Ein anderes Bild vom Islam – oder: Weshalb Schülerinnen und Schüler sich im Abitur mit dem Thema Islam auseinandersetzen sollten

von Beate von der Heide

 

"Als ob der Islam nur aus Kopftuchgebot und Fundamentalismus besteht – diese Themen in den Medien nerven mich. Ich bin froh, dass ich mir jetzt ein besseres Bild vom Islam machen kann." So ein Fazit zum Semesterthema von Philipp, Schüler eines Grundkurses Evangelische Religion des 12. Jahrgangs.

Das Bedürfnis von Philipp, sich "ein besseres Bild" vom Islam zu machen als es häufig medial vermittelt wird, ist löblich. Aber sollte das im Evangelischen Religionsunterricht geschehen? Haben wir nicht schon genug damit zu tun, unsere eigene Religion zu verstehen, sind wir da mit dem Islam nicht überfordert? Und warum den Islam im Zentralabitur, warum nicht andere Weltreligionen wie den Hinduismus oder Buddhismus behandeln? Fünf Aspekte zeigen, dass die Beschäftigung mit der Weltreligion Islam im Evangelischen Religionsunterricht spannend, sinnvoll und wichtig ist:

Es gibt in Deutschland eine große muslimische Minderheit. Meine Schülerinnen treffen in Hannover mit Muslimen zusammen, sie gehen mit ihnen zur Schule, spielen gemeinsam Volleyball, schließen Freundschaften oder erleben persönliche Konflikte. Kenntnisse und davon ausgehend ein Verständnis für die Religion der muslimischen Mitmenschen können die Basis nicht nur für ein tolerantes, sondern für ein freundschaftliches Zusammenleben sein.

Der Islam ist ein Thema der Öffentlichkeit, das häufig negativ, verkürzt oder verklärt, auf jeden Fall wenig realistisch präsentiert wird. Die Kopftuchdebatte zeigt anscheinend eine unterdrückte Frau, der Fundamentalismus die Folgen einer kriegerischen Religion. Auch im Historienschinken "Königreich der Himmel", der zum Ziel hat, die Moslems respektvoll darzustellen, ist Fokus des Films der Kampf mit dem Islam.

Aber nur das Verstehen der historischen Entwicklung des Islam und der Person Mohammeds sowie seiner Botschaft ermöglicht Schülerinnen und Schülern eine tiefere Sicht dieser Religion und verhindert das Entstehen eines Feindbildes.

Wenn sie sich intensiv mit dem Islam beschäftigen, können sie auch das Christentum besser verstehen. Zum Beispiel kann ein Vergleich von Mohammed und Jesus den Erlösungsgedanken im Christentum deutlicher machen. Ziel darf hier nicht die Abwertung des einen zur Aufwertung des anderen sein oder eine banale Harmonisierung zwecks Annäherung. Vielmehr sollten die Eigenarten der Religionen erkannt und jeweils geachtet werden.

Ein vertieftes Verständnis des Islam kann die Angst vor ihm abbauen. Angst beruht oft auf Unkenntnis und führt dann
zu Ablehnung, Aggression oder Angriff zum Selbstschutz. Verstehen Schülerinnen und Schüler den Islam ohne Angst vor ihm zu haben, müssen sie auch nicht ihre eigene Religion angsterfüllt verteidigen.

Im Evangelischen Religionsunterricht soll Toleranz erlernt und geübt werden. Dies bietet sich besonders bei dem Thema Islam an, da eine größere Toleranz ihm gegenüber nicht nur einen besseren Umgang mit Muslimen in Deutschland, sondern auf der Welt insgesamt fördern kann.

Für Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Religionsunterrichts bietet das Thema Islam folglich die Chance mit einer Religion, die für ihre eigene religiöse Identität von Bedeutung ist, in einen spannenden und produktiven Austausch zu treten.

Landesbischöfin Margot Käßmann fordert, dass der Dialog mit dem Islam intensiver werden muss. Sie will erreichen, dass "Brücken zu den Muslimen in Deutschland" gebaut werden.1

Wenn ich "Dialog" mit "miteinander reden" oder "sich austauschen" übersetze, kann ich das nur, wenn ich mein Gegenüber auch verstehe und etwas von ihm weiß. Das erfordert andererseits aber auch Selbstbewusstsein, d.h. Kenntnisse und Verständnis meiner eigenen Identität, in diesem Fall als Christin. Das Thema Islam darf also nicht einseitig mit der Beschäftigung dieser Religion vermittelt werden, sondern verlangt von Anfang an nach seinem intendierten Gesprächspartner, dem Christentum.2 Entscheidend bleibt, dass beide Religionen nicht zu einem bestimmten Zweck instrumentalisiert werden. Als gleichberechtigte Partner kommen sie ins Gespräch, dann gelingt es auch, stabile Brücken zu bauen, die nicht bei einer Erschütterung zusammenstürzen. Authentisch wird dieser Dialog dann, wenn sich der Religionsunterricht öffnet – innerschulisch zum Beispiel durch Gespräche mit Experten, außerschulisch durch Besuche der muslimischen Gemeinde.

 

Anmerkungen

  1. Margot Käßmann: Bereitschaft zur gegenseitigen Akzeptanz. Deutsche Welle/ DW-World.de 2005
  2. Der thematische Schwerpunkt 2 innerhalb der Rahmenrichtlinien für das Abitur 2006 heißt treffend: "Interreligiöser Dialog zwischen Christentum und Islam".

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2005

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