„Bilder sagen mehr als tausend Worte" - Das Bild als Bereicherung des Unterrichts

von Anke Vogt

 

Wir leben in einer Zeit, in der es unzählige Möglichkeiten der Informationsaufnahme gibt. Bilder spielen dabei eine große Rolle. Alle Medien nutzen die visuellen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Adressaten. Neben einer potentiellen Reizüberflutung wird das Bild degradiert zu einem Massenmedium, das den Betrachter zudem auch noch manipulieren kann. Gerade deshalb ist es wichtig, den Blick zu schärfen. Die neuen Curricula in fast allen Fächern geben den neuen Medien einen großen Stellenwert und verlangen die Vermittlung von Methoden der Rezeption und Produktion von Bild und Film. Diese neue Herausforderung sollte angenommen werden als Bereicherung des Unterrichts und den Schülerinnen und Schülern neue Sichtweisen vermitteln.

Aus langjähriger Erfahrung im Kunstunterricht kann ich bestätigen, dass die Wirkung von Bildern oft erstaunliche Einsichten vermittelt. Doch wie können Schülerinnen und Schüler Zugang finden zu diesen visuellen Texten? Die Annahme, dass Bilder von jedem in gleicher Weise verstanden werden, kann schnell widerlegt werden, wenn diese versprachlicht werden sollen. Bilder als visuelle Texte zu verstehen, widerspricht eigentlich dem Wesen des Bildes, das auf eine ganz besondere Art Weltansichten vermittelt. Diese besondere Anziehungskraft wird man nicht zu Gänze erklären und in Worte fassen können. Das macht ja gerade ein gutes Bild aus. Es bewahrt ein Geheimnis, das fasziniert und gleichzeitig provoziert. Man möchte es lösen und anderen mitteilen. Und hier setzt die Methode der Bildanalyse an. Welche Fragen muss ich an ein Bild stellen, damit ich sein Geheimnis lüften kann?

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Zugang zu einem Bild zu finden: grundlegende Theorien und eigene Erfahrungen. Hier soll es nicht darum gehen, grundlegende Erkenntnisse zu vermitteln, sondern ganz praktisch eine Möglichkeit der Bildanalyse für den Unterricht anzubieten. Dabei habe ich gute Erfahrungen mit drei Grundfragen gemacht: Was ist dargestellt? Wie ist es dargestellt? Warum wurde es so dargestellt? Diese vereinfachte Herangehensweise basiert in erster Linie auf den Erkenntnissen von Erwin Panofsky (1892-1968)1. Panofsky gibt dem Kunstwerk drei Bedeutungsebenen, die jeweils eigene Bearbeitungsmethoden erfordern und je nach Vorkenntnissen erfolgreich eingesetzt werden können, um ein Bild zu erschließen: Beschreibung, Analyse und Interpretation sind Dimensionen, die es zu erschließen gilt.

Die Beschreibung dessen, was der Betrachter sieht, scheint eine lösbare Aufgabe. Die Analyse allerdings verlangt eine differenziertere Betrachtungsweise in Hinblick auf verschiedene Gestaltungselemente. Die Interpretation wird zum Schluss eine Herausforderung und ist oft nur mit Vorkenntnissen oder der Erarbeitung dieser möglich. Bei kritischer Betrachtung wird diese Methode dem Bild nur mit Einschränkung gerecht. Die Versprachlichung des Bildes vermittelt zwar allgemeinen Konsens, allerdings ist das Phänomen „Bild“ damit noch nicht erklärt.

Hier setzt Martin Heidegger (1889-1976)2 mit seiner phänomenologischen Betrachtungsweise an. Er geht davon aus, dass wir Bilder aufgrund unserer ganz persönlichen Verständnismöglichkeiten deuten. Seiner Meinung nach ist dies ein ganz natürlicher Vorgang. Wir sehen Bilder oft unvermittelt und unvorbereitet und wollen sie verstehen. Wir deuten sie nach unseren Möglichkeiten. Dieses Interesse und die Fähigkeit, intuitiv zu reagieren, habe ich in meinem Unterricht genutzt. Nach einem ersten Eindruck, der sehr subjektiv ist, muss sich aber unbedingt eine Bildbefragung anschließen, um diese oft sehr vielfältigen Eindrücke zu überprüfen. Heidegger und Panofsky ergänzen sich meiner Meinung nach sehr gut.

Von besonderer Bedeutung ist der Bildeinstieg. Auch hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, die der erfahrene Pädagoge seinem Unterrichtsvorhaben anpassen wird. Wenn es darum geht, dass ein Bild sehr genau wahrgenommen werden soll, ist das „Bilddiktat“ ein guter Beginn. Eine Schülerin oder ein Schüler wird gebeten, das nur ihm vorliegende Bild zu beschreiben. Die Mitschüler zeichnen das Bild nach seinen Vorgaben. Die Ergebnisse werden mit dem Original verglichen. Die Schülerinnen und Schüler werden das Bild sehr genau wahrnehmen.

Ich habe auch gute Erfahrungen gemacht mit dem „ersten Eindruck“. Die Schülerinnen und Schüler sollen in zwei bis drei Minuten ihren ganz persönlichen Eindruck von einem unbekannten, „neuen“ Bild notieren. Diese Notizen ermöglichen es, ins Gespräch zu kommen über ein Phänomen, das eigentlich keine Sprache braucht. Dennoch ist eine Beschreibung des Bildes wichtig, um einen Konsens zu schaffen und die Wahrnehmung zu schärfen. Daran kann sich dann eine Analyse anschließen. Die Interpretation des Bildes greift die Eindrücke der Eingangsbetrachtung wieder auf. Hier kann eine kritische Bestandsaufnahme erfolgen und für die Deutung des Bildes hilfreich sein. Bilder können so ganz neue Eindrücke eines Sachverhaltes vermitteln. Gerade in textlastigen Fächern ist es wichtig, verschiedene Methoden anzubieten, denn es gibt bekanntlich unterschiedlich ausgeprägte Aufnahmefähigkeiten. Die visuellen Typen werden dankbar sein, die auditiven ihren Horizont erweitern.

Die vorliegende Methode der Bildanalyse ist eine erprobte Möglichkeit, über Bilder zu reden und zu schreiben. Das Arbeitsblatt (M 1) soll Schülerinnen und Schülern als vereinfachter Leitfaden bei der Bildanalyse dienen. Ich habe die mir wesentlichen Aspekte ausgewählt und in Fragestellungen und Stichwörtern als Formulierungshilfen zusammengestellt. Selbstverständlich sollte überprüft werden, ob jede Gattung sich so erschließen lässt. Gemeint sind hier Skulpturen/ Plastiken, Architektur oder Medien. Im Prinzip gelten aber immer die Fragen nach dem Was, Wie und Warum.

Das Arbeitsblatt für die Schülerinnen und Schüler ist gut einsetzbar, wenn die zu erarbeitenden Faktoren bekannt sind. Bei der Analyse habe ich mich auf grundlegende Aspekte beschränkt.


Schema für eine Bildanalyse

1. Erster Eindruck:
Das Bild wirkt auf mich: … unruhig, kalt, laut, langweilig, beängstigend, unfertig, unpersönlich, spannend, lebhaft u.a.m.

2. Vorstellung des Werkes:
Künstler, Titel, Erstellungsjahr, Größe, Ausstellungsort und Hauptaussage des Dargestellten.

3. Beschreibung: Was ist dargestellt?
Sachliche Detailbeschreibung mit Wirkung des Dargestellten (keine Deutung) in geordneter und logischer Reihenfolge: z.B. Vorder-, Mittel-, Hintergrund; von zentralen Gegenständen/Figuren im Bild ausgehend; Beschreibung von Auffälligkeiten/Hervorhebungen: Was ist besonders auffällig/fragwürdig?

4. Formale Analyse:
Wie ist es dargestellt? (Form – Inhalt)
Untersuchung der bildnerischen Mittel: technische Mittel (Material, Handwerkszeug) und gestalterische Mittel (Farbe, Fläche/Form, Raum, Licht, Komposition).

4.1 Farbe:
Maltechnik (Öl, Tempera, u.a.), Farbauftrag (lasierend/durchscheinend, pastos/deckend, u.ä.) Farbwahl, Farbbeziehungen, Farbkontraste, Malkonzept (realistisch, idealisierend, impressionistisch, expressionistisch, Lokalfarbe, Erscheinungsfarbe, Ausdrucksfarbe, u.a.m.).

4.2 Fläche/Form:
Binnengliederung von Flächen, Flächenformen (geometrisch, amorph, linear, offen, geschlossen), Verfremdung, Montage, Collage, u.a.

4.3 Raum/Perspektive:
Fluchtpunktperspektive; Farbperspektive/Luftperspektive (sfumato); Staffelung, Überdeckung, Größenverhältnisse; Bedeutungsperspektive; Betrachterperspektive; Abstraktionsgrad.

4.4 Licht:
Hell-Dunkel-Kontraste, Quantität des Lichts (Art der Lichtquelle), Qualität des Lichtes (Streuungsgrad, Intensität), Schatten.

4.5 Komposition:

  • Räumliche Gliederung (formaufteilendes Achsengerüst); Verhältnis der Bildteile zum Ganzen; Raumrichtungen; Rhythmus,
  • Kompositionsschemata: Goldener Schnitt, Dreiecks-, Diagonal-, Kreis-, Ovalkompositionen,
  • Proportionen: Beziehung von Bildformaten und Flächenaufteilungen.
     

5. Interpretation: Warum ist es so dargestellt?

  • Zeitliche und stilistische Einordnung des Bildes, Entstehungszusammenhänge (Künstlerbiografie, Zeitdokument),
  • Bildgenre (Landschaft, Stillleben, Porträt, Interieur, u.a.), Bedeutung des Bildes in der Geschichte des Genres,
  • Bildaussage (moralisierend, idealisierend, kritisch usw.),
  • Bedeutung des Bildes in seiner Entstehungszeit, in Bezug zur Gegenwart (z.B. Adressat),
  • Persönliche, subjektive Wertung des Bildes mit Rückgriff auf den ersten Eindruck.
     


Bildanalyse am Beispiel von Otto Dix, Triptychon „Der Krieg“, 1929/1932

Ich habe dieses Bildbeispiel ausgewählt, weil in diesem Jahr des Kriegsbeginns des Ersten Weltkrieges gedacht wird, der vor 100 Jahren eine ganz neue Dimension des Grauens auslöste. Besonders Künstler haben auf diese Erlebnisse reagiert, zumal sie als Zeitzeugen selbst betroffen sein konnten.

Otto Dix wurde am 2. Dezember 1891 in Gera geboren. Als Kind eines Arbeiters machte er nach dem Besuch der Volksschule eine Lehre als Dekorationsmaler und besuchte ab 1910 die Kunstgewerbeschule in Dresden. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig als Soldat. Seine Erlebnisse verarbeitete er in beeindruckenden Bildern, die Anklagen gegen den Krieg und Militarismus sind. Da die Nationalsozialisten seine Bilder als „entartet“ einstuften, verlor er 1933 seine Professur an der Dresdner Kunstakademie. Er lebte ab 1936 zurückgezogen in Süddeutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er in Ost und West gleichermaßen geehrt. Dix starb am 25. Juli 1969 in Singen am Bodensee3.

Otto Dix musste als Unteroffizier das Kriegsgrauen erleben und hat es in besonders beeindruckender Weise dargestellt. Die Kriegserlebnisse setzten bei ihm einen langwierigen Prozess in Gang, an dessen Ende das Triptychon stand. Von Anbeginn war dieses Werk umstritten und von den Nationalsozialisten als entartet und „kriegszersetzend“ eingestuft. Auch heute hat es nichts von seiner Aktualität verloren angesichts der Kriegszustände in vielen Teilen der Welt. Niemand wird dieses Werk ruhig betrachten, sondern ist von seiner Grausamkeit betroffen. Es war in diesem Jahr in einer Sonderausstellung in der Galerie Neue Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Albertinum zu sehen (5. April bis 13. Juli 2014)4.

Ein sehr guter Aufsatz zu Analyse und Deutung des Werkes stammt von Dietrich Schubert5.Umfangreiches Hintergrundwissen und kunsthistorische Einordnung ermöglichen dem Betrachter einen Zugang zu diesem wichtigen Zeugnis des Kriegsgrauens. Es werden neben einer Beschreibung und analytischer Untersuchung auch nachvollziehbare Interpretationsthesen erläutert. Eine weitere interessante Interpretationsmöglichkeit wird in Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Museums geboten, in denen Franz Radziwills Kriegsbilder denen von Otto Dix gegenübergestellt werden.6
Diese Zusatzinformationen können je nach Unterrichtsabsicht als sinnvolle Informationsquelle genutzt werden.

Im Folgenden möchte ich mich auf einige Analysemöglichkeiten beschränken. Der erste Eindruck wird jedem Betrachter selbst überlassen, ebenso die Beschreibung der Tafeln. Interessant erscheinen mir Überlegungen zum Bildaufbau. Wie setzt Dix sein Anliegen in Szene?

Für Schüler ist die Beschränkung auf grundlegende Kompositionslinien unverzichtbar, so werden hier erste Erkenntnisse gesammelt. Das Bild wird dabei durch die Mittelachsen und Diagonalen untersucht. Wo liegt die Mitte? Welche Bildabschnitte sind besonders auffällig? In der abgebildeten Mitteltafel (Abbildung 1) kann die Bildmitte mit einer Leere beschrieben werden, die zur Bildaussage zu Leid und Tod passt. Bei der Kennzeichnung des Horizontes fällt auf, dass dieser ein Viertel des Bildes ausmacht. Davon ausgehend können die unteren drei Viertel festgelegt werden. Hier ist das Grauen dargestellt. Die Bilddiagonalen sind zwar durch die Bildecken vorgegeben, aber es wird deutlich, dass Dix diese Richtungen bewusst durch Form- und Farbentscheidungen ins Bild gesetzt hat.

Weitere mögliche Kompositionslinien sind auf der Abbildung 2 zu sehen. Hier wird die Mitte des Bildes durch eine helle Farbgebung inszeniert. Die dunklen Seiten, die durch die Schrägen angedeutet sind, stehen in einem Hell-Dunkel-Kontrast der Leere gegenüber. Verwüstung und Kälte stehen dem Leiden und dem düsteren Tod gegenüber.

In Abbildung 3 habe ich ganz bewusst nur die Schrägen in den Tafeln eingezeichnet. Dadurch wird einerseits eine gewisse Dynamik sichtbar, aber auch Unruhe und Chaos. Der Betrachter empfindet eventuell sogar eine gewisse Aggressivität angesichts dieser Formen, die an Speerspitzen erinnern.

Im Katalog der Dresdner Ausstellung (s. Fn. 5) werden auf Seite 231 sehr anschaulich Kompositionslinien in das vierteilige Tafelbild eingezeichnet. Dix selbst sagt zum Prinzip der Komposition:

„Konstruktion ist nicht primär, sondern sekundär. (…) Ich fühlte, dass diese Anordnung der Bildelemente die Hauptmassen zusammenhält, wobei sie für eine reiche und doch monumentale Qualität sorgt.“ Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, ein Bild zu erschließen (Abbildung 4). Die Betrachtung mit Hilfe von Kompositionszusammenhängen ist oft sehr ergiebig für die Deutung eines Bildes.

 

Literatur

  • Algner, Achim: Sprache Malerei, Ein Leitfaden zu Analyse und Gestaltung von Gemälden, Paderborn, 2013
  • Kowalski, Klaus: Methoden der Bildanalyse, Arbeitsheft, Stuttgart, 1995
  • Regel, Günter unter Mitarbeit von Frank Schulz: Moderne Kunst, Zugänge zu ihrem Verständnis, Kommentar zur erweiterten Auflage des Lehrbuches für den Kunstunterricht, Leipzig/Stuttgart, Düsseldorf, 2001

 

Anmerkungen

  • Panofsky, Erwin: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Ostfildern, 1996.
  • Heidegger, Martin: Ursprung des Kunstwerkes, Frankfurt a.M., 1988.
  • Hinweis der Redaktion: Aus urheberrechtlichen Gründen können wir das Bild im Internet leider nicht zur Verfügung stellen. Deshalb können wir auch die Kompositionslinien (Abbildungen 1 bis 4) nicht zeigen.
  • Vgl. die Kurzbiografie: www.mdr.de/kultur/otto-dix-triptychon 100_zc-15948bad_zs-86171fdd.html
  • Dalbajewa, Birgit u.a.(Hg.): Otto Dix, Der Krieg – Das Dresdner Triptychon, Dresden 2014.
  • Schubert, Dietrich: Otto Dix – das Triptychon „Der Krieg“ 1929-1932. Originalveröffentlichung in: Pfetsch, Frank R. (Hg.): Konflikt (= Heidelberger Jahrbücher 48), Berlin u.a. 2005, S. 311-331.