Zur Bedeutung der "Neuen Medien" für die Schule

AEED

 

Angesichts der »Heilserwartungen«, die mit der Einführung der neuen Medien wie Computer und Internet in der Schule einhergehen, hält es die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Erzieher in Deutschland e.V. (AEED) für wichtig, die Diskussion zu versachlichen. Sie möchte mit dem nachfolgenden Text zu einer solchen sachlichen Auseinandersetzung beitragen.

I. Feststellungen

1. Die neuen Medien bestimmen die Gesellschaft und prägen sie in allen Bereichen. Ihre zunehmende Verbreitung verändert nicht nur punktuell Arbeitsweisen und Methoden, sondern das Denken insgesamt. Damit verbunden ist eine immer größere Beschleunigung und ein dem Menschen zur Verfügung stehendes Maß an Informationen wie nie zuvor. In diesem Zusammenhang wird deshalb häufig von der Informationsgesellschaft gesprochen.

2. Forderungen aus Wirtschaft und Politik und ihnen folgende Anstrengungen führen relativ kurzfristig zu einer bundesweiten Ausstattung von Schulen mit Computern und Internetanschlüssen. Die Implantation dieser technischen Innovation in die Schule ist in Umfang und Schnelligkeit bislang einmalig, so dass Schulen im Vergleich zur gesellschaftlichen Entwicklung hier up to date sind.

3. Die neuen Medien verstärken den Druck zur Veränderung der Lehrerrolle: Er/Sie kann nicht mehr der/die sein, der/die alles und besser weiß – Lexikon, Suchmaschine, Lehrbuch. Hinsichtlich des technischen Umgangs mit den neuen Medien werden Lehrende zu Lernenden und Lernende zu Lehrenden. Für Lehrerinnen und Lehrer bestehen dadurch besondere Herausforderungen sowohl im Hinblick auf das know how im Umgang mit Hardware und Software wie in dem pädagogisch-didaktischen Einsatz der neuen Medien in den Unterricht

 

II. Chancen

1. Für Menschen, die in der Lage sind, die neuen Medien zu nutzen – eine umfassende und sinnvolle Nutzung setzt neben der technischen Handhabung schon Bildung voraus –, ergeben sich damit Möglichkeiten des Zugriffs auf Informationen, die bisher nur schwer oder gar nicht erreichbar waren oder nur einem sehr begrenzten Personenkreis zur Verfügung standen. Computer und Internet eröffnen zudem neue Kommunikationsmöglichkeiten, die zur Verständigung der Menschen einen wertvollen Beitrag leisten können.

2. Die Schulen sind durch die neuen Techniken in die Lage versetzt, mehr als dies mit den bisherigen Medien möglich war, das Unterrichtsgeschehen den individuellen Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler anzupassen und vor allem im offenen Unterricht notwendige Differenzierungen vorzunehmen.

3. Die neuen Medien geben Lehrerinnen und Lehrern Informationen und didaktische Hilfen, die es ihnen ermöglichen, die Schülerinnen und Schüler eigenständig an Inhalte heranzuführen.

Lehrerinnen und Lehrer können sich so stärker auf die Moderation einerseits und die Erziehung andererseits konzentrieren.

 

III. Einwände

1. Die ungleiche Verteilung der Nutzungsmöglichkeiten von neuen Medien kann zur Folge haben, dass Menschen, die diese aus finanziellen oder anderen Gründen nicht haben, von gesellschaftlichen Entwicklungen ausgeschlossen werden.

Der mit den neuen Medien gegebene unbeschränkte Zugang sowie die Masse unbewerteter zur Verfügung stehender Informationen birgt zudem die Gefahr der Unübersichtlichkeit, Manipulation und Desorientierung in sich. In diesem Zusammenhang sind auch die Einwände zu beachten, die sich auf die Möglichkeiten des Missbrauchs beziehen (Rechtsradikalismus, Pornographie) sowie auf die Probleme der Verwechslung von virtueller und realer Welt.

2. Die Anstrengungen zur schnellen Ausstattung der Schulen mit Computern und Internet und die dafür eingesetzte umfangreiche Werbung mit eingängigen Slogans – »Alle Schulen ans Netz!« – können den Eindruck erwecken, als seien so ausgestattete Schulen nun »heil«, als sei damit das derzeit Wichtigste getan. Es bleibt die Frage, ob und wie weit das leitende Interesse, das diese Entwicklung möglich macht, mit Bildungszielen übereinstimmt oder diese gar konterkariert.

3. Lehrerinnen und Lehrer sind zur Zeit häufig noch nicht genug auf diese neue Herausforderung vorbereitet und hierfür geschult. In vielen Fällen hängt es von den persönlichen Interessen des Lehrers oder der Lehrerin ab, ob die neuen Medien Eingang in den Unterricht finden. Hinzu kommt, dass ihnen berufsfremde Aufgaben zugemutet werden (Wartung der Technik, Gewinnung von Sponsoren für die Ausstattung).

 

IV. Forderungen

1. Es muss gewährleistet sein, dass Menschen durch die Nichtverfügbarkeit an den neuen Medien nicht in ihren persönlichen und demokratischen Rechten beeinträchtigt werden und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, dieses Defizit auszugleichen. Die oben beschriebenen umfassenden Informationsmöglichkeiten erfordern von den Menschen aber auch ein hohes Maß an Urteils- und Bewertungsvermögen, damit sie von den Informationen nicht überflutet oder gar manipuliert werden, sondern sie ihnen eine Hilfe für ihr persönliches, berufliches und gesellschaftliches Leben sein können. Dazu müssen alle Bildungsbereiche vom Elementarbereich bis hin zur Erwachsenenbildung beitragen. Medienerziehung darf sich nicht auf die Beherrschung der Technik beschränken, sondern muss bei aller Faszination den kritischen Umgang lehren.

2. Der Schule kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Sie muss die Medien einbringen in ein pädagogisches Gesamtkonzept, in dem sie für Bildung und Lebensgestaltung sinnvoll eingebunden sind. Die Fähigkeit zum Umgang mit den neuen Medien ist notwendiger Bestandteil heutiger Bildung und verlangt Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wie Lesen, Schreiben und Rechnen in der Schule gelernt werden müssen. Sie sind dabei Mittel, aber nicht Zweck.

Um die neuen Medien sinnvoll nutzen zu können, bedarf es vielmehr der Selbstvergewisserung und der Orientierung: Was suche ich warum? Was ist mir davon wichtig? Weshalb ist es mir wichtig und jenes nicht? Wie wird das so Erfahrene kommunikabel? Wie wichtig ist mir der Austausch mit anderen, wie wichtig ihre Meinung darüber, wie wichtig sind sie für mich? Zu diesen Fragen muss die Schule Schülerinnen und Schüler hinführen und ihnen bei der Suche nach Antworten helfen.

Politik und Schulverwaltung müssen auf Dauer die sachlichen und personalen Voraussetzungen schaffen, dass über eine Erstausstattung hinaus die technischen Geräte einem Standard entsprechen, der einen qualifizierten Einsatz in der Schule gewährleistet. Deshalb ist die Wartung durch technische Fachkräfte sicherzustellen. Eine gute Schule braucht allerdings über Computer und Internet hinaus noch anderes, z. B. motivierte Lehrerinnen und Lehrer, aktuelles Unterrichtsmaterial und ein ansprechendes Lernumfeld, funktionierende Toiletten, die nicht nur einmal in der Woche geputzt werden...

3. Lernen muss auch in Zukunft ein personaler Vorgang bleiben, der durch die neuen Technologien unterstützt wird, aber die handelnden Personen nicht ersetzt.

Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen und haben ein Recht darauf, dass Lehrerinnen und Lehrer ihnen helfen, Informationen zu sortieren und zu bewerten.

Lehrerinnen und Lehrer müssen sich auf eine Veränderung ihrer Rolle einstellen und einlassen. Sie werden noch wichtiger als Persönlichkeiten und Menschen, die in unmittelbarer personaler und sozialer Kommunikation Hilfe zur Orientierung leisten – als Bildner/in und Erzieher/in.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2002

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