Gerechtigkeit Gottes? – Die Theodizeeproblematik im Film „Adams Äpfel" - Ein kompetenzorientierter Unterrichtsversuch in der Sekundarstufe I/II

von Martina Brenneisen

 

Die hier vorgestellte Unterrichtsreihe „Menschen im Leid und der Glaube an Gott“, innerhalb derer die Arbeit mit dem Film „Adams Äpfel“ (DK 2006) im Vordergrund steht, versucht im Besonderen die Kriterien eines kompetenzorientierten Unterrichts zu berücksichtigen und anzuwenden. Inhaltlich steht im Zentrum dieser Reihe, die in einer 10. Klasse eines Gymnasiums durchgeführt wurde, die Beschäftigung mit der Frage nach dem Leiden in der Welt und dem Buch Hiob sowie die Thematisierung der Hiob-Problematik und der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Film.

 

Die Theodizeefrage im Unterricht

Die Frage nach Gott und dem Leid ist, wenn sie den christlichen Glauben betrifft, eine der schwierigsten und auch forderndsten Fragen. Leidvolle Erfahrungen sind nicht etwas, das lediglich Erwachsene trifft, sondern sie betreffen Kinder und Jugendliche gleichermaßen. Sie erleben zum Beispiel Leistungsdruck, Einsamkeit, Scheidung, Krankheit und Tod. Kinder und Jugendliche sind heute „der vollen Härte und Wucht jener Erfahrungen ausgesetzt, die Erwachsene an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln lassen oder stumpf und indifferent werden lassen“.1

Besonders in der Phase der frühen Adoleszenz ist das Theodizeeproblem eine fundamentale Glaubensfrage von Jugendlichen. Nipkows Ausführungen zufolge ist die Enttäuschung darüber, dass Gott unverschuldetes Leiden zulässt, die wohl „erste und wahrscheinlich größte Schwierigkeit in der Gottesbeziehung überhaupt“.2 Da die Frage nach Gott und dem Leid folglich eine Frage ist, die Kinder und Jugendliche elementar angeht, muss sich der Religionsunterricht dieser Frage annehmen. Schließlich gehört es auch zu einer reifen Gottesbeziehung „mit Gott zu hadern, bis hin zum Zweifel an seiner Güte, ja bis zu seiner Existenz.“3

Das neue Kerncurriculum weist hinsichtlich des inhaltsbezogenen Kompetenzbereichs „Gott“ für den Doppeljahrgang 9/10 das Leitthema „Glaube – Erkenntnis – Zweifel“ aus. Hier heißt es: „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Anfragen an den Glauben an Gott auseinander und reflektieren im Hinblick auf die Theodizeefrage […] das christliche Gottesverständnis als eine lebensdienliche und sinnstiftende Form der Lebensgestaltung und der Weltdeutung.“ Zudem ist auf den prozessbezogenen Kompetenzbereich „Urteilskompetenz – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen“ zu verweisen. So sollte in dieser Unterrichtseinheit nämlich hauptsächlich die prozessbezogene Kompetenz „Zweifel und Kritik an Religion artikulieren und ihre Berechtigung prüfen“ gefördert werden, die dem oben genannten Kompetenzbereich zu zuordnen ist.4

 

Kurzcharakteristik des Films „Adams Äpfel“

Filme sind ein unverzichtbarer Teil unseres Kulturlebens und stellen einen wesentlichen Aspekt der Lebenswelt Jugendlicher dar. Dementsprechend sollte ein Religionsunterricht, der Schüler und Schülerinnen ernst nimmt und ihnen Religion in ihrer Lebenswelt erfahrbar machen möchte, das Medium Film zum Gegenstand des Religionsunterrichts machen.

Der Film „Adams Äpfel“, der unter anderem den Kulturpreis dänischer Pastoren gewonnen hat, ist als eine „bissige Komödie mit Tiefgang über menschliche Schwächen, göttliche Willkür und die Frage, wie viel Güte ein Mensch ertragen kann“, zu beschreiben.5

Adam, ein aus dem Gefängnis entlassener Neonazi, kommt zur Resozialisation zum Landpfarrer Ivan. Im dänischen Nirgendwo soll Adam zurück ins gesellschaftliche Leben finden, dazu soll er eine selbst gewählte Aufgabe erfüllen. Er erklärt Ivan, er wolle einen Apfelkuchen backen mit den Äpfeln des Baums aus dem Pfarreigarten. Fortan sind die Äpfel im Garten „Adams Äpfel“.

Ivan, auf den ersten Blick ein tatkräftiger, frommer und barmherziger Mann, beherbergt noch zwei weitere Straffällige: den arabischen Tankstellenräuber Khalid und Gunnar, einen Alkoholiker und Triebtäter. Ivan ignoriert die Verfehlungen seiner Schützlinge und versucht überall das Gute zu sehen. Er selbst hat in seinem Leben viel Leid erfahren müssen und ist der Meinung, dass alles Schlechte, das ihm widerfahren ist, eine Prüfung des Satans sei. So auch seine eigene Krankheit – er leidet unter einem Gehirntumor. Adam bemerkt bald, dass sich Ivan über die Tragödien seines Lebens belügt und sich vor der Realität verschließt, indem er sein Leid und das anderer Menschen nicht zulässt, sondern es kategorisch leugnet.

Nach der Lektüre des Hiobbuches konfrontiert Adam Ivan mit der Aussage, sein Leiden rühre daher, dass Gott ihn hasse. Ivan, der vorher jeden Gedanken daran, dass Gott für sein Leiden verantwortlich gemacht werden könne, im Keim erstickt hat, verfällt in tiefe Depressionen, auch deshalb, weil er damit rechnen muss aufgrund seiner Krankheit sterben zu müssen. Inzwischen ist Adam in eine neue Rolle geschlüpft: Er übernimmt in der Wohngemeinschaft die Verantwortung, nachdem er erkannt hat, dass Ivans Optimismus und seine Fürsorge für die Männer fehlen. Bald taucht Adams frühere Neonazi-Clique auf und es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der sich ein Schuss löst, der Ivan trifft. Nur ein Wunder kann den Pfarrer noch retten. Am Ende des Films haben sich Adam und Ivan soweit angenähert, dass sie ein Team bilden, um gemeinsam Straffällige zu resozialisieren.

 

Theologische Aspekte des Films

„Adams Äpfel“ ist nicht als moderne Verfilmung der Geschichte Hiobs zu verstehen. Vielmehr ist der Film ein „Kommentar“ zum Hiobbuch, indem er das Thema auf vielfältige Weise „aufgreift, konterkariert und befragt“.6

Analogien zwischen dem biblischen Text und dem Film sind zum einen im Charakter der Hauptfiguren festzustellen: Die Lebens- und Leidensgeschichte von Ivan und Hiob weist wesentliche Berührungspunkte auf. Beide Männer werden als fromm und rechtschaffen beschrieben und müssen im Laufe ihres Lebens schwere Schicksalsschläge erdulden. Doch anders als Hiob leugnet Ivan mit aller Macht das Böse und versucht stattdessen nur das Gute zu sehen. So unterscheiden sich die beiden Figuren zum anderen besonders im Umgang mit ihren persönlichen Leiderfahrungen. Während Hiob seine Klage vor Gott bringt und sich nicht bereit zeigt, die Erklärungsversuche seiner Freunde zu akzeptieren, versucht Ivan mit aller Macht, sein Leid zu verdrängen. Hiob beklagt die schmerzlichen Verluste, die er erlitten hat, und fragt Gott nach dem Grund für sein Leiden. Anders Ivan: Für ihn liegen die Ursachen des Leidens nie bei Gott. Der Pfarrer zweifelt nicht an den göttlichen Attributen Barmherzigkeit und Güte, Gott ist stattdessen „immer auf seiner Seite“. Für Hiob hingegen besteht die Möglichkeit, dass Gott sein Leiden verhindern könnte (Hi 3,20-23), auch wenn der Auslöser für sein Leiden, so stellt es die Rahmenhandlung des Hiobbuches dar, eine Wette zwischen Gott und Satan ist. Im weiteren Verlauf des Hiobbuches aber spielt der Teufel als Auslöser des Übels keine Rolle mehr und Hiob wendet sich klagend an Gott. So stellt sich ihm die Frage nach dem Verhalten Gottes angesichts des menschlichen Leidens: Hiob formuliert das Theodizeeproblem folgendermaßen: „Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf das Licht, und es kam Finsternis“ (Hi 30,26). In der Schlüsselszene des Films erklärt Adam Ivan das Verhalten Gottes so: Ivans Leiden seien nicht als Prüfung des Satans zu verstehen, sondern sie seien ein Zeichen der Verachtung Gottes.7 Gott sei nicht auf Ivans Seite, so Adam, Gott interessiere sich nicht einmal für ihn. Adam führt Ivan das Theodizeeproblem schonungslos vor Augen, indem er dem Pfarrer zu verstehen gibt, dass an der Güte und Barmherzigkeit Gottes gezweifelt werden kann. Ivans Lebenswille scheint gebrochen.

Doch sowohl für Ivan als auch für Hiob wendet sich das Blatt: Beide Figuren sind am Ende ihrer Geschichte mit Gott versöhnt. Ivan ist auf wundersame Weise von Gott geheilt worden und auch Hiob wird endlich für seine Treue belohnt, indem er seinen Besitz und seine Gesundheit zurückerhält und Gott ihn mit Kindern und einem langen Leben segnet. Ivan zeigt sich am Ende des Films wieder als Optimist, obgleich er auch gemäßigter erscheint als zu Beginn.8 Auch Adam ist „erlöst“: Er hat sich zum Guten bekehrt und arbeitet mit Ivan eng zusammen. Dieser scheint ein Stück weit Adams realistische Sichtweise adaptiert zu haben, Adam hingegen scheint von Ivans Menschenliebe und seinem Vertrauen in Gott „angesteckt“ worden zu sein. Sogar er, der große Skeptiker Adam, hat erkannt: Trotz aller Einwände und Zweifel ist der Glaube an Gott nicht sinnlos.

 

Kriterien eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts in Anwendung auf die Unterrichtsreihe

Kompetenzorientierung in Bezug auf die durchgeführte Unterrichtsreihe heißt, dass zu Beginn der Planung nicht danach gefragt wurde, welche konkreten, die Theodizeefrage betreffenden Ansätze oder Argumente die Schüler und Schülerinnen kennen lernen, sondern welche Kompetenzen in Auseinandersetzung mit dem Thema vorrangig gefördert werden sollten.

Da es „keine Kompetenz ohne Performanz“ gibt, muss kompetenzorientierter Religionsunterricht „Handlungssituationen zum didaktischen Ausgangspunkt des Lernens“ machen. Zu Beginn der Planung muss sich die Lehrkraft also fragen, welche spezifischen „Herausforderungen, Fragen, Aufgaben und Probleme“ sich ergeben.9 Konkretisiert auf die Unterrichtsreihe heißt das: Die Lehrkraft sollte sich darüber im Klaren sein, welche Bedeutung die jeweilige Kompetenz und das Thema für die Lebensgeschichte der Schüler und Schülerinnen haben könnten.

Wie bereits angeklungen, ist die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes für Jugendliche in der frühen Adoleszenz von besonderer Brisanz, da sich an ihr oftmals Glaube oder Nicht-Glaube entscheidet. Auch wenn manche Jugendlichen noch keine leidvollen Erfahrungen machen mussten, die in ihnen etwaige Zweifel an der Güte oder auch Existenz Gottes ausgelöst haben könnten, so werden sie früher oder später solche Erfahrungen machen, die zu den beschriebenen Konsequenzen führen könnten. Die Anbahnung und Förderung der Kompetenz „Zweifel und Kritik an Religion artikulieren und ihre Berechtigung prüfen“ ist folglich für alle Schüler und Schülerinnen von Belang.

Um ein „Lernen fürs Leben“ zu initiieren, sollten die „Gegenstände des Religionsunterrichts mit dem Vorwissen und Interessen der Schüler, ihren Erfahrungen und ihrer Lebensgeschichte“ vernetzt werden.10 So sollten Schüler und Schülerinnen zunächst das Theodizeeproblem bewusst wahrnehmen und es von ihrem Standpunkt aus sprachlich angemessen darstellen. Es gilt sich bewusst zu machen, dass Leiden ein genuin menschliches Gefühl ist, das sich für den Einzelnen durch individuelle Erfahrungen manifestiert. In Auseinandersetzung mit anderen werden Schüler und Schülerinnen sodann herausgefordert, ihre Sichtweise argumentativ darzustellen und auf kritische Nachfragen zu reagieren. Kompetenzen sollen Schüleraktivität auf verschiedenen Niveaus ermöglichen; Kompetenzerwerb zeigt sich darin, dass zunehmend komplexere Aufgabenstellungen gelöst werden können. Progression bezüglich der Kompetenzentwicklung zeigt sich auch darin, den eigenen Standpunkt zu verlassen und die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes aus einer Perspektive, die nicht die eigene ist, zu betrachten.

Kompetenzorientierter Unterricht ist schülerorientierter Unterricht, bei dem die Selbsttätigkeit und Handlungsorientierung im Vordergrund stehen. Hinsichtlich der methodischen Entscheidungen sollte berücksichtigt werden, dass diese den „Prozesscharakter“ des Lernprozesses verdeutlichen. So betont zum Beispiel die Methode „Rollenspiel“, die auch in der Unterrichtseinheit Verwendung gefunden hat, mehr den Arbeitsprozess denn das Ergebnis.11 Die Lernenden sind hierbei herausgefordert, einen „eigenen“ Lösungsweg zu finden und sich zwischen den Möglichkeiten zu entscheiden.

 

Unterrichtsintentionen

Ziel der Reihe ist es, vor allem die Kompetenz „Zweifel und Kritik an Religion artikulieren und ihre Berechtigung prüfen“ in Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Theodizee und in der Auseinandersetzung mit „Adams Äpfel“ zu fördern. Diese Kompetenz ist, wie erwähnt, auf verschiedenen Niveaus zu definieren.

Die erste Niveaustufe besteht in der Wahrnehmung und Beschreibung etwaiger Zweifel und Kritik, die sich im Hinblick auf die Frage nach Gott und Leid ergeben können. Es geht darum, für die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Anbetracht des Leids auf der Welt sensibel zu werden. Es gilt zu erkennen, wie sich Zweifel und Kritik in Bezug auf das Gottesbild oder den Glauben angesichts dieser Frage äußern können (zum Beispiel „Warum lässt Gott so etwas zu?“). Diejenigen, die diese Fragen bereits in den Unterricht „mitbringen“, sollen dafür sensibilisiert werden, dass etwaige Zweifel nicht in der Negierung der Existenz Gottes oder in Nicht-Glauben münden müssen. Im Vergleich zum erst genannten Punkt stellt dieser eine Progression innerhalb der ersten Niveaustufe dar.

Die zweite Niveaustufe zielt darauf ab, die Zweifel, die sich aus der Theodizeeproblematik ergeben, wie zum Beispiel die Frage nach der Liebe oder der Gnade Gottes, im Horizont der biblischen Tradition zu verstehen und zu deuten. Biblische Antwortversuche im Umgang mit der Theodizeeproblematik sollen nachvollzogen werden, zum Beispiel anhand des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Für diese Unterrichtsreihe ist m. E. auch entscheidend, dass die Schüler und Schülerinnen den Standpunkt der Hauptfiguren Adam und Ivan einnehmen und erläutern können.

Die Stufe 3 nimmt Bezug auf die Handlungsform „Performanz“ und meint die Ausgestaltung des (fremden) Standpunktes.

Auf der vierten Niveaustufe geht es darum, in Interaktion mit der Lerngruppe über die Theodizeeproblematik ins Gespräch zu kommen, den eigenen Standpunkt darzustellen, kritisch nachzufragen und abzuwägen.

Die fünfte Stufe beschreibt eine potenzielle Entscheidungsfindung, nachdem die Schüler das Theodizeeproblem von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet haben und die jeweilige Sichtweise beurteilt haben. Jedoch ist das Erreichen dieser Stufe am Ende dieser Reihe meinerseits nicht intendiert, geht es doch für die Schülerinnen und Schüler zunächst vorrangig darum, den jeweils anderen Standpunkt einzunehmen, nachzuvollziehen und die Einstellungen und Haltungen die Theodizeefrage betreffend abzuwägen.

Prozessbezogene Kompetenzen müssen durch inhaltliche Kompetenzen konkretisiert werden.12 So können die Schülerinnen und Schüler am Ende der Unterrichtsreihe…

  1. … die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Anbetracht leidvoller Erfahrungen als eine Grundfrage menschlichen Seins wahrnehmen.
  2. … sich in leidvolle Situationen einfühlen und mögliche Fragen nach dem Sinn und den Ursachen menschlichen Leidens erläutern.
  3. … ihre Auffassung von den Ursachen, den Bedingungen und dem „Sinn“ menschlichen Leidens darlegen und erläutern.
  4. … erklären, dass der Begriff „Theodizee“ die Frage nach der Rechtfertigung Gottes im Angesicht menschlichen Leidens beschreibt.
  5. … sich mit verschiedenen (biblischen) Sichtweisen über die Ursachen, die Bedingungen und den Sinn menschlichen Leidens auseinandersetzen und diese erläutern.
  6. … biblische Beispiele für den Umgang mit erfahrenem Leid benennen und sich mit diesen Beispielen kritisch auseinandersetzen.
  7. … Fragen, die sich aus der Theodizee heraus über das Wesen Gottes ergeben, erschließen.



Unterrichtsbausteine

Die Durchführung der Reihe setzt die Kenntnis des Films nicht voraus, dieser wird im Unterricht in Sequenzen gesehen. Auch deshalb ist es von Vorteil, Doppelstunden zur Verfügung zu haben.


1. Doppelstunde:
Einstieg in die Unterrichtseinheit – Was uns Menschen leiden lässt
Die erste Doppelstunde dient der Annäherung an die Thematik „Leiden“. Anhand einer Bildbetrachtung und -deutung von Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“, in dem menschliche Grenzerfahrungen wie Angst oder tiefe Verzweiflung zum Ausdruck kommen, werden die Schüler und Schülerinnen für die Thematik „Menschen im Leid“ sensibilisiert. Die Lernenden werden angeleitet die Perspektive der Hauptfigur des Bildes einzunehmen, um einen inneren Monolog oder Bewusstseinsstrom zu verfassen. Diese methodische Vorgehensweise ermöglicht es, den abstrakten Begriff „Leid“ durch persönliche Erfahrungen zu konkretisieren. Danach wird den Schülern und Schülerinnen die Gelegenheit gegeben, ihren individuellen Standpunkt bezüglich der Thematik „Menschliches Leiden und Gott“ deutlich zu machen. Der Begriff Theodizee wird thematisiert und erläutert. So werden in dieser Stunde die inhaltsbezogenen Kompetenzen 1, 2 und 7 gefördert, die die Stufe 1 der prozessbezogenen Kompetenz konkretisieren.
 

2. Doppelstunde:
Biblische Erzählungen zum Leid – Eine Annäherung an das Buch Hiob
Ziel ist es, die Rahmengeschichte des Hiobbuches kennenzulernen und die Schüler und Schülerinnen dazu zu befähigen, den Inhalt desselben wiedergeben zu können. Dieser Schritt ist vor der Arbeit mit dem Film notwendig, um Ivans Geschichte mit der Hiobs vergleichen zu können und von Beginn an die religiöse Dimension des Films zu verdeutlichen. Die zuvor definierte prozessbezogene Kompetenzstufe 2 wird in dieser Doppelstunde so angebahnt und gefördert.

Die Erarbeitungsphase findet in Gruppen statt. Das vorrangige Ziel dieser Erarbeitungsphase ist es, mit arbeitsteiligen Schwerpunkten die Rahmengeschichte des Hiobbuches zu erarbeiten. Hier bietet sich das Erbauen von Standbildern an.

In dieser Doppelstunde beginnt auch die Arbeit mit dem Film „Adams Äpfel“. Ein weiteres Stundenziel ist es, wesentliche Informationen zum filmischen Plot, wie dem Ort und der Zeit der Handlung sowie den Hauptfiguren zu erarbeiten.
 

3. Doppelstunde:
Figurencharakterisierung – Ivans Leidensgeschichte sowie Adams Weltsicht herausarbeiten
Der Schwerpunkt dieser Doppelstunde liegt darauf, die beiden Hauptfiguren Adam und Ivan zu charakterisieren. Die Schüler und Schülerinnen sollen herausarbeiten, wie Ivan sein Leiden wahrnimmt und wie er damit umgeht bzw. wie Adams Ivans Verhalten einschätzt und wie er dessen Glauben beurteilt. Auf diese Weise wird die Kompetenzstufe 2 gefördert, wobei nunmehr der Fokus nicht auf Hiob und seinem Umgang mit dem Theodizeeproblem liegt, sondern auf den Hauptfiguren des Films.

Um später eine Rollenbiographie anfertigen zu können, sollen die Schüler und Schülerinnen bestimmte Informationen, die sie während des Sehens erhalten, schriftlich festhalten. Anhand von Einfühlungsfragen beantworteten sie aus der Sicht ihrer Figur Fragen zu ihrer Vergangenheit, zu einschneidenden Erlebnissen sowie Fragen zu ihrem Glauben (M 1). Den eigenen Standpunkt zu verlassen und die Perspektive eines anderen einzunehmen, gelingt mithilfe dieser Methode und trägt somit zum Kompetenzerwerb bei (vgl. Kompetenzstufe 3).
 

4. Doppelstunde:
Ist Ivan der moderne Hiob? – Das Schicksal Ivans und Hiobs vergleichen
In dieser Stunde geht es im Wesentlichen darum, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Ivan und Hiob herauszustellen, die sich im Hinblick auf den Umgang mit ihrem Leid zeigen. In der Erarbeitungsphase arbeiteten die Schüler und Schülerinnen anhand ausgewählter Szenen heraus, wie Ivan Gott und Satan versteht, wie er sein persönliches Leiden und das Leid anderer Menschen wahrnimmt und auf welche Art und Weise er damit umgeht.

Außerdem ist es wichtig, Adams Kritik an Ivans Glauben und dem Umgang mit seinem Leiden herauszustellen. Die Schlüsselszene des Films wird gesehen. Es soll betont werden, dass Adam Ivan die Theodizeefrage vor Augen führt, indem er die Gleichgültigkeit Gottes als Ursache für Ivans Leiden benennt.
 

5. Doppelstunde:
„Adam, Gott ist bei mir!“ – Ein Streitgespräch vorbereiten
Die Doppelstunde dient der Vorbereitung und Durchführung eines „Runden Tisches“ zum Thema „Ist Gott ge­recht?“. Diese Stunden berücksichtigten die Kriterien eines kompetenzorientierten Unterrichts im Besonderen, da sich die Methode „Rollenspiel“ einerseits durch die hohe Selbsttätigkeit der Lernenden auszeichnet und sie mehr den Prozesscharakter denn den Ergebnischarakter des Unterrichts betont. Andererseits greifen beim Rollenspiel „kognitiver, sprachlich-kommunikativer, methodischer und sozialer bzw. personaler Bereich in besonderer Weise ineinander“.13 In „Workshops“ erarbeiten die Schüler und Schülerinnen gruppenweise die Position der ihnen zugeteilten Figur. Die hohe Schüleraktivität und Offenheit des Unterrichtsgeschehens tragen dazu bei, dass die Kompetenzstufen 1 bis 4 in dieser Doppelstunde insgesamt gefördert werden.
 

6. Doppelstunde:
Dem Leiden zum Trotz glauben – Adams verändertes Gottesbild wahrnehmen
Die Schüler und Schülerinnen erhalten drei Zitate, die inhaltlich die Theodizeefrage aufgreifen (M 2 a-c). Schließlich wird die Schlüsselszene des Films noch einmal gesehen sowie das Ende des Films (der Dialog „Adam und Ivan in der Kirche“ ist als Text M3 als PDF abrufbar. In einem anschließenden Gespräch wird Adams Veränderung zunächst beschrieben, die sich in seinem äußeren Erscheinungsbild und vor allem auch in seinem Verhalten Ivan gegenüber zeigt. Zudem werden die Gründe für Adams Veränderung diskutiert. Hierzu können zum Beispiel Schreibgespräche geführt werden, die durch den Impuls „Adam ist verändert, weil…“ angeleitet werden. In der Schlussszene des Films singt Adam das Lied „How deep is your love“ mit. In einer weiteren Erarbeitungsphase stellen die Schüler und Schülerinnen die Bedeutung des Liedes für den Film heraus, indem sie diskutierten, was es bedeutet, dass Adam am Ende des Films das Lied mitsingt und wer für Adam bzw. Ivan der besungene „Retter“ sein könnte. In den Gesprächsphasen sollte die Lehrkraft möglichst nur als Moderator agieren, sodass das Gespräch offen für Schülerantworten auf verschiedenen Kompetenzniveaus bleibt. 

M 1: Eine Rollenbiographie zu Ivan Fjelsted verfassen 

Im Folgenden sollst du eine Rollendarstellung schreiben. Dafür nimmst du die Perspektive der Figur ein und schreibst einen zusammenhängenden Text in der Ich-Form. Dabei sollst du die unten stehenden Fragen beantworten, du kannst aber auch über sie hinausgehend aufschreiben, was du sonst noch für wichtig erachtest. Auch bist du nicht gezwungen, jede Frage zu beantworten. Nimm zum Schreiben deine Beobachtungsnotizen zu Hilfe.

Fragen zur Einfühlung

  • Wie ist dein Name? Wie alt bist du?
  • Wo lebst du? Wo liegt deine Wohnung?
  • Mit wem wohnst du dort? Lebst du mit deiner Familie zusammen? Wie stehst du zu deiner Familie?
  • Wie sieht dein Alltag aus?
  • Mit welchen Menschen hast du oft zu tun?
  • Wo arbeitest du und wie lange? Was bedeutet dir die Arbeit? Welche Tätigkeiten sind dir wichtig? Welche Arbeit macht dir Spaß, welche nicht und warum?
  • Was machst du in deiner Freizeit? Was ist deine Lieblingsbeschäftigung?
  • Gibt es bestimmte Personen, die du magst? Warum? Hast du viele Freunde?
  • Wie siehst du dich selber? Was magst du an dir? Was nicht? Wie sehen dich die anderen? Gibt es etwas, das dich zurzeit besonders beschäftigt? Was?
  • Welche Ereignisse haben dich besonders geprägt?
  • Hast du einen Glauben? Wenn ja, wie stellt der sich dar?
  • Welche Dinge beschäftigen dich gegenwärtig am meisten?

  

M 2a

Gott ist stark, aber seine Stärke ist anders, als die Macht der Menschen. Seine Kraft beendet das Leid in der Welt nicht, aber sie verändert es: Gott ist immer auf der Seite derer, denen Leid und Unrecht geschieht, die unter der Macht der Menschen leiden! So sind wir auch im größten Leiden nicht allein, nicht gottverlassen!

(nach Rainer Oberthür: Kinder fragen nach Leid und Gott, München 1998, S. 127.)

 

M 2b 

Wir können Gott nicht verstehen und können das Leid nicht erklären. Die Unbegreiflichkeit des Leidens ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes. So wissen wir nicht, warum Gott das Leiden zulässt, wir müssen aber Gott danach fragen und können uns auch bei ihm beklagen!

(nach Rainer Oberthür: Kinder fragen nach Leid und Gott, München 1998, S. 127.)

 

M 2c 

Nur wer mit Gott ringt, wer fragt, wer klagt, wer schreit, wer ihn auch in der Dunkelheit sucht, kann ihn finden. Nur im Anreden Gottes, nicht im Reden über Gott, ist der Mensch ihm nah. Menschen wie Hiob haben dann erfahren: Gott ist nicht Antwort auf alle Fragen, sondern eher die ganz große Frage unseres Lebens, an der festzuhalten lebenswichtig ist.

(nach: Wolfgang Wieland: Wie kann Gott dies nur zulassen? – Ijob, unermessliches Leid und
wir, online verfügbar unter www.dioezesanbildungswerk.de/Ijob%20und%20das%20Leid.pdf [08.07.2009])

 

Anmerkungen

  1. Vgl. Bernd Dressler: Über die Sinnlosigkeit des Leidens – Religionspädagogische Erwägungen über Sinnsuche und Leiderfahrungen von Kindern und Jugendlichen, Loccumer Pelikan 1/1996, S. 11.
  2. Vgl. Karl Ernst Nipkow: Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, München 1987, S. 89.
  3. Vgl. Bernd Dressler: Über die Sinnlosigkeit des Leidens (siehe Anmerkung 1), S. 11.
  4. Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium: Anhörfassung Februar 2009, Kerncurriculum für das Gymnasium Schuljahrgänge 5-10, Evangelische Religion, online verfügbar unter http://www. nibis.ni.schule.de/~sts-sz/religion/Kerncurriculum.pdf (30.05.09), S. 20, das Zitat zum Kompetenzbereich Gott S.14.
  5. Vgl. http://www.adams-aepfel.de/press.html (05.04.2008).
  6. Vgl. Dietmar Adler: Filmeinführung Adams Äpfel, online verfüg­bar unter www.amiscara.hkdserver.de/amiscara/download.php?id =665 (02.02.2008).
  7. Vgl. (auch im Folgenden) Katholisches Filmwerk: Arbeitshilfen Adams Äpfel, online verfügbar unter www.materialserver.film werk.de/Arbeitshilfen/adamsaepfel_ah.pdf (19.01.2008).
  8. Vgl. ebd.
  9. Vgl. Hartmut Lenhard: Kompetenzorientierung? – Neuer Wein in alten Schläuchen, Loccumer Pelikan 3/2007, S. 6.
  10. Vgl. ebd., S. 8.
  11. Vgl. Gerhard Ziener: Bildungsstandards in der Praxis, Seelze-Velber 2006, S. 33 ff. Vgl. ebd., S. 78, S. 75.
  12. Die folgenden Kompetenzen sind zwar selbst formuliert, decken sich aber (mit Ausnahme der Kompetenzen Nr. 4 und 7) inhaltlich mit den ersten drei inhaltsbezogenen Kompetenzen des Bereiches Gott (9/10) des KC (siehe Anm. 4), S. 14.
  13. Vgl. Ziener, a.a.O., S. 87.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2009

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