Zwischen Reglementierungs-Skepsis und Reform-Euphorie – Das neue Kerncurriculum Evangelische Religion für die Grundschule in Niedersachsen

von Ingrid Wiedenroth-Gabler

 

Momentaufnahmen: Wird jetzt alles ganz anders?

1. Szene:
„Na, da habt ihr uns ja schön was eingebrockt!“ In der Stimme meiner Freundin, einer engagierten Religionslehrerin, schwingt ein vorwurfsvoller Unterton mit, nur leicht durch ein Augenzwinkern abgemildert. Zunächst ratlos angesichts eigener Unschuldsgefühle, ahne ich bald, dass es um das neue Kerncurriculum für den Ev. Religionsunterricht in der Grundschule geht, bei dem ich als Vertreterin der Fachwissenschaft und -didaktik Ev. Religion beratend mitgewirkt habe. So berichtet die Freundin von anstrengenden nachmittäglichen Fach-Konferenzen, bei denen die zum Schuljahr 2006/07 probeweise implementierten Kerncurricula nun in schuleigene Pläne umgesetzt werden müssen. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen stellten sich die Frage, warum die bewährten Rahmenrichtlinien nicht weiter Gültigkeit haben können, anstatt nun aktionistisch als Resultat der PISA-Hysterie die Kollegien mit einer Fülle von Innovationen und Anforderungen zusätzlich zum harten Unterrichtsalltag zu belasten.


2. Szene:
Auf einer Konferenz von Fachseminarleiterinnen und -leitern für Ev. Religion kommt Kritik aus der entgegen gesetzten Richtung: Angesichts der hohen Erwartungen, die sich im Zuge intensiver bildungspolitischer Diskussionen mit der Neufassung von Curricula verbunden hätten, wird der Entwurf eher skeptisch enttäuscht beurteilt. Man könne hier nicht von einer wirklichen Neuorientierung sprechen, geschweige denn von einem großen Wurf, der umfassende Perspektiven für religiöse Bildung in der Grundschule vermittle. So äußert denn auch eine Teilnehmerin den Verdacht, es handle sich hier nur um den Versuch, alte Inhalte in ein neues Konzept – ein so genanntes Kompetenzmodell – zu bringen, mit anderen Worten: alten Wein in neue Schläuche zu füllen. Eher disparat wird die mögliche Auswirkung auf Religionslehrkräfte eingeschätzt: Während einige vermuten, diese würden aufgrund der allzu vielen Vorgaben und der Stofffülle in ihrer Planungsfreiheit und Subjektorientierung erheblich eingeschränkt, rechnen andere mit Orientierungslosigkeit und Überforderung gerade für fachfremd unterrichtende Religionslehrerinnen und -lehrer, da eine systematische Auflistung von Unterrichtseinheiten fehlen.


3. Szene:
In einer religionspädagogischen Lehrveranstaltung am Seminar für Ev. Theologie und Religionspädagogik setzen sich Studentinnen des Lehrer-Masters mit dem neuen Kern-Curriculum im Fach Ev. Religion auseinander. Sie finden die Orientierung an inhaltsbezogenen und prozessbezogenen Kompetenzen einleuchtend, loben die Systematik der sechs Leitfragen, da sich diese auf ihr theologisches Studium gut beziehen lasse und entwickeln erste Vorstellungen, wie sich daraus schulstufenbezogene Lehrpläne entwickeln ließen.

Diese Erfahrungen mögen beispielhaft verdeutlichen, welche Erwartungen und gleichzeitig auch Befürchtungen sich mit der Einführung des neuen Kerncurriculums verbinden: Einerseits die Hoffnung, ein möglich vollständiges praxistaugliches Konzept für die Erteilung von gutem Religionsunterricht zu erhalten. Andererseits die Sorge, Bewährtes aufgeben zu müssen, durch neue Anforderungen überlastet oder durch allzu rigide Vorgaben in seiner individuellen Freiheit beschnitten zu werden. Gerade der letzte Punkt wird von Lehrkräften im Fach Religion besonders vehement ins Feld geführt. Häufig wird auf die Besonderheit des Faches verwiesen, das ja innerhalb des hektischen, leistungsorientierten Schulalltags spezifische Räume der Muße, Entschleunigung und Selbstbesinnung biete und sich radikal eher situativ an den Bedürfnissen der beteiligten Subjekte zu orientieren habe als an Lehrplanvorgaben. Dazwischen stehen junge angehende Religionslehrkräfte, die orientierende Rahmenbedingungen mit der Chance eigener religionspädagogischen Entscheidungen im Hinblick auf Inhalt, Medien und Methoden verbinden möchten.

Es soll im Folgenden nicht darum gehen, die curricularen Vorgaben gegen Kritik oder Anfragen zu verteidigen, sondern darum, den bildungspolitischen Hintergrund zu skizzieren, den Entstehungsprozess und die Strukturierung zu spiegeln sowie mögliche Schwächen, aber auch Chancen für die Gestaltung eines gelungenen Religionsunterrichts in der Grundschule auszuloten.




Rückblick: Das Kerncurriculum als Resultat bildungspolitischer Innovationsbemühungen


PISA und die Folgen – auch für den Religionsunterricht?
Natürlich steht die Neufassung der Kerncurricula in Niedersachsen auch in Verbindung mit der durch den PISA-Schock ausgelösten Bildungsdiskussion. Man kann verstehen, dass gerade die in der Praxis tätigen Lehrerinnen und Lehrer mittlerweile allergisch darauf reagieren. Während die PISA-Studie gerade die strukturellen Schwächen des deutschen Schulsystems als erheblich für die Leistungsergebnisse der Schülerschaft eingestuft hat, entsteht vielfach der Eindruck, vornehmlich die Qualität des Unterrichts und damit die mangelhafte Qualifikation der Lehrkräfte sei dafür verantwortlich, so dass stärkere staatliche Steuerungs- und Qualitätssicherungsmaßnahmen in Form von Evaluationen und Schulinspektionen nötig seien.

In der Tat hat sich ja in Folge der 2001 veröffentlichten Ergebnisse – häufig als nationale Bildungskatastrophe bewertet – eine hektische bildungspolitische Betriebsamkeit entwickelt: Im Zusammenhang mit der Forderung nach Vergleichbarkeit und Verbindlichkeit schulischer Anforderungen beschließt die Kultusministerkonferenz 2002, in den Kernfächern nationale Bildungsstandards zu entwickeln, die in dem so genannten Klieme-Gutachten differenziert begründet und entfaltet werden. Daraufhin legen die Kultusminister fest, ab 2004/05 länderübergreifend für die Fächer Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache Bildungsstandards einzuführen.

Niedersachsen hat den Innovationsprozess engagiert mit vollzogen, wie sich auf den Seiten des Bildungsservers NiBiS feststellen lässt: Neben „Einheitlichen Prüfungsanforderungen“ für das Abitur (EPA), Zentralabitur, verbindlichen Bildungsstandards für Deutsch, Mathematik und Englisch sind nun in der Grundschule für alle Fächer innerhalb eines bemerkenswert kurzen Zeitraums Kerncurricula entwickelt worden. Grundsätzlich richten sich die bildungspolitischen Innovationen darauf, durch die Festlegung von Standards stärker auf die vergleichbaren Lernergebnisse zu fokussieren und damit von der „Input-Orientierung“ zur „Output-Orientierung“ zu gelangen.

Wie bereits angeführt, resultiert daraus für die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen ein erheblicher Mehraufwand an Planung, Beratung und Kooperation, aber auch Unsicherheit, angesichts anstehender Evaluationen durch Schulinspektoren bestehen zu können.

Für Religionspädagoginnen und -pädagogen verstärkt sich dieser Stress mitunter: stehen sie doch in vielen Schulen unter erheblichem Legitimationsdruck, ihr mit hohem Organisationsaufwand verbundenes Fach angesichts zunehmender religiöser Pluralität und abnehmender konfessioneller Zugehörigkeit der Lernenden einfordern und verteidigen zu müssen.

Bei allen Aversionen, die der Hinweis auf PISA auslöst: Wir Religionspädagoginnen und -pädagogen können aus der Studie durchaus Kapital ziehen. Das mag befremdlich klingen, da ja bekanntlich nur Lesekompetenz, die mathematische und die naturwissenschaftliche Kompetenz abgetestet wurden. Was hat PISA also mit Religion zu tun? Dazu lassen sich die bildungstheoretischen Grundlagen heranziehen. Demnach zielt schulische Bildung auf die Entfaltung unterschiedlicher Modi des Weltverstehens, die nicht gegeneinander austauschbar sind. Demnach geht es in der Schule um die „Orientierungswissen vermittelnde Begegnung mit kognitiver, moralisch-evaluativer, ästhetisch-expressiver und religiös-konstitutiver Rationalität“1. Nach Jürgen Baumert und den anderen Pisa-Fachleuten werden diese unterschiedlichen „Modi des Weltverstehens“ in je eigenen fachlichen Bereichen wirksam: „Kognitiv-instrumentell“ in Mathematik und den Naturwissenschaften, „ästhetisch-expressiv“ in Sprache, Literatur, Musik und Kunst, „normativ-evaluativ“ in Geschichte, Ökonomie und Politik sowie „religiös-konstitutiv“ in Religion und Philosophie.2 Man kann also daraus durchaus die Konsequenz ziehen, dass religiöse Bildung nach PISA unabdingbar in die Schule gehört und damit einen Beitrag zur Allgemeinbildung in ihrer Ausdifferenzierung nach den Formen der Welterfahrung leistet.


Begriffsklärung: Kompetenzen, Bildungsstandards, was bedeutet das eigentlich?
Auf der Basis dieser bildungstheoretischen Optionen fordert das Klieme-Gutachten, ausgehend von Bildungszielen fachspezifische Kompetenzmodelle zu entwickeln, die sich in jeweiligen Bildungsstandards konkretisieren. Angesichts der Begriffsvielfalt erscheint eine genauere Klärung der Begrifflichkeiten wie „Bildungsstandards“ und „Kompetenz“ sinnvoll:

Nach dem Klieme-Gutachten konkretisieren Bildungsstandards die Bildungsziele und legen fest, welche Kompetenzen, Schülerinnen und Schüler in einem bestimmten Fach zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben haben müssen. Weitere Kennzeichen von Bildungsstandards sind Knappheit, Verständlichkeit, Realisierbarkeit sowie Verbindlichkeit und Kumulativität.

Bildungsstandards geben an, welche fachspezifischen Kompetenzen und Teilkompetenzen Schülerinnen und Schüler am Ende eines Ausbildungsabschnittes erworben haben sollen.
Angesichts der vielfältigen Konnotationen von „Kompetenz“ hat man sich in der Diskussion weitgehend auf den Begriff von Franz E. Weinert festgelegt.

Demnach sind Kompetenzen die „bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volutionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“3

Hervorzuheben ist dabei, dass nach Weinert dabei nicht – wie aus der Berufspädagogik bekannt – allgemeine Kompetenzen mit einer Differenzierung nach personaler, fachlicher, sozialer und methodischer Kompetenz intendiert werden, sondern diese Kompetenzen im Hinblick auf einen bestimmten Gegenstandsbereich, also fach- oder domänenspezifisch zu entfalten sind. Es geht also zunächst um bereichsspezifische Leistungserwartungen, die in einem übergreifenden Diskurs zweitrangig auf allgemeine Bildungsziele bezogen werden können. Damit ist die Fachdidaktik gefragt, fachspezifische Inhalte und methodische Zugänge und Kategorien auszuweisen, damit Schülerinnen und Schüler zu dieser intendierten komplexen Problemlösefähigkeit als Resultat von Lernprozessen gelangen. Hier kann nun die Frage akzentuiert werden, ob sich der Religionsunterricht einer Standardisierung und Kompetenz- Orientierung und damit dem bildungspolitischen Mainstream anschließen oder entziehen sollte.


Religiöse Kompetenz: Anpassung an den bildungspolitischen Zeitgeist?
Bei allen berechtigten Hinweisen auf die prinzipielle Unverfügbarkeit von Bildungsprozessen um des Subjektes (und auch um Gottes!) Willen sowie auf ein konstruktivistisches Lernverständnis, das die aktive Selbstkonstruktion des Subjektes akzentuiert, kann sich die Religionspädagogik nicht leisten, aus der Kompetenzdebatte auszusteigen. Im Gegenteil: Die zahlreichen Fachtagungen und Fachveröffentlichungen4 der zurückliegenden Jahre zeigen, dass damit ein intensiver Klärungsprozess über das Proprium religiöser Bildung und Kompetenz und gleichzeitig eine intensive fächerübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Fachdidaktiken ausgelöst wurde. Gerade im Hinblick auf die allgemeinen Bildungsziele kann die Religionsdidaktik ihren domänenspezifische Beitrag konturieren und damit Impulse zur bildungstheoretischen Debatte liefern.
Dazu muss aber geklärt werden, was unter „religiöser Kompetenz“ zu verstehen ist, die befähigt, konkrete Anforderungen einer bestimmten Problemkonstellation zu bewältigen.

In der fachdidaktischen Diskussion ist dazu häufig auf die lange vor der Standarddebatte veröffentlichten Ausführungen von Ulrich Hemel zurückgegriffen worden.

Religiöse Kompetenz als Globalziel religiöser Erziehung wird von Hemel folgendermaßen definiert:

„Religiöse Kompetenz ist die erlernbare, komplexe Fähigkeit zum verantwortlichen Umgang mit der eigenen Religiosität in ihren verschiedenen Dimensionen und in ihren lebensgeschichtlichen Wandlungen“.5

Diese allgemeine Kompetenz entfaltet er anhand von fünf inhaltlichen Dimensionen. Sie umfasst 1. religiöse Sensibilität als Fähigkeit, religiöse Wirklichkeit wahrzunehmen, 2. religiöses Ausdrucksverhalten als Handlungsfähigkeit und Befähigung zur Übernahme religiöser Rollen, 3. religiöse Inhaltlichkeit als Aufbau, Klärung und Entfaltung von religiösen Vorstellungen und als Durchdringung und Aneignung religiösen Wissens, 4. religiöse Kommunikation als Erwerb religiöser Sprachkompetenz und religiöser Dialogkompetenz mit Mitgliedern eigener und fremder Religionen sowie als Interaktionskompetenz und 5. religiös motivierte Lebensgestaltung, die in schulischen Lernprozessen lediglich als religiöse Entscheidungskompetenz angebahnt werden kann.

In Auseinandersetzung damit hat der Religionspädagoge Bernd Schröder ein vergleichbares Kompetenzmodellvorgelegt und differenziert dabei nach Deutungskompetenz (eigene Erfahrungen vom christlichen Glauben her deuten und Erzählzusammenhänge der Bibel kennen und auf eigene Lebensorientierung beziehen), Ausdruckskompetenz (alltagsstrukturierende rituelle Vollzüge und gottesdienstliche Vollzüge nachvollziehen und an ihnen teilnehmen), Kommunikationskompetenz (den eigenen Glauben darstellen und argumentativ vertreten können und mit Vertretern anderer Religionen kommunizieren) Reflexionskompetenz (den eigenen Glauben durch Interpretation von christlichen Überlieferungen verstehen und ein Verhältnis zur Kirche gewinnen) sowie ethisch/soziale Handlungskompetenz (auf der Grundlage christlich-ethischer Einsicht verantwortlich handeln).6
Die Experten-Kommission des Comenius-Instituts Münster differenziert in ihrem Modell wiederum nach fünf Dimensionen mit ähnlichen Akzenten: Perzeption als Wahrnehmen und Beschreiben religiös bedeutsamer Phänomene; Kognition als Verstehen und Deuten religiös bedeutsamer Sprache und Glaubensüberzeugungen; Performanz als Gestalten und Handeln in religiösen und ethischen Fragen; Interaktion als Kommunizieren und Beurteilen von Überzeugungen mit religiösen Argumenten und im Dialog sowie Partizipation als Teilhaben und begründen im Sinne begründeter (Nicht-) Teilnahme an religiöser und gesellschaftlicher Praxis.7

Gemeinsam ist allen Modellen, dass sie der Wahrnehmung von Religion eine eigenständige Relevanz zuschreiben und über die kognitiv-reflexive Dimension hinaus auch die Gestalt-Dimension religiöser Praxis sowie die religiös motivierte Handlungsfähigkeit einbeziehen.

Dies entspricht den Intentionen wesentlicher konzeptioneller Entwürfe einer wahrnehmungsorientierten Religionspädagogik mit deren zur Zeit aktuellsten Spielart, dem Modell „Performativer Religionsunterricht“. Darin erhält die Praxisdimension religiösen Lernens entscheidende Bedeutung.8

Obwohl es viele Übereinstimmungen in den Definitionsversuchen von religiöser Kompetenz gibt, die entsprechend Weinerts Kompetenz-Begriff neben Kenntnissen und Fertigkeiten auch Motivationen, Einstellungen und Handlungsbereitschaft beinhalten, richtet sich gerade gegen die geforderte Partizipations- und Teilhabekompetenz erhebliche Kritik. Während manche eine drohende Klerikalisierung des Religionsunterrichts nicht ausschließen, fragen andere kritisch an, wie sich diese Kompetenz denn sinnvoll überprüfen oder evaluieren lässt. Das markiert in der Tat eine offene Fragestellung.

Zusammenfassend lässt sich die produktive religionspädagogische Auseinandersetzung über das Proprium religiöser Bildung im Gesamtzusammenhang gesellschaftlicher Bildungsprozesse anhand der Kompetenzdebatte positiv bewerten. Als starke Einschränkung muss man allerdings den Zeitdruck bewerten, der eine fundierte Diskussion auf den Ebenen von Praxis und Theorie erschwert.



Die Vorgaben des Kultusministeriums

Allgemeines: Was sollen Kerncurricula leisten?

Dem fachbezogenen Kerncurriculum für Ev. Religion gehen allgemeine Informationen zu den niedersächsischen Bildungsstandards voraus. Dabei zeigt sich zunächst eine Diffusität im Hinblick auf die Begriffe „Kerncurricula“ und „Bildungsstandards“. Mit Hinweis auf die Output-Orientierung (Erwerb von gesichertem Verfügungs- und Orientierungswissen) sollen Kerncurricula die Gedanken der Bildungsstandards aufnehmen und durch den Ausweis von fachspezifischen Anforderungen konkretisieren (Kerncurricula, S. 5). Leider unterbleibt eine Definition beider Begriffe, so dass Fragen entstehen: Sind Kerncurricula Konkretionen von Bildungsstandards oder sind Kerncurricula nicht eher Mittel, um Kompetenzen auszubilden, mit denen mögliche Bildungsstandards erreicht werden sollen? Was ist mit den Fächern (wie z.B. Religion), in denen noch keine Bildungsstandards festgelegt worden sind?

Nach diesen ungenügenden Hinweisen taucht nun der Begriff „Kompetenz“ auf. Hinter der summarischen Auflistung von Fähigkeiten, Kenntnissen, Fertigkeiten sowie Bereitschaften und Handlungen lässt sich die Weinert-Definition erahnen, im Folgenden wird in einer differenzierten Auflistung von möglichen Strategien zur Bewältigung von Anforderungssituationen spezifiziert, was unter Kompetenzen zu verstehen ist.

Bei den Hinweisen zum Kompetenzerwerb wird auf Kumulativität, Eigentätigkeit des Subjektes sowie die Verbindung von Wissen und Können fokussiert.

Die grundlegende Struktur der Kerncurricula soll eine Differenzierung von prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzbereichen aufzeigen. Während die prozessbezogenen Bereiche sowohl fachspezifische als auch übergreifende Fertigkeiten, Fähigkeiten, Bereitschaften und Problemlösungsstrategien aufgreifen sollen, gilt für die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche dezidiert das Prinzip Fachlichkeit: Sie sollen das verfügbare Wissen des entsprechenden Faches ausweisen. Gefordert werden die Verknüpfung der Kompetenzbereiche sowie die Förderung von fachbezogenen und übergreifenden sozialen und personalen Kompetenzen. Offenbar verbleibt man an dieser Stelle auf der Ebene von allgemein formulierten wohlmeinenden Postulaten, vielleicht, um die jeweiligen Fächer nicht im Hinblick auf fachspezifische Anforderungsprofile einzuschränken. Zusammenfassend lässt sich zu den allgemeinen Hinweisen des Kerncurriculums anmerken, dass sie implizit die aktuelle bildungstheoretische Terminologie und Zielrichtung aufgreifen, die Begriffe aber nicht hinreichend im Hinblick auf Urheber und Hintergründe erläutern.


Fachdidaktische Konzepte: Warum und wozu Religion in der Schule?
Das sich anschließende fachspezifische Kapitel zum Bildungsbeitrag Evangelische Religion beschreibt sehr zutreffend und pointiert die Rechtsgrundlagen, das Verständnis religiöser Bildung, mögliche Bildungsaufgaben sowie Grundlagen der Konfessionalität als auch der konfessionellen Kooperation. So wird jede Religionspädagogin dem Ansatz zustimmen können, dass Bildung den Aufbau der eigenen religiösen Identität anhand der christlichen Inhalte und Traditionen ermöglichen soll. Die Verschränkung von „Selbstbildung“ und „Gebildet werden“ (S. 7) entspricht sowohl Wolfgang Klafkis Bildungstheorie der wechselseitigen, kategorialen Erschließung von Subjekt und Objekt als auch dem kritischen christlichen Bildungsverständnis, wie es die großen religionspädagogischen Bildungstheoretiker Peter Biehl und Karl Ernst Nipkow entwickelt haben.9 Allerdings hätte man sich bereits an dieser Stelle eine Verschränkung von allgemeinen religiösen Bildungszielen mit dem Modell einer bereichsspezifischen religiösen Kompetenz gewünscht. Hier hätte man verdeutlichen können, wie das unter Abschnitt 3 dargestellte Kompetenzmodell aus der aktuellen religionspädagogischen Debatte um Bildungs-Rahmenziele, Standards und Kompetenzen heraus mit je eigenen Akzenten entwickelt wurde. Das gilt ebenfalls für die unter Abschnitt 2 aufgelisteten didaktischen Leitlinien. Diese akzentuieren die Subjekte des Lehrens und Lernens mit ihren jeweiligen Fragen als Ausgangspunkt der Unterrichtsprozesse. Diese sollen nach dem Prinzip wechselseitiger Erschließung zwischen Subjekt und biblisch-christlicher Tradition entsprechend eines umfassenden Verständnisses von religiösem Lernen und in Auseinandersetzung mit religiöser und kultureller Differenz erfolgen (S. 7f.). Für die Rezipienten des Kerncurriculums wird leider nicht deutlich, warum die herkömmlichen Rahmenrichtlinien mit ihrem unstrukturierten Angebot von 30 munter gemixten Inhaltsbereichen ohne jegliche Systematik abgelöst werden sollen durch kompetenzorientierte Zielvorgaben. Bemerkenswert erscheint mir, dass in der Konzeption der didaktischen Leitlinien (S. 9f.) implizit ein Wechsel hin zu einer subjektorientierten Religionspädagogik vollzogen wird, wie er sich beispielsweise in dem vielfältig rezipierten Konzept „Theologisieren mit Kindern“ realisiert.10

Abschließend sei noch angemerkt, dass das Kerncurriculum explizit an der Konfessionalität des Religionsunterrichts festhält, und zwar einerseits im Hinblick auf die Inhalte und Zielsetzungen und andererseits auf die Religionslehrkräfte. Da Religion nur in konfessionell geprägten Formen wahrnehmbar sei, sollen Schülerinnen und Schüler explizit in ihrer religiösen Herkunft gestärkt werden und in gelebte Religion eingeführt werden. Dies erfordere eine positionelle Gebundenheit der Religionslehrkräfte – verstanden als Bindung und Zugehörigkeit zur Kirche (S. 8). Gefordert werden trotz der Möglichkeiten der konfessionellen Kooperation ein ausgeprägtes evangelisches Profil und Einführung in christliche Glaubenspraxis. Bei konfessionell-kooperativem Religionsunterricht wird auf die notwendige Beachtung konfessioneller Unterschiede hingewiesen. Damit setzt das Kerncurriculum ein deutliches Signal gegen Versuche, das Fach unter der Hand in einen „Religionsunterricht für alle“ oder in „Soziales Lernen“ umzuwandeln.


Kompetenzbereiche: Worauf zielt religiöse Kompetenz in Niedersachsens Grundschulen?
Kommen wir nun zu dem Kompetenzmodell des Curriculums. Nach meiner Einschätzung gelingt es hierbei äußerst stringent, eine theologisch-inhaltliche Systematik mit einer grundlegenden didaktischen Leitlinie und einem prozessorientierten Struktur-Konzept zu verschränken (S. 11). Ausgangspunkt ist hierbei die eindeutige Akzentuierung auf das Subjekt mit seinen Fragen. Diese werden auf die klassischen systematisch-theologischen Topoi bezogen: Gotteslehre, Anthropologie, Christologie, Ekklesiologie sowie auf Ethik, Ökumenische Theologie und Religionswissenschaft.

Die prozessbezogenen Kompetenzen lassen einen Rekurs auf das von Hemel entwickelte Modell der religiösen Kompetenz in ihren unterschiedlichen Dimensionen erkennen. Dadurch, dass im Gegensatz zu anderen Kompetenzmodellen die Dimensionen „Kommunizieren“ mit „Teilhaben“ und „Gestalten“ mit „Handeln“ zu jeweils einer Kategorie zusammengefasst werden, entstehen allerdings nach meiner Ansicht begriffliche Unschärfen. Insbesondere ist unschlüssig, warum zwischen dem „Teilhaben“ als Ausdruck von religiösen Sprachformen einerseits und „Gestalten“ als Möglichkeit religiösen Ausdrucks andererseits eine kategoriale Unterscheidung getroffen wird (S. 12f.). Vermutlich ging es hierbei eher um Übersichtlichkeit und formale Ordnungsprinzipien als um eine inhaltliche Logik.

Gleichwohl kann festgehalten werden, dass in Niedersachsen ein Kompetenzmodell konkretisiert wird, das fachwissenschaftlichen Kriterien ebenso entspricht wie gegenwärtigen religionsdidaktischen und bildungstheoretischen Implikationen.


Konkretionen: Was wird zukünftig im Religionsunterricht der Grundschule von Lehrenden und Lernenden erwartet?
Den speziell für die Religionslehrkräfte bedeutsamsten Teil stellt sicherlich Kapitel 4 mit den erwarteten Kompetenzen im Fach Evangelische Religion dar.

Der Aufbau strukturiert sich anhand der inhaltlichen Bereiche, skizziert zunächst die Leitfrage, listet dann die erwarteten Kompetenzen nach Schuljahrgängen 1./2. und 3./4. differenziert auf und stellt dann tabellarisch die Kompetenzen, Inhalte und Aufgaben zur Überprüfung dar.

Besondere Qualität kann dabei den einleitenden didaktischen Überlegungen zu den Leitfragen zugeschrieben werden. Hier gelingt es außerordentlich präzise, die Lebenswelt der Grundschulkinder zu illustrieren und die daraus resultierenden religiösen Fragen aufzuzeigen.

In den jeweils pro Doppel-Schuljahr aufgelisteten vier Kompetenzen (die Leitfrage „Nach Religionen fragen“ beinhaltet nur zwei bzw. drei Kompetenzen) lässt sich eine Mischung von Inhaltsbezug und Prozess-Orientierung feststellen. Die verwendeten Verben verweisen auf die unterschiedlichen Dimensionen der religiösen Kompetenz: wahrnehmen, deuten, wissen, erkennen, Anteil nehmen, gestalten, beschreiben, teilhaben. Damit wird die geforderte Verknüpfung von inhaltbezogenen und prozessorientierten Kompetenzen im Kerncurriculum bereits aufgegriffen, eine spezifischere Darstellung des religiösen Lernprozesses kann  erst auf der Ebene konkreter Unterrichtsplanung ausgewiesen werden.11

So wird beispielsweise bei der Leitfrage „Nach Gott fragen“ für 1./2. Schuljahr formuliert: „Die Schülerinnen und Schüler können anhand von biblischen Geschichten Gottesvorstellungen benennen und beschreiben“. In der Inhaltsspalte werden exemplarisch Gottesvorstellungen genannt: „Der begleitende, bewahrende, helfende Gott: z.B. Abraham u. Sara, Noah, Josef“ (S. 18). Hieran kann verdeutlicht werden, worin der Unterschied zwischen Kerncurriculum und Stoffverteilungsplan besteht. Die Kompetenzen als Ziele der religiösen Lernprozesse sind festgelegt, die konkreten Lerninhalte, an denen diese Kompetenzen erworben werden sollen, sind fakultativ. Diese müssen von der jeweiligen Lehrkraft nach dem Prinzip der Elementarisierung – elementare Strukturen und Wahrheiten auf der Inhaltsebene; elementare Lernwege, Erfahrungen und Zugänge auf der Seite der Subjekte12 – ausgewählt und didaktisch methodisch aufbereitet werden. Von daher scheint es insgesamt sinnvoll, dass die Kompetenzanforderungen als verbindlich, die Inhalte als Empfehlungen und die möglichen Aufgaben zur Überprüfung als Beispiele ausgewiesen werden (S. 13). Eine Festschreibung der Themen und Bibelstellen würde dem Prinzip der Kompetenzorientierung widersprechen, da hierdurch wieder stärker auf das Input fokussiert wird.



Ausblick: Chancen und Probleme des Kerncurriculums für religiöse Lernprozesse

Kompetenzorientierung: Garantie für einen besseren Religionsunterricht?
Natürlich mag man in Frage stellen, ob die intendierte Kompetenzorientierung eine wirkliche Qualitätssteigerung des Religionsunterrichtes mit sich bringt und innovativ ist. Trotz vieler Unterschiede fühlen sich manche nicht zu Unrecht an die Curriculums-Didaktik von Saul B. Robinson mit den ausgewiesenen Qualifikationen erinnert. Religionspädagoginnen und -pädagogen haben selbstredend die Pflicht, gegen ein reduziertes funktionalistisches Bildungsverständnis die Freiheit der Subjekte und die Offenheit der Bildungsprozesse zu betonen. Bildung ist sicher mehr als Kompetenzerwerb zur Problemlösung. Gleichwohl müssen sie sich auch darüber verständigen, was guter Religionsunterricht ist und was dabei herauskommen soll. Diese Perspektive kann dazu beitragen, die eigenen Unterrichtsmaterialien und Planungen einer kritischen Korrektur zu unterziehen und danach abzuklären, ob sie zum Kompetenzerwerb beitragen. Das Kerncurriculum kann dazu beitragen, dass durch die konsekutive Struktur je nach Klassenstufen differenzierte Lernergebnisse möglich sind, die kumulativ aufeinander aufbauen.


Offenheit der Inhalte: Beliebigkeit oder Gestaltungschance?
Die Sehnsucht nach inhaltlicher Verbindlichkeit mag nachzuvollziehen sein, jedoch stellt sich die Frage, wer denn diesen verbindlichen Kanon festlegen sollte. Die Abkehr von einem materialen Bildungsverständnis in Form eines inhaltlich festgelegten Stoffplans oder Kanons hin zu einer Orientierung an Bildungsstandards und Kompetenzen ist im Moment bildungspolitischer Konsens, wie die neuen curricularen Vorgaben in Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen zeigen. Die in dem Niedersächsischen Kerncurriculum zugrunde gelegte Lehrplansystematik – Orientierung an Kompetenzen und Lernprozessen – verträgt sich nur eingeschränkt mit dem Prinzip der Stofforientierung. Sollten diese aufeinander abgestimmt werden, müsste zunächst ein Konsens über die verbindlichen Lernstoffe im Fach Ev. Religion (Biblische Texte, Lieder, theologische Begriffe, Ereignisse der Kirchengeschichte etc.) im Sinne eines theologischen Bildungskanons festgelegt werden. Dieser lässt sich aufgrund der Pluralität innerhalb der wissenschaftlichen Theologie und innerhalb der religionspädagogischen Fachdidaktik kaum erreichen. Wie bereits erwähnt, rekurrieren die inhaltsbezogenen Kompetenzbereiche auf die Disziplinen der Theologie. Die jeweiligen Teil-Kompetenzen sind dabei explizit inhaltsorientiert, so dass diese durchaus als „Kerninhalte“ definiert werden können und die unter der Spalte „Inhalte“ aufgeführten Lernstoffe als didaktische Anregung verstanden werden sollten. Aufgrund der geforderten Subjektorientierung und der Selbstverantwortlichkeit von Schulen ist eine Festsetzung von restriktiv umzusetzenden inhaltlichen Vorgaben kontraproduktiv. Obwohl selbstverständlich in Religion „Kompetenzen und Kerninhalte wie in anderen schulischen Fächern nachweisbar erworben werden können“ (S. 4), sollten die situativen Bedingungen der Schulen und Klassen, die Lernausgangslagen und der Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler sowie die unterschiedlichen religionspädagogischen Konzepte der Lehrkräfte berücksichtigt werden. Eine Orientierung an fachbezogenen Kompetenzen sichert einerseits Vergleichbarkeit und Zielorientierung des Religionsunterrichts, ermöglicht aber gleichzeitig auch Offenheit der Lernprozesse und individuelle Verantwortung der Unterrichtenden. Keinesfalls sollten diese verpflichtet werden, einen wie auch immer strukturierten und letztlich beliebig begründeten Stoffplan abzuarbeiten. Damit sind hohe Erwartungen an die jeweiligen Fachkonferenzen verbunden, schuleigene Lehrpläne in Verbindung von curricularen Vorgaben und schulischen Bedingungen zu entwickeln. Bei der Festlegung von Unterrichtseinheiten wird vermutlich selbstverständlich auf „klassische“ biblische und theologische Inhalte zurückgegriffen. Es wäre vermutlich hilfreich, wenn ausgehend von den Kerncurriculum Vorschläge zur Strukturierung von schuleigenen Lehrplänen erarbeitet werden. Erste Anregungen liegen dazu aus dem RPI Loccum vor.13 Kompetenzorientierung macht eine weitere empirische Erforschung der entwicklungspsychologischen Grundlagen des Verstehens und der Kompetenzentwicklung erforderlich. Welche biblischen Geschichten werden in welcher Altersgruppe wie rezipiert und eignen sich zur Entwicklung der verbindlichen Kompetenzen? Damit bliebe es in der pädagogischen Selbstverantwortung der Lehrkraft, ob z.B. Gleichnisse aus entwicklungspsychologischen Gründen überhaupt in der frühen Grundschule behandelt werden sollten oder ob dazu nicht andere Geschichten herangezogen werden können, um Jesu Wirken zu zeigen.


Das Profil des kompetenzorientierten Religionsunterrichts – wohin geht die Reise?
Diskussionswürdig erscheint, inwiefern die Kompetenzen die bereichsspezifischen Anforderungen des Faches „Religion“ widerspiegeln und welches Profil von Religionsunterricht sich damit verbindet. Von den insgesamt 45 Kompetenzen weisen 38 einen expliziten christlichen und/oder religiösen Bezug auf. Es handelt sich also um einen christlich profilierten Religionsunterricht weit entfernt von einem allgemeinen Unterricht über Religion. Damit wird ein deutliches Signal gesetzt gegen mögliche Versuche, Religionsunterricht im Klassenverband mit stärker religionskundlichen oder sozialkundlichen Profilen zu etablieren. Gleichwohl sind kritische Stimmen ernst zu nehmen, die auf zunehmende religiöse Pluralität und abnehmende Konfessionalität der Grundschulkinder hinweisen und angesichts geringer religiöser Vorerfahrungen eine stärkere Gewichtung anthropologischer und ethischer Inhalte einfordern. Grundsätzlich gilt: Auf Basis des Kerncurriculums lässt sich ein Religionsunterricht nicht legitimieren, der unter der Hand in Richtung des Fachs „Soziales Lernen“ oder „Werte und Normen“ tendiert, indem beispielsweise das Modell „Faustlos“ unterrichtlich umgesetzt wird. Dennoch lässt das Curriculum durchaus Freiräume, die je nach Lernausgangslage für stärker ethische und anthropologische Fragestellungen genutzt werden können. Darüber hinaus liegen die Chancen des Curriculums gerade darin, dass es dezidiert einen konfessionell-kooperativen Charakter aufweist, da die Kompetenzen für den Evangelischen und Katholischen Religionsunterricht weitgehend übereinstimmen.14 Man mag dies als Chance sehen, trotz bleibender Differenzen nach der gemeinsamen Verantwortung für einen christlich profilierten schulischen Religionsunterricht zu fragen und Formen der Zusammenarbeit zu suchen, ohne die jeweilige konfessionelle Minderheit zu dominieren.


Das Evaluationsproblem: Wie und wodurch können die Kompetenzen überprüft werden?
Die Logik der Kompetenzorientierung zieht natürlich auch die Frage der Evaluierung nach sich. Das Kerncurriculum gibt einige brauchbare Vorschläge zur Bewertung (S. 32). Allerdings spielt die Bewertungsproblematik im Religionsunterricht der Grundschule eher eine nachrangige Rolle. Religionspädagoginnen und -pädagogen sollten selbstbewusst die Chancen ihres Faches zur Persönlichkeitsbildung der Subjekte in den Vordergrund stellen. Die Kompetenzorientierung sollte dazu anregen, die Wirksamkeit der eigenen Unterrichtsplanung und -Durchführung auf Seiten der Unterrichtenden zu überprüfen. Es geht also vorrangig um die Frage, ob der Unterricht erfolgreich war oder nicht und wie sich die Qualität durch Veränderung der Lernarrangements verbessern ließe. So erscheint es sinnvoll, konkrete Beispielaufgaben zu entwickeln, die im Sinne einer Rückmeldefunktion den erwarteten Kompetenzerwerb ermitteln.

 

Fazit

Natürlich kann Kompetenzorientierung keine pädagogischen Heilsversprechen verheißen und das Kerncurriculum kann das Rad der Religionspädagogik nicht neu erfinden, aber es bietet die Chance, das religionspädagogische Handeln anhand konkreter Lernergebnisse genauer zu reflektieren und Vorstellungen von einem guten Religionsunterricht zu entwickeln. Es kann allerdings nur konstruktive Wirkungen haben, wenn Religionslehrerinnen und -lehrer sich offen darauf einlassen, Umsetzungsmöglichkeiten erproben und kritisch auswerten.
Die Sache des Religionsunterrichts ist es allemal wert!

 

Anmerkungen

  1. Baumert, Jürgen, u.a. (Hg.): Pisa 2000 – Basis-Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, Opladen 2000, S. 21
  2. Vgl. Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Kilius, Nelson u.a. (Hg.): Die Zukunft der Bildung, Frankfurt/M. 2002, S. 113.
  3. Weinert, Franz E.: Leistungsmessungen in Schulen, Weinheim/ Basel 2001, S. 27 (Hervorhebungen I.W-G.). „Volutional“ meint „durch den Willen bestimmt“.
  4. Rothgangel, Martin/Fischer, Dietlind (Hg.): Standards für die religiöse Bildung?, Münster 2004; Themenhefte Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 56/2004, Heft 3: Standards, Kompetenzen und Leistungsmessung; Religionspädagogische Beiträge 53/2004: Im Blickpunkt: Standards und Evaluationen religiöser Bildung.
  5. Hemel, Ulrich: Religiöse Kompetenz als Globalziel religiöser Erziehung, Frankfurt/M. 1988, S. 672- 690 (674) (Hervorhebungen I.W-G.).
  6. Schröder, Bernd: Mindeststandards religiöser Bildung und Förderung christlicher Identität. In: Rothgangel/ Fischer a.a.O., S. 13- 33.
  7. Fischer, Dietlind/Elsenbast, Volker (Hg.): Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006, S. 17.
  8. Vgl. dazu Leonard, Silke/Klie, Thomas: Schauplatz Religion. Grun­ dzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig 2003.
  9. Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim/Basel 1985; Biehl, Peter: Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und das Problem der Bildung. Zur Neufassung des Bildungsbegriffs in religionspädagogischer Perspektive, in: ders.: Erfahrung, Glaube und Bildung. Studien zu einer erfahrungsbezogenen Religionspädagogik, Münster 1991, S. 124- 223; Nipkow, Karl Ernst: Bildung in der pluralen Welt; Bd. 1: Moralpädagogik im Pluralismus; Bd. 2: Religionspädagogik im Pluralismus, Gütersloh 1998.
  10. Vgl. dazu Büttner, Gerhard/Rupp, Hartmut: Theologisieren mit Kindern, Stuttgart u.a. 2002 sowie die mittlerweile mehr als 5 Bände umfassende Reihe der Jahrbücher für Kindertheologie von Anton A: Bucher u.a., erschienen in Stuttgart ab 2002.
  11. Vgl. Kraft, Friedhelm/Kuhl, Lena: Vom Kerncurriculum zum schuleigenen Lehrplan. Oder: Aller Anfang ist schwer, in: Loccumer Pelikan 2/2007, 67ff. Hier wird gezeigt, dass eine explizite Ausweisung der prozessbezogenen Kompetenzen erst auf der Ebene der Planung einer Unterrichtseinheit möglich ist.
  12. Der Ansatz wurde von Nipkow und Schweitzer entwickelt, s. dazu zusammenfassend: Schweitzer, Friedrich: Elementarisierung im Religionsunterricht. Neukirchen-Vluyn 2003.
  13. Kraft, Friedhelm/Kuhl, Lena, a.a.O.
  14. Mit Ausnahme des Bereichs über Kirche und Glaube. Hier werden die ekklesiologischen Unterschiede deutlich.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2007

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