Mit Jona nach Gott fragen - Durch den Umgang mit einer biblischen Geschichten die Fragehaltung der Kinder fördern

von Christine Labusch und Beate Peters

 

Vorüberlegungen zum Umgang mit dem Kerncurriculum in der GS

Um Kindern im Sinne der didaktischen Leitlinien des Kerncurriculums die Möglichkeit zu geben, eine Fragehaltung zu entwickeln, sollten Fragen im Religionsunterricht ausdrücklich unterstützt und das gemeinsame beständige Suchen nach Antworten sollte zu einem Unterrichtsprinzip werden. Deshalb sollten Schülerinnen und Schüler immer wieder dazu herausgefordert werden, Verbindungen zwischen biblisch-christlichen Inhalten und ihren Erfahrungen herzustellen bzw. alters angemessene Deutungsversuche vorzunehmen. Wenn Lehrerinnen und Lehrer bewusst das Anliegen verfolgen, bei den Kindern eigene Ideen, Gedanken und Fragen hervorzulocken, dann impliziert das auch eine Akzeptanz der unberechenbaren und unerwarteten – ja vielleicht manchmal abwegigen – Beiträge im Unterricht.

Der spezifische Gegenstand des Unterrichts, die Welt der biblischen Geschichten und der christlichen Überlieferungen, eröffnet das große Feld, in dem sich die inhaltsbezogenen Kompetenzen entwickeln und zeigen können. Gleichzeitig bereitet der Unterricht einen Boden, auf dem sich Facetten von religiöser Bildung entwickeln, die mehrdimensional, auf weiteren Ebenen angesiedelt sind. Diesen Gedanken nehmen die prozessbezogenen Kompetenzen auf: Verstehen und Deuten, Wahrnehmen und Beschreiben, Kommunizieren und Teilhaben, Gestalten und Handeln. Sie greifen verschiedene Aspekte der Kompetenzen religiöser Bildung auf, die neben kognitiven Anteilen auch kommunikative und kreative Aspekte sowie die religiöse Praxis in den Blick nehmen.

Die Entwicklung entsprechender Kompetenzen ist nachweislich nicht nur von Methoden und Medien abhängig, sondern von einer vertrauensvollen Atmosphäre im Unterricht und vom Beziehungsgefüge zwischen Lehrenden und Unterrichteten. Jenseits der Überprüfbarkeit und des Überprüfungsdrucks weiterhin diese Ebene im Blick zu behalten, ist nicht nur für den Grundschulbereich, sondern für alle Schulformen von großer Bedeutung.

Für die Methoden und Arbeitsformen des Unterrichts heißt dies, dass sie anregend und vielfältig sein, aber immer in Hinblick auf das in ihnen vorhandene Potenzial zur Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Inhalt ausgewählt werden sollten.

 

Der Kompetenzbereich des Kerncurriculums: Nach Gott fragen

Sowohl im ersten und zweiten als auch im dritten und vierten Schuljahr drücken sich in den angestrebten inhaltlichen Kompetenzen drei wesentliche Aspekte der Frage nach Gott aus:

  • die Frage nach Gottesvorstellungen im biblischen Kontext,
  • die Frage nach eigenen Gottesvorstellungen,
  • die Frage nach Gott als Ansprechpartner und Adressat religiöser Ausdrucksformen.

Bei der Gestaltung des Unterrichts ist zu bedenken, inwiefern die in biblischen Geschichten vermittelten Gottesvorstellungen mit den jeweils eigenen Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler ins Gespräch gebracht werden können. Im Rahmen des Grundschulunterrichts hat es sich, nicht zuletzt aus entwicklungspsychologischen Gründen, bewährt, mit Kindern aus der Perspektive von biblischen Figuren heraus Gedanken zu entwickeln und schwerpunktmäßig in der Ebene der jeweiligen Geschichte zu bleiben. Aus der Perspektive von Figuren heraus oder im Dialog mit ihnen können Kinder tiefsinnige Gedanken entwickeln, die durchaus relevant für ihre eigene Lebenswelt sind. Je nach den jeweiligen kognitiven Fähigkeiten der Kinder kann schließlich am Ende von Unterrichtssequenzen direkter die Alltagswelt angesprochen werden, was aber nicht zu oberflächlichen Lippenbekenntnissen führen, sondern die authentische Auseinandersetzung ermöglichen sollte.

 

Vom Kerncurriculum zur unterrichtlichen Umsetzung

Anhand des folgenden Unterrichtsbeispiels soll exemplarisch in einem kleinen Ausschnitt entfaltet werden, wie diese Vorüberlegungen in die praktische Umsetzung münden können.

Ausgehend von der Leitfrage des Kerncurriculums „Nach Gott fragen“ nehmen wir exemplarisch einen Ausschnitt der Jona-Erzählung „unter die Lupe“ und fragen:

  1. Welches Potenzial steckt in diesem Abschnitt der biblischen Erzählung, um Kindern möglichst vielfältige Zugänge zum Fragen nach Gott zu ermöglichen?
  2. Welche unterrichtspraktischen Entscheidungen können dem Kompetenzerwerb der Kinder dienen und eröffnen durch diese Sequenz das Fragen nach Gott?

 

Unterrichtspraktische Ideen

Der Textausschnitt
Das Unterrichtsbeispiel bezieht sich auf den Textausschnitt Jona 1,4-2,11. Beschrieben wird in diesem Abschnitt die Szene, in der Jona mit den Seeleuten auf dem Schiff ist, der Sturm sich erhebt, Jona über Bord ins Meer geworfen wird, vom Fisch verschluckt wird und dort zu Gott betet. Der Textausschnitt erscheint deshalb als besonders geeignet, weil das Fragen nach Gott in unterschiedlichen Erfahrungszusammenhängen und aus unterschiedlichen Perspektiven anschaulich dargestellt werden kann:

  • Gott gibt Jona einen Auftrag.
  • Gott ist im „Hintergrund“, während Jona vor ihm flieht.
  • Gott spricht mit Jona.
  • Die Schiffsleute schreien „ein jeder zu seinem Gott“.
  • Jona ist innerlich befasst mit „seinem Gott“ in sehr konträren Lebenssituationen: als Fliehender, als Bedrohter, als Hoffender, als Mutiger, als Verzweifelter, als …


Durch das wechselvolle Schicksal von Jona ergibt sich quasi im Hintergrund ein ebenso wechselvolles und facettenreiches Gottesbild:

  • Gott, der herausfordert,
  • Gott, der fern ist und mit Ängsten betrachtet wird,
  • Gott, der Hilfe schickt,
  • Gott, der unsichtbar und sichtbar an der Seite von Jona ist,
  • Gott, der stärkt und stützt.

 

Die Unterrichtsschritte
In den einzelnen Unterrichtschritten werden Erzählabschnitte jeweils verbunden mit dem Anliegen, „nach Gott zu fragen“. Dieses „Fragen“ kann dadurch geschehen, dass Kindern Raum gegeben wird, ihre jeweiligen situativen Fragen und Gedanken zu äußern. Darüber hinaus kann es auch dadurch angeregt und unterstützt werden, dass Impulse und Fragen der Unterrichtenden zum Nachdenken herausfordern und so ggf. Fragen ermöglichen. Gleichzeitig werden Erschließungswege gewählt, die sowohl kognitiv als auch handlungs- und erfahrungsorientiert ausgerichtet sind.

 

Erster Erzählabschnitt:
Jona und die Matrosen auf dem Schiff; der Sturm erhebt sich.


Mögliche Fragen:

  • Was denken die Schiffsleute, was jetzt passiert?
  • Was geht ihnen durch den Sinn?
  • Was rufen sie zu ihrem Gott? (Gebete)
  • Was geht Jona durch den Sinn?
  •  Was sagt/fragt Jona Gott?

 

Zweiter Erzählabschnitt:
Die Matrosen werfen Jona ins Meer. Jona wird vom Fisch verschluckt. Er sitzt im Fischbauch.

Mögliche Aufgaben, Fragen, Impulse:

  • Betrachtung der Radierung „Jona im Fisch“

– Was ist auf dem Bild zu sehen?
– Nimm die Körperhaltung ein, die Jona dort zeigt.
> Wie fühlst du dich in deinem Körper?
> Welche Gedanken/Fragen kommen dir in dieser Haltung?

  • Eine Fotokopie der Radierung wird an jedes Kind verteilt, dazu eine leere Gedankenblase.

– Was denkt Jona?
– Wie denkt Jona über Gott?
– Was sagt Jona zu Gott?

  • Jedes Kind erstellt eine kleine Papierfigur als Symbol für sich selbst. (Alternative: Jedes Kind erhält einen Klebepunkt).

– Wo bist du auf dem Bild: im Fisch, im Meer, auf dem Schiff, an Land? (Figur oder Klebepunkt wird auf der eigenen Kopie aufgeklebt)
 

  • Die einzelnen Standpunkte werden zu einem Szenenbild zusammen gefügt:

– In einem möglichst freien Raum wird der Fisch dargestellt: Decken, Tücher, „Höhlen“-Bauelemente.
– Ggf. unterstützt eine CD mit Herzschlag-Rhythmus die Vorstellung vom Innenraum des Fisches.
– Im Außenbereich des Fisches wird an Wasser erinnert, dargestellt durch Folien, blaue Tücher, Wassergeräusche, …
– Im Wasser stellen Stühle, Tische und andere Bauelemente das Schiff dar.
– In der Ferne, evtl. am Rand des Raumes wird das Ufer, das Land Ninive durch einfache Requisiten angedeutet.
 

  • Die Kinder werden aufgefordert, sich in die Szene einzufühlen und einen Standort auszuwählen.

– Such dir deinen Platz, wo du jetzt sein möchtest.
– Nimm deinen Platz ein.
– Welche Körperhaltung passt hier?
– Schau dich um, wo die anderen sind. Wen kannst du sehen/hören? Wen nicht? (Evtl. mehrere Positionen ausprobieren)

 

  • Die Lehrerin führt Interviews mit den Kindern durch.

– z.B.: Wer bist du?
– Wie geht’s dir hier?
– Was ist hier passiert?
– Was denkst du, wird als nächstes passieren?
– Was denkst du: Wo ist Gott? Was wünschst du dir von Gott?

 

  • Die Lehrerin fotografiert jedes Kind an seinem Ort.

– Das Foto wird in die Radierung eingeklebt (Fotomontage).
– Aufgabe: „Schreibe einen Text zu diesem Bild.“
> Schreibe Gedanken, die du an diesem Ort auf dem Bild hast, auf; oder:
> Schreibe einen Bericht für die Zeitung; oder:
> Schreibe ein Lied, ein Gebet oder einen Brief.

 

  • Die folgenden Fragen könnten als weiterer Gesprächsimpuls bzw. Anregung zum Schreiben dienen:

– Angenommen, der Fisch ist ein Geschenk, das Gott Jona geschickt hat – Was wollte Gott für Jona tun? Was kann Jona jetzt, im Fischbauch erleben?

 

Dritter Erzählabschnitt:
Der Fisch spuckt Jona aus an Land

Die Szene nach dem Wendepunkt in Jonas Verhalten kann genutzt werden, um Kindern durch eher offene Aufgabenstellungen Möglichkeiten anzubieten, eigenständig und kreativ Ideen zur Deutung zu entfalten. Dabei spielt nicht nur die Wiederholung eine Rolle, sondern vielmehr die Herausforderung, Jonas mögliche Situation und Befindlichkeit zu assoziieren und auf Gott hin zu deuten. Dadurch können Kinder bereits erworbene Kompetenzen einsetzen und zeigen, gleichzeitig sind sie aber auch angeregt, Kompetenzen weiter zu entwickeln.


Mögliche Impulse:

  • Jona sitzt an Land und denkt darüber nach, was er mit Gott erlebt hat…

– Wenn er ein Bild dazu malen sollte, dann würde das so aussehen: …
– Wenn er Gegenstände aus der Natur oder aus dem Klassenraum sammeln würde, könnte er solch ein Bodenbild legen: …
– Wenn er ein Lied oder ein Gedicht erfinden sollte, dann würde das so klingen: …
– Wenn er mit Musikinstrumenten und Klängen erzählen sollte, dann würde das so klingen: …
– Wenn Jona einem anderen Menschen Gott beschreiben sollte, der nichts über Gott weiß und ihn noch nie erlebt hat, dann würde er das über Gott sagen: …

Wenn die Kinder im Rahmen der Jona-Geschichte aus der Perspektive der Figuren heraus über Gott nachgedacht haben, kann am Ende der Geschichte die Möglichkeit genutzt werden, aus der Ebene der Geschichte herauszugehen und auf einer Meta-Ebene weiter nachzudenken. Dabei könnte zunächst gemeinsam bedacht werden, warum Menschen die Geschichte von Jona weitererzählt haben und was sie damit vielleicht über Gott sagen wollten und wollen. Evtl. kann die Möglichkeit für die Kinder eingeräumt werden, auszudrücken oder zu gestalten, was Menschen heute mit Gott erleben. Dabei können sich die Kinder entweder auf mögliche persönliche Erfahrungen oder auf Erfahrungen anderer beziehen. – Mögliche offene Fragen nach Gott und Mensch könnten sichtbar schriftlich festgehalten werden und im weiteren Unterricht wieder aufgegriffen werden.

Wenn in einer Unterrichtssequenz zur Jonageschichte dementsprechend gearbeitet wird, können sich durch Fragen und Gedanken der Kinder die für die Frage nach Gott angestrebten inhaltsbezogenen Kompetenzen entwickeln bzw. zeigen. In Bezug auf die prozessbezogenen Kompetenzen werden insbesondere das Verstehen und Deuten sowie das Kommunizieren und Teilhaben angebahnt.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2009

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