Erinnern heißt wieder holen

von Michael Meyer-Blanck

 

1. Menschen erinnern sich

Erinnerung gehört zur conditio humana. Die Zukunft ist ungewiss, aber die Erinnerung kann uns keiner nehmen, so lange uns die denkerische Gesundheit erhalten bleibt. Vor der Zukunft fürchten wir uns und suchen uns darum ihrer durch Phantasien und Prognosen verschiedenster Art zu bemächtigen. Doch Prognosen werden meistens widerlegt, und wir treffen sie deshalb nur mit einer Unbehagen auslösenden Unsicherheit. Mit der Erinnerung ist es anders. Sie ist von außen unangreifbar und somit ein Vollzug der inneren Freiheit. Wer sich erinnert, schreibt mit der eigenen Vergangenheit auch die eigene Gegenwart und Zukunft weiter. Der Verlust an Erinnerung ist darum so bedrohlich, weil der Mensch damit die Interpretationshoheit über sein Leben verliert und entscheidend an Autonomie einbüßt. Erinnern heißt ordnen, strukturieren und gestalten, und der Verlust der Gedächtnisfunktion erschüttert uns durch den damit gegebenen totalen Verlust an Selbstbestimmung.

Im Normalzustand realisiert der Mensch die eigene Erinnerungsfunktion so wenig wie sein Atmen, denn „es erinnert ihn“ so wie „es ihn atmet“. Man macht etwas, weil man etwas anderes als abgeschlossen definiert und etwas Drittes erst dann machen will, wenn man das jetzt zu Machende schon im Voraus als später einmal erinnerungsfähig annimmt. Die vollzogene und die vorphantasierte Erinnerungsfunktion spielen zusammen: „Wenn ich diesen Abschnitt meines Manuskripts abgeschlossen haben werde, muss ich erst noch etwas nachlesen, um danach den zweiten Abschnitt in Angriff zu nehmen, damit dieser an das bereits Erarbeitete wird anknüpfen können“.

Erinnerung und Zeiterleben sind gleichursprünglich. Der gesunde, sich seines Verstandes bedienen könnende Mensch muss darüber nicht nachdenken, weil er seine Lebensführung immer schon so strukturiert.

Erinnerung und Zeiterleben sind nicht notwendige Bedingungen des Menschseins. Wohl aber sind beide Gestalten der entwickelten menschlichen Subjektivität. Personen sind wir aufgrund der allen zukommenden Menschenwürde, Subjekte aber haben wir erst auf dem Wege der Bildung zu werden und zu bleiben1. Da man das pädagogische Handeln als Hilfe und Begleitung zur Subjektwerdung beschreiben kann, lässt sich auch sagen: Erinnern lernen ist ein fundamentaler Aspekt von Subjektwerdung und Selbstsein.

 

Erinnern, Erzählen, Rekonstruieren von Zeit

Erinnerung und Aneignung der eigenen Lebensgeschichte sind niemals eine bloße Abbildung empirischer Tatsachen, sondern jeweils eine Verbindung von subjektiv und objektiv Gegebenem. Von Paul Ricœur haben wir gelernt, dass die Überkreuzung von Historie und Fiktion die menschliche Zeiterfahrung ausmacht, weil die „Refiguration der Zeit letzten Endes auf dieser gegenseitigen Grenzübertretung beruht, in der das quasi-historische Moment der Fiktion den Platz mit dem quasi-fiktiven Moment der Geschichte tauscht. Aus dieser Überkreuzung, aus diesem Plätzetausch entspringt das, was man die menschliche Zeit nennen darf […].“ 2

Erinnerung ohne einen Anteil an Fiktion, aber ebenso ohne einen Anteil an Historie, würde das Subjekt krank machen. Im ersten Falle würde man von einem Verlust der Symbolisierungsfunktion sprechen und im zweiten Falle vom Realitätsverlust. Historie und Fiktion müssen sich verbinden, damit Zeit und Erinnerung Gestalt finden können. Erst die Erinnerung als mentale Neuinszenierung der Realität entspricht der conditio humana, in Gestalt der im Rekonstruieren erlebten Zeit.

Erinnerung ist von daher immer zugleich Konstruktion und Rekonstruktion, niemals lediglich eines oder das Andere. Ein reiner Konstruktivismus kann Zeitlichkeit und Erinnerung ebenso wenig beschreiben wie ein naiver Historismus, der da meint, die Vergangenheit getreu abbilden zu können. Ist die Abbildtheorie im gegenwärtigen Diskurs wohl weniger eine Gefahr, so kann der zurzeit gegebene pädagogische Konsens über die Bedeutung des Subjekts und seine Konstruktionen die Tatsache verdecken, dass es Subjektivität niemals anders gibt als in zeichenvermittelter Form.

Die vielerorts zu vernehmende Leitidee einer „konstruktivistischen“ Didaktik betrachte ich von daher mit großer Skepsis. Entweder handelt es sich bei der Rede vom „Konstruktivismus“ nur um eine andere Sprache für die unbestreitbare Tatsache, dass Lernen immer eine Form von persönlicher Assimilation darstellt. Dafür bedarf es aber keiner neuen didaktischen Leitkategorie. Oder aber es wäre mit der Rede vom „Konstruktivismus“ tatsächlich ein derart starker Subjektbegriff unterstellt, wonach das autonome Individuum sich als tabula rasa der Welt extern gegenüberstellt, um diese zu erkennen und zu gestalten. Eine solche Form von „Konstrukt“ wäre nicht nur gefährlich, sondern theoretisch unterbestimmt. Gerade ethisches, ästhetisches und religiöses Lernen, das Verständnis des Guten, Schönen und Wahren funktioniert niemals so. Dieses lebt aus der Erinnerung des lebensgeschichtlich und kulturell als gut, schön und wahr Empfundenen.

Die Erinnerung des Subjekts ist immer zugleich rekonstruktiv. Das Subjekt macht sich nicht nur die Welt zueigen. Es ist vielmehr immer schon durch die kulturell vermittelten Zeichen konstituiert. Das ist die grundlegende denkerische Einsicht seit Nietzsche, Heidegger und dem französischen Poststrukturalismus. Die allmächtig ihre Zeichen generierende Subjektivität ist genauso theoretisch unzureichend wie die primitive Vorstellung von der Erinnerung als getreuer Abbildung des Geschehenen in mentalen Speichern. Zeichen und Subjekt sind ebenso gleichursprünglich wie die Erinnerung und das Zeiterleben des Menschen.3 Erzählen gibt es nicht ohne Zählen. Erinnern, erzählen und Zeit greifen auf Reales zurück, dem neu Gestalt gegeben wird.

Die komplexe Überlagerung lässt sich schön mit dem zusammengesetzten Verbum des „Wiederholens“ umschreiben, wie dieses von Kierkegaard näher bestimmt wurde. Erinnern ist ein solches „Wieder Holen“, bei dem nicht einfach wiederholt, aber auch nicht neu geschaffen wird.4 Erinnern ist ein verlangsamtes Wiederholen, bei dem das „Wieder“ durch den erneuerten Vorgang des „Holens“ die Kraft der Vergangenheit mit der Lebendigkeit der Gegenwart in eine Zukunftsperspektive überführt. Erinnern heißt, etwas wieder hervorholen und dabei den Prozess des Erscheinenlassens und das beim Wiederholen Erscheinende zugleich ernstnehmen. In diesem Zusammenhang wird das Geheimnis des Rituals und der liturgischen Erinnerung, der Anamnese verständlich. Erinnern holt wieder und wiederholt.

 

Medien der Erinnerung: Texte und Zeichen

Erinnerung funktioniert auf dem Wege von mentalen Repräsentationen, mit Gerüchen, Bildern und Geräuschen, wobei die Gerüche mnemotechnisch bekanntlich primär und dominant sind. Generell geschieht Erinnerung jedenfalls mit Hilfe von Zeichen. Über die neurophysiologischen Zusammenhänge wird man vielleicht demnächst noch differenzierter beschreiben können, welche Zeichenfunktion (ikonisch, olfaktorisch, akustisch, verbal) den anderen chronologisch und sachlich vor- bzw. nachgeordnet ist. Aber einstweilen hilft schon das Alltagswissen, dass Gerüche vor Bildern und Bilder vor Worten und Texten rangieren. Andererseits ist damit nicht gesagt, dass wir uns nur an diese primären Zeichengestalten erinnern. Aber offensichtlich ist unsere Erinnerung an solche Zeichen unmittelbarer, während wir Worte, Texte und Inhalte vermittelt über komplexe Bildungsprozesse erinnern. Auch wenn man sich biographisch primär an die Gestalt des Lehrers sowie an den Klassenraum und dessen Geruch erinnert – und angeblich nicht an die Inhalte, die man damals gelernt hat, so beherrscht man diese Inhalte, auch ohne ihren Erwerb exakt räumlich und zeitlich terminieren zu können. Man hat sie nämlich in den eigenen Habitus so weit integriert, dass man sie gar nicht mehr als „Inhalte“ isoliert betrachtet. (So weiß ich nicht mehr, wann und wo ich das erste Wort lesen und schreiben konnte, aber es gelingt mir trotzdem noch.)

Alle unsere Erinnerungen jedenfalls sind zeichenvermittelt. In Bildern und Gerüchen, in Texten und Zeichen werden uns Erinnerungen zugänglich. Lernen arbeitet darum an den menschlichen Zeichenfunktionen und das Erinnerungslernen ist darauf angewiesen.

 

2. Erinnern lernen

Die Leitkategorie der „Erinnerung“ hängt nicht nur mit den spezifisch deutschen Herausforderungen zusammen, die aus der Aufgabe entstehen, der kommenden Generation eine geschichtsbezogene Identität zu erschließen. Am 8. Mai 1985 formulierte Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes den danach viel zitierten Satz: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Damit traf von Weizsäcker den Nerv des empfundenen Problems und seiner möglichen Lösung. So gibt es Historiker, die der Ansicht sind, die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen sei geradezu der Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland und damit zugleich ein Grundthema aller schulischen Bildung.

Doch die deutsche Geschichte ist nur ein Grund für die hohe Konjunktur der Kategorie „Erinnerung“. Die neue Aufmerksamkeit für die Kraft der Erinnerung zeigt zugleich, dass eine Gesellschaft unter den Bedingungen des Innovationszwangs so von ihren symbolischen Ressourcen lebt, dass sie diese verschleißt und sich darum der eigenen Substanz neu zu vergewissern sucht. Bekannt ist die Tatsache, dass die unsicher gewordene Moderne, die man einige Zeit lang mit dem Begriff der „Postmoderne“ belegt hat, nicht nur traditionskritisch ist, sondern auch traditionsbedürftig.5 Die Postmoderne verbraucht Tradition. Das damit beschriebene Dilemma besteht aber darin, dass sich eine tragende Erinnerung im Sinne von lebendiger Tradition nicht nach der Logik der Innovation herstellen lässt. Die biblische Tradition wurde ja nur deswegen zur lebendigen Tradition, weil sie primär nicht Tradition sein wollte, sondern aktuelle Existenzdeutung, Orientierung und strukturierende Lebensform. Besonders der Begriff der „Erinnerungskultur“ droht dem Missverständnis zu erliegen, Erinnerung lasse sich absichtsvoll „kultivieren“.

 

Zugang zur eigenen Lebensgeschichte finden

Pädagogik und Religionspädagogik haben die kategoriale Bildung von Menschen im Blick, die sich im Wechselspiel von bildenden Inhalten und Gestalt annehmender Subjektivität einstellt. Vielfach ist dabei von Autonomiezuwachs die Rede, und darin besteht in der Tat ein subjektives Bedürfnis der Lernenden und ein objektives Erfordernis allen Unterrichtens. Ein nicht naiver, sondern aufgeklärter Autonomiebegriff aber hat immer auch die Einsicht in das Vermittelte der eigenen Autonomie zu erschließen.6 Die Einsicht in die Prägung durch die eigene Lebensgeschichte, in die damit gegebenen Möglichkeiten und Begrenzungen, macht einen großen Teil der Bildung einer realitätsbezogenen Autonomie aus. Erst wer mit den eigenen Prägungen durch Eltern und Milieu nicht mehr hadert, sondern sich davon so unterscheidet, dass die eigenen Wurzeln zugleich bewahrt werden, hat eine entspannte und produktive Autonomie gewonnen.

Erik H. Erikson hat die Aussöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte als die abschließende Aufgabe menschlicher Identitätsbildung im hohen Lebensalter beschrieben und das damit gegebene Spannungsfeld als „Integrität gegen Verzweiflung und Ekel“ bezeichnet.7 Da bekanntlich die späteren Lebensphasen schon in früheren Entwicklungsphasen aufscheinen, ebenso wie die kindlichen Krisen das Jugendalter mitbestimmen, kann man sagen, dass das Erinnern ab dem Jugendalter erlernt werden muss, um im Erwachsenenalter Entwicklungschancen jenseits des Haderns mit der eigenen Lebensgeschichte, frei von „Verzweiflung und Ekel“, zu ermöglichen. Anhand von autobiographischen Beschreibungen können schon Jugendlichen Modelle von Rekonstruktion und Konstruktion von Lebensgeschichten präsentiert werden, so dass sie Einsicht in den eigenen Umgang mit der Lebensgeschichte gewinnen können.

Das Beste, was ich dazu in letzter Zeit – wenn nicht überhaupt jemals! – gelesen habe, ist Hanns Josef Ortheils autobiographischer Roman „Die Erfindung des Lebens“.8 Für den Unterricht ist der Roman wegen seines Umfangs von fast 600 Seiten eher nicht geeignet, aber das Entstehen von Welterschließung, Sprach- und Erinnerungsfähigkeit versetzt jeden pädagogisch interessierten Menschen in Spannung von Anfang bis Ende. Was die Einsicht in die Entwicklung der menschlichen Symbolisierungsfähigkeit in Sprache, Musik und Religion angeht, habe ich aus diesem Buch mehr gelernt als aus mancher gelehrten Abhandlung.

 

Funktionen von Erinnerung durchschauen und kritisieren

Was am Modell der eigenen Lebensgeschichte einsichtig wurde, kann in anderer und übertragener Weise auch im kulturellen und geschichtlichen Zusammenhang deutlich werden. Die gegenwärtige Geschichtsdidaktik versteht sich so vor allem als Wissenschaft, die die Einsicht in den rekonstruktiven Charakter von Geschichtsmodellen ermöglichen soll, so dass sie sich selbst als „Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ definiert.9 Religionspädagogisch gehört dazu auch die Kirchengeschichtsdidaktik, die etwa im Zusammenhang des Erinnerungsjahres 2017 das geschichtliche (Re-)Konstruieren aufzeigen kann: Die Erinnerung an 1517 führte 1817 zur Kirchenunion in Preußen, fiel 1917 in den sich abzeichnenden Umbruch der Zeiten und ist gegenwärtig auch eine Auseinandersetzung um die Definition des konfessionellen, des deutschen und des europäischen Selbstverständnisses. Auch die starke These, dass es sich bei der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen um die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik handelt,10 kann in diesem Zusammenhang über die eigene Geschichte aufklären. Gerade diese Metaperspektive entlastet Schülerinnen und Schüler von der immer wieder empfundenen Nötigung zur „Opfererinnerung“.11 Ein entscheidender Beitrag des Religionsunterrichts zur Erinnerungsbildung wird dann selbstverständlich darin bestehen, dass der RU das biblische Gedenken und Hoffen verstehen hilft.12 Darüber hinaus aber bietet auch der kirchliche Zeichenbestand ein wichtiges Lernfeld, weil er die biblische Form des Erinnerns lebendig hält.

 

Wieder holen: Erinnerung verstehen durch Liturgie13

Die Liturgie bietet besondere Lernchancen, die sogar über ihren eigentlichen Inhalt, den dargestellten Glauben an den dreieinigen Gott, hinausgehen und den Vollzug menschlicher Freiheit und Gebundenheit erschließen können. Das Funktionieren von Liturgie eröffnet Einsicht in die Struktur von Sinndeutung, Erinnerung und Zeitlichkeit. Liturgie ist Vergegenwärtigung durch Wiederholung des Vergangenen als einer aktuell bestimmenden Realität, die Zukunft eröffnet. Das Vergangene wird wieder hervorgeholt und als etwas Neues betrachtet, genauso wie das geschieht, wenn man alte Fotos auf dem Dachboden wiederfindet und beim gemeinsamen Betrachten die Familiengeschichte neu erzählt und entstehen lässt. Dabei wird Altes wieder geholt und Neues und bisher Fremdes in die eigene Erzähltradition hineingeholt. Bekannt ist auch der Umstand, dass man sich bei manchen Einzelheiten unsicher ist, ob es sich um eigene Erinnerungen oder um Erinnerungen an das in der Familie immer wieder Erzählte handelt. Wenn etwas erinnernd wieder hervorgeholt wird, ist es zugleich neu und vertraut.

Dieser Zusammenhang ist gemeindepädagogisch aus der Tauferinnerung bekannt. Tauferinnerung erschließt die Wurzeln des eigenen Lebens im mehrfachen Sinne und steht in einem ähnlichen Zusammenhang wie die Lektüre von Dokumenten aus der eigenen Familiengeschichte und der Besuch von Wohnorten der eigenen Eltern oder Großeltern. Auch dabei erfahren wir, was wir sind und was uns prägt, obwohl wir es selbst nicht erlebt haben. Erinnerung holt Bekanntes wieder hervor und lebt zugleich aus dem Traditionsbestand von Familie und Freunden, Gesellschaft und Kirche.

In der gefeierten Liturgie wird das Geglaubte gegenwärtig durch die gemeinsame Aufführung anwesender Menschen, z.B. durch den Schall der Stimmen beim Gesang des Eingangsliedes, durch den Weg der Predigerin zur Kanzel und durch den Gang der Gemeinde zur Kommunion. Im Vergleich zum Lesen bedeutet die rituelle Darstellungsform immer zugleich eine Intensivierung durch leiblich vermittelte Zeichen und eine zeitliche Verflüchtigung: Der vom Chor gesungene Psalm z.B. setzt meinen Körper – buchstäblich – in Resonanz und verklingt dann wieder. Damit besteht die Kraft des Rituals auch darin, die Zeitlichkeit aller Erinnerung deutlich werden zu lassen.

Damit erschließt das Ritual im Allgemeinen und die Liturgie im Besonderen eine Grundgegebenheit der conditio humana, nämlich die Struktur der menschlichen Freiheit zwischen Autonomie und Gebundenheit, wie sie in der Überlagerung von Konstruktion und Rekonstruktion gegeben ist.

 

Anmerkungen

  1. Michael Meyer-Blanck, Maske und Angesicht – Klang und Resonanz. Zu einer Religionspädagogik der Person, in: ZPT 59 (2007), 225-234 im Anschluss an Peter Biehl, Die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Problem der Bildung, in: ders., Erfahrung, Glaube und Bildung. Studien zu einer erfahrungsbezogenen Religionspädagogik, Gütersloh 1991, 124-223: „Subjekt muss der Mensch im Prozess seiner Bildung erst werden, Person ist er immer schon. Bildung ist also Folgephänomen des Personseins. […] Er ist als Person mehr als die Summe dessen, was er im Prozess der Bildung aus sich machen kann.“ (156f., dort kursiv) 
  2. Paul Ricœur, Zeit und Erzählung, Bd. 3, München 1991, 311, dort kursiv. 
  3. Dazu ausführlich Michael Meyer-Blanck, Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik, Rheinbach 22002, das Kapitel „Zeichen und Subjekt“ (135-177). 
  4. Dazu s. Dorothea Glöckner, Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis, Berlin / New York 1998 (Kierkegaard Studies, Monograph Series 3). Glöckner bezieht sich auf Kierkegaards Schrift: Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie von Constantin Constantius (1843). Bei Kierkegaard steht die „Wiederholung“ für den Neubeginn als „Wiederholung des Individuums in einer neuen Potenz und für ein neues Dasein“ (Glöckner 5f.), so dass die Wiederholung „das höchste Interesse der Freiheit“ darstellt (1). 
  5. Albrecht Grözinger, Die Kirche – ist sie noch zu retten? Anstiftungen für das Christentum in postmoderner Gesellschaft, Gütersloh 1998, 78-83. 
  6. Das zeigen im Übrigen auch die entwicklungspsychologischen Beschreibungsmodelle, die den Weg von der absoluten Heteronomie des Kleinkind- und der vermittelten Heteronomie des Kindesalters über die unvermittelte Autonomie des Jugendalters bis zur vermittelten Autonomie des Erwachsenenalters nachzeichnen. 
  7. Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze, Frankfurt / Main 1973 [amerik. 1959], 118-120. 
  8. Hanns Josef Ortheil, Die Erfindung des Lebens, München 62011 [2009]. Das Buch beginnt mit dem Kapitel „Das stumme Kind“ (9-131) und endet mit 1 Kor 13,13 als Postskriptum (591). Besonders eindrücklich ist auch das liturgische Lernen in der Kindheit beschrieben (54ff.; 181), wobei dem Roman – im Übrigen besonders auch eine Hommage an das Klavier – jeder frömmelnde Ton fehlt. 
  9. Bernd Schönemann, Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Hilke Günther-Arndt (Hg.), Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2003, 11-22: 11. 
  10. Dazu vgl. Moshe Zuckermann, Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands, Göttingen 1998 mit der These, dass jede Gesellschaft die Erinnerung an die Vergangenheit für die eigenen Interessen instrumentalisiere. 
  11. So wird die Wiedergabe von Schülervoten durch eine Gymnasiallehrerin zitiert von Otmar Fuchs / Bernd Janowski, Vorwort, in: Die Macht der Erinnerung (Jahrbuch für Biblische Theologie, JBTh 22 [2007]), Neukirchen-Vluyn 2008, V-IX: V. 
  12. Dazu s. den Beitrag von Bernd Schröder in diesem Heft. 
  13. Zum folgenden Abschnitt vgl. ausführlich Michael Meyer-Blanck, Liturgie als Erinnerungsform, in: Die Macht der Erinnerung (s. Anm. 11), 361-379.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2012

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