Evangelische Schulen als religionspädagogische Modellschulen

Von Andreas Behr und Silke Leonhard

 

Das Philipp Melanchthon Gymnasium Meine

Die Schüler haben mehr Andachten eingefordert. Sie waren es schließlich so gewohnt: Seit der sechsten Klasse hatten sie einmal pro Woche gefeiert. In der Oberstufe ist das auf Grund des Kurssystems nicht mehr so leicht zu organisieren. Nun hatten die Schülerinnen plötzlich nur noch die sechs großen Schulgottesdienste, die das Kirchenjahr begleiten. Das war ihnen zu wenig.

Die Schule hat reagiert. Andachten finden nun im Rahmen des Religionsunterrichts statt. Der ist übrigens für alle verpflichtend, wird durchgängig in allen Jahrgangsstufen erteilt und stellt sich gern der Herausforderung, den Lernenden den Weg in eine gute Zukunft zu zeigen, was sich positiv auf die Qualität des Unterrichtsfaches auswirkt, das ja leicht als unbedeutendes Randfach abgetan wird.

Das Philipp Melanchthon Gymnasium (PMG) in Meine ist eine Schule in evangelischer Trägerschaft. Das ist schon äußerlich nicht zu übersehen: Das kirchliche Violett findet sich an der Fassade, an Türen und auf T-Shirts. Ja, sogar auf dem Tisch im Rektorat liegt ein Läufer in dieser Farbe.
Das Logo des PMG beinhaltet ein buntes Kreuz, das man auch als Plus-Zeichen lesen kann. Das Gymnasium will mehr als eine normale Schule sein. Andachten stehen deshalb nicht nur im Stundenplan. Sie finden sich auch im Curriculum der Schule. Alle Schülerinnen und Schüler sollen mindestens einmal eine Andacht gestaltet haben. Dabei lernen die Jugendlichen auch, wie sie eigene Inhalte in einem Gottesdienst zusammenbringen. Und sie erleben, wie sich Lehrkräfte zurückhalten statt die Aussagen einer Predigt zu bestimmen.

So soll den Schülerinnen und Schülern natürlich nicht nur im Religionsunterricht begegnet werden. Eine Haltung, die Jugendliche fördert und zu kritischen Erwachsenen erzieht, die mehr vom Leben erwarten als Geld und Karriere, wird in allen Fächern eingeübt. So viel wie möglich wird auch fächerübergreifend gearbeitet. Und ein Schwerpunkt sind nicht unbedingt die klassischen Fächer, sondern z.B. Darstellendes Spiel, was den Jugendlichen erst kürzlich einen Auftritt im Theater im nahegelegenen Braunschweig ermöglichte.

Selbstverständlich sind alle Lehrkräfte Mitglied in einer christlichen Kirche. Sie feiern mit, sie stehen aber auch für den Glauben. Auch die Mathematiklehrerin ist Kirchenmitglied, der Physiklehrer unterrichtet auch Religion. Inzwischen haben einige Lehrkräfte einen Hauskreis gegründet.
So sozialisiert die Schule nicht nur Jugendliche religiös. Es ist wohl eher so, dass die Schule dem Heiligen Geist viele Türen öffnet, durch die er hereinwehen kann.

Natürlich ist das PMG trotz alledem eine normale Schule und nicht das Paradies, wie man das mal in Anlehnung an einen Ausspruch Philipp Melanchthons erträumt hatte. Es wird auch Schülerinnen geben, die einfach deshalb lieber in einer Andacht sitzen als im Unterricht, weil sie da weniger arbeiten müssen. Es wird Lehrer geben, die außerhalb der Schule nichts mit Kirche und Religion zu tun haben. Die Schule ist auch kein protestantisches Leuchtfeuer; die Schülerinnen und Schüler beleben nicht in erster Linie die Jugendarbeit in den Kirchengemeinden – hier soll es allerdings in Zukunft mehr Verschränkungen geben, indem zum Beispiel auch über die Schule die Möglichkeit angeboten wird, die JuLeiCa 1 zu machen.

Die Schule ist eben kein missionarischer Ort. Wohl aber einer, der religiöse Sozialisation in konzentrierter Weise ansteuert und ermöglicht. Es macht den Eindruck, als würde dieses Anliegen erfolgreich sein, denn es ist durchaus herausfordernd und arbeitsintensiv, Andachten und Gottesdienste zu gestalten. Es scheint aber ebenso gewinnbringend zu sein, denn die Jugendlichen sind hier engagiert dabei, wissen, was sie tun, können auch anderen Schülerinnen und Schülern von diesem Wissen weitergeben und: Sie fordern mehr davon.

Aus diesem und anderen guten Gründen macht es Sinn, dass Kirche sich sehr wohl um den staatlichen Religionsunterricht kümmert, sich als Stimme wie Ressource für Schulqualität einsetzt, aber an einigen besonderen Stellen auch durch Erhalt und Schaffung im Interesse der eigenen Stimme für wirksame schulische Bildung Schulen in eigener Trägerschaft hält und fördert. Auf diese Weise kann sie in exemplarischen Schulen, ähnlich wie bei Schulversuchen und Versuchsschulen, modellhaft pädagogische und vor allem religionspädagogische Profilierungen (wie hier den gottesdienstlichen, feiernden Umgang mit Erfahrungen der Unverfügbarkeit, aber z.B. auch diakonisches Handeln, Übernahme von Verantwortung) fördern und Bedingungen dafür bereiten, manches Neue und vielleicht auch Ungewöhnliche zu erproben – vor allem auch in solchen Bereichen, wo ohnehin Kirche nicht mit dem Gießkannenprinzip alle Lücken ausbessern könnte und wo ein einzelnes Feuer erst einmal im kleinen Raum Licht und Wärme verbreiten muss, damit es gesehen wird. So können an einigen wenigen Stellen wie von anderen Seiten auch und gerade durch kirchliche Initiativen und Ressourcen dafür Keimzellen entstehen, dass auch woanders Elemente und Strategien von Schulentwicklung entstehen können. Dieser Transfer gehört dazu: Evangelische Schulen sollen und können in die staatliche Landschaft hineinwirken – und das tun sie auch bereits an vielen Stellen.

 

Anmerkungen: 

  1. Jugendleitercard bzw. Jugendleiterincard – Ausweis für ehrenamtliche Mitarbeitende in der Jugendarbeit