„Einmal erzählte uns Oma…“ – Rahmenerzählungen für biblische Geschichten

von Martina Steinkühler

 

Im Erzählen biblischer Geschichten für Kinder hat es sich mittlerweile durchgesetzt: Man erfindet Rahmenerzählungen. Sei es dass Nomadenkinder einer nicht näher bestimmten Vergangenheit die Erzelterngeschichten einleiten, eine Mutter ihren Kindern von der Schöpfung erzählt, sei es dass ein nicht näher bekannter Jünger von Jesus erzählt oder gar eine Schildkröte von ihrer Fahrt in der Arche.

Manchen befremdet das: Ich soll mich auf zwei Ge­schichten einlassen anstatt auf eine? Wozu diese Verzettelung? Bedeutet das etwa, dass der Erzähler der eigentlichen, der biblischen Geschichte nichts mehr zutraut? Dass er meint, er müsste sie durch eine beliebige „erfundene“ Geschichte legitimieren, anreichern, attraktiv machen? Und: Warum sollte das funktionieren? Sind die Rahmengeschichten nicht oft viel schwächer, viel unglaubwürdiger als die biblische Geschichte, buchstäblich an den Haaren herbeigezogen?

Zugegeben: Der Eindruck drängt sich bisweilen auf. Und es gibt allerhand nicht so gelungene Beispiele. Allzu durchsichtige Herleitungen bevölkern die Erzählliteratur: Da hat ein Kindergartenkind Streit mit einem anderen – und die Erzieherin nimmt es auf den Schoß und erzählt, dass David und Goliath auch Streit hatten. Da wird ein Geschwisterkind geboren und der Papa erzählt seinem „Großen“, dass Kain auch schon mal Abel totgeschlagen hat und dass das gar nicht so gut war … Übertreibung macht anschaulich. Über die allzu einfachen Analogien ist die Religionspädagogik Gott Lob längst hinaus. Aber dennoch bleibt festzuhalten:

Rahmengeschichten müssen einen eigenen literarischen Wert haben, eine eigene Geschichte erzählen, einen eigenen Spannungsbogen aufweisen. Sie sind nicht die Tür zur biblischen Geschichte, schon gar nicht das Scheunentor oder der Wink mit dem Zaunpfahl. Sie sollen sein, was der Name sagt – ein guter, vollständiger Rahmen.

Zurück zur Eingangsfrage: Warum zwei Geschichten? Natürlich haben sich die Religionspädagogen viel dabei gedacht.

Von allem Anfang an sind Kinderbibelautoren versucht gewesen, ihre pädagogische Botschaft, ihr Erzählziel, das sie mit den biblischen Geschichten hatten, in ihre Kinderbibel hinein zu formulieren. Das ging von Sentenzen (Moral von der Geschicht) über eingestreute Merkverse bis hin zu Dialogen des Autors mit dem „lieben Kind“. Es ging um Ethik, Frömmigkeit, ums Gut-Sein.

Ein zweites wichtiges Thema: die Kommentierung. Dabei geht es um Bibelwissen, Sachinformationen, Exegese, die Erträge der Traditions- und Rezeptionsgeschichte. Die Autoren wollen dem Kind über den „garstigen Graben“ der Zeit helfen, indem sie ihm Informationen zugänglich machen, die es befähigen, sich in eine andere Erlebens- und Vorstellungswelt hineinzuversetzen, sich in den alten Geschichten zurecht zu finden. Das geschieht durch Sachtexte oder narrativ.

Und drittens geht es unmittelbar um das Einleben: Das Kind soll mit der biblischen Geschichte „etwas anfangen“ können, d.h. es soll sich angesprochen fühlen, soll verstehen, dass die Geschichte mit ihm zu tun hat. Rahmenerzählungen entstehen als Medium, als Brücke.
Der moralische Zeigefinger ist heute – Gott Lob – erledigt. Die anderen beiden Anliegen dagegen haben Gewicht. Und damit noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Inwiefern kann man davon ausgehen, dass eine biblische Ge­schich­te durch eine zweite Geschichte verständlicher und/oder identifikationsträchtiger wird? Es gäbe zwei Varianten:

  1. die biblische Geschichte selbst zu erweitern, sprich so umzuformen, dass sie selbst transportiert, was nach religionspädagogischer Meinung zu transportieren wäre;
  2. die biblische Geschichte mit einem religionspädagogischen „Apparat“ zu umgeben, etwa mit Sachtexten, Rechercheaufträgen, Fragen und Impulsen zur Aneignung.

Beides ist geschehen und geschieht. Zu a. wäre allerdings zu bedenken, wie viel Eingriff in biblische Geschichten der Respekt vor dem Wort Gottes zulässt. Eine biblische Geschichte, die sich weit vom Urtext entfernt, ist der Beliebigkeit ausgesetzt und verliert ihre Glaubwürdigkeit. Dagegen ist b. eine wichtige Methode, um Kinder selbstbestimmt mit Überlieferungen umgehen zu lassen (und zu lehren), ihre persönliche Sinnsuche zu fördern, sie religiös kompetent zu machen.

Und doch stelle ich als gleichberechtigte Möglichkeit neben b. – gleichsam als c. – einen narrativen Zugang neben den kognitiv-kreativen. Ich spreche für die Rahmenerzählung. Beides hat seine religionspädagogische Berechtigung, beides wird sich in der Praxis ergänzen – wenn und nur wenn die Rahmenerzählung strengen Kriterien genügt, die sich aus der oben genannten Kritik und den vielen nicht so guten Beispielen aus der religionspädagogischen Erzählliteratur ergeben:

  • Die Rahmengeschichte soll eigenständig sein.
  • Sie soll eine Brücke zur biblischen Geschichte schlagen.
  • Sie soll der biblischen Geschichte ihr Eigengewicht lassen und sie dennoch aus der Sicht des Kindes aufschließen.

Im Folgenden werden zwei Ansätze vorgestellt, die diesen Kriterien entsprechen. Sie stehen unter den Stichworten „Werkstatt“ und „Fokus“.

 

Werkstatt (M 1)

In meiner Nacherzählung des Neuen Testaments „Wie Brot und Wein“ erzähle ich die Evangelien vom Autor her. Die Rahmenerzählung stellt z.B. Markus im Dialog mit Freunden dar. Der Leser bzw. die Leserin erlebt, wie Markus den Stoff verteilt, welchen Fragen er ihn unterordnet, nach welchen Kriterien er ihn ordnet. Das nimmt den Jesus-Geschichten, die hier erzählt werden, nichts von ihrem Eigenleben, macht aber auf spannende und identifikationsträchtige Weise deutlich, dass das Evangelium das Werk eines bestimmten Menschen ist, der schaffend, formend und suchend tätig geworden ist. Das heißt für den Leser, die Leserin: Wir dürfen das auch. Und: Wir dürfen auch anders. Eine Distanz zwischen Stoff und Form wird geschaffen, die religionspädagogisch fruchtbar ist.

 

Fokus (M 2)

Eine Hauptschwierigkeit des Zugangs zu biblischen Geschichten ist m. E. die Gottesfrage – und gerade das wird oft nicht gesehen. In dem Moment, wo die biblischen Nacherzählungen Gott als Person – redend und handelnd, helfend und strafend – unreflektiert einführen, machen sie ihre Geschichte zum Fremdkörper. Ein Großteil der Kinder, die heute aufwachsen, hören Gott in der Regel nicht reden, sie gehen nicht davon aus, dass er realer in ihren Alltag eingreift als etwa Elfen, Geister und Zauberer. Sie reden nicht mit ihm. So etwas, das ist für viele Kinder gleich klar, gehört in eine andere Zeit, in eine andere Welt. Man kann zugespitzt sagen: So ein Gott nimmt den biblischen Geschichten ihre Relevanz. Dabei ist, umgekehrt gesagt, Gott der einzige Grund, warum wir diese Geschichten unbedingt erzählen sollen. Das ist die Herausforderung an das Erzählen, sei es in der biblischen Geschichte, sei es im Rahmen. Die Geschichte wird rein menschlich erzählt, ohne „Gott sagt …“ – da werden Menschen als Menschen erlebt und verstanden. Die Frage nach Gott scheint nur im Erzählrahmen auf: Da ist ein Großvater, der immer wieder einwirft: „Das war Gott.“ Und darüber kann man dann nachdenken (so wie es die Autoren der Bibel ja auch getan haben!); im Rahmen wird es vorgemacht, im eigenen Gespräch fortgeführt und entfaltet

 M 1 

Markus sitzt in seiner Kammer. Er kaut an der Schreibfeder.
Er hat seiner Tochter versprochen zu schreiben,
Jesu Worte und Taten, sein Leben bevor er starb.
Deine Tochter hat Recht, haben Markus’ Freunde gesagt.
Wir müssen erzählen, was wir wissen. Sonst wird es vergessen.
Du kannst doch gut schreiben, Markus. Schreib es auf.
Markus kaut an der Feder. Er weiß nicht wie.

Da ist ein Mensch bei den Menschen gewesen –
Es ist noch nicht lange her.
Wir wissen, er war Gottes Sohn, Immanuel, das heißt: Gott-bei-uns.
Die Menschen aber wollten ihn nicht und stießen ihn weg.
Wie kann das sein?, fragt sich Markus und kaut an der Feder.
Gottes Sohn, den weist man nicht ab!
Man ehrt ihn und bittet ihn: Bleib!
Ich, ja, ich hätte ihn gleich erkannt,
an seiner Freundlichkeit, seiner Güte, an seinem göttlichen Glanz.
Ich hätte die Tür für ihn aufgetan
und einen Teppich über die Steine geworfen für seine Füße.
Ich hätte ihm Speisen gebracht, roten Wein
und ein Kissen um weicher zu sitzen.

Wir, ja, wir hätten ihn gleich erkannt,
an seinem göttlichen Glanz. –
Oder kann es sein, er hat ihn verborgen,
aus seiner Macht ein Geheimnis gemacht?

Jesus, schreibt Markus auf das leere Papier. Das ist die Überschrift.
Und dann schreibt er weiter:

Jesus
Wie der Gott-bei-uns lebt und wirkt.

 

M 2 

Wir leben in einer großen Familie: mit Mama und Papa, Oma und Opa, drei Onkeln, zwei Tanten und weiteren Verwandten.

Wir ziehen mit den Herden, mit Schafen und Ziegen. Das Land ist karg. Die Weiden sind rasch abgegrast. Und dann geht es weiter. Denn Tag über sind wir unterwegs. Oder wir bauen das Lager. Wir bereiten Essen, flicken, weben, waschen.

Nur abends haben wir Ruhe. Dann brennt ein Feuer und wir sitzen darum herum. Opa spielt Flöte. Und Oma beginnt zu erzählen. Wir kennen viele Geschichten.

Die meisten Geschichten erzählen von früher und davon, wie alles wurde, wie es ist. Und immer kommt dann die Stelle, wo mein Bruder Amos fragt: „Wer hat das gemacht?“ Und Opa setzt die Flöte ab. „Gott“, sagt er. „Das war Gott.“

Einmal erzählte uns Oma von den allerersten Menschen, die auf die Erde gekommen waren. Das war, als Amos gefragt hatte, wer den Schweiß gemacht hat, die Arbeit und den Schmerz. Opa setzte die Flöte ab und sagte: „Das war nicht Gott.“ Ja, ihr habt richtig gehört. „Nicht Gott“, sagte er. „Zumindest nicht mit Absicht.“

Adam und Eva verlassen das Paradies
Zuerst machte Gott einen wunderschönen Garten. Ganz viele Bäume wuchsen darin, sie trugen Früchte und Blüten zugleich. Dann setzte Gott den ersten Menschen in den Garten, Adam, und sah ihm dabei zu, wie er sich an dem Garten freute. Adam sah sich alles an, was in dem Garten wuchs, und probierte alle Früchte.

In der Mitte des Gartens aber war ein Baum, der höher, stärker und schöner war als alle anderen Bäume im Garten. „Das soll Gottes Baum sein“, sagte sich Adam. „Um den will ich einen großen Bogen machen.“ Und er zog um den Baum einen heiligen Raum.

Gott schenkte Adam auch Tiere zur Gesellschaft und schließlich Eva, Adams Frau. Und Adam zeigte Eva den Garten und alles, was darin wuchs, und ließ sie von allen Früchten probieren. Nur von dem Baum in der Mitte des Gartens gab er ihr nicht. „Das ist Gottes Baum“, sagte er. „Der soll uns heilig sein.“

„Was würde denn wohl passieren, wenn wir von Gottes Baum essen würden?“, fragte eines Tages eine Stimme in Eva. Später erzählte sie ihren Kindern, es sei die Stimme der Schlange gewesen. „Vielleicht“, sagte die Stimme lockend, „vielleicht würden wir werden wie Gott.“ Eva fand, dass sie es probieren sollte. Sie pflückte und aß von dem Baum in der Mitte des Gartens. Und gab auch Adam davon.

„Und?“, fragte Amos. „Was geschah?“ Oma seufzte. „Sie wurden wie Gott, aber anders, als sie gedacht hatten: Von da an konnten sie nicht mehr in dem Garten leben. Sie mussten hinaus und die ganze Welt sehen: die Berge und die Täler, die Wüsten und die Seen, das karge Land mit all seinen Mühen. Sie mussten Arbeiten und Schmerzen ertragen. Sie mussten Krankheiten erleiden, Kummer und Tod. Denn das alles, das tat auch Gott.“

 

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2008

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