„Schön ist er und strahlend in großem Glanz …“ – Unterrichtskonzept und Praxisbausteine für integrativen Unterricht am Gymnasium am Beispiel des Sonnengesangs von Franz von Assisi

von Gabriele Grest und Susanne von Stemm

 

Das Integrationskonzept am Hölty-Gymnasium Wunstorf

Seit dem Schuljahr 2009 / 2010 besuchen auch Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen primär der geistigen Entwicklung das Hölty-Gymnasium in Wunstorf. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, Artikel 24) vom 26.03.2009 ist die gemeinsame Beschulung von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen ein geltendes Recht in Deutschland. „Dabei müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und sie gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“ (UN-Behindertenrechtskonvention_umsetzen.pdf des Sozialverbandes Deutschland).

Am Hölty-Gymnasium lernen in zwei Integrationsklassen jeweils fünf Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf in den Entwicklungsbereichen „Geistige Entwicklung“ und „Lernen“ gemeinsam mit 24 bzw. 23 „Gymnasiasten“ in den Klassen 5 und 7.

Das Unterrichtskonzept beider Klassen orientiert sich an Prof. Dr. Jutta Schöler (2009), die sich mit ihren erziehungswissenschaftlichen Publikationen um die gesellschaftliche Akzeptanz des gemeinsamen Lernens sehr verdient gemacht hat. Für sie ist „Normalität (…) das gemeinsame Lernen. Eine Schule ohne Kinder mit Behinderung ist keine normale Schule“ (Schöler 2009).

 

Zur räumlichen Ausstattung

Die Schülerinnen und Schüler lernen in einem großen Klassenraum, an dem unmittelbar ein kleiner Differenzierungsraum angrenzt. Die Ausstattung mit einer kleinen Küchenzeile, Computerarbeitsplätzen sowie Materialien mit individuellem Zuschnitt für die Lernenden mit Beeinträchtigungen bietet geeignete Differenzierungsmöglichkeiten. Dieser Raum wird sehr vielfältig für individuelle Fördermaßnahmen, Gruppenarbeiten oder einfach als Aufenthaltsraum bzw. Rückzugsmöglichkeit für jeden Einzelnen der knapp 30 Lernenden der Klassenverbände genutzt.

 

Zur personellen Situation in der Klasse 7

Der Erlass „Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung“ (RdErl. d. MK v. 7.7.2011, SVBl 8/2011) sieht für den sonderpädagogischen Förderbedarf in der geistigen Entwicklung fünf Förderschullehrerstunden pro Kind in der Woche vor. Somit unterrichten in 25 von 32 Stunden eine Förderschullehr- und eine Gymnasiallehrkraft gemeinsam in der Klasse.

Für die pädagogische Begleitung des Unterrichts ist eine Fachkraft mit einer Ausbildung als Heilerziehungspflegerin für 25 Unterrichtsstunden tätig. Darüber hinaus unterstützt ein ungelernter Integrationshelfer die Erziehungsarbeit in der Integrationsklasse. Da der Religionsunterricht in Bändern erteilt wird (evangelische, katholische Religion sowie Werte und Norm), nehmen an dem nun folgenden Unterrichtsbeispiel der evangelischen Religion 17 Lernende ohne und drei Lernende mit Förderbedarf teil.

 

Kooperation der Lehrkräfte

„Die einzige notwendige Voraussetzung ist die Kooperationsbereitschaft der beteiligten Erwachsenen“ (Jutta Schöler 1997). Natürlich wären noch viele weitere Bedingungen zu nennen, die zum Gelingen beitragen, die aber alle der genannten Kooperationsbereitschaft unterzuordnen sind.

In einem ersten Planungsgespräch (langfristige Planungsebene) sammeln die beteiligten Lehrkräfte in Form eines Mindmaps Ideen zum Unterrichtsthema. Daran an schließt sich eine Verlaufsplanung für die Unterrichtseinheit. Während die Religionslehrerin die fachdidaktischen Ansprüche auf der Grundlage des Kerncurriculums für das gymnasiale Lehramt im Blick hat, achtet die Förderschullehrerin auf zentrale Unterrichtsprinzipien, die in erster Linie – aber nicht ausschließlich – für die zwei Förderschüler und für die eine Förderschülerin bedeutsam sind.

„Vorrangiges Prinzip ist die Entwicklung von Unterrichtsformen, die einen lebensnahen und altersgemäßen Umgang mit Unterrichtsgegenständen zulassen und die helfen, Voraussetzungen des Wissenserwerbs zu erschließen. Die Anregung und Entwicklung aller Sinne und ein variabler sowie vielgestaltiger Einsatz von Medien sind zu beachten“ (RdErl. d. MK v. 1.2.2005, SVBl 2/2005).

Die Grenzen der Zuständigkeitsbereiche sind dabei fließend. Beide Lehrkräfte fühlen sich für den gemeinsamen Unterricht im zieldifferenten Kontext verantwortlich.

Über die kurzfristige Unterrichtsplanung verständigen sich die beteiligten Lehrkräfte über e-mail. In der Regel informiert die Religionslehrerin die Förderschullehrerin über einen möglichen Verlauf, so dass die Förderschullehrerin noch Zeit für die Vorbereitung differenzierender Maßnahmen hinsichtlich der Mediengestaltung, der Niveaustufen, der Quantität, aber auch der methodischen Zugänge vornehmen kann. Der Integrationshelfer ist ebenfalls über den Stundenablauf informiert und unterstützt nach Absprache mit der Förderschullehrerin einzelne Förderschüler im Unterricht.

 

Unterrichtsbeispiele

Theologische und didaktische Aspekte

Die biografisch ausgerichtete Sequenz zu Franz von Assisis Leben und Wirken bildet den Abschluss der großen Einheit „Miteinander leben – sich an Gerechtigkeit und Frieden orientieren“. Dort setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Wirken der alttestamentlichen Propheten auseinander und suchen nach Beispielen christlichen Wirkens für Gerechtigkeit und Frieden in ihrem Alltag. Der dritte Aspekt der im Konziliaren Prozess der Kirchen beschriebenen christlichen Verantwortung, die „Bewahrung der Schöpfung“, wird am Leben und Wirken von Franz von Assisi thematisiert. Gerade Zwölf- und Dreizehnjährige interessieren sich für Umwelt- und Tierschutzfragen. Darum bietet die Geschichte von Franz von Assisi gute Anknüpfungsmöglichkeiten. Auch können Jugendliche in seiner Person die jesuanische Grundhaltung zu Gemeinschaft, Teilen und Gotteslob kennen lernen. Und seine Biografie – ausgehend von dem Bruch mit seinem Elternhaus – bietet jungen Menschen einen glaubhaften Zugang.

Die Doppelstunden, die hier vorgestellt werden, stehen am Ende der Einheit.

Sie thematisieren die Frage, wie ein Leben im Geist von Franziskus aussehen kann, und das christliche Verständnis vom Leben in Gemeinschaft mit der Schöpfung, verbunden mit der für Franziskus typischen Grundhaltung, in allem, was uns umgibt, Gott zu erkennen und zu loben.

 

Unterrichtsbaustein 1:

Franz von Assisi nachempfinden – Das Einkehrhaus in San Masseo
In der Doppelstunde erarbeiten die Schülerinnen und Schüler die Besonderheiten eines Lebens im Sinne von Franziskus, indem sie den Tagesverlauf im Einkehrhaus San Masseo mit ihrem eigenen Tagesablauf vergleichen.

Kompetenzen
Mit dem Vergleich schulen die Schülerinnen und Schüler besonders ihre Wahrnehmungs-, Darstellungs- und ihre Deutungskompetenz: Sie untersuchen anhand des religiösen Lebens in San Masseo ihren eigenen Alltag auf religiöse Spuren hin. Inhaltsbezogen lernen sie ein christliches Lebenskonzept kennen, das sich an der Nachfolge Jesu und am Geist des Franz von Assisi orientiert.

Stundenverlauf
Die Doppelstunde beginnt mit einer Stille-Übung: Die Gruppe steht im Kreis, eine Lehrerin liest drei Verse aus dem Schöpfungspsalm 104 vor. Reihum wiederholt jeder einen Begriff, der ihm noch im Ohr ist. Als „Redestein“ dient ein handgemachtes kleines Holzkreuz, welches weiter gegeben wird. In der Erarbeitungsphase lesen alle gemeinsam den Text „Franziskus nachempfinden“, der im Religionsbuch „Das Kursbuch“, S. 86, abgedruckt ist. In gemischten Kleingruppen à drei Personen vergleichen die Schülerinnen und Schüler nun den Tagesablauf im Einkehrhaus von San Masseo mit ihrem eigenen mit Hilfe eines Arbeitsblatts (M 1). Abschließend präsentiert jede Kleingruppe eine bis drei Tagesphasen, wobei sie zur Veranschaulichung verschiedene Symbolgegenstände heraussuchen, die zur jeweiligen Tagesphase passen. Entlang einer Reihe von Tageszeiten-Schildchen werden die Gegenstände abgelegt. Während der Präsentation haben die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, von den Alltagsgewohnheiten bei sich zu Hause zu erzählen. Im darauf folgenden Unterrichtsgespräch suchen die Schülerinnen und Schüler Kategorien für die Tagesphasen, die einander ähnlich sind. Schließlich bringen sie die Unterschiede zwischen ihrem eigenen Leben und dem in San Masseo in eine selbst festgelegte Reihenfolge der Wertigkeit.

Beobachtungen im Unterricht
Der Austausch über den eigenen Tagesablauf ist geprägt von großer Offenheit in der Gruppe, die auch bei persönlichen Themen wie z.B. Abendritualen in der Familie bestehen bleibt. Für Siebtklässler ist das eher ungewöhnlich, sodass spontan mehr Raum für den Austausch gegeben wird, als geplant war. Bei der Frage nach den deutlichsten Unterschieden zwischen dem Leben in San Masseo und im Alltag der Schülerinnen und Schüler legen sie folgende Reihenfolge fest: Am bedeutendsten erscheint ihnen, dass die Menschen, die in San Masseo leben, auf „Luxus“ und Eigentum verzichten, wohingegen sie selbst ihr Taschengeld nur für eigene Wünsche ausgeben können. Zweitens erkennen sie, dass die Menschen dort neben geistiger Arbeit auch körperlich arbeiten, um die Gemeinschaft zu versorgen, während sie selbst hauptsächlich geistig arbeiten. Schließlich stellen sie fest, dass „man bei uns in Wunstorf sonntags für die Religion Zeit hat und sonst höchstens manche abends beim Beten“, dass in San Masseo der Bereich „Glaube“ aber die meiste Zeit des Tages ausmacht und „zum normalen Leben dazu gehört“.

Mit der Erstellung eines persönlichen, individuellen Tagesablaufs wird eine Lebensnähe hergestellt, durch die der Unterricht für alle Lernenden große Bedeutsamkeit erhält. Auch die Förderschüler und die Förderschülerin reflektieren auf diese Weise ihren eigenen Tagesablauf, von dem ausgehend sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede ableiten können. So werden z.B. die späteren Aufstehzeiten, abweichende Essenszeiten, aber auch unterschiedliche Tätigkeiten wahrgenommen. Ein Förderschüler ordnet dem Nachmittag in Masseo zielstrebig einen Hammer als Symbol für körperliche Beschäftigungen zu und bringt hiermit auch sein eigenes Bedürfnis zum Ausdruck, selbst noch mehr handwerklich arbeiten zu dürfen. Alle drei Förderschüler trauen sich, auszugsweise vor der großen Lerngruppe vorzulesen. Die Mitschüler wissen die großen Lernerfolge diesbezüglich inzwischen gut einzuschätzen und hören auch denen zu, die sich momentan noch silbenweise die Wörter und Sätze erschließen. Der unterstützende Einsatz von Schriftvergrößerungen sowie einer Lesepappe, die zeilenweise mit verschoben wird, ermöglichen auch beim schnellen Vorlesen ein erstes Mitlesen.

Die gemeinsame Stille-Übung ist zu einem sehr wichtigen Eingangsritual geworden, in dem die Lernenden mit Kopf, Herz und Hand an den Lerngegenstand herangeführt werden. Die wiederkehrende Stille in der Gemeinschaft ist ein verlässlicher Baustein, der allen Schülerinnen und Schülern zum einen Sicherheit und zum anderen eine erste Orientierung auf die Stunde gibt.

 

Unterrichtsbaustein 2:

Mit der Schöpfung Gott loben – der Sonnengesang

In zwei Doppelstunden lernen die Schülerinnen und Schüler den Sonnengesang des Franziskus kennen und setzen sich kreativ mit seinem Inhalt auseinander, indem sie heutige Anfragen und ihren eigenen Umgang mit den Themen des Sonnengesangs einbringen.

Kompetenzen
Alle Schülerinnen und Schüler schulen in diesen Doppelstunden vorrangig ihre Gestaltungskompetenz, indem sie den Inhalt des Sonnengesangs gestalterisch umsetzen und medial präsentieren. Hinzu kommt die Dialogkompetenz, indem sie die Haltung des Franziskus gegenüber der Schöpfung unserem heutigen Alltagsleben gegenüberstellen.


Stundenverlauf


Doppelstunde 1:
Wieder beginnen wir mit einer Stilleübung. Im Kreis stehend, bei gedämpftem Licht, liest eine Lehrerin eine Strophe aus dem Sonnengesang vor. Das „Redekreuz“ wandert, jede und jeder äußert einen Begriff, der hängen geblieben ist. In der Erarbeitungsphase lesen die Schülerinnen und Schüler reihum den Text des Sonnengesangs vor. Fragen und Gedanken zu einzelnen Aussagen werden besprochen und nach Strophen geordnet an der Tafel notiert. In Partnerarbeit übertragen die Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf die Aussagen des Sonnengesangs stichwortartig auf die Person Franz von Assisi, wie sie ihn bisher kennen gelernt haben. Die Schülerin und die Schüler mit Förderbedarf beschäftigen sich mit der Aufgabe, den Hauptbegriff in jeder Strophe herauszuarbeiten. In der Pause malen Freiwillige für jede Strophe ein Symbol an die Tafel. Nun werden Dreiergruppen gebildet und jeder Gruppe eine Strophe sowie ihr Aufgabenblatt zugeteilt. In der nächsten Doppelstunde soll jede Gruppe den Lobpreis des Franziskus aufnehmen und in einer Collage vertiefen (s. M 2). Die Dreiergruppen haben Gelegenheit, sich in die Aufgabenstellung für die nächste Doppelstunde einzuarbeiten und notwendige Verabredungen zu treffen. Sie können sich von den Lehrkräften beraten lassen und halten erste Ideen für die Bearbeitung der Aufgabe fest. Am Ende dieser freien Austauschphase stellt jede Dreiergruppe ihre Ideen vor, die von der Großgruppe ergänzt werden können.

Doppelstunde 2:
In der heutigen Stilleübung verteilen die Schülerinnen und Schüler sich im ganzen Raum. Anklingend an eine Traumreise leitet eine Lehrerin mit der Imagination ein, auf einer sonnenbeschienenen grünen Wiese zu stehen, die warmen Strahlen auf dem Gesicht zu spüren und sich an der frischen Luft zu erfreuen. Alle werden aufgefordert, sich zu dehnen, zu strecken und zu recken, dann einfach still zu stehen und mit geschlossenen Augen die warmen Sonnenstrahlen zu spüren und zu umarmen. Nun liest sie die „Sonnenstrophe“ des Sonnengesangs vor und führt die Gruppe schließlich langsam zurück in den Raum. Im Anschluss tragen Mitglieder aus jeder Kleingruppe ihre Hausaufgabe Teil 1 vor und sagen ihre Strophe des Sonnengesangs auf bzw. lesen sie vor. Die Erarbeitungsphase, in der die Gruppen von den Lehrkräften unterstützt werden, dauert bis kurz vor Schluss der Doppelstunde an. Am Ende werden Verabredungen für die Ergebnispräsentation getroffen. Dazu wird überlegt, in welcher Form die Präsentation der Arbeiten stattfinden könnte.

 

Beobachtungen im Unterricht

Doppelstunde 1:
Die Idee für die Stille-Übung stammt aus dem assoziativ angelegten Konzept von „Bibel teilen“. Integration aller gelingt hier besonders gut, da auch ein Schüler, der Probleme hat, sich verbal gut verständlich zu machen, dennoch einen Beitrag bringt, der vergleichbar mit allen anderen ist, da er nur ein Stichwort zu nennen braucht.

In der Partnerarbeit und anschließenden Präsentation stellen die Schülerinnen und Schüler fest, dass es eine Besonderheit von Franziskus ist, im Kleinen und Alltäglichen Gottes Wunderwerk zu erkennen. Hier stellt ein Schüler explizit den Zusammenhang zu Integration her, indem er sagt: „Franziskus geht zu den Schwachen und hilft ihnen, damit sie wieder Mut haben und integriert werden. Und er beschäftigt sich mit Sachen, die für uns ganz normal sind, und lobt Gott dafür.“

Doppelstunde 2:
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten mit unterschiedlich starkem Engagement: Die Mädchen und Jungen sind größtenteils sehr engagiert bei der ästhetischen Umsetzung. Einzelnen fällt es schwer, sich lang andauernd und konzentriert auf die eigenverantwortliche Gruppenaufgabe einzulassen. Darum wird im Stundenverlauf von der Fachlehrkraft der Impuls gegeben, einen eigenen Text zu verfassen, der zum Nachdenken über unsere heutige Haltung zum Thema ihrer Strophe anregen soll. In Kleingruppengesprächen, unterstützt von den Lehrkräften, sprechen alle Schülerinnen und Schüler über die Umsetzung und Einarbeitung in die Collage und verteilen dazu Aufgaben.

Die Förderschülerin arbeitet mit einem weiteren Mädchen zusammen. Die gemeinsame Freude am gestalterischen Tun macht sie zu Lernpartnerinnen auf ganzer Linie. Ihr gemeinsames Handlungsziel ist die Plakatgestaltung der 5. Strophe des Sonnengesangs (Lobpreis der Schwester Wasser).

Ähnlich verhält es sich in einer Dreierjungengruppe, in der zwei Schüler gemeinsam den Himmel tuschen, während der dritte Schüler den Mond und die Sterne vorbereitet (dritte Strophe des Sonnengesangs).

Je mehr Möglichkeiten und Arbeitsformen angeboten werden, in denen die Schülerinnen und Schüler mit und ohne Förderbedarf zusammen arbeiten und sich mit ihren Fähigkeiten sowie Stärken einbringen können, umso partnerschaftlicher und kooperativer handeln sie. Das Selbstvertrauen und Engagement der Schülerinnen und Schüler ist in diesen Phasen als insgesamt hoch einzustufen. Jeder Einzelne trägt mit seinem Beitrag zum Gelingen der Gruppenaufgabe bei. Während z.B. ein Schüler einen kritischen, verfremdeten Text zur ersten Strophe schreibt, arbeiten die anderen zwei an der Plakatgestaltung weiter. Nach Hans Wocken vereinigen solche kooperativen, solidarischen Lernsituationen „in höchster Form alle Gemeinsamkeit stiftenden, integrationsförderlichen Faktoren: Die Aufgaben und Ziele sind aufeinander bezogen, die Tätigkeiten und Arbeitsprozesse sind koordiniert und wechselseitig abgestimmt, es gibt einen Fundus an gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen“ (Wocken 1995, S. 12). Alle Schülerinnen und Schüler haben auf ihre Weise konkrete Vorstellungen von den Naturelementen der Schöpfung, die sie in der Gestaltung zum Ausdruck bringen können.

Doch nicht alle Lernsituationen können auf der inhaltlichen und sozialen Ebene derart kooperativ durchgeführt werden. Manch` theologische Diskussion um Franz von Assisi ist für die Förderschüler und die Förderschülerin in Unterrichtsphasen mit frontaler Ausrichtung inhaltlich nicht nachvollziehbar. Um den heterogenen Lernvoraussetzungen entsprechen zu können, erhalten sie auf der Grundlage ihrer individuellen Lernausgangslagen und Förderpläne differenzierende Angebote durch die Förderschullehrerin und den Integrationshelfer. So wird z.B. noch mehr Zeit benötigt, das Elfchen zum Menschen als Abglanz Gottes fertig zu stellen, das Tafelbild zu Ende abzuschreiben oder die beteiligten Personen am „Gerichtstag in Assisi „(Kursbuch Religion, S. 82) aufzuschreiben und zu zeichnen. Während nach Hans Wocken die „raumzeitliche Ganzheit der Beteiligten“ zwar erhalten bleibt, „dominieren also die individuellen Handlungspläne (…), während die sozialen Austauschprozesse (…) eher Beiwerk sind“ (S. 4, ebenda). In diesen Lernsituationen ist immer wieder zu beobachten, wie einzelne Regelschülerinnen und Regelschüler dem Förderschüler oder der Förderschülerin am Nachbartisch kleine Hilfestellungen geben, ohne dabei ihre eigenen Ziele aus dem Blick zu verlieren. Diese Formen der Unterstützung werden von Hans Wocken als „subsidiäre Lernsituationen“ (vgl. S. 8, ebd.) bezeichnet. Auch während der Gruppenarbeiten helfen sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig. Nach nun zweieinhalbjähriger gemeinsamer Lernzeit beziehen die Regelschülerinnen und -schüler ihre Mitschülerinnen und -schüler mit Förderbedarf ganz selbstverständlich in den Gruppenprozess mit ein. Sie erklären und beraten darüber, welche Aufgaben sinnvollerweise von welchem Gruppenmitglied übernommen werden könnten. Auf diese Weise schulen sie über das Unterrichtsthema hinaus ihre eigene Integrationsfähigkeit. Die Förderschülerinnen und Förderschüler orientieren sich an ihren gleichaltrigen Mitlernenden und entwickeln dabei altersgemäße Interessen sowie Umgangsformen. Indem sie ihnen in ihrem Lernen nacheifern möchten, nehmen sie aber auch ihr Anderssein wahr und setzen sich sehr realistisch mit ihren eigenen Beeinträchtigungen auseinander. Das führt nicht selten auch zu Enttäuschungen und Frustrationen, die Dank der Arbeit im multiprofessionellen Team bislang gut aufgefangen und begleitet werden konnten.

Im Anschluss an die Ergebnispräsentation innerhalb des Religionskurses ist eine schulinterne Ausstellung des Sonnengesangs geplant, die noch einmal sehr anschaulich die Vielfalt des integrativen Religionsbandes visualisieren wird.

M 2

Aufgabe:

Überlegt euch, welches Element oder welche Personen in eurer Strophe gepriesen werden. Welche Rolle spielt dieses Element/solche Personen in unserem heutigen Leben? Wofür brauchen wir es? Wie gehen wir mit ihm um? Siehst du Probleme im Zusammenhang mit ihnen? Wie würde Franz von Assisi heute vor Gott über dieses Element sprechen? Wie würdet ihr es tun?
Macht euch Stichpunkte zu diesen Fragen.

Hausaufgabe:

Für Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf:

  1. Lerne deine Strophe so, dass du sie gut auswendig vortragen kannst! (Einzelaufgabe)

Für die Schülerin und die Schüler mit Förderbedarf:

  1. Übe, deine Strophe gut vorzulesen. Wenn du möchtest, kannst du sie auch auswendig lernen. (Einzelaufgabe)
  2. Bringt bitte in der nächsten Stunde Material zu eurem Thema aus Zeitschriften, Heften, Flyern mit. Bringt Buntstifte oder Wachsmaler oder anderes Material mit, das ihr für die Anfertigung einer Collage zu eurer Strophe verwenden könnt. (Partneraufgabe)


Literatur

  • Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35: Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 sowie über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, ausgegeben zu Bonn am 31. Dezember 2008, www.bundesgesetzblatt.de
  • Niedersächsisches Kultusministerium 2009: Kerncurriculum für das Gymnasium Schuljahrgänge 5 – 10, Evangelische Religion
  • Niedersächsisches Kultusministerium: Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen, Schulverwaltungsblatt 8 / 2011
  • Niedersächsisches Kultusministerium: Grundsatzerlass Sonderpädagogische Förderung, Schulverwaltungsblatt 2 / 2005
  • Schöler, Jutta: Geistig Behinderte am Gymnasium – Integration an der Schule für „Geistig Behinderte“. BIDOK 2009
  • Schöler, Jutta: Leitfaden zur Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern – nicht nur in Integrationsklassen. Heinsberg: Dieck 1997
  • Sozialverband Deutschland: UN-Behindertenrechtskonvention_ umsetzen.pdf
  • Wocken, H.: Gemeinsame Lernsituationen. Eine Skizze zur Theorie des gemeinsamen Unterrichts. In: Hildeschmidt, A. /Schnell, I. (Hrsg.): Integrationspädagogik. Auf dem Wege zu einer Schule für alle. Weinheim, München 1998, S. 37-52

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2012

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