'Wo Himmel und Erde sich berühren - oder - ... Träumenden öffnet sich der Himmel...' - Ein fächerverbindendes Projekt zu Kunst und Religion

von Helga Reinders

 

Vom Träumen

Der Traum wird in der Bibel als eine wesentliche Form der Gotteserfahrung beschrieben. In der Nacht, im Traum ist die Stimme Gottes zu hören; der Traum erfährt eine religiöse Wertung. Im AT begegnen wir zwei Arten bedeutungsvoller Träume: dem Botschaftstraum, z. B. der Traum Salomos (1.Kön 3,5-15 ) und dem symbolischen Traum, z. B. der Traum Jakobs von der Himmelsleiter (Gen 28,10-17).

Im NT wird der Traum als Mittel göttlicher Führung und Offenbarung verstanden (Mt 1,20-24; 2,12; 2,19 –23; 27,19; Apg 16,9; 18,9; 23,11; 27,23f.; Offb 1,10 – vergleiche Hubertus Halbfas).

Die Faszination des Traumes ist unbestreitbar. Die vom Tag strapazierte Seele sinkt im Schlaf hinab in andere Dimensionen, um sich zu regenerieren. Im Traum kommen Ängste, Wünsche, zu verarbeitende Probleme zum Ausdruck. Der Traum wird zur Sprache des Unbewussten. Manchmal sind wir in unseren Träumen wacher und aufmerksamer als am Tag. In Tagträumen hängen wir nicht selten unseren Wünschen, Ängsten, Visionen nach, abgekoppelt von den gesellschaftlichen Werten und Normen, der momentanen Wirklichkeit. Oder wir träumen den Traum von einer besseren Welt, frei nach M.L. King: "Ich hatte einen Traum ... aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen ..." 1

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'Wenn ein Mensch träumt,
begibt er sich in die Welt
seiner unbewussten Tiefen...'
(Kristin, 13 Jahre)

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Die Schülerinnen und Schüler

Die Fragen der Schülerinnen und Schüler zu den gegebenen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen nach dem 11. September, ihre Träume von Gegenwart und Zukunft wurden Ausgangspunkt für die fächerverbindende und projektorientierte Arbeit. Diese Ausgangsposition ist, unabhängig von den Ereignissen des 11. Septembers, bis heute leider von aktueller Präsenz, wie der Terroranschlag von Madrid gezeigt hat.

 

Unterrichtsintention

Meine Intention war, die Tag- und Nachtträume der jungen Menschen mit dem exemplarisch-symbolischen Traum Jakobs von der Himmelsleiter unter den oben genannten Aspekten zu verbinden, sie über das Nachspüren eigener Träume und das Reflektieren besonderer biografischer Lebensereignisse in ihrer Religiosität "aufzuschließen", um ihnen zu eigenen Fragestellungen zu verhelfen, nach möglichen Antworten zu suchen oder manche Fragen auch "stehen zu lassen". Es lag mir daran, Hilfestellungen bei der Verarbeitung oder Bewältigung eigener Lebenswirklichkeit geben zu können.

Als Kunst- und Religionslehrerin begeisterte es mich, lebensweltliche Interessen der Schüler zum Thema im Religionsunterricht zu machen. Es war spannend für mich mitzuerleben, wie die Schülerinnen und Schüler eigene Fragen formulierten und gemeinsam nach Antworten suchten.

Ich setzte auf das elementare Lernen, das theologische Erwägungen einbezieht. Mich interessierte, wie biblische Inhalte elementare Erfahrungen und

symbolisches Wissen der Schüler freisetzen. Dieses Spannungsfeld wurde angereichert mit künstlerischer Tätigkeit, in unserem Fall mit einem Experten von außen. Diese Vielschichtigkeit war der Schlüssel zu einem Erfahrungslernen, das auch den Dialog impliziert. Die Einbeziehung des biblischen Textes und die Verknüpfung mit eigenen Erfahrungen und inneren Bildern standen im Vordergrund.

 

Praxis

Die Schülerinnen und Schüler lernten im Religionsunterricht zunächst die biblische Geschichte (Gen 27 und 28) kennen und beschäftigten sich inhaltlich mit Jakobs Traum (Gen 28,10 -17). Die Bedeutung des Traumes, der Leiter, der Engel, des Steins als "Stätte Gottes", als Ort, wo sich Himmel und Erde berühren, das Hören von der Liebe Gottes und seiner Gegenwart führten zum Nachspüren eigener Glaubenserfahrungen mit Gott und zum Nachdenken über eigene Träume und besondere Ereignisse in der eigenen Biografie. Die Perspektive wurde dabei auf die Visionen und Vorstellungen der Lernenden ausgerichtet, die ihre Alltagswirklichkeit widerspiegeln.

Didaktische Schwerpunkte legte ich im Fach Kunst auf die Kraft der Bilder, gerade der inneren. Das im Religionsunterricht Gelernte, die dialogische Exegese, die daraus resultierenden elementaren Erfahrungen und die geöffneten inneren Bilder der Schüler waren der Schatz, den es galt, auf die viergeteilte, zwölf Quadratmeter große Leinwand zu bringen. Die Verknüpfung der gewonnenen Erkenntnisse aus dem Religionsunterricht mit der künstlerischen Praxis war die schwierigste Schnittstelle des Projektes. Jede Überlegung, die bildhaften Ausdruck gefunden hatte, stand in starker Korrespondenz mit dem Bild und dem Ausführenden und der Anforderung, die inneren Bilder und Erfahrungen auf die Leinwand zu bringen. Dieses ständige Ringen nicht nur mit den anderen teilnehmenden Akteuren, sondern auch mit sich selbst und den eigenen Grenzen des Machbaren wurde zum Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens. Die Unerschrockenheit kindlicher Ausdrucksstärke, die den Schülern eigene unverbogene kreative Kraft und Fantasie halfen, diese Problemstelle des Projektes zu überwinden.

 

Künstlerische Begleitung

Um mich selbst nicht zwischen Malerei und theologisch-religionspädagogischen Zielrichtungen zu verlieren, begleitete mich eine professionelle Künstlerpersönlichkeit (Joachim Jaenichen-Emden, Warsingsfehn).

 

Zusammenfassung

Am Ende, mit den Beteiligten das Projektergebnis reflektierend, zitiere ich Dorothee Sölle: "Den Himmel erden – in uns und mit uns und nicht ohne dich, die da neben mir sitzt, und dich, der nicht ganz genau weiß, was das soll." 2

 

Unterrichtsschritte

1. Baustein


"Eine Leiter von der Erde bis hoch in den Himmel!" – Kennen lernen der biblischen Geschichte und Verknüpfung mit eigenen Geschichten

Impuls 1:

Eine Baumleiter regt an, eigene kleine Geschichten zum Thema "Leiter" zu erfinden.  

Impuls 2: 
Die Leiter wird zur Metapher: Eine Leiter verbindet oben und unten, Karriereleiter, Hühnerleiter usw. Wortspielereien mit "Leiter" vertiefen das Bild.

Impuls 3:

Der Bibeltext wird gelesen, einzelne Bibeltextstreifen zwischen die Sprossen der Leiter gelegt. Die Schüler und Schülerinnen wählen Textstreifen aus und lesen die Geschichte mehrfach mit unterschiedlichen Methoden. Auch die Entwicklung und Präsentation von Standbildern und die anschließende Reflektion sind denkbar.

Materialien:
Bibeltext ( Gen 1, 27 und 28), Textstreifen, eine alte Baumleiter aus dem Garten.

Methode:
Textarbeit, Standbilder

 

2. Baustein

"Himmel und Erde sind miteinander verbunden, wenn etwas Geiles passiert!" – Wann und in welchen Situationen haben sich für mich Himmel und Erde berührt?

Ausgangspunkt bildet das Standbild des träumenden Jakob. Die Schüler deuten die Leiter als Verbindung zwischen der Erde und dem Reich Gottes. ("Der Himmel ist auf Erden und die Erde ist im Himmel, alles ist miteinander verbunden." " Die Leiter hat eine symbolische Bedeutung: das Reich Gottes ist auf Erden. Gott ist unter uns." "Wir können nach oben gehen wie die Engel und uns zwischen Oben und Unten hin und her bewegen." "Die Engel als Boten, die beschützen, vermitteln, verbinden, helfen, die uns mit Liebe umgeben und positive Gefühle auslösen."

"Oben die Stimme: ich bin da, ich lasse dich nicht im Stich, was auch passiert, was Gott auch mit mir vor hat.")

Die Schülerinnen und Schüler erinnern sich an andere Bibelstellen, z. B. an die Exodusgeschichte, die Josefserzählung und den Traum der Weisen aus dem Morgenland. ("Wenn Himmel und Erde sich berühren, so wie in diesem Traum von Jakob, passiert etwas Besonderes, irgendwie Geiles!" "Jakob erklärt den Stein und den Ort als "heilig", weil was passiert, mit ihm und in der Zukunft!" "Er hat keine Angst mehr!").

Aufgabe:
"Denkt über besondere Gelegenheiten in eurem eigenen Leben nach und haltet sie in Form einer Erzählung schriftlich fest."
Anschließend werden die Ergebnisse in der Gruppe reflektiert.

 

3. Baustein

"Im Traum ist Gott bei mir!" – vom Umgang mit Visionen, Träumen und Zukunftswünschen der Schülerinnen und Schüler.

Die Träume der Schülerinnen und Schüler finden Gehör. Zu beachten ist aber, dass niemand gezwungen werden darf, seine Träume preiszugeben.

Als möglicher Impuls für ein Unterrichtsgespräch über Träume eignen sich ein kleiner Koffer, verschiedene Steine, mitgebrachte Kissen, Papier, Stifte.


Aufgabe:

"Begebt euch auf eine Traumreise! Schreibt die wichtigsten Gedanken auf!"
Die Aufzeichnungen werden um die Steine gewickelt und in den Koffer gelegt. Der Koffer bleibt verschlossen bis zur nächsten Unterrichtsstunde.
Anschließend werden die Ergebnisse reflektiert.

 

4. Baustein

"Wir bauen Brücken!"

Die biblische Geschichte wird in dieser Unterrichtsphase mit den eigenen Traumgedanken verglichen. Ein Unterrichtsgespräch schließt sich an.
 

Aufgabe: 
"Wenn Himmel und Erde sich berühren"

  1. "Beschreibe eigene symbolhafte Deutungsansätze und berücksichtige dabei deine eigenen Erfahrungen!" (Vertiefung der Gedanken aus den vorangegangenen Stunden)
  2. "Verknüpfe deine Erläuterung mit der biblischen Geschichte und deinem Traum aus dem Traumkoffer."
  3. "Welche Schlussfolgerungen kannst du daraus entwickeln?"
     

Einige exemplarische Ergebnisse:
"Das Reich Gottes ist nicht nur oben, es ist mitten unter uns und ganz lebendig", "Träume können stark machen." "Gott ist bei uns hier auf Erden und er verlässt mich nicht!" "Im Traum erleben wir Dinge, die wichtig sind für das Leben! Jakob erinnert den Traum und weiß, was er zu tun hat!" "Himmel und Erde gehören zusammen, das gibt den Menschen Hoffnung".

 

5. und 6. Baustein

"Das Reich Gottes auf Erden zwischen Krieg und Frieden"

In dieser Phase werden assoziative Begriffe zur biblischen Geschichte und zu den eigenen Träumen und biografischen Erfahrungen festgehalten.


Tafelbild:
Der Traum in meinem Leben
Der Traum in der Bibel
Die Engel
Die Leiter
Gott – Begegnung mit Gott in der Jakobsgeschichte und heute
Stein
Zukunft
Krieg
Frieden
Hoffnung und Zuversicht

Die einzelnen Punkte werden mit Ergänzungen näher erläutert. Danach ordnen sich die Schüler und Schülerinnen den jeweiligen Begriffen zu. In Kleingruppenarbeit wird zu den Begriffen inhaltlich gearbeitet. Dabei werden gewonnene Erkenntnisse vertieft. Anschließend werden die Ergebnisse reflektiert.

Weitere Aufgabe
"Versucht, das Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung in eine eigene Bildsprache umzusetzen!"

Die ersten Skizzen entstehen.

 

7. Baustein

Die künstlerische Praxis

Der Künstler stellt sich vor. Die Bildtafeln werden aufgebaut und zusammengestellt. Die drei oberen Bildtafeln entstammten in unserem Fall einem anderen Kunstprojekt und wurden aus Kostengründen übermalt. Die vierte untere Bildtafel wurde mit den Schülerinnen und Schülern mit Leinwand bespannt. Die Rahmen aus Holz entstanden in der Schulwerkstatt mit Hilfe eines Werklehrers.

Weitere Materialien: Pinsel, Spachtel, Dispersionsfarben.

Die Skizzen werden mit dem Künstler reflektiert und hinsichtlich der Übertragung auf die Leinwand diskutiert. Eine gemeinsame gültige Bildsprache muss entwickelt und gefunden werden. In dieser Prozessphase fließen bisherige Erkenntnisse ein und verdichten sich zu teilweise neuen Gedanken, Ideen und Ausdrucksformen. So sollte nach Auffassung der Schülerinnen und Schüler keine bildhafte Leiter ins Zentrum des Bildes gerückt werden, sondern eine organische Pflanze, die sich um die Erde windet und eine Verbindung zwischen Mensch und dem Reich Gottes herstellt. In einem sich anschließenden Lernprozess konnte eine Brücke geschlagen werden zwischen der dialogisch erreichten Exegese des Bibeltextes, den momentanen gesellschaftlichen Umbrüchen und der Lebenswirklichkeit der Schüler. Dazu lernten die Schüler mit Hilfe des Künstlers malerische Fertigkeiten.

Schnittstelle wurde die langsame Loslösung eigener bildhafter Vorstellungen zu Gunsten einer philosophischen, religiösen, aus dem Inneren kommenden Bildsprache.


Tipp
An dieser Stelle kann die Lerngruppe nach Interessen geteilt werden: Einige Schülerinnen und Schüler bilden die "Malgruppe", andere werden in einer Präsentationsgruppe zusammengefasst. Sie fotografieren, stellen eine Verlaufsdokumentation zusammen, interviewen die malenden Akteure über den Malprozess, kümmern sich um Ausstellungsmöglichkeiten.

 

8. Baustein

Reflexionsphase und Bildbegehung im eigenen Bild

Mit Hilfe der Methode einer Bildbetrachtung (z. B. durch den Impuls: "Suche dir einen Platz im Bild, wo du dich am wohlsten fühlst, und begründe"), lernen die Schülerinnen und Schüler, das eigene Bild neu zu erfahren. Durch diese Qualität der Bildbetrachtung erfahren sie nicht nur die Wertschätzung ihrer geleisteten Arbeit, sondern können die gesammelten Erfahrungen im Transfer neu öffnen. Die Schüler und Schülerinnen werden dadurch aufgefordert, ihrer eigenen Religiosität nachzuspüren.

 

 

Zur Projektplanung

Kosten: 
Eine genaue Zusammenstellung aller anfallenden Kosten wie Honorar, Fahrtkosten, Farben, Leinwand, Holz für die Rahmen, Papiere, Pinsel (Verschleiß), Fotomaterial für die Dokumentation u.a. muss rechtzeitig erstellt werden. Ein kleiner Etat für unvorhergesehene Ausgaben sollte dabei mit eingeplant werden. 

Kostendeckung:
Neben dem Schuletat oder einem Förderkreis der Schule kommen auch Elternspenden oder Sponsoren in Betracht.

Der Künstler oder die Künstlerin 
sollte aus der Region kommen. Alle finanziellen Dinge sind vorher abzuklären.

Organisation: 
Die Schulleitung muss im Vorfeld über das Projekt informiert werden, Anträge zur Kostendeckung müssen rechtzeitig gestellt werden. Auch das Kollegium sollte auf das Vorhaben und den Zeitplan hingewiesen werden, um im Vorfeld mögliches Blocken von Unterrichtsstunden einzuplanen. Der Stundenplan der Lerngruppe der betroffenen Kollegen und Raumbelegungspläne sind dabei zu berücksichtigen. Auch Hausmeister und Putzpersonal sollten informiert werden. Absprachen über gleichzeitige Klassenfahrten oder Betriebspraktika müssen rechtzeitig getroffen werden

Terminplan: 
Der Zeitrahmen sollte großzügig gesteckt werden, um Feiertage und Stundenausfall auszugleichen. Es empfiehlt sich, Vormittage und wenn möglich auch Nachmittage zu blocken.

Die Raumbelegung 
muss rechtzeitig und verbindlich geklärt werden. Immer wieder gibt es unvorhergesehene Änderungen.

Organisation des "Ateliers":
 Zeitungen, Kittel, Tücher, Farbmischbehälter sollten bereitliegen. Vor Beginn der Arbeit im "Atelier" müssen die Regeln zur Benutzung und Reinigung für alle Beteiligten feststehen.

Elternbrief: 
Auch die Eltern sollten im Vorfeld über das Projekt informiert werden.

 

 

 

 

Anmerkungen

  1. Martin Luther King, Gerd Presler, rororo 50333, 1999, S.94/96 
  2. Sölle, Dorothee, Erinnert euch an den Regenbogen, Herder, 1999, S.163

 

Literatur

  • Halbfas, Hubertus, Das dritte Auge, Patmos Verlag, Düsseldorf, 1982
  • Halbfas, Hubertus, RU in Sekundarschulen, Lehrerhandbuch 6, Patmos Verlag, Düsseldorf, 1998
  • C.G. Jung u. a., Der Mensch und seine Symbole, Walter-Verlag, Olten und Freiburg i.B.1987
  • Oberthür, Rainer, Kinder fragen nach Leid und Gott, Kösel Verlag, München, 1998
  • KU Praxis 41, Modelle 9, Zwischen Himmel und Erde, Anregungen und Bausteine zu den Themen Träume, Glück, Tod und Leben, Gütersloher Verlagshaus, 2000

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2004

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