„Sie schauten Gott und aßen und tranken.“ (Ex 24,11) - Essen und Trinken in biblischer Perspektive

Von Kathrin Gies

 

Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“ – Das bekannte Diktum von Jean Anthelme Brillat-Savarin gilt in der Gegenwart mehr denn je: Wir sind Vegetarier, Flexitarier, Veganer, Carnivor, Rohkostler oder Pescetarier, und wir kaufen auf dem Wochenmarkt, im Bioladen oder gar auf dem Biohof, im Discounter oder im Supermarkt ein. Damit verbunden werden Persönlichkeitszuschreibungen, wer und wie jemand ist, Werthaltungen und Lebenskonzepte; vor allem aber werden durch die Wahl der Nahrung soziale Zugehörigkeiten geschaffen. Der Vegetarier kaut beim Grillabend verdrossen auf seinem trockenen Brot herum und ist außen vor, der Fleischesser hofft im veganen Café vergeblich auf eine Scheibe Schinken zum Frühstück und fühlt sich fehl am Platz. Dabei werden mit einer bestimmten Ernährung Heilsversprechen verbunden. Wer sich „richtig“ ernährt, der wird nicht krank werden, erfährt das Gute bereits im Diesseits und lebt länger. Ich kann mich selbst durch meine Ernährung erlösen – so lautet die frohe Botschaft.

Essen und Trinken dienen so gesehen nicht nur der physiologischen Bedürfnisbefriedigung, sondern sind identitätsstiftend, für das Individuum wie für das Kollektiv. Gleichzeitig eignet dem Essen und dem Trinken – auch wegen ihres Symbolisierungspotentials – eine religiöse Dimension. Das zeigt sich ebenfalls in den biblischen Texten.




Hinführung: Essen und Trinken in seiner sozialen und religiösen Bedeutung

Essen und Trinken sind mehr als Nahrungsaufnahme. Zwar dienen sie der Erhaltung und Stärkung der Lebenskraft: Saul fehlt jede Kraft, weil er den ganzen Tag nicht gegessen und getrunken hat (vgl. 1 Sam 28, 20). Aber Essen und Trinken können auch für Wohlergehen und Lebensfreude sorgen: Boas isst und trinkt, so dass es seinem Herzen gut geht (vgl. Rt 3,7). Kohelet, der mit der Frage nach Sinn und Ziel des Lebens ringt, rät mehrfach: „Geh hin, iss dein Brot mit Freude und trink deinen Wein mit frohem Herzen!“ (Koh 9,7; vgl. 2,24-25; 3,13; 5,17; 8,15).

Essen und Trinken zeigen darüber hinaus die Verwiesenheit des Menschen auf etwas außerhalb seiner selbst. Daher führt Kohelet Essen und Trinken als Quell der menschlichen Freude auf Gott zurück: „Auch das sah ich, dass dies alles aus der Hand Gottes kommt.“ (Koh 2,24). Im Essen und Trinken transzendiert sich der Einzelne so auf Gott, aber auch auf den Menschen hin, denn Essen und Trinken konstituieren Gemeinschaft. Dasselbe Brot zu essen ist Zeichen absoluten Vertrauens (vgl. Ps 41,10). Gastmähler zeigen die Einheit und Verbundenheit der Töchter und der Söhne Hiobs als Familie (vgl. Hi 1,4). Das gemeinsame Mahl ist Ausdruck geteilter Freude bei zentralen Lebenswenden, z.B. bei der Entwöhnungsfeier des kleinen Isaak (vgl. Gen 21,8) oder der Hochzeit von Jakob (vgl. Gen 29,22). Es ist aber auch kollektiver Trost, wenn ein Mensch stirbt (vgl. Jer 16,7). Essen und Trinken vermögen sogar über die Grenze des Todes hinweg Gemeinschaft mit dem Toten zu etablieren, so bei der jährlichen Familienfeier Davids in Bethlehem (vgl. 1Sam 20,6).

Gleichzeitig zeigen Essen und Trinken und die Wahl der Speisen auch soziale und kulturelle Grenzen auf. Die Jakobssippe und die Ägypter essen nicht gemeinsam: „Denn die Ägypter können nicht mit den Hebräern essen, denn ein Gräuel ist das für Ägypter.“ (Gen 43,32). Mit den Speisegeboten (Lev 11; Dtn 14) wird Wirklichkeit geordnet und Identität konstruiert [1] , werden Menschen aneinander und an Gott gebunden und gleichzeitig von Anderen getrennt.

Auch zeigt der Zugang zu Essen und Trinken die soziale Macht oder Ohnmacht des Einzelnen auf. Reiche kontrollieren die Nahrung; die Sorglosen und Sicheren „essen Fettschafe von der Herde und Kälber aus dem Maststall. […] Sie trinken Wein aus Schalen und salben sich mit den besten Ölen, aber über den Zusammenbruch Josephs sind sie nicht bekümmert.“ (Vgl. Am 6,4.6). Die Forderung von Gastfreundschaft, wie sie z.B. Lot den Männern in Sodom zeigt (vgl. Gen 18,7), und von Unterstützung der Armen soll diesem Missstand entgegenwirken: „Wenn du deine Ernte auf deinem Feld einbringst und du hast eine Garbe auf dem Feld vergessen, sollst du nicht umkehren, um sie zu holen. Für den Fremden, für die Waise und für die Witwe soll sie sein, damit JHWH, dein Gott, dich segnet in allem Tun deiner Hände.“ (Dtn 24,19). Die Versorgung des Bedürftigen gilt sogar als absolutes Heilszeichen: „Wenn du dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden sattmachst, dann wird dein Licht aufgehen in der Finsternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“ (Jes 58,10). Deutlich wird, dass Essen und Trinken zum Bild für menschliche Bedürftigkeit, aber auch des Heils schlechthin werden können.

Am Beispiel von Essen und Trinken und dem gemeinsamen Gastmahl lässt sich zeigen, wie Beziehung und Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott im Konkreten erfahrbar werden. Die verschiedenen alt- und neutestamentlichen Texte nehmen dabei aufeinander Bezug oder erhellen sich gegenseitig, wie im Folgenden gezeigt werden soll.




Essen und Trinken als Ausdruck der Beziehung von Gott und Mensch

Brot und Wein – eine göttliche Gabe
Im Essen und Trinken wird die Kreatürlichkeit und Bedürftigkeit des Menschen offenbar. In biblischer Perspektive sind Essen und Trinken dem Menschen unverfügbare Gaben Gottes. Mit der Etablierung der Schöpfungsordnung ist die Versorgung des Menschen mit Nahrung als Zeichen des göttlichen Segens verbunden. So spricht Gott zu den ersten Menschen: „Siehe, hiermit übergebe ich euch alles Gewächs auf der Erde, das Samen trägt, auch alle Bäume, an denen Früchte sind, die Samen tragen. Euch sollen sie zur Nahrung sein!“ (Gen 1,29).

Die Angewiesenheit des Menschen und seine Bezogenheit auf Gott zeigen sich in Ps 104 an der Gabe von Brot und Wein. Gott hat die Erde nicht nur uranfänglich geordnet, sondern erhält sie auch am Leben. Dies zeigt sich vor allem an der Versorgung mit Wasser und der damit verbundenen Fruchtbarkeit der Erde. Gott wird gepriesen als der, der „Gras hervorsprossen lässt für das Vieh und Pflanzen zum Dienst des Menschen, damit er Brot hervorbringe aus der Erde und Wein, der des Menschen Herz erfreut; damit er das Angesicht glänzend mache vom Öl und Brot des Menschen Herz stärke.“ (Ps 104,14-15). Radikal kommt die Abhängigkeit der Schöpfung von ihrem Schöpfer zum Ausdruck: „Sie alle warten auf dich, dass du ihnen ihre Speise gibst zu ihrer Zeit. Du gibst ihnen: Sie sammeln ein. Du tust deine Hand auf: Sie werden gesättigt an Gutem.“ (Ps 104,27-28).

Diese Verwiesenheit als Grunddatum menschlicher Existenz muss nicht Anlass verzweifelter Sorge des Menschen um sich selbst sein. Von dieser wird der Mensch im Vertrauen auf Gott befreit: „Seid nicht besorgt für euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch für euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung. Seht hin auf die Vögel des Himmels, dass sie weder säen noch ernten, noch in Scheunen sammeln, sondern euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht mehr wert als sie?“ (Mt 6,25-26). Am Essen und Trinken zeigt sich das Wesen des Menschen und das Wesen Gottes, und beides wird zum Ausdruck der Beziehung von Gott und Mensch.


Gastfreundschaft der Menschen – Gott zu Gast
Die Bedürftigkeit des Menschen und seine Verwiesenheit auf Nahrung spiegelt nicht nur die Zuwendung des Menschen zu Gott, sondern ist auch Auftrag an den Menschen. Konkret zeigt sich dies in der Gastfreundschaft dem Fremden und Bedürftigen gegenüber, der mit Essen und Trinken bewirtet wird. Davon erzählt Gen 18: Abraham sitzt in der Mittagshitze am Eingang des Zeltes und erblickt plötzlich drei Männer. Nur der Leser weiß, dass es JHWH ist, der da erscheint. Unaufgefordert eilt Abraham zu den Fremden und erbittet deren Gunst, die darin besteht, seine Gastfreundschaft anzunehmen. Er lässt Sara ein üppiges Mahl zubereiten, so dass die Verhältnisse gleichsam verkehrt werden: Der Zugang zu Nahrung hat, wird zum „Knecht“ (Gen 18,5), die Mittellosen sind die, die essen. „In den drei Fremden tritt JHWH, der Gott Israels, in verborgener Gestalt auf Abraham zu. Indem dieser die Fremden gastlich aufnimmt, ist JHWH bei ihm zu Gast.“ [2] Dies wird für Sara und Abraham zum Heil: Ihnen wird der lang ersehnte Sohn verheißen (vgl. Gen 18,14).

Die Versorgung des Bedürftigen ist auch Kriterium der Scheidung der „Schafe von den Böcken“ (Mt 26,32) beim Endgericht. Die Gesegneten und Erben des Reiches sind es, zu denen der König sagt: „Denn mich hungerte, und ihr gabt mir zu essen; mich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken. […] Dann werden die Gerechten ihm antworten und sagen: Herr, wann sahen wir dich hungrig und speisten dich? Oder durstig und gaben dir zu trinken? […] Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“ (Mt 25,35-40). Essen und Trinken eignen also auch eine ethische Dimension. Wenn Menschen anderen Menschen in ihrer Bedürftigkeit begegnen, dann begegnen sie Christus entsprechend „der biblischen Grundüberzeugung, dass Gott, der sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft rettete, auf der Seite der Not leidenden Menschen steht“. [3]. Darin finden sie Heil und die Verheißung des ewigen Lebens (vgl. Mt 25,46). Gastfreundschaft und Versorgung des Anderen mit Essen und Trinken sind so eine Möglichkeit der Gottesbegegnung.


Gott als Gastgeber – Verbundenheit von Mensch und Gott
Da Gott der ist, der die Schöpfung am Leben erhält, erscheint er auch in der Rolle des Gastgebers, der dem Gast Essen und Trinken bietet. In dem bekannten Psalm 23 ist JHWH nicht nur der Hirte, der vor jeglichem Mangel bewahrt und in der Gefahr schützt und zu dem der Beter Vertrauen hat, sondern der Beter gelangt am Ende seiner Wanderschaft in das Haus des göttlichen Gastgebers, von dem er sagt: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.“ (Ps 23,5) Das festliche von JHWH bereitete Mahl ist Bestätigung des Lebenswandels und Zeichen der intimsten Gemeinschaft der Menschen mit Gott.

Diese Gemeinschaft wird offenkundig in dem Bund, den JHWH mit seinem Volk am Sinai schließt (vgl. Ex 24). Israel nimmt die Bundesurkunde an: „Alle Worte, die JHWH geredet hat, wollen wir tun.“ (Ex 24,3) Als äußeres Zeichen des Bundesschlusses wird das Blut der Jungstiere als „Blut des Bundes“ an den Altar gesprengt. Unmittelbar im Anschluss an den Bundesschluss steigen Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels den Berg hinauf: „Und sie sahen den Gott Israels. Und unter seinen Füßen war es wie Arbeit in Saphirplatten und wie der Himmel selbst an Klarheit. Gegen die Edlen der Söhne Israel aber streckte er seine Hand nicht aus, sondern sie schauten Gott und aßen und tranken.“ (Ex 24,10-11). Stellvertretend für das Volk „erleben diese Repräsentanten eine erneute Theophanie und die damit gegebene besondere Gottesnähe“ [4]. Der Blick ist eingeschränkt; er richtet sich auf die Füße. Gott bleibt in seiner Heiligkeit der Andere. Diese Andersartigkeit kann zur Bedrohung des Menschen werden und zum Tod führen (vgl. Ex 33,20). In der Gottesschau und dem Essen und Trinken wird den Priestern und Ältesten hier jedoch Leben zuteil.

Auch den Jüngern, die mit Jesus nach Emmaus gehen, werden beim Mahl die Augen geöffnet, so dass sie Jesus erkennen (vgl. Lk 24,29-32). Beim Abendmahl hat Jesus die Rolle des Gastgebers übernommen. Das Brechen des Brotes und das Trinken des Weines werden zum Erinnerungs- und Erkennungszeichen. So erzählen die Jünger in Jerusalem, „was auf dem Weg geschehen war und wie er von ihnen erkannt worden war am Brechen des Brotes.“ (Lk 24,35). Im gemeinsamen Mahl wird die Verbundenheit von Gott und Mensch im Bund erfahrbar. Gleichzeitig ist es Zeichen der Hingabe Gottes für den Menschen.


Das Mahl der vielen – das endzeitliche Heil
Gemeinsam Mahl zu halten, schließt ein, aber auch aus. Essen und Trinken sind identity marker der religiösen Gemeinschaft. Biblisch sind die Speisegebote innerhalb der Ordnungskategorien von „rein“ und „unrein“ situiert. So will sich Daniel am Hof des babylonischen Königs Nebukadnezar nicht „mit dem Wein, den er trank, unrein“ (Dan 1,8) machen. In fanatischer Überspitzung werden Essen und Trinken zur Zeit der Makkabäer zur tödlichen Bewährungsprobe: „Lieber wollten sie sterben, als sich durch die Speisen unrein machen und den heiligen Bund entweihen. So starben sie.“ (1 Makk 1,63; vgl. 2 Makk 6,18-18; 7,1).

Universal geweitet jedoch sind Essen und Trinken beim gemeinsamen Mahl Zeichen des durch JHWH herbeigeführten Heils für alle, so auch in der Komposition von Jes 24-27. Dabei geht es weniger um ein apokalyptisches Ende der Geschichte, sondern um die Neuordnung der Welt im Zuge der zu errichtenden Königsherrschaft JHWHs. Erhofft wird die Etablierung und Durchsetzung der Gerechtigkeit bei einem göttlichen Strafgericht über die Welt, so dass JHWH vom Zion aus als König der Welt herrschen wird.[5] Dort wird geladen werden zum universalen Mahl: „Und JHWH Zebaot wird anrichten für alle Völker auf diesem Berg: ein Mahl von fetten Speisen, ein Mahl von alten Weinen, von markigen fetten Speisen, geläuterten alten Weinen.“ (Jes 25,6). Wie die Ältesten auf dem Sinai mit einem Mahl als äußeres Zeichen dem Bund mit JHWH beitreten, so zeigt sich im gemeinsamen Essen und Trinken wieder auf einem Berg das gewandelte Verhältnis zu den Völkern. Alle sind geladen. Während die Gäste die ausgewählten Speisen essen und die edlen Weine trinken, verschlingt JHWH den Tod auf ewig (vgl. Jes 25,8). Mit dieser endgültigen Vernichtung des Todes wird das Mahl zur Feier des Lebens, das JHWH bereitet, und der ewigen Gemeinschaft mit ihm und untereinander.

Im Kontext seiner Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes spricht auch Jesus von einem Mahl der vielen aus den Völkern und denen aus Israel: „Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.“ (Mt 8,11). Dieses Mahl ist universal ausgerichtet, verlangt aber eine Entscheidung, wie Jesus mit einem Gleichnis verdeutlicht: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete.“ (Mt 22,2). Wer von den Geladenen nicht auf die Rufer und deren Einladung hört und kommt, wird des gemeinsamen Mahles nicht teilhaftig werden. Aber auch wer nicht erkennt, welche Konsequenzen die Gemeinschaft mit Gott für das Verhalten hat, und daher das falsche Gewand anlegt, der hat seine Einladung verwirkt. Am Mahl auch wirklich teilzunehmen bedeutet, in die Nachfolge Jesu zu treten (vgl. Mt 7,21-23.26).

Dass die Einladung zum Heil grundsätzlich jedoch allen gilt – auch unabhängig von deren vorhergehendem sittlichen Verhalten – und zu Barmherzigkeit herausfordert, zeigt Jesus mit seinen Gastmählern: „Und als Jesus in dem Haus beim Essen war, kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern.“ (Mt 9,10). Dem Unverständnis der Pharisäer angesichts dieser Grenzüberschreitung entgegnet er: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Mt 9,11-13). Mit dem gemeinsamen Essen schließt Jesus Außenstehende ein und weist diese Praxis als gottgewollt aus. Sie wird zum Maßstab des menschlichen Handelns.

Am Abend vor seinem Tod isst Jesus ein letztes Mal mit seinen Jüngern. Das Brot, das er als Zeichen der Gemeinschaft bricht und an alle verteilt, identifiziert er mit sich selbst. Er ist der, der Einheit bewirkt. Der Wein, den er den Jüngern reicht, ist wie am Sinai „das Blut des Bundes“, das als Zeichen die Gemeinschaft von Gott und Mensch im erneuerten Bund von Gott und Israel bedeutet. Diese Einheit von Gott und Mensch wird konkret in der „im Bundesverhältnis Gottes mit Israel immer schon gewährten Befreiung von Schuld und Sünde“ [6]: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,28). „Im gemeinschaftlichen Essen und Trinken schenkt Jesus Christus seine Gegenwart und darin das Heil, das Gott durch ihn gewirkt hat.“[7] Mit seinem letzten Mahl stellt Jesus auch ein eschatologisches Gastmahl mit seinen Jüngern im Reich Gottes in Aussicht: „Ich sage euch aber, dass ich von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken werde bis zu jenem Tag, da ich es neu mit euch trinken werde in dem Reich meines Vaters.“ (Mt 26,29). Mit der Rede vom endzeitlichen Mahl und dem Mahl der vielen, zu dem alle geladen sind, wird so göttliche Vergebung und immerwährende Gemeinschaft verheißen.



Zusammenfassung: Essen und Trinken in gläubiger Perspektive

In gläubiger Perspektive gibt es keinen theologie-freien Raum im Leben. Das betrifft auch und gerade Essen und Trinken. Essen und Trinken, Brot und Wein, gelten als Gabe Gottes, als unverfügbares Geschenk wie das Leben selbst. Zu essen und zu trinken dient der Lebenserhaltung, ist Freude und Glück und macht die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung erfahrbar. Essen und Trinken verbinden Menschen miteinander, und für den, der glaubt, ist diese Verbundenheit auch die mit dem, der die Nahrung gibt. Zugleich sind Essen und Trinken auch Appell an den Menschen, den Bedürftigen zu versorgen. Da der Mensch sich nicht in der Sorge um sich selbst verlieren muss, weil er auf die göttliche Sorge vertrauen darf, wird er frei für den Blick auf die Nöte des Anderen. Wenn er für diesen zum göttlichen Versorger wird, begegnet er im Anderen Gott. Essen und Trinken werden so zur Möglichkeit, Gemeinschaft mit Gott zu erfahren. Davon zeugen die Bilder vom göttlichen Gastmahl. Mit ihnen wird die inkludierende Macht des universalen Bedürfnisses nach Nahrung deutlich. So können Essen und Trinken auch zum universalen Heil im Reich Gottes werden.



Literatur

  • Beuken, Willem A. M.: Jesaja 13-27, Freiburg / Basel / Wien 2007
  • Dohmen, Christoph: Exodus 19-40, Freiburg / Basel / Wien, 2. Aufl. 2012
  • Eleonore Schmitt, Das Essen in der Bibel. Literaturtheoretische Aspekte des Alltäglichen, Münster 1994
  • Fiedler, Peter: Das Matthäusevangelium, Stuttgart 2006
  • Fuhs, Hans F.: Vom Gemeinschaftsmahl zur Gottesschau, in: Theologie und Glaube 96/2006, 233-249
  • Gillmayr-Bucher, Susanne: Essen – Ausdruck einer Lebenshaltung, in: Theologisch-praktische Quartalsschrift 162/2014, 123-131
  • Heilmann, Jan / Wick, Peter: Mahl / Mahlzeit (NT), unter: www.wibilex.de, 2013
  • Jankowski, Bernd / Neumann-Gorsolke, Ute / Gleßmer, Uwe (Hg.), Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn 1993, 214-218.
  • Jenks, Alan W.: Art. Eating and Drinking in the Old Testament, in: Anchor Bible Dictionary II 1992, 250-254
  • Koenig, John: Art. Hospitality, in: Anchor Bible Dictionary III 1992, 299-301
  • Michael Geiger / Christl Maier / Uta Schmidt (Hg.), Essen und Trinken in der Bibel. Ein literarisches Festmahl für Rainer Kessler zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2009
  • Smend, Rudolf: Art. Essen und Trinken, in: Neues Bibel Lexikon I, 1991, 601-602
  • Weißflog, Kay: Art. Mahl / Mahlzeit (AT), unter: www.wibilex.de, 2010

 

Anmerkungen

  1. Vgl. Jankowski, Bernd/Neumann-Gorsolke, Ute/Gleßmer, Uwe (Hg.): Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, 214-218.
  2. Fuhs, Hans F.: Vom Gemeinschaftsmahl zur Gottesschau, in: Theologie und Glaube 96/2006, 233-249, hier: 238.
  3. Vgl. Fiedler, Peter: Das Matthäusevangelium, 379.
  4. Dohmen, Christoph: Exodus 19-40, 205.
  5. Vgl. Beuken, Willem A. M.: Jesaja 13-27, 338.
  6. Fiedler, Peter: Das Matthäusevangelium, 390.
  7. Ebd., 389.