Übergänge gestalten und deuten - Aufgabe und Funktion von Ritualen (nicht nur) im Jugendalter

Von Lars Charbonnier

 

1. Rituale im Jugendalter – worum kann es gehen?

„Waaaaackeeeen!“ Anfang August haben 75.000 überwiegend jugendliche Heavy Metal Fans diesen Ruf wieder live am bereits legendären Ort des Geschehens gebrüllt. Dazu haben sie die Arme nach vorn gereckt und mit kleinem und Zeigefinger die „Pommesgabel“ in die Höhe gehalten, in Richtung des großen Stierkopfes, der zwischen den beiden Hauptbühnen hängt und nachts auf dem Siedepunkt der Stimmung schon mal Feuer fängt. Ein jährliches Massenritual hat sich hier im kleinen Wacken entwickelt, das ganz auf die dunklen Seiten des Lebens gerichtet ist.1Wer hierher kommt, bereitet sich vor, kleidet sich ein, kennt sich aus in den Mythen und Dramen von Gut gegen Böse, von Göttern, Menschen und Dämonen, und taucht ganz bewusst ab in die Gegenwelten jenseits und fern des eigenen Alltags, meistens jedenfalls. Bier fließt in Strömen, Schlamm und Lautstärke tragen das Übrige bei zum Exzess dieser Masse.

„Schließet die Reih’n, treu lasst uns sein. Trifft uns auch Spott, treu unserm Gott.“ Dicht gedrängt stehen die 15 Jugendlichen beieinander. Die Arme sind vor der Brust gekreuzt, alle halten sich gegenseitig an den Händen. In manchen ostdeutschen Gegenden lässt sich dieses Abschlussritual der Jungen Gemeinde noch beobachten, das aus Zeiten der Unterdrückung, noch aus Zeiten der Bekennenden Kirche stammt. Eine hohe Bedeutung hat es für diese Gruppe bis heute, auch wenn die äußere Situation eine andere ist. Von Gruppenkohäsion spricht die Sozialpsychologie in diesem Zusammenhang, vom Wir-Gefühl, das so zum Ausdruck kommt, auch wenn es in der Wirkung viel weniger austrägt, als man annehmen könnte.2 Es sei denn, es wird mit einer konkreten Aufgabe, einer Herausforderung verbunden. Dann ist die Wirkung solcher Rituale groß, das zeigt der Sport, etwa das Huddle aus dem American Football, aber auch andere Formen des Einschwörens einer Gruppe vor einer Aufgabe, etwa eines Chores oder einer Theatergruppe vor dem Auftritt.

„Ich habe diesen Stoffelefanten mitgebracht, weil ich ihn im Kleinkindalter von meiner Mama geschenkt bekommen habe und er mich durch meine Kindheit begleitet hat.“3 So eine Jugendliche in Erfurt bei der Feier der Lebenswende im Erfurter Dom. Sie zeigt, was ihr wichtig war, und fragt, was nun kommt. Seit 1998 wird hier im Erfurter Dom und seitdem auch an anderen Orten in Ostdeutschland ein Ritual vollzogen, das zwischen Konfirmation und Jugendweihe ansetzt und Jugendliche einlädt, den Übergang von Kindheit ins Erwachsensein zu begehen. Die Jugendlichen gestalten diese Rituale überwiegend selbst, sie treffen sich eine ganze Zeit vorher und diskutieren über ihr Leben, über Sinn und Werte, ihre Ziele und Träume und wie sie ihr Ritual gestalten wollen. Konfirmation wäre ihnen zu kirchlich, Jugendweihe zu unpersönlich. Das Bedürfnis, diesen Übergang zu gestalten, ist groß, und hier haben sie eine Form gefunden, die ihnen angemessen scheint.

„Gott, ich muss diese Arbeit bestehen. Ich will raus hier, ich will studieren! Wenn es Dich gibt, so hilf mir auch dieses Mal!“ Die 16-jährige Jelena spricht diese Worte und macht danach alles so wie immer vor Prüfungen: die Kerze anzünden, das Tuch mit dem Engel auf die ganz bestimmte Weise falten und in ihre rechte Hosentasche stecken, dazu die Muschel vom Ostseeurlaub vor drei Jahren, dann noch die Kette mit dem Glücksbringer von ihrer Großmutter. Alles so wie immer, und dann wird es schon klappen. Das beruhigt sie und gibt ihr Sicherheit. Sie glaubt weder wirklich an Engel noch an einen Gott, zumindest nicht so, wie es etwa die Christen tun, aber dieses Ritual ist ihr lebenswichtig.


2. Was ist ein Ritual? – Begriff, Geschichte und Diskurse

Die Tasse Kaffee am Morgen, der Ringtausch bei der Trauung, der Glücksbringer in der Tasche, die Teamsitzung auf Arbeit, das Ende der Jugendstunde, die Bestattung, der Ablauf eines Streites zweier Lebenspartner – jeder Mensch kennt Rituale, jeder Mensch vollzieht Rituale, das Wort selbst ist Teil der Alltagssprache – „Das ist so unser / mein Ritual!“ Was genau dieses Ritual jeweils ist und warum es ein Ritual ist, beschreibt sich aber nicht immer so einfach.4 Viele würden vermutlich folgendem Satz zustimmen, auch die vier Eingangsbeispiele legen das nahe: Ein Ritual ist eine Handlung, die regelmäßig passiert. Aber sogleich wird einem einfallen, dass diese Aussage kaum reichen dürfte: Das ist das Leeren der Abfalltonnen durch die Müllabfuhr doch auch – ist es deshalb ein Ritual? Manches ist vielleicht streng genommen gar kein Ritual, was wir dazu machen oder so nennen, sondern eher Routine? Gibt es weitere Merkmale, die routinisierte Handlungen erst zu einem Ritual machen? Müssen es beispielsweise mehrere Beteiligte sein? Was ist dann mit dem Kaffee am Morgen oder mit dem Gebet vor der Prüfung oder dem Lied vor dem Einschlafen? Muss das, was im Ritual passiert, eine über den Alltag hinaus greifende Bedeutsamkeit haben – was ist dann mit dem lieb gewonnenen Ehestreit, der Teamsitzung, mit Wacken? Muss es eine besonders feierliche Prozedur, gar eine traditionell überlieferte Form geben – was ist dann mit dem frei erfundenen Gebet, dem persönlichen Glücksbringer, der Teamsitzung auf Arbeit? Sie vermuten richtig, wenn Sie jetzt annehmen, dass es all diese Facetten im Rahmen der unterschiedlich vorliegenden Ritualdimensionen gibt und es deshalb eine Entscheidungsfrage ist, was genau als Ritual bezeichnet werden soll. Das Spektrum reicht von einem weiten Begriff, der tatsächlich dicht an routinierten Handlungen liegt, bis hin zu einem engen, sehr klar bestimmten Verständnis, demnach sich Rituale durch wiederkehrende Handlungsmuster auszeichnen. Diese werden mit Symbolen verbunden, die über die konkrete Handlung in Raum und Zeit hinausragen und damit Sinngehalte transportieren, die mit besonderen Wirkungen für die Teilnehmenden verbunden sind. Ein paar Erkenntnisse aus der (Forschungs-)Geschichte:

Zum Begriff und seiner Verwendungsgeschichte

Die Begriffe Ritus und Ritual haben sprachgeschichtlich den gleichen Ursprung und sind selten sauber voneinander zu trennen. Die etymologische Herleitung lässt den Ritus (Sanskrit: Recht, Ordnung, Wahrheit, Brauch) als einen Baustein eines Rituals ansehen, das selbst „als komplexe Handlungssequenz nach einem (logischen) Funktionszusammenhang“5 definiert werden kann.

Deutlich wird mit dieser Definition, die so rein selten in erkenntnisleitenden Zusammenhängen insbesondere mit Praxisbezug vertreten wird, dass das Ritual dem religiös-kultischen Bereich entspringt. Die lateinische Rezeption des Begriffes hat diese Zuordnung integriert, allerdings mit einer inhaltlichen Verschiebung: Das Ritual wird nun als ein Element des Ritus verstanden und in der christlichen Tradition damit alles gottesdienstliche Handeln unter dem Begriff des Ritus verhandelt, der wiederum unterschiedliche Rituale enthält.

Ein frischer Wind kommt in das Verständnis des Ritualbegriffs im späten 19. Jahrhundert auf: Der Begriff des Rituals wird ausgeweitet und etabliert sich am Ende des 20. Jahrhunderts als kulturwissenschaftliches Konzept. Im religionsbezogenen Wissenschaftsdiskurs wurde er zunächst Ende des 19. Jahrhunderts stärker konzeptionalisiert: Die Bedeutung von Ritualen gegenüber Mythen wurde untersucht und mit ihr die Funktion von Ritualen zur Schaffung und Bestätigung sozialer Ordnungen 6 – beides zentrale Erkenntnisdimensionen der Religionsforschung. In den 1960er Jahren wurden die säkularen Rituale dann stärker in den Blickpunkt gerückt und Rituale in der Kommunikation, in Literatur und Sport, Kunst und Politik u.v.m. erforscht. So untersuchten die Sozialwissenschaften Formen des rituelles Handelns im Blick auf seine Funktionen für Gruppen und Gesellschaften, auf seine identitätssteigernden Wirkungen bei Individuen wie Gruppen, auf seine Macht und Hierarchie festigenden Aspekte oder auch seine ganze Gesellschaften entlastenden Funktionen. Die Psychologie widmete sich im Gefolge Sigmunds Freuds vor allem den Zwangshandlungen als krankhaften Ritualen gestörter Seelen. In den Kulturwissenschaften wurde und wird neben dem bewahrenden und identitätsstiftenden Aspekt von Ritualen für Einzelne wie ganze Gemeinschaften auch die kreative und darin immer auch performative Seite rituellen Handelns beleuchtet und zugleich die ästhetische Dimension des Rituellen in den Vordergrund gestellt.

Rituale als Übergänge – die Passageriten und ihre religiösen Bezüge

Zu den bekanntesten Ritualforschern gehören bis heute die der Ethnologie und Anthropologie zugehörigen Forscher Arnold van Gennep (1873-1957), der Rituale als Passageriten beschrieb, und Victor Turner (1920-1983), der sich dieser Beschreibung anschloss und Rituale vor allem als Übergangsriten in den Blick nahm. Die Hauptfunktion dieser Übergangsriten ist es, Sicherheit angesichts von Unsicherheit herzustellen. Zentral ist dem Turnerschen Konzept der Begriff der Liminalität, also eines mit Unsicherheit behafteten Grenzbereiches, der durch das Ritual begangen und damit auch durchschritten wird. Klassisch sind die von ihm untersuchten Rituale deshalb in der Regel in drei Phasen gegliedert: Einer Trennungsphase, in der eine Lösung vom bisherigen Status stattfindet, folgt dann die Schwellenphase bzw. Liminalität, die den Übergang markiert, bevor sich dann die Phase der Wiedereingliederung anschließt, in der der neue Status des im Mittelpunkt stehenden Individuums oder der Gemeinschaft/Gruppe steht. Die Kraft und die Mittel zur Gestaltung dieser Übergänge entwickeln die Rituale mit Hilfe starker Symbole, die im Ritual ihre feste Form bekommen und in der Regel vergemeinschaftet werden und so eine identitätsstiftende und auch den Alltag überschreitende Funktion erfüllen.

Mit Hilfe dieser Beschreibungsmuster sind eine Vielzahl von Ritualen entdeckt und beschrieben worden, nicht nur rückblickend und in ethnologischer Perspektive. Gerade wenn es um performative und ästhetische Dimensionen des Rituals geht oder um das Entstehen neuer Rituale, werden zugleich die Grenzen dieser Theorien insbesondere in der klaren Drei-Phasen-Struktur erkennbar: Nicht jedes Ritual enthält alle drei Phasen, nicht immer sind sie klar abgrenzbar, und auch hat nicht jedes Ritual die Funktion, Unsicherheit zu überwinden – zumindest nach längerem Gebrauch nicht mehr, wenn eventuell der eigentliche Grund zur Schaffung des Rituals nicht mehr gegeben ist. Gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen sind diese eher prämodernen Gesellschaften entnommenen Funktionsbeschreibungen deshalb nicht mehr allein adäquat. Dieses leuchtet im kirchlichen Bereich etwa mit Blick auf Trauungen unmittelbar ein.

Religionstheoretisch bleiben diese Ansätze aber von hoher Relevanz, da aktuell rezipierte Religionsverständnisse wie etwa das von Martin Riesebrodt 7 diese Funktion der Bewältigung von Unsicherheit – hier Kontingenz – der Religion an sich zuschreiben und darin den Ritualen die größte Bedeutung zuerkennen. Rituale verwandeln die Unordnung der chaotischen Welt in Ordnung. Durch Wiederholung wird diese wiederhergestellt und das vollzieht sich in allen menschlichen Lebensbereichen. In den Debatten heute wird dabei weniger die Starrheit der Rituale betont als ihre Individualität und kreative Generierung.8 So werden traditionelle Rituale hinterfragt, alte wiederentdeckt (Scheidung, Salbung, Beichte) oder neue entwickelt (Übergang in den Ruhestand, digitale Trauerportale).

Rituale in biblisch-theologischer Perspektive

Diese beschriebenen Diskurse der unterschiedlichen Wissenschaften haben sich im theologischen Nachdenken über Rituale niedergeschlagen und sind in vielerlei Weise in Wechselwirkungen getreten, was ich bereits angedeutet habe. Deshalb noch einmal kurz zurück zu Erkenntnissen insbesondere der theologischen Forschung:

Die Religion Israels, wie sie im Alten Testament anschaulich wird, ebenso wie die Religionen der sie umgebenden altorientalischen Welt, ist zuerst eine Kultreligion. Rituale bestimmen das religiöse wie soziale Leben in hohem Maße. Eine Vielzahl von Ritualen begegnet mit unterschiedlichen Funktionen – wenngleich über ihren genauen Ablauf wenig zu erfahren ist. Es finden sich Rituale zur Strukturierung von Raum und Zeit, zur Elimination (Sündenbock, Lev 16) oder zur Inthronisation und Einführung (Lev 8, 1Kön 2). 9 Einen Schwerpunkt bilden Rituale im Zusammenhang von Reinheit und Unreinheit, darin natürlich auch der Opferkult und seine klare Verortung im Tempelgeschehen. Daneben finden sich ortsungebundene Heilungs- und Reinigungsrituale, wie in 2Kön 4, oder Rituale rund um Trauer (1Sam 25, Hiob 1,20), Buße (2Sam 12) und Rituale im Rahmen von Festen (Ex 12).

Auch das entstehende Christentum sah sich vor die Aufgabe gestellt, aus der Welt der vorfindlichen Rituale im jüdischen wie im heidnischen Kontext die auszuwählen und für sich zu gestalten, die ihren theologischen Ansprüchen entsprachen.10 Die charakteristischen Rituale sind natürlich das Abendmahl, über dessen Bedeutung bereits bei Paulus und den Synoptikern unterschiedliche Deutungsschwerpunkte vorliegen, und die Taufe, die vom Bußritual zum Bekehrungsritus umfunktioniert wurde. Ihr Verständnis hat durch Paulus (Röm 6-8) seine eigenen Prägung gefunden, die dicht am später entwickelten Verständnis eines Rituals als Passageritus liegt.

Ein Wort zur Dogmatik: Interessanterweise werden Rituale hier vor allem in kontroverstheologischen Auseinandersetzungen insbesondere mit dem Katholizismus und dann entsprechend dem Vorwurf eines Ritualismus verwendet – noch für Paul Tillich ist „Ritualisierung“ die spezifisch katholische Form der „Profanisierung des Heiligen“11. Diese Sicht resultiert aus dem reformatorischen Erbe, wo etwa in CA 7 Rituale als Ordnungen und Zeremonien zu den Adiaphora gezählt werden. Im Blick auf diese Bewertungen zeigt sich, wie sich zeitgenössische Umwertungen der Bedeutung von Ritualen langsam auch in der Theologie auswirken – ohne dass damit die konstruktive Spitze der reformatorischen Position, die Unabhängigkeit des Heils von einem gesetzlich-ritualistisch verstandenen Umgang mit Ritualen, ihrer Schärfe beraubt würde – im Gegenteil: Die Frage, ob ein Ritual nach wie vor angemessen seine Funktion in der Gegenwart erfüllt, bleibt wesentlich!

Praktisch-theologisch und religionspädagogisch sind diese kulturwissenschaftlichen Ritualtheorien insbesondere im Blick auf die Kasualien relevant geworden, die als Übergangsriten beschrieben werden und in ihrer Bedeutung für die Biografiebegleitung gewürdigt und teilweise als zentral definiert werden – in der Praktischen Theologie wird entsprechend die Kasualkirche in den Fokus gerückt. Zugleich werden im Blick auf Kasualien als lebenszyklisch angegliederte Rituale gerade die genannten Modelle der Übergangsriten kritisiert, da in der postmodernen Gesellschaft zum einem Übergänge unklarer und zum anderen diese nicht zwingend als krisenhaft betrachtet werden. Im Zuge der alltagsweltlichen Wahrnehmung der religiösen Einstellungen und Handlungen der Individuen werden so beide Dimensionen rituellen oder ritualhaften Handelns, die stabilisierende wie die kreative, wahrgenommen und in ihren Chancen wie Beeinträchtigungen für die Gestaltung religiösen Lebens der Gegenwart reflektiert.12
 

3. Rituale im Jugendalter – Emotionsregulation und Identitätsbildung

Insbesondere Rituale im Jugendalter sind immer wieder in den Fokus der Forschung getreten, auch und gerade im Zusammenhang mit Religion und den beschriebenen Funktionen. Zuletzt hat Sarah Demmrich eine religionspsychologisch fundierte Studie vorgelegt, in der sie Religiosität und Rituale unter ostdeutschen Jugendlichen untersucht.13 Demmrich fragt nicht nach kollektiven Erfahrungen, sondern interessiert sich für die persönlichen Rituale bei ostdeutschen Jugendlichen, die oft trotz fehlender religiöser Sozialisation, so ihr Ergebnis, Rituale entwickeln und gestalten.14 Ihre Definition eines persönlichen Rituals lautet: „Das persönliche Ritual ist eine nicht-kollektive Handlung, welche sich durch formell-strukturierte und kontrastschaffende Eigenschaften auszeichnet.“15 Sie erforscht, welche Arten von Ritualen zu finden sind und inwiefern hier, im Anschluss an die bereits erwähnte Religionstheorie Riesebrodts, religiöse Erfahrungen integriert sind, die durch einen Bezug zu einer übermenschlichen Macht gemacht werden. Ausgangspunkt dieser Fragen ist für Demmrich, dass Rituale als Möglichkeit zur erhöhten Selbstreflexnion gelten und vor allem Emotionsregulation und Identitätsentwicklung bieten.16 Deshalb sind Rituale Hilfsmittel zur Bewältigung der besonderen Herausforderungen der adoleszenten Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, die insbesondere in der Emotionsregulation und Identitätsbildung liegen. Denn dieses korrespondiert mit der präfrontalen Reifung in dieser Wachstumsphase, da dadurch das Vermögen Jugendlicher wächst, „Rituale nachzuahmen, selbständig durchzuführen und sie zu verstehen, sodass Rituale im Jugendalter als besonders wichtig betrachtet werden“17 Im Zusammenhang der Religion und der religiösen Bildung ist diese Erkenntnis besonders interessant, da ja in der Regel im Jugendalter ein Abnehmen kirchlich-christlicher Rituale sowie der Verlust des Kinderglaubens zu verzeichnen ist. Wesentlich in den religiösen Entwicklungsaufgaben ist, so wird deshalb gefolgert, die Selbsttranszendierung, die eben nicht zwingend mit Gott oder Kirche verbunden sein muss, aber über den Einzelnen hinaus reichende Konstrukte für das Leben als wichtig anerkennt, wie Werte, Traditionen, Raum und Zeit. Die Integration explizit religiöser Inhalte ist hier möglich, aber nicht nötig, das zeigt Demmrichs Studie anschaulich, vor allem im Blick auf die kreative Entwicklung von Gebeten Jugendlicher. Interessant ist, dass im Unterschied zu eher nicht-religiösen Ritualen sogar die Ambivalenz der Wirkung bei religiösen Ritualen steigt, da religiöse Rituale auch mit negativen Emotionen verbunden sein können. Deutlich wird, dass Rituale deshalb ein zentrales Thema der Pädagogik sind und bleiben und dass besonders ihre religionspädagogische Reflexion wichtig ist.


Literatur

  • Bartels, Johannes: Klatsch ein! Jugendgruppen, ihre Rituale und der Teamgeist, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 41-43
  • Bauer, Daniel Tobias: Rituale aus individueller und sozialer Perspektive. Praktisch-theologische Dimensionen, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 35-37
  • Charbonnier, Lars: Was ist ein Ritual? Das Heft-Eingangsritual zum Thema, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 6-9
  • Demmrich, Sarah: Religiosität und Rituale. Empirische Untersuchungen an ostdeutschen Jugendlichen, Leipzig 2016
  • Lautzas, Tilman: Die Herausforderungen des Bösen. Versuch eines religionspädagogischen Zugangs zum Massenritual „Wacken Open Air“, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 32-34
  • Morgenthaler, Christoph: Abendrituale. Tradition und Innovation in jungen Familien, Stuttgart/Bern 2011
  • Riesebrodt, Martin: Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München 2007
  • Betz, Hans Dieter u.a. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 7, Art: Ritus / Ritual, Tübingen 4. Aufl. 2004

 

Anmerkungen 

  1. Vgl. hierzu Lautzas, Tilman: Die Herausforderungen des Bösen. Versuch eines religionspädagogischen Zugangs zum Massenritual „Wacken Open Air“, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 32-34.
  2. Vgl. hierzu Bartels, Johannes: Klatsch ein! Jugendgruppen, ihre Rituale und der Teamgeist, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 41-43.
  3. Zitiert aus www.deutschlandfunk.de/lebenswende-feier-segen-fuer-die-sinnsucher.886.de.html?dram: article_id=356050 (18.06.2017).
  4. Vgl. im Folgenden Charbonnier, Lars: Was ist ein Ritual? Das Heft-Eingangsritual zum Thema, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 6-9.
  5. Hutter, Manfred: Art. Ritus/Ritual I. Religionswissenschaftlich, RGG4, Bd. 7, Tübingen 2004, 547.
  6. Vgl. Stausberg, Michael: Art. Ritus / Ritual I. Religionswissenschaftlich, RGG4, Bd. 7, Tübingen 2004, 548.
  7. Riesebrodt, Martin: Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München 2007.
  8. Vgl. Demmrich, Sarah: Religiosität und Rituale. Empirische Untersuchungen an ostdeutschen Jugendlichen, Leipzig 2016, 40.
  9. Vgl. Schwenner, Daniel: Art. Ritus / Ritual II. Religionsgeschichtlich 1. Alter Orient, RGG4, Bd. 7, Tübingen 2004, 549f.
  10. Vgl. Betz, Hans Dieter: Art. Ritus / Ritual II. Religionsgeschichtlich 4. Christentum, RGG4, Bd. 7, Tübingen 2004, 552f.
  11. Zit. nach Preul, Reiner: Art. Ritus/Ritual III. Dogmatisch, RGG4, Bd. 7, Tübingen 2004, 556.
  12. Vgl. z. B. die Studien rund um Familienrituale, Morgenthaler, Christoph: Abendrituale. Tradition und Innovation in jungen Familien, Stuttgart/Bern 2011.
  13. Demmrich, Sarah: Religiosität und Rituale. Empirische Untersuchungen an ostdeutschen Jugendlichen, Leipzig 2016.
  14. Vgl. dazu auch Bauer, Daniel Tobias: Rituale aus individueller und sozialer Perspektive. Praktisch-theologische Dimensionen, in: Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für Evangelische Bildungsarbeit 69/2016, H. 4 „Rituale“, 35-37.
  15. Demmrich, 42.
  16. Vgl. Demmrich, 23.
  17. Demmrich, 28.