Die Religionslehrkraft als „Glaubensvorbild“? – Eine Gegenrede

von Friedhelm Kraft

 

Ich habe das Fach Religion gerne unterrichtet. Mit Schülerinnen und Schülern über Religion und Glauben ins Gespräch zu kommen, war für mich immer etwas Besonderes. Eine Aussage einer Schülerin ist mir im Gedächtnis geblieben: „Bei Ihnen weiß man gar nicht, ob Sie selber glauben!“. Der Hintergrund: Wir haben im Grundkurs Religion das Thema Religionskritik von Feuerbach bis Freud bearbeitet. Und es ging heftig zu. Der Weg „durch den Feuerbach“ hinterließ Brandwunden, Gottesbilder der Kindheit wurden auf dem „Altar des Wissens“ geopfert. Und dann die Äußerung der Schülerin: „Wie können Sie an Gott glauben, wenn Sie die Argumente der Religionskritik vertreten? Bei Ihnen weiß man gar nicht, …“ Ich kann nicht sagen, dass ich auf die Äußerung der Schülerin „stolz“ war. Auf jeden Fall fühlte ich mich nicht in meiner Professionsehre gekränkt. Eher im Gegenteil: Kennzeichnet nicht die Suche nach Wahrheit unser Existenzverständnis? Passen dazu vorschnelle Verortungen?

Als Religionslehrer war mir wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Religion und Glaube als Lebensphänomene wahrnehmen, worüber es sich lohnt vertiefend nachzudenken, weil sie das Leben begleiten und man ihnen nicht ausweichen kann. Religion und Glaube aus der Kindheit ins Erwachsenenalter herüberzuretten, das war mein „heimlicher“ Lehrplan.

Und der Lehrer? Wo stand er mit seinem Glauben, mit seinen Fragen? Ich denke, er war gar nicht gefragt. Gefragt war der Lehrer, der die Fragen der Schülerinnen und Schüler zu seinen Fragen machen konnte, der die Religion der Jugendlichen als seine Religion verstehen und annehmen konnte. Dieser Lehrer wurde gesucht!

Meine These: Die Religion des Lehrers ist uninteressant für den Religionsunterricht wie die Schallplattensammlung des Musiklehrers für den Musikunterricht. Wichtig ist für beide: die Liebe zur Religion bzw. zur Musik. Wer „religiös unmusikalisch“ ist, ist kaum für den Beruf der Religionslehrerin, des Religionslehrers geeignet. Wer Musik nicht ausstehen kann, sollte das Fach Musik lieber nicht unterrichten. Aber die Frage, welche Instrumente ich in meiner Freizeit spiele, wie oft ich ins Konzert gehe, hat für die Frage des „guten Unterrichts“ die gleiche Bedeutung wie die Frage nach meiner Konfektionsgröße. Daher darf auch meine persönliche Religion den Unterricht nicht bestimmen, schon gar nicht meine religiöse Praxis. Die Frage religiöser Lebensgestaltung kann im Unterricht bedacht werden. Wie sich Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schule religiös verhalten, hat die Schule erst einmal nicht zu interessieren.

Dennoch: Es gibt in „guten“ Schulen ein Weiteres. Lehrerinnen und Lehrer treffen sich mit ihren Schülerinnen und Schülern auf Augenhöhe, teilen sich mit, was ihnen wichtig ist, schaffen Orte gemeinsamen Handelns. Da ist die Probe für das Orchester, die Vorbereitung und Durchführung eines Schulgottesdienstes oder das wichtige „Tür-und-Angel-Gespräch“. Schule ist eben mehr als Unterricht. Wo Schule in diesem Sinne zum Erfahrungs- und Lebensort wird, kann „das Private schulisch und das Schulische privat“ werden. „Unterbrechung“ ist die kürzeste Definition von Religion und zugleich ein Hinweis, Grenzen von Unterricht zu überschreiten. Religion als Praxis „unterbricht“ den Alltag, so wie das musikalische Hörerlebnis in andere Welten führt. Wenn sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte als Grenzgänger zwischen schulischen Welten begegnen, wird „Zeugenschaft“ möglich. Die Religionslehrkraft wird zum „Zeugen“ eigener Zugänge zu Welt und Leben aus der Perspektive des Glaubens und zum „Hörenden“ in der Begegnung mit lebensweltlichen Einsichten und Erfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler. Wer hier wem zum „Vorbild“ wird, ist alles andere als ausgemacht

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2011

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