Mit Kindern vom Tod reden

von Gert Traube

 

Biblisch-theologische Aspekte der Rede von 'Tod und Leben' vor dem Hintergrund des kindlichen Entwicklungsstandes der Primarstufe und in den Klassen 5 und 6


Wenn wir unsere eigenen Erfahrungen und Gefühle nicht völlig abspalten, löst das Sprechen von Tod und Leben Betroffenheit aus. Ohne Erfahrung mit dem eigenem Tod beziehen wir uns auf die Erfahrungen mit dem Abschiednehmen von geliebten Menschen. Aber wie reden wir davon? Wenn wir uns nicht sarkastisch distanzieren, was es wohl auch gelegentlich gibt, reden wir sehr symbolisch und metaphorisch vom Tod. Elisabeth Kübler-Ross hat die metaphorische Sprache Erwachsener, die um ihren Tod wissen oder ihn ahnen, beschrieben. Auch Kinder entwickeln eine eigene Symbolsprache. Letztlich können wir nicht distanziert/ wissenschaftlich vom Tod und Leben reden, jedenfalls nicht von unserem eigenem. Wenn ich das dennoch tue, nämlich nicht nur betroffen spreche sondern auch wissenschaftlich-distanzierend, so bitte ich um Akzeptanz. Denn das Thema 'Tod und Leben' sollte nicht nur mit dem Angedenken an eventuell liebe Menschen zu tun haben, sondern auch mit dem Nachdenken. Die Frage nach dem Tod führt uns unweigerlich auf die Frage nach dem Sinn meines Lebens, eine Frage die neben Gefühlen eben auch Nachdenklichkeit erfordert.

 

Kindlicher Umgang mit Tod und Leben

Symbolische Rede und Bildausdruck in Bezug auf Tod und Leben bei Kindern

Eine Krankenhausseelsorgerin (E. OSTMANN) führt ein Gespräch mit einem Fünfjährigen, das verläuft so (M. LEIST, S.104):

J: "Wohin gehst du nachher?

Sn: "Zu einem Jungen, der vor ein Auto gelaufen ist. Sein Bein musste operiert werden und er darf sich nicht bewegen."

J: "So, nicht?". Der Junge setzt sich auf. "Das ist bestimmt eine schlimmere Krankheit als meine." Und nach einer Pause sagt er. "Aber weißt du, was noch schlimmer ist? Wenn man ins Gefängnis muss."

Sn: "Kinder kommen doch nicht ins Gefängnis."

Und er tat als ob er meine Antwort nicht gehört hatte, wischte die Worte sozusagen weg.

J: "Weißt du, wenn sie den Schlüssel stecken lassen, dann kann ich ihn ja nehmen und weglaufen. Aber wenn sie abschließen und weggehen, dann muss ich immer im Gefängnis bleiben."

Natürlich hat die Seelsorgerin gespürt dass der Junge nicht über Gefängnisse im wörtlichen Sinne reden wollte. Es hätte jetzt auch gar keinen Sinn mit ihm darüber zu sprechen, dass Kinder wirklich nicht ins Gefängnis kommen. Der Junge macht sich seine Gedanken darüber, in welcher Situation er im Vergleich zu anderen ist. Das Schlimmste ist die Ausweglosigkeit des Todes. Dabei weiß er zu unterscheiden. Es gibt lebensgefährliche Krankheiten aus denen jemand wieder herauskommt, weil sie den Schlüssel stecken lassen und die Tür zum Leben noch einmal geöffnet wird. Aber daneben gibt es die Situationen, in denen dieser Ausweg versperrt bleibt. 'Sie', wer immer das ist nehmen den Schlüssel und gehen weg. Eine Metapher, ein Sprachsymbol, das die Vorlage zu einer Geschichte von Kafka geben könnte, weil sie an tief liegende Ängste und an archetypische Bilder in uns erinnert. Ich denke im Gespräch mit diesem Jungen sollte die Angst nicht beschwichtigt werden. Er sollte Verständnis für seine Sorgen spüren. Dabei weiß er ja, dass es ihm selbst nicht so schlecht geht. Ob ich ihm als Seelsorger zu verstehen geben kann, dass manchmal eine Tür, die verschlossen ist, hinter der ich sitze, auch wieder aufgemacht wird und dass dann alles gut wird? Vielleicht würde ich ihm eine Geschichte erzählen, nicht in der Situation am gleichen Tag, vielleicht bei einem nächsten Besuch. Eine Gefängnisgeschichte mit gutem Ausgang, die Geschichte von Silas und Paulus im Gefängnis in Philippi (Apg 16). Wie Paulus und Silas mit Gottes Hilfe da rausgekommen sind und wie die Türen wieder aufgebrochen wurden.

Kinder reden in ihrer eigenen Symbolsprache vom Tod sagte ich. Sie können das, was sie bewegt, durchaus auch in Bildern ausdrücken. Der Psychoanalytiker Tobias Brocher hat in einem Buch "Wenn Kinder trauern" Bilder von Kindern ausgewertet, die ihre Vorstellung von Tod und Leben gemalt oder aufgeschrieben haben. Ein Bild und seine Deutung möchte ich Ihnen vorstellen. Dieses Bild ist von Peter B, 9 Jahre alt.
(Bild?).

Peter hat dazu geschrieben: "Ich stelle mir vor, dass wenn ich tot bin, ich bei Gott wieder aufwache". Alles andere hat er in seinem Bild ausgedrückt. Das ist auch ein privates Symbol, sein ganz persönliches. Das Bild stellt eine Lebenspirale dar. Leben und Tod werden als Ablauf mit Zwischenstationen gesehen. Leben und Tod sind von Beginn an aufeinander bezogen. Die Linien sind erst breit und werden dann immer dünner. Abnehmende Lebenskraft. Die Lebenslinien werden feiner und zarter. Der Tod kommt aber nicht nur am Ende vor, in Gestalt des dunklen Sarges, sondern auch in Form der dunklen Bäume, der schwarzen Bäume ohne Blätter. Das ist der Tod im Lebenslauf, nämlich wenn etwas auf dem Weg zurückbleibt. Das ist z.B. am Ende der Kindheit der Fall, in der Pubertät. Hier zeichnet Peter ein Pärchen, Junge und Mädchen. Danach kommt der dunkle Baum ohne Blätter. Die Kindheit bleibt zurück. Im nächsten Bild ist eine junge Familie dargestellt. der Baum dahinter ist braun. Das ist eine neue Phase der Vegetation. Das Kind wird größer. Schließlich bleiben die Eltern als alte Menschen zurück. Sie brauchen einen Krückstock. Doch spielt da ein Enkelkind am Baum. Die Farblinien, die die Lebenslinie ausdrücken, werden dünner. Sie führen aber alle nach oben. Und über dem Sarg ist eine neue Geburt, das Aufwachen bei Gott ins Bild gesetzt. In hellen warmen Farben, vor dem Hintergrund eines blauen Himmels. "Ich stelle mir vor, dass, wenn ich tot bin, ich bei Gott wieder aufwache!" schreibt Peter dazu. Ein starkes Grundvertrauen spricht daraus, aus Worten und Bildern.

 

Trauerarbeit bei Kindern und ihre Verarbeitungsmöglichkeiten

Voraussetzung für das, was psychologische Fachsprache Trauerarbeit nennt, ist eine gewisse Einsicht, auch eine kognitive Einsicht, in die Realität des Todes. Nach Marilene LEIST lassen sich grob folgende Altersstufen unterscheiden. Die Altersangaben sind lediglich Anhaltspunkte und dürfen nicht schematische als Entwicklungsgesetze betrachtet werden. "Bis zu fünf Jahren wird der Tod nur als ein vorübergehender Zustand des Schlafens oder Wegseins vorgestellt. Sechs- bis Neunjährige erkennen, dass der Tod endgültig und angsterregend ist. Von den über Neunjährigen wird der Tod als allgemeingültig und unabwendbar akzeptiert" (LEIST, S.17f).

In der frühen Kindheit lebt das Kind auch noch in Omnipotenzphantasien und hat deshalb Unsterblichkeitsvorstellungen. Der Ausgangspunkt der Todesbegegnung vieler Kinder ist der Tod eines Tieres. Dabei begreifen Kinder den Tod eines Tieres eher als den einer Pflanze. Ein kleines Kind hält einen toten Vogel in der Hand und bringt ihn seiner Mutter. Die soll ihn wieder lebendig machen. Das Kind versteht, dass Mutter dazu nicht die Macht hat. Es versteht: Totsein ist endgültig.

Das Absterben einer Blume, das verblühen der Blüten, das Braunwerden und Abfallen der Blätter wird auf der Alterstufe eines Sechsjährigen noch nicht so sehr als Tod wahrgenommen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass mit dem Tod von Lebewesen Gebräuche und Riten verknüpft sind: Abschieds- und Beerdigungszeremonien. Ein toter Vogel wird von Kindern begraben. Eine abgestorbene Pflanze nicht.

Ich meine, Voraussetzung für Trauerarbeit sei eine gewisse Einsicht in die Unumkehrbarkeit des Todes. Diese Trauerarbeit verläuft dann in gewissen Phasen und enthält verschiedene Momente. Diese Phasen müssen nicht vollständig zeitlich hintereinander liegen, sie können auch wie die Fäden eines Seils gleichzeitig da sein und sich entwickeln. Ich möchte Ihnen ein Kindergebet vorstellen, das von der Einsicht in die Endgültigkeit des Todes geprägt ist, und an dem die verschiedenen Elemente der Trauerarbeit sehr schön deutlich werden.

"Lieber Gott, meine Katze ist tot. Ein Auto hat sie überfahren. Ich bin sehr traurig. Ich habe geweint. Es war eine schöne Katze, die schönste gewiss, die du je hast leben lassen. Nun ist sie tot. Ich habe keine Katze mehr. Für mich war die Katze kostbar. Für dich auch. Denn du schaust alles an, was ich lieb habe. Amen"

Furman hat in dem Buch 'Ein Kind verweist' folgende Prozessmomente der Trauerarbeit dargestellt.:

  1. Begreifen des Todes
  2. Liebesabzug von dem Verstorbenem
  3. Erinnern und Sehnen = Überschätzung des Toten
  4. Identifizierung; dem Toten gleich werden wollen
  5. Trauerabwehr
  6. Wiederbesetzung mit Zuneigung, Aufnahme neuer Beziehungen


Wir können an diesem Gebet einige dieser Elemente erkennen:

  1. Begreifen des Todes. "Meine Katze ist tot. Ein Auto hat sie überfahren." Betroffene Einsicht spricht aus diesen Worten, keine Leugnung des Verlustes.
  2. Es war eine schöne Katze. Es war. Die Vergangenheitsform ist schon eine behutsame Distanzierung. Obwohl das doch gerade erst geschehen ist, wird ein Zeitabstand hergestellt. Das verstorbene Wesen wird in einen gewissen Abstand gesetzt. Ein vorsichtiger Liebesabzug findet statt.
  3. Erinnern und Sehnen: Überschätzung des Toten. Trauernde vergewissern sich des Wertes, der Bedeutung des geliebten Wesens. So machen es Erwachsene und eben auch dieses Kind. "Es war die schönste Katze, die du Gott hast leben lassen." Nicht nur Erwachsene auch Kinder umgeben sich gerne mit Erinnerungsstücken Verstorbener. Auch die Lobreden auf Verstorbene erfüllen diese psychische Funktion. Sie ist notwendig, auch wenn die Einschätzung vielleicht anfangs nicht realistisch ist.
  4. Identifizierung mit der Katze. "Für mich war sie kostbar, die Katze, und für dich Gott, doch wohl auch". Die eigene Identifizierung mit der Katze wird noch überhöht und bestätigt, indem sie in ein Verhältnis zu Gott gesetzt wird. Noch in einer anderen Hinsicht ist dies ein sehr reifes Kindergebet, das ein tiefes Verständnis ausdrückt. Gott hat die Katze leben lassen. Gott wird als Schöpfer angesprochen. Das bedeutet: die Katze wird trotz aller Liebe nicht zum Abgott, sie wird bei aller Wertschätzung nicht vergöttlicht.
  5. Das Element der Trauerabwehr finden wir in diesem Gebet nicht.
  6. Die Wiederbesetzung mit Zuneigung, die sich auf andere Liebesobjekte richtet, scheint aber auch schon durch. "Du Gott schaust alles an, was ich lieb habe," sagt das Kind am Schluss. Darin schwingt auch mit, dass es noch anderes als die Katze lieb hat.

Dieses Kind, das so beten kann, wird seine Trauer verarbeiten und unsere Aufgabe als Erwachsene sehe ich darin, Kinder behutsam ins solches Beten mit hineinzunehmen.

Diesen Teil abschließend, in dem ich zunächst die Aspekte kindlicher Ausdrücksmöglichkeit gegenüber dem Tod darlegen wollte, möchte ich noch drei Hinweise geben. Es wären gewiß viel mehr Ratschläge möglich, wie mit Kindern zu reden sei. Ich kann hier nur auf die schon erwähnten Bücher von Marilene LEIST und Tobias BROCHER verweisen.

  1. Kinder brauchen Erwachsene, die sich ihrer eigenen Trauer echt stellen und sie nicht leugnen. Kinder brauchen gegebenenfalls nicht Worte sondern Zeichen des Mitgefühls, Zeichen die auch nonverbal körperlich gegeben werden können. Lassen wir darum unsere Kinder auf unserem Schoß sitzen und weinen mit ihnen, wenn wir selbst wenig zu sagen wissen. Aber geben wir unserem eigenem Gefühl einen gewissen Ausdruck, ohne mit unseren Gefühlen die Kinder zu überschwemmen.
  2. Wir leben nicht in einer heilen Welt und Kinder wissen das von klein auf. Sie merken doch, welche Gefahren im Straßenverkehr oder welche heimtückischen Krankheiten auf sie lauern. Wir brauchen ihnen kein Heile-Welt-Theater vorzuspielen und wir dürfen das auch nicht. Doch Geborgenheit inmitten des Lebenssturmes dürfen und können wir stärken.
  3. Trost und nicht Vertröstung. Das ist leichter gesagt als getan, vor allem angesicht der Warum-Fragen, die auch schon kleine Kinder stellen. Fragen, die wir nicht beantworten können sollen wir ernstnehmen. Die Kinder müssen merken, dass wir ihre Fragen zu Tod und Leben hören. Wir können uns die Ehrlichkeit leisten, auf fertige Antworten zu verzichten und dürfen den Kindern auch zugeben, wo auch unsere Fragen offen bleiben. Gerade diese Ehrlichkeit brauchen sie. Davon geht mehr Trost aus als von Floskeln. Wenn aber Trost und nicht Vertröstung angesagt ist, dann benötigen wir auch eine denkende Vergewisserung über das, was die Bibel sagt, woraus Trost entsteht. Deshalb ist es notwendig, sich auf die biblische Rede von Tod und Leben zu besinnen.

 

Damit komme ich zum zweiten Teil:

Die biblische Rede von Tod und Leben - im Alten Testament

Nichts Menschliches ist der Bibel fremd. Schon damals wussten die Menschen um den Zusammenhang von Eros, Tod und Leben. Im Hohen Lied heißt es im 8. Kapitel, V.6:

"Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm.

Denn die Liebe ist stark wie der Tod und ihre Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.

Ihre Glut ist feurig und ist eine Flamme des Herrn ..."

Dieses Wort über die Liebe sagt indirekt auch etwas über den Tod. Beide sind stark. Unwiderstehlich ist das Totenreich. Nur die Liebe kann etwas dagegensetzen. Ich habe diese Stelle zum Ausgangspunkt genommen, weil sie von einer Beziehung spricht, von der Beziehung Liebender. Die Frage nach Tod und Leben zielt meiner Meinung nach nämlich nicht auf das Problem, was ist mit mir nach dem Tode, sondern was wird durch den Tod hindurch aus der liebenden Beziehung, sowohl der liebenden Beziehung unter Menschen als auch der des Glaubenden zu Gott. Wo Beziehung ist, ereignet sich Leben. Im Buch Rut will sich die Moabiterin Rut, die verwitwet ist, nicht von ihrer Schwiegermutter fortschicken lassen. Rut ist bereit, ihre Schwiegermutter in das ihr fremde Land Israel zu begleiten. "Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Wo du stirbst, da sterbe auch ich. Der Herr tue mir, was er will, nur der Tod wird mich und dich scheiden" (Rut 1,17).

Eine zweite Überlieferungsschicht des Alten Testamentes, in der die Thematik von Tod und Leben hervortritt, ist die Psalm- und Weisheitsliteratur (Sprüche Salomonis, Weisheit Salomos). Wir werfen zunächst einen Blick auf die Psalmen. In dem Hauptstrang der Psalmen gibt es noch keine Hoffnung auf ein ewiges Leben bei Gott, in Gemeinschaft mit Gott. Tod ist die Beziehungslosigkeit, auch zwischen Schöpfer und dem gestorbenem Geschöpf. Es existiert im AT die Vorstellung eines Totenreiches. Dieser Ort trägt auch noch andere Bezeichnungen: 'Grube', 'Ort der Stille'. Bezeichnend ist die Gottesferne, die dort herrscht. In Ps 115, V.16 wird dieser Abstand deutlich. Die Distanz bringt es mit sich, dass dort keine Beziehung zu Gott möglich ist.

"Der Himmel ist der Himmel des Herrn; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, keiner der hinunterfährt in die Stille. Aber wir loben den Herrn, von nun an bis in Ewigkeit." (Ps 115,16).

Im Totenreich reißt die Gemeinschaft, die zwischen der Heilsgemeinde Israels und Gott im Akt des Lobens besteht, ab. Damit ist die Existenz des Menschen um etwas ganz Wesentliches ärmer und beraubt. In diesen Belegen wird aber nicht vom Einzelnen her gedacht, von der Frage einer möglichen Fortexistenz seiner Leib-Seelen-Einheit. Es geht nicht darum, was danach ist, sondern die Sorge ist, was geschieht, wenn der Schöpfer nicht mehr gelobt wird. Das ist eigentlich der Tod des Menschen. Andererseits bedeutet es auch einen Verlust für Gott selbst. Diese Einsicht schimmert an einen Stellen der Psalmen und im Jesajabuch durch. "Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht. Die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue." (Jes 38,18). Dies ist Auslöser für eine Hoffnung durch den Tod hindurch, die verhalten im AT aufscheint. Das bedeutet aber keine Jenseitsvorstellung im Sinne des griechischen Mythos. Es ist keine gnostische Lehre von sieben Himmelssphären, sieben Schalen, die die Seele nach dem Tode einsperren, die sie durchdringen muss auf ihrer Wanderung. Es ist kein Seelenwanderungsglaube oder Reinkarnationsvorstellung.

Es keimt in einigen Psalmen die Hoffnung auf, dass von Gott her die Beziehung wieder aufgenommen wird. In Psalm 49 klagt ein Beter über die Willkür, die er von Reichen und Wohlhabenden erleiden muss. Er tröstet sich nicht damit, dass es ihnen am Ende ergeht wie allen, dass sie nichts von ihren Gütern mitnehmen können. Sie und die Toren werden aber bei den Toten bleiben. Der Beter hingegen drückt seinen Glauben so aus: "Aber Gott wird mich erlösen aus des Todes Gewalt; denn er nimmt mich auf" (Ps 49,16). Ähnlich Ps 31,6: "In deine Hände befehle ich meinen Geist. Du hast mich erlöst, du treuer Gott." Ps 73,24 variiert dies Thema: "Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an." Wir müssen uns aber merken, dass diese Stellen selten sind. Die Hauptbotschaft ist die des Beziehungsabbruchs im Tode. Der Mensch vergeht ganz und gar und wird zu Staub.

In der übrigen Weisheitsliteratur kehrt ein Motiv immer wieder, das ich hier nur kurz erwähne. Menschen, die nicht nach Gottes Gebot leben, vor allem solche, die der Lüge dienen, sind Toren, weil ihnen das den Tod einbringt, weil Unwahrhaftigkeit das Leben zerstört. Gerade die Weisheitsliteratur thematisiert damit die Sinnfragen des Lebens und den Aspekt, den wir heute so nennen: "Es gibt ein Leben vor dem Tod." Sie redet aber nicht der Lebensgier das Wort. Das Leben zu bestehen ist nur mit Weisheit, Einsicht und Gottes guter Gebotsgabe möglich. Wer das vergisst, wird scheitern und es bringt letztlich Siechtum, Krankheit, am Ende den Tod ein (Tun-Ergehens-Zusammenhang). Erst im Hiobbuch wird dieser Zusammenhang in Frage gestellt und neu thematisiert, warum es dem Gottesfürchtigen nicht immer gut ergeht.

Bevor ich nun ins NT schaue, möchte ich die Hoffnung, die im AT aufscheint, besonders bei den Propheten, benennen.
 

Es sind zwei Propheten, bei denen die Frage der Überwindung des Todes besonders deutlich wird. Da ist zunächst Hosea, Hos 13,14. Am Ende einer Gerichtsdrohung verkündigt er folgendes:

"Ich, (Gott) will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten.

Tod, ich will dir ein Gift sein. Totenreich, ich will dir eine Pest sein.

Rache kenne ich nicht mehr."


Das sind eindrückliche Worte. Gott erklärt sich hier selbst zum Feind des Todes. Paulus greift im 15. Kapitel des Korintherbriefes auf diese Stelle zurück. Und noch eine weitere Stelle aus dem AT wurde prägend für das NT. Wir alle wissen von der Verheißung der neuen Schöpfung, des neuen Himmels und der neuen Erde in Offenbarung 21. Aber wissen wir auch, dass das Vorbild dieser Hoffnung im Jesajabuch steht, im 65. Kapitel, in dem Teil der Jesaja-Sammlung, die einem Propheten zugeschrieben wird, der nach der Exilszeit um 520 in Juda lebte.

"Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird" (Jes 65, 17ff).

Kinder sterben keinen fühen Tod mehr. Die Menschen werden hundert Jahre und älter. Sie leben in Frieden und genießen die Früchte ihrer Arbeit. Wolf und Schaf weiden beieinander. Allerdings: der Tod ist nicht endgültig überwunden wie in der Offenbarung. Es gibt ihn noch. Lediglich der uns sinnlos erscheinende Tod, den vor der Zeit, den der Kinder, den gibt es nicht mehr. Alle Menschen führen in Frieden ein sinnerfülltes Leben und sterben wie die Erzväter alt und lebenssatt.

 

Tod und Leben im NT

Wir machen nun geschichtlich gesehen einen weiten Sprung bis in die Zeit der ersten christlichen Gemeinden und bis zu den ersten christlichen Theologen, zu Paulus und Johannes besonders. Eine Voraussetzung teilen alle Zeugnisse des NT, eine Voraussetzung, die auch ihrer Rede von Tod und Leben zugrunde liegt. Mit der Tatsache des Todes Jesu ist nicht alles gesagt, was über Jesus gesagt werden muss. Da ist das Ostergeschehen, das als Sieg Gottes über den Tod verstanden wurde. Alles, was im NT theologisch über Tod und Leben gesagt wird, steht im Licht von Karfreitag und Ostern. "Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind" (1 Kor 15,20). Ich beginne also mit einem der frühesten christlichen Denker, mit Paulus.

Bei ihm stoßen wir an vielen Stellen auf die Rede von Tod und Leben und er gebraucht diese Begriffe in einem bestimmten theologischen Sinne, es sind bei ihm gewissermaßen Fachtermini. Tod ist bei Pls nicht das Verlöschen der natürlichen Lebenskraft, das natürliche Ende bezeichnet Pls oft mit dem Begriff des 'Entschlafens'. Die Toten sind die Entschlafenen.

Der Tod hingegen ist der Sold, der Preis für die Sünde (Röm 6,23). Wie ist das gemeint? Nicht im moralischen Sinne, nicht so, dass wir für moralische Vergehen mit der Auslöschung unserer Existenz bezahlen müssten oder bestraft würden. Darum geht es überhaupt nicht. Sondern: Sünde ist ein Sein außerhalb von Christus und dort, wo Christus nicht herrscht, ist einfach Tod. "Wenn Christus nicht auferstanden ist, so seid ihr noch in euren Sünden", und damit auch im Machtbereich des Todes sagt Pls 1 Kor 15,17. Moralisch betrachtet macht diese Argumentation keinen Sinn. Wenn Sünde moralisch gemeint wäre und der Tod als Strafe, so wie ein Kind gestraft wird, dann würde müsste der Satz lauten: wenn ihr euch anständig verhaltet, ethisch und moralisch wertvoll, entscheidet, kommt ihr aus der Sünde heraus. Das meint Pls aber gerade nicht. Sondern die das Heilsgeschehen, Tod und Auferstehung ist entscheidend. Die Argumentation des Pls hat nur Sinn, wenn durch das Heil, das in Christus bewirkt wurde, ein Lebensbereich geschaffen wurde, in den wir gelangen können. Das geschieht durch den Glauben in der Taufe. Pls greift Röm 10,9 ein urchristliches Taufbekenntnis auf, das sinngemäß besagt: wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden.

Paulus spricht deshalb auch vom 'Tod des alten Menschen in uns'. Dieser Tod ereignet sich heute schon, lange vor dem biologischen Exitus. Die Taufüberlieferung ist zentral. Ich zitiere die Verse aus Röm 6 (V.3+4):
"Oder wißt ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft. So sind wir mit ihm begraben in den Tod. Das geschah durch die Taufe mit dem Zweck, dass wir in einem neuen Leben wandeln, genauso wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt wurde von den Toten."

Pls sagt weiter sinngemäß: wenn wir durch unsere Taufe dem Tod Christi gleichgestaltet worden sind, umgestaltet worden sind (Metamorphose), so werden wir ihm auch in seiner Auferweckung gleich sein. Was mit Christus von Gott in Tod und Erweckung bewirkt wurde, wirkt sich auch an denen aus, die ihm glauben. Damit erhält der Christ ein neues Leben geschenkt, schon heute. Dieses Leben ist durchwirkt und erfüllt vom Geist Gottes, es ist geheiligt, weil es in Christus zu Gott gehört. Die Folge ist ein veränderter Lebenswandel, der von der Liebe geprägt ist. Die Beziehung zwischen Christus und den Seinen wird auch durch den Tod festgehalten. Das wird aus der Fortsetzung des Verses, den ich vorhin zitiert habe deutlich. "Der Sünde Sold ist der Tod. Die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus" (Röm 6,23).

Dies ist nach meinem Verständnis des Pls wichtig und entscheidend. Pls äußert sich zwar an zwei Stellen auch zu Fragen der Totenauferstehung (1 Thess 4, 1 Kor 15), vor allem weil in Thessalonich Gemeindeglieder Angst haben, was mit den Entschlafenen geschieht, die vor der Wiederkunft Christi gestorben sind. Die entscheidende Antwort ist die: Wer in Christus stirbt, bleibt in ihm. "Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn" (Röm 14,8). Das ist die entscheidende Aussage. Die Weltbildfragen, ob und wann bei der Auferstehung eine Posaune bläst, ob Christus auf Wolken kommt, das ist letztlich belanglos.

Das bestätigt wiederum noch einmal aus anderer Sicht der Evangelist Johannes. Gerade bei ihm finden wir eine Menge Stellen und Belege, die vom Leben und vom ewigen Leben sprechen. Das Wort 'Leben' ist auch bei ihm nicht biologisch-vitalistisch gemeint, sondern theologisch. Gleichzeitig verlagert Johannes den Beginn des ewigen Lebens nicht in die Zukunft, sondern sieht seinen Beginn schon heute. Wer an Jesus Christus glaubt, der hat das ewige Leben (Joh 3,15). Das Wasser wird zum Symbol des ewigen Lebens. Jesus steht am Brunnen und unterhält sich mit der Frau aus Samarien. Johannes lässt Jesus in Metaphern reden. Das Wasser, sagt Jesus, "das ich dem Glaubenden geben werde, das wird in ihm eine Quelle werden, die in das ewige Leben rinnt" (Joh 4,14). Das Wasser, Symbol des Lebens, fließt als Quelle schon heute. Und dies Wasser ist das gleiche, das am Ende sein Ziel findet. Es hat die gleiche Qualität. Es ist lediglich noch im Fluss und nicht am Ziel, dem ewigen Leben, angekommen.

Johannes ist der Evangelist der Symbole. Er weiß, dass kein Symbol die Wahrheit, die es meint, ganz darstellen kann. Johannes weiß auch, dass die Wahrheit des Glaubens nicht in Begriffen eingefangen werden kann. Deshalb wechseln die Symbolbilder. So erscheint an anderer Stelle das Brot als Symbol des Lebens. "Ich - sagt Jesus - bin das Brot des Lebens" (Joh 6,48). Das ist eine Anspielung auf die Mannaspeisung in der Wüste und vielleicht auf das Abendmahl. "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist" (V.51). Und schließlich ist Jesus Christus auch noch die Stimme, die zum Leben führt, das Wort des Lebens: "Wer mein Wort hört, der wird den Tod nicht sehen ewiglich" (Joh 8,51).

 

Ausblick

Ich lasse es bei diesem Durchgang durch die biblische Überlieferung, wohl wissend, dass ich noch Einiges außen vor gelassen habe, z.B. Hiob oder die Apokalypse, besonders Kap. 21.

Mir ist folgendes wichtig: Die biblische Botschaft von Tod und Leben ist sehr elementar gemeint. Sie beteiligt sich nicht an Spekulationen des Weltbildes. Es geht ihr um die grundlegende Zuversicht der Geborgenheit in der Liebe Gottes. Das ist nicht identisch mit dem Grundvertrauen, das Menschen brauchen, um leben zu können, wie uns die Psychologie lehrte. Aber das Vertrauen in die Geborgenheit durch Gottes Liebe entspricht dem Grundvertrauen. Beides möchten wir Kindern mitgeben: Grundvertrauen und Gottvertrauen. Wer aber kann in einer Welt der Zerstörung und der menschlichen Destruktivität diesen Satz wagen 'es wird alles gut.' Wer bürgt dafür. Wir etwa? Sprechen unser Tun und Leben nicht oft dagegen? Wir dürfen es dennoch wagen, diese Grunderfahrung weiterzugeben, weil ein anderer, Christus Bürge für diesen Satz ist und weil Gott diese Bürgschaft bestätigt hat.

Alles was wir von kindlicher Rede und kindlichem Denken über Tod und Leben wissen können, ist ernst zu nehmen. Der erste Teil dieser Ausführungen sollte zeigen, dass Kinder nicht 'falsch' darüber denken und dass wir hellhörig für ihre Sprache, für ihre Bildvorstellungen werden sollen, sowie auf ihre Fähigkeit zur Trauerarbeit achten.

Indem wir berücksichtigen, was wir über Kinder wissen (das ist gewiss noch mehr, als ich dargestellt

habe), können wir versuchen, die Hoffnung des Glaubens in elementaren Worten zu sagen.

"Ob ich wanderte im Todesschattental, ich fürchte kein Unglück, du bist bei mir" (Ps 23)

"Ich, Christus, gebe ewiges Leben den Meinen (Schafen), niemand kann euch aus meiner Hand reißen" (Joh 10,28)

"In deine Hände, Gott, gebe ich meinen Geist" (Ps 31).

Dies Grundvertrauen des Glaubens ist elementar. Es didaktisch zu elementarisieren bin ich nicht der Experte. Doch könnten und sollten wir es versuchen.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/1993

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