Spielplatz Bildschirm

von Bernd Abesser

 

Computer- und Videospiele sind "in". Wer mit Konfirmanden umgeht, wird dies sehr schnell merken. Bestimmte Spiele sind eine Zeit lang Thema, wie Musikhits, TV-Serien oder Fußball. Nun muss man als Unterrichtende/r nicht überall mitreden können (das hat ja mitunter auch etwas anbiederndes) und man muss auch nicht alles okkupieren und besser wissen. Doch fördert die Wahrnehmung jugendkultureller Phänomene das nüchtern-kritische Urteil und bewahrt vor pauschaler kulturpessimistischer Ablehnung ebenso wie vor indifferenter Akzeptanz.

Das folgende bietet einen kleinen Einblick in die Spielpraxis Jugendlicher im Konfirmandenalter. Dazu wurden im Sommer 1998 von mir insgesamt 48 Jugendliche ( 27 Mädchen und 21 Jungen) aus Konfirmandengruppen in Loccum (17) und in Hannover (31) befragt. Die meisten sind 13 Jahre alt (30); 5 sind erst 12, 13 schon 14 Jahre alt. Es lassen sich dabei an Trends feststellen, die übrigens im Stadt-Land-Vergleich keine besonderen Unterschiede erkennen lassen.

PC- und Videospiele sind in erster Linie Spiele für Jungen. Sie spielen signifikant häufiger als Mädchen. Während bei letzteren der deutliche Schwerpunkt bei "höchstens einmal pro Woche liegt, konzentrieren sich die Angaben der Jungen bei den höheren Werten.

 

Diagramm 1
Mädchen haben dabei zwar weniger Zugriff auf eine eigene Video-Konsole (26%; Jungen 50%), aber durchaus im Verhältnis fast gleichen Zugriff auf einen eigenen PC (41% im Vergleich Jungen 43%). Zu vermuten ist, dass Mädchen ihren PC dabei eher als Arbeits- denn als Spielgerät nutzen; bei den Jungen dürfte sich dies die Waage halten.

Diagramm 2
Jungen spielen häufiger als Mädchen mit ihren Freunden am Bildschirm. Das PC- oder Video-Spiel ist ein Kommunikationsmedium, ist genauso gemeinsames Spiel wie Einzelbeschäftigung. Bei den Mädchen dient es offensichtlich viel eher der individuellen Beschäftigung (sofern die Zeit dafür da ist). Die Zeit mit Freundinnen wird für anderes gebraucht; andere Themen stehen im Vordergrund.

Diagramm 3
Die Vorlieben für bestimmte Spiele bzw. -kategorien ist breit gefächert. In der Befragung nahmen unter den Jungen Fußballspiele bei den Lieblingsspielen eine Spitzenstellung ein. Allerdings ist zu vermuten, dass da auch ein bisschen "political correctness" im Spiel ist. Die z.T. altersbeschränkten härteren Action-Spiele („Ego-Shooter“) sind durchaus bekannt, zum Teil auch vorhanden. Strategiespiele, vor allem aus dem Science-Fiction-Bereich, liegen in der Verkaufsstatistik vorn; ebenso Autorennen, z.T. kombiniert mit der Ausführung illegaler Aufträge und/oder der Aufgabe, sich bei Verfolgungsjagden nicht von der Polizei erwischen zu lassen.

Diagramm 4
Den meisten Jugendlichen wird seitens der Erziehungsberechtigten ein hohes Maß an Selbststeuerung zugestanden; es gibt selten rigide zeitliche Beschränkungen, oft ist das Gegenteil - nämlich keine zeitliche Beschränkung - der Fall; Kollisionen mit schulischen Pflichten werden nach eigenen Angaben von den Konfis selbst vermieden. Es ist dies auch zumeist der Punkt, an dem zuerst elterliche Restriktionen greifen (und nicht der Inhalt!).

Wir müssen also davon ausgehen, dass PC- und Video Spiele zumindest für Jungen im Konfirmandenalter zur regelmäßigen Freizeitbeschäftigung gehören. Man muss als 13-jähriger die wichtigsten und vor allem die neuen Spiele bzw. Spielversionen kennen; Schummelcodes (sogenannte „Cheats“) und Raubkopien sind angesagte Handelsware. Ein gut laufender Rechner oder eine gute Videokonsole ist sicher ein begehrter Spielplatz. Teilweise gibt es auch schon einen Wettbewerb darum, wer „harte“, d.h. relativ blutrünstige und zumeist illegale bzw. altersbeschränkte Spiele „abkann“.

Für mich sind Videospiele das Übungsgelände für eine auf Vergnügen und Kreativität basierte Gesellschaft.“  [3]

Viele dieser Spiele fordern und fördern komplexes Denken, Intuition und schnelle Reaktion [4] . Während andere Medien wie Radio und TV als Unterhaltungsmedien vielfach nebenbei konsumiert werden, ist in diesen Spielen hohe Konzentration angesagt (bei gleichzeitigem körperlichen Verharren). Man kann nicht nebenbei spielen, sondern geht in die virtuelle Welt ganz hinein bis hin zum Vergessen von Zeit und Raum. [5] Im Spiel werden Aufgaben und Herausforderungen angenommen, die allerdings kaum reflexive Tiefe erreichen, sondern in der Regel auf der Ebene einer isolierten Reaktion bleiben. Ein Strategiespiel wie „Anno 1602“ bietet beispielsweise die Möglichkeit, die Bedürfnisse meines Volkes auf dem Warenmarkt notfalls auch mit unmoralischen Mitteln durchzusetzen. Der Zweck - nämlich in der Regel der Beste werden zu wollen auf einer Highscore-Liste - heiligt im Spiel alle Mittel. So transportieren die Spiele natürlich auch bestimmte Werthaltungen, die im KU z.B. im Hinblick auf prophetische Mahnungen zu reflektieren allerdings lohnend sein können. [6] Auch die Tatsache, dass Videosequenzen militärstrategischer Spiele (z.B. Luftkriegsimulationen) sich kaum unterscheiden von den Pressedarbietungen des Nato-Hauptquartiers könnte einer Erörterung im KU wert sein. Deutlich zu beobachten ist allerdings, dass Konfirmandinnen und Konfirmanden sehr wohl wissen, was sie da tun – sie spielen. Ob die real militärisch operierenden Generäle allerdings auch immer so genau wissen, dass sie nicht spielen?

Reflexion spielerischer Betätigung könnte im Konfirmandenunterricht ihren sinnvollen Platz haben, wenn sie nicht darauf angelegt ist, den Kids den Spaß zu verderben. Vielleicht macht es sogar Freude, gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen und die (religiösen) Zeichen und Symbole zu decodieren, derer sich viele Spiele bedienen. Und probeweise, sozusagen spielerisch, ließe sich auch die Frage nach Gut und Böse stellen. Ich glaube nicht, dass es in diesem Zusammenhang die Spiele sind, die die Kinder an einer entsprechenden Gewissensbildung hindern könnten. Viel mehr tut dies eine Realität, in welcher der Zweck, der beste sein zu sollen, jedes Mittel rechtfertigt. PC- und Video-Spiele sind also mögliche unterrichtliche Frage- und Diskussionsanlässe. Die den Spielen zugrunde liegenden Ideen und Szenarien können auf Plausibilität überprüft werden, ihre Zeichen und Symbole auf ihre Geschichte, ihre Wirkung und ihre gegenwärtige Relevanz untersucht werden. Insbeson­dere das biblische Gottes- und Menschenbild kann dann in diese Szenarien eingetragen werden.

Ganz praktisch könnte das so aussehen: man bitte Konfirmanden, eine Video-Konsole mitzubringen oder versammele sich bei kleinerer Gruppe um einen PC, auf dem das entsprechende Spiel installiert ist. In der Regel haben PC- oder Video-Spiele ein Intro-Video, das in die Story des Spieles einführt. Dieses bietet in der Regel genug Stoff zum Ge­spräch. Erkundigungen im Bereich christlicher Religion können sich daran anschließen.

Zur Vorbereitung des Unterrichts empfiehlt sich ein Besuch in den entsprechen­den Abteilungen der Kaufhäuser oder spezieller Geschäfte (bspw. Soft-Sale). Die Lektüre von entsprechenden Fachzeitschriften (GameStar o.ä.) führt zu entsprechenden Internet-Adressen, die auch Aufschlüsse über Verkaufsstatistiken geben können. Im übrigen sind vermutlich unter den Jugendlichen immer Fachleute anzutreffen. Sie können und werden bei der Beschaffung des Materials sicher gerne mitarbeiten. [7]

 

 Anmerkungen 

  1. Workshop im Rahmen des KU Treffpunkt 21.06.99
  2. Masuyama, Soziologie des Videospiels. In: Florian Rötzer (Hg.), Schöne neue Welten? Auf dem Weg zu einer neuen Spielkultur, München 1995, S. 41
  3. Masuyama, Soziologie des Videospiels. In: Florian Rötzer (Hg), Schöne neue Welten? Auf dem Weg zu einer neuen Spielkultur, München 1995, S. 41
  4. vgl. dazu W. Bergmann, Computerkids, Zürich 1996, S. 42ff
  5. Ich habe es selbst ausprobiert und die Sogwirkung gut gemachter Strategiespiele oder graphisch attraktiver Race-Games als außerordentlich erfahren; vgl. dazu auch a.a.O., S. 36
  6. Diskutiert werden könnte zum Beispiel: Im Spiel „Anno 1602“ ist der Bau einer Kirche Voraussetzung der gesellschaftlichen Weiterentwicklung; oder ein Fluch wird im Fall der Eliminierung von Eingeborenen wirksam. Vgl. dazu als möglichen biblischen Referenztext: "Siehe, ich lege euch heute vor den Segen und den Fluch: den Segen, wenn ihr gehorcht den Geboten des Herrn, eures Gottes; den Fluch aber, wenn ihr nicht gehorchen werdet den Geboten des Herrn, eures Gottes". 5. Mose 11,26-28)
  7. Dabei ist ggf. darauf zu achten, dass es sich nicht um indiziertes Material handelt. 

Text erschienen im Loccumer Pelikan 3/2000

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