene („Wir haben uns da irgendwie verrannt … Ich bin völlig verwirrt…“),
    - die olfaktorische Repräsentationsebene („Ich habe die Nase voll…“).
  2. Man gleicht ungleiche Beziehungsmuster aus. Ziel ist ein Gespräch „auf Augenhöhe“. Das gilt für beide Seiten. Oft wird unbewusst durch den Wissensvorsprung der ratsuchenden Person („Naja, das verstehen Sie nicht, Sie kennen meinen Freund nicht…“) oder durch die (vermeintlich) höhere Kompetenz der beratenden Person („Ich glaube, ich brauche mal Ihren Rat.“) eine Asymmetrie geschaffen, die im Gespräch hinderlich sein wird.
  3. Die Fragekunst verzichtet weitgehend auf geschlossene Fragen, Informationsfragen und Fragen nach Ursache und Wirkung und nutzt stattdessen Selbsterkundungsfragen. Damit wird das Prinzip verfolgt, weniger auf das Problem zu schauen als eher auf den Fortschritt und auf Wege, die Lösungen eröffnen.
  4. Man erkundet im Gespräch die Ressourcen des Anderen („Wer/was hilft dir dabei, das zu tun?“), die bei der Problemlösung helfen und formuliert sie.
  5. Bei der Suche nach Lösungen denkt man kleinschrittig, konkret und formuliert positiv und indikativisch. Damit wird das Vorhaben stärker in die Realität und die direkte Vorstellung geholt. Das kann ein Garant sein, dass das Vorhaben auch realistisch ist und wirklich in Angriff genommen wird.
  6. Man bündelt das Gespräch, z.B. indem man a. ein positives Feedback gibt, b. Differenzen zum Gesprächsbeginn benennt, bzw. das Anliegen wiederholt, c. wichtige lösungsorientierte Gedanken zusammenfasst und d. erste Schritte formuliert. Im Feedback spricht man die Person auf ihre Stärken an, die entweder im Verlauf des Gespräches deutlich wurden oder als Ressource für den Lösungsweg entdeckt wurden. Die Differenzen machen deutlich, dass es einen Fortschritt während des Gesprächs gab. Die Schritte nennen konkret das Vorhaben. Diese Bündelung hilft zur Orientierung über den Gesprächsverlauf und das weitere Vorgehen.



Ein Beispiel soll die Führung eines Kurzgespräches illustrieren:

S: Frau L, haben Sie mal kurz Zeit für mich, ich muss
Ihnen mal was Wichtiges sagen.
Das Mandat: kurz Zeit-Haben ist zugleich ein ungleiches
Beziehungsmuster: L. hat Zeit, die S. erbitten muss.
Wichtig und sagen sind ein Hinweis auf das Anliegen.
L: Was ist Dir wichtig? L. gleicht das Beziehungsmuster aus: dir und dockt an
die Wortwahl von S. an: wichtig
S: Also, ich hab Mist gebaut. Also, ich war so sauer
über meinen Vatter, der ist fremdgegangen und nun
trennen sich meine Eltern. Ey, nach was weiß ich wie
vielen Jahren… Und wo bleib ich? Also, ich war darüber
angenervt. Deshalb hab ich der Lisa ihren Freund
ausgespannt. Lisa ist meine beste Freundin! Gewesen!
Ich konnte das nicht ertragen, wie die rummachen. David,
so heißt der, will jetzt von Lisa nix mehr wissen. Die ist
fertig mit der Welt. Mirko hat mir erzählt, die kifft sogar.
David hab’ ich inzwischen verlassen. Ehrlich gesagt
konnte ich den sowieso nicht ab. Jetzt sagt er, er bringt
sich um und neulich auf der Party…
(die Problemschilderung von S. nimmt kein Ende)
Die Problemschilderung gleicht einem Konfliktkarussell
und bringt nun ein umgekehrtes Beziehungsmuster:
Nur S. steigt da noch durch, L. müsste etliche Details
nachfragen.




L: Sandra, welches von den Problemen willst du als
erstes ausmisten?
L. kehrt zum Mandat zurück: als erstes (= wichtig) und
nutzt die Sprachebene von S.: ausmisten
S: Das mit Lisa. Die ist meine beste Freundin. Das war
Scheiße, was ich gemacht hab’.
 
L: Wie kannst du die Sache mit Lisa bereinigen? L. dockt direkt an das von S. Gesagte an und nutzt weiter
die Sprachebene von S., diesmal in positiver Formulierung:
bereinigen.
S : Weiß nicht, die redet bestimmt kein Wort mehr mit mir.  
L: Wie kannst du mit ihr reden? L. dockt direkt an, kehrt aber um: du mit ihr statt sie mit
mir und aktiviert damit die Eigenverantwortung von S. in der
Problemlösung.
S: Weiß nicht. Ich muss ihr sagen, dass das Scheiße
war… Und warum ich das gemacht hab, sie weiß ja
noch nix von der Scheidung meiner Eltern.
 
L: Wie wird Lisa reagieren, wenn sie von der Scheidung
deiner Eltern hört?
L. greift den Aspekt der Scheidung, der vorher schon mal
eine Rolle spielte, auf und setzt ihn in Beziehung mit dem
Hauptanliegen: Freundschaft mit Lisa. L. beschleunigt das
Gespräch, indem L. Inhalte eines fiktiven Gesprächs
zwischen S. und L. in die Realität holt.
S: Total cool. Ich glaub, dass Lisa kapiert, was Scheidung
ist. Das war immer so cool an uns, wir haben uns immer
verstanden, wir wussten irgendwie immer wie’s der
anderen geht …
 
L: Du weißt auch, wie es Lisa jetzt geht und deshalb
willst du mit ihr reden.
L. benennt eine Ressource von S.: Sie weiß, was diese
Freundschaft ausmacht: einander verstehen. Ein Ziel wird
formuliert.
S: Ja. Und wieder ihre beste Freundin sein. Das wär’ so cool.  
L: Wie kannst du am besten mit ihr reden? Erste Schritte zum Ziel werden formuliert.
S: Am besten? Weiß nicht, vielleicht erst mal mit’m Handy,
nee ich würde ihr ‘ne SMS schicken, aber ob sie dann
antwortet?
 
L: Was schreibst du, damit sie auch wirklich antwortet? Der Konjunktiv wird in den Indikativ verwandelt: in die
Realität holen, was zu tun ist. Realitätsüberprüfung: auch
wirklich.
S: Ich schreib’ ein fettes „Entschuldige“ und dann
„Bitte, bitte.“ Nee, das klingt blöd. Ich weiß nicht,
das klappt nicht.
Es gibt verschiedene Lösungen. Nicht gleich die erste
passt …
L: Wie klappt’s dann?  
S: Ich glaub’, ich werde zu ihr hingehen. Nicht mit Handy.
So direkt sagen, das kann ich besser. Dann seh’ ich, wie
sie reagiert.
Stärken aktiviert!
L: Was sagst du? Konkret werden.
S: Lisa, knall nicht gleich die Tür zu, ich muss dir was
Wichtiges sagen: Ich hab’ Scheiße gebaut. Ich möchte
mich entschuldigen … mehr fällt mir jetzt nicht ein.
 
L: Du hast mir eben erzählt, wie gut ihr beiden
einander versteht …
Ressourcen erschließen und aktivieren.
S: Ja, genau: Ich sag’ ihr noch, dass ich unbedingt will,
dass wir wieder beste Freundinnen sind.
 
L: Wann sagst du das zu Lisa? Konkret bleiben. Erste Schritte benennen.
S: Heute Nachmittag nach der Schule.  
L: Wo? Konkret bleiben. Erste Schritte benennen.
S: Na, bei Lisa zu Hause!  
L: Gut, heute Nachmittag wirst du Lisa, deiner besten
Freundin, was Wichtiges sagen, nämlich dass es dir
leid tut, was du da gemacht hast mit David und dass dir
die Freundschaft mit ihr sehr wichtig ist. Ist das okay?
Bündig enden: Schritte zusammenfassen, Mandat beenden;
etwas Wichtiges sagen (evtl. Differenz benennen), Bündnis
schließen: ist das okay?
S: Jau! Okay. Danke.  


Literatur:

  • Lohse, Timm H., Das Kurzgespräch in Seelsorge und Beratung: eine methodische Anleitung, Göttingen 2003
  • Lohse, Timm H., Das Trainingsbuch zum Kurzgespräch: ein Werkbuch für die seelsorgliche Praxis, Göttingen 2006
  • Jong, Peter de, Lösungen (er)finden: das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurztherapie, Dortmund 2008
  • Hesse, Joachim (Hg.), Systemisch-lösungsorientierte Kurztherapie, Göttingen 1997
  • Morgenthaler, Christoph, Systemische Seelsorge: Impulse der Familien- und Systemtherapie für die kirchliche Praxis, Stuttgart 2002