„Embrace – Umarme dich selbst!“

Von Michael Frey, Bianca Reineke und Michaela Veit-Engelmann

 

Buß- und Bettagsgottesdienst an der Elisabeth-Selbert-Schule

 

Der Buß- und Bettag ist ein christlicher Feiertag, der Schülerinnen und Schülern nicht nur an Berufsschulen zunächst einmal fremd ist. Die Erfahrung zeigt, dass auch Jugendgruppen und Konfis von der Existenz eines solchen Tages mehr als überrascht sind: Wie heißt dieser Tag? Was soll man da tun? Büßen und beten? Das erste Wort gehört nicht mehr zum aktiven Wortschatz von Jugendlichen und zum Thema Gebet ist die Haltung bestenfalls ambivalent.

Dies alles gilt es in der Vorbereitung eines Gottesdienstes zum Buß- und Bettag zu bedenken. Denn es kann nicht Aufgabe eines Gottesdienstes sein, die Bedeutung eines Feiertages erst zu erklären, um ihn dann feiern zu können. Was aber soll dann in einem solchen Gottesdienst zur Sprache kommen – egal, ob man ihn wie in diesem Beitrag in einer multinationalen und multireligiösen Schulgemeinschaft oder mit einer Gruppe von jungen Menschen in der Gemeinde feiert, für die das hier beschriebene Format ebenso geeignet ist.


Büßen? Was soll das sein?

Solche Überlegungen prägen die ersten Treffen mit dem Vorbereitungsteam: Hier gilt es zu klären, wie man das ursprüngliche Grundanliegen des Buß- und Bettages – die Reue über vergangene Sünden und die Besinnung auf den Gottesglauben – der Schülerschaft einer Berufsschule transparent machen kann. Die Grundidee ist bald gefunden, denn ein Gefühl eint die in dem kleinen Konferenzraum Versammelten: Sie alle wissen, wie es ist, wenn man mit sich selbst nicht zufrieden ist, wenn man eine Eigenschaft oder eine Äußerlichkeit an sich selbst nicht leiden kann. Schnell ist die Idee geboren, solche Emotionen zum Ausgangspunkt der weiteren Planung zu machen. Der Gottesdienst soll, so wird beschlossen, um genau diese Fragen kreisen: Was mag ich eigentlich an mir? Was hingegen kann ich an mir selbst nicht leiden und wie gehe ich damit um? Und schließlich: Was hat Gott mit all dem zu tun?


Was hat Gott damit zu tun?

Diese Fragen dienen als Leitmotiv der Vorbereitung, an deren Ende ein kreativer, abwechslungsreicher und vor allem bewegender Gottesdienst steht. Es gibt keine Predigt – eine Sprachform, die einer Schul-Gemeinde sowieso eher fremd ist –, sondern fünf Workshops an fünf Stationen des großen Kirchenschiffes.

Der Titel des Gottesdienstes lautet „Embrace – Umarme dich selbst!“ und löst eher ambivalente Reaktionen aus. Eines erreicht er auf jeden Fall: Über den Gottesdienst wird in den Klassen schon im Vorfeld viel diskutiert; und so melden sich schließlich 500 Schülerinnen und Schüler an.

Die Schulgottesdienste der Elisabeth-Selbert-Schule finden traditionell im Hamelner Münster St. Bonifatius statt. Dies ist eine der beiden großen Hamelner Innenstadtkirchen und sie ist für die Schülerinnen und Schüler gut zu erreichen. Wegen des großen Interesses der Schülerschaft wird der Gottesdienst in zwei Durchgängen angeboten.

An der Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln werden die Schulgottesdienste verantwortet vom Fachteam Religion. An der Erarbeitung des hier vorgestellten Gottesdienstes ist das Autorenteam beteiligt gewesen. Doch verstehen sich die drei in der Gottesdienstvorbereitung vor allem als Moderatorinnen und Moderatoren der Ideen der Beteiligten. Denn wichtiger sind die Schülerinnen und Schüler, die das Vorbereitungsteam bilden und die freiwillig und außerhalb des Unterrichts Lust darauf haben, eine solche Feier gemeinsam vorzubereiten und durchzuführen. Ziel ist es, dass der Gottesdienst die Sprache der jungen Erwachsenen selbst spricht – und das ist besonders dann gewährleistet, wenn die Texte und Ideen nicht von den hauptamtlichen Theologen kommen.


Eigene Musik ist unverzichtbar

Ein unverzichtbarer Bestandteil der Schulgottesdienste an der Elisabeth-Selbert-Schule ist die Livemusik im Gottesdienst, die meist von der Schulband unter Leitung des Musiklehrers Friedrich Rose stammt. Auch hier gilt: Auf diese Weise ist der Gottesdienst geprägt von Musik, die Schüler selbst machen – und selbst hören. Dieses Mal singt eine Schülerin Solo und wird dazu vom Kirchenkreiskantor Stefan Vanselow am E-Piano begleitet.

Zur Vorbereitung des Gottesdienstes finden drei Treffen im Plenum statt, außerdem tagen zwischendurch kleinere Arbeitsgruppen – und schließlich gibt es eine Generalprobe. Hier ist die Spannung dann schon mit Händen zu greifen, denn nun wissen alle: Es wird ernst – immerhin werden am Tag darauf circa 500 Gottesdienstbesucher erwartet. Nun gilt es: Was klappt, was klappt nicht, was fehlt noch, was haben wir völlig vergessen? Die Nervosität steigt bei allen Beteiligten sprunghaft an. Doch bisher war es noch immer so: Egal, wie viel bei der Generalprobe noch schief gegangen sein mag, beim Gottesdienst selbst funktioniert wie durch ein Wunder immer alles. Also, fast alles …


Handeln statt Zuhören

Das Kernstück des Gottesdienstes stellen fünf Workshops dar. Sie bieten die Möglichkeit, die Aussage „Umarme dich selbst, denn du bist wertvoll“ spürbar werden zu lassen. Anstatt sperrige Begriffe wie Buße, Reue und Umkehr zu erklären, wird ihr Inhalt in dieser kreativen Phase greifbar. Sich selbst zu lieben ist in der narzisstischen Social-Media-Generation Teil der Selbstdarstellung. Doch zugleich ist die Manipulation mit Photoshop und die Sehnsucht nach Likes ein Zeichen, dass Jugendlichen durchaus bewusst ist, dass man nicht immer um seiner selbst willen geliebt wird.

Der Schulgottesdienst zum Buß- und Bettag setzt genau hier an. Er will zeigen: Es ist in Ordnung, sich selbst zu lieben – selbst bei berechtigter Kritik. Im Hintergrund steht der Glaube, dass unser Gott Menschen bedingungslos liebt. Dieses Gefühl soll in den Workshops auch für diejenigen erfahrbar werden, in deren Leben Gott und Glaube keine Rolle spielen.


Der Gottesdienst selbst: Die Workshops

Im Folgenden werden die fünf Workshops ausführlich beschrieben. Der Ablauf des Gesamtgottesdienstes ebenso wie alle Texte finden sich im Dowonload-Bereich.

Die Workshop-Stationen sind im Kirchenschiff verteilt. Für jeden Workshop ist ein kleines Team zuständig; die Beteiligten haben einen Koffer mit ihren Materialien dabei und gehen zu Beginn der Workshops zu den dort bereits vor Gottesdienstbeginn aufgestellten Tischen. Die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher verteilen sich nach Aufforderung ungefähr gleichmäßig auf die verschiedenen Stationen. Die Reihenfolge der Workshops ist frei wählbar.

Die Workshops werden mit den folgenden Worten anmoderiert:

„Liebe Schülerinnen und Schüler, wir haben jetzt Workshops für euch vorbereitet. Da könnt ihr selber ausprobieren, wie es ist, sich selbst zu umarmen, bei aller berechtigten Kritik. Ihr seht, dass hier im Raum fünf Tische verteilt sind. An denen finden die Workshops statt. Geht nun zu den Tischen, die euch am nächsten sind. Dort werden euch die Workshopleiter sagen, was zu tun ist. Wenn ihr fertig seid, dürft ihr zum nächsten Workshop gehen, bis ihr alle fünf Tische besucht habt. Wenn hier vorne die Musik anfängt, dann kommt bitte wieder auf eure Plätze zurück.“

 


ERSTER WORKSHOP: SPIEGEL

Material
Ein großer gerahmter Spiegel liegt auf einem Tisch, der so hoch sein muss, dass man sich gut darin spiegeln kann, ohne sich zu tief herunter zu beugen. Auf dem Spiegel liegen dicke Permanent-Marker, am besten Hochglanz-Stifte in verschiedenen Farben.

Inhalt
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen auf den Spiegel schreiben, was sie an sich selbst schätzen. So halten sie fest, was sie an Positivem ausmacht. Sich selbst im Spiegel zu betrachten und ohne Fotoshop und Weichzeichner die eigenen Stärken und Schönheiten zu schreiben, kann ein Umdenken bewirken, das die bestärkende Selbstliebe als Grundlage christlicher Nächstenliebe in den Mittelpunkt des Bewusstseins stellt.

Moderation
„Habt ihr schon mal in den Spiegel geschaut und gedacht: Ja, das mag ich an mir? Das kann was Äußerliches sein: die Haare, das Lächeln, die Muskeln … Das kann aber auch was in euch drin sein: eine Eigenschaft oder ein Charakterzug. Schaut jetzt in den Spiegel, nehmt euch ein bisschen Zeit, euch selbst anzuschauen. Und dann schreibt auf, was ihr an auch mögt!“

 


ZWEITER WORKSHOP: SCHIFFE

Material
Man benötigt fertig gefaltete Papierschiffe aus glattem 80g-Papier, Fineliner, eine Wanne mit Wasser (oder die Möglichkeit, die Schiffe später auf einem Fluss auszusetzen).

Inhalt
In diesem Workshop wird der christliche Bußgedanke bildlich aufgearbeitet, ohne dass der entsprechende Begriff dafür fallen muss. Das Schiff steht hier als Symbol des Transportes: Es soll etwas wegbringen, das man abgeben möchte. Die Workshopgäste überlegen, was sie in ihrem Leben vielleicht bereuen. Welche Taten, Worte oder Gedanken sie lieber ungeschehen machen möchten. Sie schreiben ihre Verfehlungen auf das Schiff und lassen sie los ins Wasser, wo sie symbolisch davonsegeln. Die göttliche Vergebung wird als Befreiung spürbar.

Moderation
„Bestimmt gibt es Geschehnisse in eurem Leben, von denen ihr euch wünscht, sie wären nicht passiert. Sachen, die ihr erlebt habt. Aber vielleicht auch Sachen, die ihr selbst gemacht habt und wo ihr hinterher gemerkt habt: Das war totaler Mist. Vielleicht wünscht ihr euch sogar, ihr könntet die Uhr zurückdrehen. Das geht leider nicht. Aber ihr seid hier in einer Kirche. Hier versammeln sich Menschen, die glauben, dass Gott ihnen das verzeiht, was ihnen von Herzen leid tut. Ihr müsst eure Fehler nicht für immer mit euch herumtragen; ihr könnt sie abgeben. Dafür seht ihr hier vor euch kleine Schiffe. Da könnt ihr das aufschreiben, was ihr am liebsten ungeschehen machen würdet. Dann setzt ihr die Schiffe ins Wasser – und sie segeln davon. Und ihr bleibt zurück, befreit von dem, was euch so leid tut.“

 


DRITTER WORKSHOP: ESSPAPIER

Material
Benötigt werden farbige, große Esspapierscheiben und Stifte mit essbarer Farbe.

Inhalt
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen sich Esspapierscheiben und einen Stift mit essbarer Farbe. Ihr Auftrag: Sie sollen nachdenken, was ihnen im Leben fehlt und wonach sie sich heimlich auch offen sehnen. Das kann eine Charaktereigenschaft oder ein konkreter Wunsch sein. Dies sollen sie aufschreiben und dann aufessen – und sich so auf spielerische Weise „einverleiben“. Indem die Schülerinnen und Schüler über sich nachdenken, gestehen sie sich ein, dass jeder Mensch fehlerhaft ist. Sie wissen und spüren, dass das Streben nach Perfektion ermüdet und ein Gefühl von Unzulänglichkeit vermittelt. Hier fassen sie nun ihre eigenen Sehnsüchte in Worte und erfahren mit einem Augenzwinkern, wie es ist, das Fehlende in sich aufzunehmen.

Moderation
„Seid ihr immer zufrieden mit euch, so wie ihr seid? Wahrscheinlich nicht. Ich glaube, niemand ist das. Jeder hat doch in seinem Leben etwas, wo er sagt: Da wäre ich gerne anders. Diese oder jene Eigenschaft hätte ich gerne. Das würde ich gerne können. Oder das fehlt mir… Hier ist nun Gelegenheit, das ganz einfach zu ändern. Schreibt hier auf Esspapier auf, was ihr gerne hättet, esst es auf – und schon habt ihr es in euch. Lasst es euch schmecken.“

 


VIERTER WORKSHOP: TEELICHTE

Material
Benötigt werden Teelichte, Stabfeuerzeuge, feuerfeste Einwegbecher, wasserfeste Folienstifte, eine große flache Schale mit Sand.

Inhalt
Dieser Workshop greift das bekannte Lichtmotiv auf. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen ihre Wünsche aufschreiben und vor Gott bringen. Wer sich selbst eingesteht, Sehnsüchte zu haben, der weiß, dass seinem Leben etwas fehlt und dass er auf Neuanfang und Vergebung hofft. Der Kirchenraum symbolisiert dabei den Ort der Geborgenheit: Jede und jeder kann sich sicher sein, dass die innersten Gedanken hier gut aufgehoben sind. Dieser Workshop wird vermutlich stiller sein als die anderen, da die Wirkung des Lichtes eine ganz besondere ist.

Moderation
„Gibt es etwas, wonach ihr euch sehnt? Was euch fehlt? Was ihr euch unbedingt für euer Leben wünscht? Hier könnt ihr es auf diese Becher aufschreiben. Stellt sie dann hier auf und wir zünden darin ein Licht an. Das Licht, es steht für Hoffnung, für Glauben, für Gott. Wenn dieses Licht nun leuchtet, scheint es durch eure Wünsche und Sehnsüchte hindurch und macht sie ein kleines bisschen heller.“


FÜNFTER WORKSHOP: COMIC

Material
Ein von einer Schülerin gestalteter Comic zum Thema „Angst”, der ein großes leeres Kästchen aufweist, schwarze Fineliner oder Bleistifte.

Inhalt
Es gibt vieles, was die Liebe zur eigenen Person hemmt und sich in Unzufriedenheit und Rastlosigkeit manifestiert. Dies greift dieser Workshop auf. Der Comic zeigt eine Vielzahl von Ängsten, die, rational oder irrational, unser Leben und Miteinander hemmen und Kommunikation und Wertschätzung erschweren. Die Besucher können sich in den sechs Lebenssituationen wiederfinden und entdecken, dass ihr Gefühl der Unzulänglichkeit sie nicht isoliert. Der Hinweis auf das leere Kästchen mit der Überschrift: „Meine Ängste“ fordert die einzelnen auf, ihre bisher nicht in Wort oder Bild gefassten Ängste grafisch in Comicform zu gestalten.

Moderation
„Kennt ihr Menschen, die Angst vor Spinnen haben? Gehört ihr selbst dazu? Es gibt ganz viele Sachen, die Menschen Angst machen und die dazu führen, dass sie sich total unglücklich fühlen. Hier in dem Comic, den eine Schülerin für uns gemalt hat, sind viele solcher Ängste aufgezeichnet. Aber eine fehlt. Eure eigene … Was macht euch Angst? Malt das hier unten in das leere Kästchen. Ich weiß, dass die Angst davon nicht einfach weg ist, leider nicht. Aber glaubt mir: Es hilft schon mal, sie aufzumalen, aufzuschreiben – sich einfach klar zu machen: Was macht mir Angst? Diese Ängste könnt ihr mitnehmen, wenn ihr wollt. Oder ihr lasst sie hier bei Gott in der Kirche. Also, fangt an zu malen … Und keine Angst: Wir sind hier nicht im Kunstunterricht …“