Zwischen Magie und Vernunft - Das Geheimnis des Segens

von Gerald Kruhöffer

 

Auch heute wird in der alltäglichen Sprache das Wort “Segen” gebraucht. Es begegnet in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, wobei es manchmal einer bloßen Redewendung nahekommt – “meinen Segen hast du”. Bisweilen ist auch die ursprüngliche Bedeutung verlorengegangen, wenn man davon spricht, dass ein Vorgang oder eine Entscheidung “abgesegnet” werden müsse, oder auch, wenn das menschliche Tun in den Vordergrund rückt – “sich regen bringt Segen”. Meist aber ist durchaus im Bewusstsein, dass es beim Segen um das nicht Machbare und Unverfügbare geht; in dem gern gesungenen Lied “Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen...” kommt dies zum Ausdruck; und wenn man in der Rückschau von einem gesegneten Leben spricht, dann ist damit nicht einfach ein erfolgreiches Leben gemeint. Eine Inschrift über der Tür eines alten Fachwerkhauses - “An Gottes Segen ist alles gelegen” - wirkt in der modernen Welt auf den ersten Blick vielleicht sehr fremd. Auf der anderen Seite kommt es durchaus vor, dass in der Öffentlichkeit zu einem besonderen Anlass einem Menschen “Gottes Segen” gewünscht wird.

Viele Menschen haben zumindest die Ahnung, dass im Leben nicht alles planbar und machbar ist. Viele haben, ohne ihre eigenen Möglichkeiten gering zu schätzen, die Einsicht gewonnen, dass sie sich nicht selbst verdanken. Es kommt also darauf an, gerade das wahrzunehmen, was uns geschenkt und zugespielt wird. Eben darum geht es beim Geheimnis des Segens. Fulbert Steffensky nennt ihn deshalb “die Grundgeste des Glaubens”, “die dichteste und die dramatischste Stelle der christlich-jüdischen Glaubensäußerung. Dort nämlich wird inszeniert, was Gnade ist: nicht erringen müssen, wovon man wirklich lebt; sich nicht bannen lassen durch die eigenen Zweifel und durch die Zersplitterung des eigenen Lebens”. “Segen und Gesegnet werden ist das große Spiel der Freiheit von allen Selbstherstellungszwängen, von allen Zwängen der Selbstrechtfertigung”

 

1. Der Segen im Alten Testament

Die Erfahrung vom Segen wird in vielen Religionen bezeugt; sie ist somit etwas der Menschheit Gemeinsames. “Ein wesentlicher Bestandteil allen Gottesdienstes in allen Teilen der Religionsgeschichte dient dem Bewahren oder Erneuern oder Stärken der Segenskraft, also der Kraft der Fruchtbarkeit des Leibes, der Erde, der Herde” . Diese universale Perspektive wird auch in der Bibel selbst zum Ausdruck gebracht. Denn das segnende Wirken Gottes ist nicht auf Israel beschränkt, sondern es gilt der Menschheit und der Schöpfung insgesamt.

 

1.1. Das segnende Wirken des Schöpfers
Vom segnenden Wirken des Schöpfers spricht der priesterliche Schöpfungstext. Die Beschreibung der einzelnen Schöpfungswerke schließt jeweils mit den Worten “Und Gott sah, dass es gut war.” Dies wird gesteigert, indem bei der Erschaffung der Fische und Vögel hinzugefügt wird: “Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch....” (1. Mose 1,22). Dem entspricht das Segenswort an die Menschen: “Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan” (1. Mose 1, 28). Hier wird die besondere Aufgabe der Menschen genannt: die Gestaltung der Welt, die in Verantwortung vor Gott wahrgenommen werden soll. Es geht darum, dass der Mensch zum Segensträger für die Schöpfung wird.

Insgesamt hat in 1. Mose 1 der Segen die weiteste Bedeutung innerhalb der Bibel überhaupt; der Schöpfer segnet alle Menschen und alle lebendigen Geschöpfe; und auch die Segnung des siebten Tages ist der ganzen Menschheit zugedacht.

Die Flutgeschichte (1. Mose 6-9) bringt zum Ausdruck, dass die Schöpfung bedroht ist. Aber trotz dieser Bedrohung ist die Schöpfung vom Schöpfer bewahrt und gesegnet: Der Herr sprach: “Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen...” (1. Mose 8, 21); dem entspricht die Verheißung: “Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht” (1. Mose 8, 22). Die schöpferische Kraft Gottes wirkt in den verlässlichen Ordnungen der Welt; sie sind vom Schöpfer gesegnet.

 

1.2. Segen und Geschichte – Abraham/Isaak
In der Geschichte von der Berufung Abrahams (1. Mose 12, 1-3) bekommt das Verständnis vom Segen durch die theologische Interpretation des Jahwisten eine neue Zuspitzung. Abraham erhält von Jahwe den Auftrag, seine Heimat zu verlassen und sich auf den Weg zu machen in das Land, das Jahwe ihm zeigen wird. In diesem Zusammenhang steht die Verheißung: “Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein” (1. Mose 12,2). Der Segen wir hier mit der Geschichte verbunden; er wird für die Zukunft in Aussicht gestellt. Das Versprechen von Nachkommen, die zu einem großen Volk werden sollen, ist Gegenstand der Segensverheißung.

Die Geschichte vom Segen Isaaks (1. Mose 27) hat eine frühe Auffassung vom Segen bewahrt. Es fällt auf, dass bei der Segnung ein Bezug auf Jahwe fehlt. Vielmehr vollzieht der Vater den Segen und teilt in diesem Akt seinem Sohn die Lebenskraft mit. Man hat deshalb von einem “vortheologischen” Verständnis des Segens gesprochen. Der Jahwist hat dieses frühe Segensverständnis bewahrt, obwohl es seiner eigenen theologischen Auffassung nicht entspricht (s.o. die Ausführungen zu 1. Mose 12, 1-3).

 

1.3. Der Segen im Gottesdienst
Eine besondere Bedeutung hat der Segen, der sich in der priesterschriftlichen Überlieferung findet und als der aaronitische Segen bezeichnet wird (4. Mose 6, 24-26):

“Der Herr segne dich und behüte dich;
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir
und sei dir gnädig;
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden.”
Hier handelt es sich um einen gottesdienstlichen Segen, der für die Menschen das gottesdienstliche Geschehen mit ihrem Alltag verbindet. Der Segen bezieht sich auf die elementaren Lebensgrundlagen – auf Saat und Ernte, auf die Arbeit und ihr Gelingen, auf die Kinder, die geboren werden und heranwachsen, auf das Zusammenleben in den verschiedenen Bereichen. Dabei sind auch die Gefährdungen und Bedrohungen des Lebens im Blick; der Segen umfasst auch das bewahrende und behütende Wirken Gottes – “der Herr segne dich und behüte dich.”
Wenn hier vom “Angesicht” Gottes gesprochen wird, dann ist natürlich die grundlegende Überzeugung Israels vorausgesetzt, dass Jahwe der Unsichtbare ist, und kein Mensch sein Angesicht schauen kann. Mit der Rede vom Angesicht kommt aber zum Ausdruck: Gott ist keine unpersönliche Macht, sondern ein personhaftes Gegenüber. Er spricht die Menschen an und will von ihnen angesprochen werden. “Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir...” – dies meint die freundliche Zuwendung Gottes zu den Menschen, seine Nähe, der sich Menschen anvertrauen, in der sie sich geborgen fühlen können.
Das Segenswort schließt mit der Zusage: “Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.”
“Friede” (hebr. schalom) meint das Heilsein der Gemeinschaft, zu der auch das physische Wohl gehört. Dabei geht es um die Gemeinschaft zwischen den Menschen und zugleich um die Gemeinschaft der Menschen mit Gott. Beides gehört im Sinne der Bibel zusammen. Das Segenswort spricht so den Frieden im umfassenden Sinne zu: Die Menschen sind auf den göttlichen Segen und seinen Frieden angewiesen, damit es ihnen gelingt, Verständigung und Frieden zwischen den Menschen zu schaffen.“Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne” (4. Mose 6, 27). Gott gibt den Auftrag zu segnen, und er verbindet mit diesem Segen eine Verheißung. Damit ist der Segen von einer magischen Handlung unterschieden, die versucht, durch einen automatisch wirkenden Ritus etwas von Gott zu erzwingen. Für das biblische Verständnis gilt demgegenüber: “Wir bleiben beim Segnen auf sein Versprechen angewiesen”; und: “Sein Versprechen zielt auf unser Vertrauen” . Mit dieser Auffassung vom Segen ist ein magisches Verständnis grundsätzlich überwunden.

 

2. Der Segen im Neuen Testament

Im Neuen Testament wird die alttestamentliche Segensbotschaft aufgenommen und zugleich verändert. Beides ist im Wirken Jesu wie in der urchristlichen Christusverkündigung wahrzunehmen. Verstärkt wird dieser Vorgang durch die spätere Praxis, die den Vollzug des Segens mit dem Zeichen des Kreuzes verbindet.

2.1. Jesus segnet die Kinder
Eine besonders prägnante Szene ist die Erzählung von der Zuwendung Jesu zu den Kindern (Mk. 10, 13-16 par.) Es werden Kinder zu Jesus gebracht, damit er sie “anrührte”. Den Jüngern, die dies verhindern wollen, sagt Jesus ausdrücklich: “Lasset die Kinder zu mir kommen....” Er wendet sich ihnen zu: “er herzte sie, legte die Hände auf sie und segnete sie” (Mk. 10.,16). Einige Ausleger weisen darauf hin, dass in dieser Weise ein Vater oder ein Rabbi den Kindern die Hände auflegt und sie segnet . Jesus nimmt so einen überlieferten Gestus auf und macht mit dieser Handlung deutlich: Sein Wirken gilt nicht nur den Erwachsenen, sondern auch den Kindern; er nimmt die besondere Lebenssituation der Kinder ernst und würdigt die Geschöpflichkeit des Menschseins. “Damit, dass Jesus die Kinder segnet, schließt er den werdenden Menschen in sein Wirken ein und damit die kreatürliche Seite des Menschseins: in die Segnung der Kinder ist deren Wachsen und Gedeihen eingeschlossen” .
Zugleich ist zu beachten: Diese Segnung wird der Verkündigung des Reiches Gottes zugeordnet. Mit seinem Wort und seinem Verhalten macht Jesus deutlich: Auch die Kinder gehören zu Gott. Das Reich Gottes kommt ohne Vorbedingungen; darum kommt es gerade zu den Kindern; “denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes” (Mk. 10,14). Es geht um “Zuspruch und Bestätigung einer grenzüberschreitenden Annahme”. “Der Segen impliziert die verbindliche Ansage der Nähe Gottes und des Begleitens Gottes” .

Die Geschichte der Kindersegnung ist früher des Öfteren als Begründung der Kindertaufe herangezogen worden. Dies lässt sich allerdings aus dem Text selbst nicht aufzeigen. In der gottesdienstlichen Praxis wird diese Geschichte bei der Taufe von Kindern gelesen. Dies geschieht insofern mit Recht, als die Kindersegnung zum Ausdruck bringt, wie die Nähe Gottes allem menschlichen Tun zuvorkommt. Recht verstanden ist auch die Kindertaufe ein Zeichen für die Verheißung: Dieses Kind gehört zu Gott; es ist von ihm angenommen und geliebt, bevor es selbst etwas tun oder leisten kann. Insofern steht die Geschichte von der Kindersegnung in einem inhaltlich begründeten Zusammenhang mit der Taufe von Kindern.

 

2.2. Mahlfeier und Abschied – weitere Aussagen in den Evangelien
Der Tradition entsprechen die Aussagen, die von dem bei einer Mahlzeit gesprochenen Segen handeln. Dies findet sich in der Speisungsgeschichte (Mk. 6, 41 par.). Das Wort im griechischen Text, das Luther mit “danken” übersetzt, kann zugleich “segnen” bedeuten. Dies ist auch im Blick auf das Abendmahl wichtig. Beim letzten Mahl mit den Jüngern heißt es: Jesus nahm das Brot, dankte/bzw. segnete es, brach es und gab es ihnen. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet darüber und gab ihnen den ...(Mk. 14, 22f par.). Auch das Segnen des Brotes ist verbreitete Sitte. Diese Praxis wird aber nun in die Feier des Abendmahls einbezogen. Brot und Wein werden als Gaben des Schöpfers dankbar angenommen. In der Feier des Mahls werden sie zu Zeichen der Nähe Gottes, wie sie in der Geschichte Jesu Christi – seinem Kreuzestod und seiner Auferweckung – erfahren wird.

In den Ostergeschichten des Lukas findet sich bei der letzten Erscheinung des lebendigen Christus eine wichtige Aussage über den Segen. “Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und wurde in den Himmel aufgenommen” (Luk. 25, 50f). Es ist die Situation des Abschieds. Christus wird in den Himmel aufgenommen – Himmel nicht im räumlichen Sinn zu verstehen, sondern als Umschreibung der unvergänglichen Wirklichkeit Gottes. In diese Wirklichkeit ist Christus endgültig aufgenommen; aber zuvor hat er seine Jünger gesegnet; im Segen bleibt er mit ihnen verbunden; er bleibt bei ihnen alle Tage (Mt. 28, 28).

 

2.3. Segnet und flucht nicht!
In der Botschaft Jesu ergeben sich aus dem beschriebenen Verständnis des Segens deutliche Konsequenzen für das Verhalten der Menschen. Sehr pointiert heißt es in der Feldrede (der lukanischen Parallele zur Bergpredigt im Matthäusevangelium): “Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen” (Luk. 6, 27f). Paulus hat diese Weisung aufgenommen: “Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht” (Röm. 12, 14) . Es geht darum, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, vielmehr den Teufelskreis des Bösen zu durchbrechen. Das Entgegnen auf den Hass, auf das Schmähen, Beleidigen und Fluchen kann sehr vielfältig sein; “es kann Gutes tun, freundliche Zuwendung, ein gütiges Wort, es kann auch Fürbitte sein” . Jesus wendet sich allen Menschen zu; er ist auch für seine Feinde gestorben. Deshalb gibt es auch für den Segen keine Grenze mehr; daraus folgt, dass der alte Gegensatz von Segen und Fluch aufgehoben ist.

 

3. Fragen und Erfahrungen der Gegenwart


3.1. Magie und Segen
Im kritischen Denken der Neuzeit kam die Frage auf: Hat der Segen etwas mit Magie zu tun? Was bewirkt ein Segenswort oder eine Segenshandlung? Wird damit eine übernatürliche, göttliche Kraft gleichsam automatisch wirksam? Diese Fragen sind nicht ganz einfach zu klären, da der Begriff der Magie in der religionswissenschaftlichen Forschung zwar intensiv diskutiert, aber dennoch umstritten ist. Bei aller Vielschichtigkeit der Phänomene dürfte allerdings ein Aspekt von besonderer Bedeutung sein: es ist die Vorstellung, Menschen können mit bestimmten Worten oder Handlungen die göttliche Macht bezwingen und so die Übertragung göttlicher Kräfte bewirken.

Es wurde gezeigt, dass sich an einzelnen Stellen der Bibel ein Verständnis des Segens findet, das magische Züge trägt, z.B. in der Geschichte von der Segnung Jakobs durch Isaak (1. Mose 27).
Im Werk des Jahwisten wurde dieses übernommene Verständnis tradiert und zugleich verändert; Jahwe ist der Freie; der Mensch kann über ihn nicht verfügen oder ihn gar zu etwas zwingen. Damit ist das magische Verständnis der Gottesbeziehung grundsätzlich überwunden. Der Segen steht deshalb im Zusammenhang mit der Verheißung Gottes, mit seinem Versprechen, das unser Vertrauen erwartet. “Wenn Gott verspricht, etwas zu tun, dann ist Segnen keine durch Automatismus wirksame Handlung. Wir bleiben beim Segnen auf seine Verheißung angewiesen.”

Und zugleich gilt: “Wenn Gott verspricht, etwas zu tun, dann hält er es auch. Wir können uns darauf verlassen, wir können darauf vertrauen” . Der Segen erhält hier seinen Ort im Zusammenhang von Verheißung und Glaube/Vertrauen. Ein Segenswort und eine Segenshandlung kann Menschen in ihrem Vertrauen bestärken; das Empfangen des Segens kann so als aufrichtende und ermutigende Zuwendung Gottes erfahren werden.

 

3.2. Segen – das Geheimnis des Lebens
Das segnende Wirken Gottes im Leben der Menschen und in der Schöpfung insgesamt wird bisweilen als selbstverständlich angesehen, andererseits aber auch immer wieder staunend wahrgenommen. Dies kommt vor allem in einigen Liedern zum Ausdruck, die das Geheimnis des Segens besingen. So heißt es in dem bekannten Erntelied von Matthias Claudius:

“Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein,
er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behände in unser Feld und Brot:
es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott” .
Bereits in der ersten Strophe kommt zum Ausdruck, dass die menschliche Arbeit – das Pflügen und Säen – notwendig ist, dass Wachstum und Gedeihen jedoch in der Hand des Schöpfers liegen. Entsprechend wird in der zweiten Strophe deutlich, dass das segnende Wirken Gottes sich in den natürlichen Ordnungen der Schöpfung vollzieht: “es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott.” In der Perspektive des Glaubens wird der Zusammenhang von Saat, Wachstum und Ernte als Wirken der schöpferischen, segnenden Kraft Gottes wahrgenommen.

Besonders vielfältig wird der Segen in einem Gedicht Jochen Kleppers (1903-1942) angesprochen, das als Lied in das Evangelische Gesangbuch aufgenommen worden ist .

“Der Tag ist seiner Höhe nah. Nun blick zum Höchsten auf,
der schützend auf dich nieder sah in jedes Tages Lauf.
Wie laut dich auch der Tag umgibt, jetzt halte lauschend still,
weil er, der dich beschenkt und liebt, die Gabe segnen will.”
Am Mittag, wenn der Tag seiner Höhe nah ist, gilt es zur Ruhe zu kommen, den Lauf des Tages mit seiner Geschäftigkeit zu unterbrechen, und in der Besinnung auf Gott “lauschend still” zu halten. Der Schöpfer will die Gaben, die zur Erhaltung des Lebens dienen, segnen. So geht es darum, in den Gaben den Geber zu erkennen, ihn, “der dich beschenkt und liebt.” Der Segen wird hier als das segnende Wirken des Schöpfers verstanden, das – wie es die weiteren Strophen anschaulich beschreiben – überall im menschlichen Leben und in der Schöpfung wahrzunehmen ist.

Aber es kommt noch eine andere Erfahrung hinzu:
“Der Mittag kommt. So tritt zum Mahl; denk an den Tisch des Herrn. Er weiß die Beter überall und kommt zu Gaste gern.”
Das Essen weist hier über sich hinaus; es wird zum Zeichen für das Abendmahl, den “Tisch des Herrn”, an dem die Gegenwart Jesu Christi gefeiert wird. Es geht hier also zunächst um das segnende Wirken des Schöpfers, aber zugleich – damit verbunden – um die Gegenwart Gottes, wie sie in Jesus Christus erschlossen ist und in der Feier des Abendmahls ihre besondere Verdichtung erfährt.
Das segnende Wirken Gottes ist unerschöpflich, unverfügbar, unabhängig vom Tun der Menschen:
“Er segnet, wenn du kommst und gehst; er segnet, was du planst.
Er weiß auch, dass du’s nicht verstehst und oft nicht einmal ahnst.”
Diesen Worten liegt eine realistische Einsicht zu Grunde: Vielfach sehen die Menschen nur die Dinge und Ereignisse in ihrer vordergründigen Seite; sie ahnen nichts vom segnenden Wirken Gottes, wie überhaupt das Geheimnis des Segens das menschliche Verstehen übersteigt.
Gerade deshalb ist es wichtig, Gottes Gegenwart dort wahrzunehmen, wo er sich selbst zu erkennen gegeben hat – also in Jesus Christus. Von daher ist der Segen erfahrbar in den Gaben der Schöpfung, aber zugleich in dem Ziel der ewigen Erfüllung: “Sein guter Schatz ist aufgetan, des Himmels ewges Reich.” In diesem Zusammenhang gewinnt dann auch die Strophe ihre Bedeutung, die göttliches Segnen und menschliches Tun zusammenbringt:
“Wer sich nach seinem Namen nennt, hat er zuvor erkannt.
Er segnet, welche Schuld auch trennt, die Werke deiner Hand.”
In der Verbundenheit mit Gott, mit Jesus Christus, erfahren Menschen die Gewissheit der Vergebung – nicht als eine selbstverständliche Wahrheit, über die man verfügt, sondern als den jeweils neuen Zuspruch angesichts konkreter Schuld. Menschen werden immer wieder schuldig; sie bleiben auf die Vergebung Gottes und der Mitmenschen angewiesen. Weil die göttliche Vergebung alles umfängt, darum ist das menschliche Tun – trotz aller Unvollkommenheit – von Gott gesegnet.

Diese Gewissheit des Glaubens ist darum eine Ermutigung zum Tun. Gerade die Gemeinschaft mit Gott, wie sie im Gebet zum Ausdruck kommt, macht “stark zur Tat”, ermutigt zu einem verantwortungsbewussten Tätigsein:
“Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat.
Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat.”
Das Gedicht Jochen Kleppers beschreibt das segnende Wirken Gottes in seiner Vielfalt – in den Gaben der Schöpfung, in der Gegenwart Jesu Christi (Abendmahl) mit der Verheißung der ewigen Erfüllung, in dem Zusammenhang von göttlichem Segen und menschlichem Tun.

 

3.3. Segen im Alltag – und in der Schule?
Dem vielfältigen Wirken des göttlichen Segens suchen unterschiedliche Segenshandlungen zu entsprechen. In diesem Bereich sind allerdings große Unterschiede im Blick auf konfessionelle oder auch regionale Traditionen wahrzunehmen. Aus protestantischer Sicht fallen im katholischen Bereich vor allem die Segnung von Gegenständen auf – Gaben der Schöpfung, aber auch von Menschen Geschaffenes wie Gebäude oder auch bestimmte Produkte der Technik. Dabei wird nach neuerem katholischen Verständnis bei den Segenshandlungen die Notwendigkeit des Wortes Gottes, die gemeinschaftliche Feier sowie der Gebrauch der gesegneten Dinge durch die Menschen betont. Dies entspricht der biblischen Aussage: “Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet” (1. Tim. 4,4f).

In diesem Sinne kann auch nach evangelischem Verständnis etwa die Segnung von Erntegaben praktiziert werden, oder die von kirchlichen Gebäuden (Kirchen, Kapellen, Kindergärten) – seltener von weltlichen Gebäuden. Hier geht es nicht darum, dass bestimmte Dinge eine übernatürliche Kraft oder eine heilige Qualität erhalten. Vielmehr ist die Bedeutung der Dinge für das Leben und Zusammenleben der Menschen wichtig; im Vollzug des Segnens wird die Welt in die vertrauensvolle Gemeinschaft mit Gott hineingenommen; der Segen “verspricht Gottes Zuwendung zu den Menschen im Gebrauch der Dinge” .

Im Mittelpunkt steht zweifellos die Zuwendung des Segens an die Menschen. Er ist in der Praxis der Frömmigkeit nicht auf die kirchlichen Handlungen beschränkt geblieben, vielmehr ein Akt der Volksfrömmigkeit geworden, vor allem im Bereich der Familie, im Zusammenhang der Generationen; Anlässe sind etwa Situationen des Abschieds oder besondere Feste wie Geburtstage. Zumindest im evangelischen Bereich dürfte dies allerdings eher die Ausnahme sein; auf der anderen Seite wächst offenbar die Sensibilität für religiöse Vollzüge, und es entstehen Ansätze für eine neue Segenspraxis.

Auf diesem Hintergrund ergeben sich bestimmte Perspektiven für den Religionsunterricht. Aufgabe des Unterrichts wird es sein, das Verständnis des Segens zu erschließen sowie auf die Bedeutung des Segens in den kirchlichen Handlungen und ihre Bedeutung für die Situation der Menschen aufmerksam zu machen. Manche Lehrerinnen und Lehrer versuchen auch, die Kinder dazu anzuleiten, sich geprägte Segensworte zu eigen zu machen oder einfache Segensworte zu bestimmten Anlässen zu formulieren. In einer vertrauensvollen Atmosphäre ist es dann auch möglich, dass sich die Kinder diese Segensworte gegenseitig zusprechen.

 

3.4. Der Segen im Gottesdienst
Der Segen im Gottesdienst der christlichen Gemeinde ist darauf bezogen, dass die Botschaft um Jesus Christus im Zentrum steht. Deshalb kann der Segen nur so erteilt werden, dass er dem Geist Jesu entspricht. “Dies hat zur Folge, dass das Verfluchen anderer als Grenze und notwendige Ergänzung des Segnens der Gläubigen aufgehoben ist” . Die Bedeutung von Kreuz und Auferweckung Jesu besteht darin, dass der Tod keine Grenze mehr für das segnende Wirken Gottes darstellt. Leiden und Tod schließen vom Segen Gottes nicht aus. “Der Segen Gottes ist nicht mehr ungebrochen ablesbar am Ergehen, er kann sich in Kreuz und Tod verbergen” . In Situationen des Leidens kann die segnende, aufrichtende Kraft Gottes neu erfahren werden. Auch in dieser Hinsicht hat das Verständnis und die Praxis des Segens Anteil an der grundlegenden Bedeutung des Christusgeschehens.

 

3.5. Besondere Lebenssituationen
Bereits bei der Taufe wurde deutlich, wie die Segnung auf die besondere Lebenssituation bezogen ist. Eben dies ist bei den Gottesdiensten an den besonderen Lebensabschnitten (den “Amtshandlungen” oder “Kasualien”) der Fall.

Der Segen hat gerade auch mit den biographischen Knotenpunkten zu tun. Es kann sein, dass das Gespür dafür in der letzten Zeit gewachsen ist; jedenfalls hat der an den einzelnen Lebensabschnitten in den kirchlichen Handlungen mitgeteilte Segen seinen wichtigen, unaufgebbaren Sinn. Damit wird noch einmal deutlich, was für das Geheimnis des Segens insgesamt gilt: “Du bist nicht allein, du fängst nicht an, du musst dich nicht mit dir selbst begnügen, nicht mit deiner eigenen Sprache und nicht mit deinem eigenen Glauben.” Es geht “um ein Lebensgelingen, das mehr ist als die Summe unserer eigenen Kräfte” .

 

Anmerkungen

  1. Die ausführliche Fassung dieses Beitrages ist erschienen in: L. Kuhl/I. Klöppel, Religionsunterricht im 1. Schuljahr in gemischt konfessionellen Lerngruppen Teil I, Arbeitshilfen Grundschule 7, RPI Loccum 2000, S. 9-21
  2. F. Steffensky, Das Haus, das die Träume verwaltet, Würzburg 1998, S. 33; vgl. den ganzen Beitrag: “Die Grundgeste des Glaubens – Der Segen”, a.a.O., S. 28-41
  3. C. Westermann, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, ATD Ergänzungsreihe 6, Göttingen 1978, S. 100f
  4. Vgl. C. Westermann, Der Segen in der Bibel und im Handel der Kirche, München 1968, Neudruck 1992, S. 61
  5. Zur Unterscheidung von rettendem und segnendem Handeln Gottes vgl. C. Westermann, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, S. 88f; Der Segen in der Bibel und im Leben der Kirche, S. 9-22
  6. D. Greiner, Segen und Segnen. Eine systematisch-theologische Grundlegung, Stuttgart 1998, S. 94-98, nimmt den Ansatz Westermanns auf, modifiziert ihn aber: Das Handeln Gottes, “mit dem er sich dem Menschen in seiner kreatürlichen Bedürftigkeit zuwendet, und einem Handeln Gottes, das den Menschen rettet aus Schuld und Gottesferne” gehört im Empfangen des Segens zusammen (a.a.O., S. 98). Vgl. außerdem M.L. Frettlöh, Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen, Gütersloh 1998, S. 43-72
  7. D. Greiner, a.a.O., S. 126
  8. Vgl. Westermann, Der Segen..., S. 82f
  9. C. Westermann, a.a.O., S. 87
  10. A. Obermann, An Gottes Segen ist allen gelegen. Eine Untersuchung zum Segen im Neuen Testament, Neukirchen 1998, S. 78f
  11. Vgl. außerdem 1. Kor. 4,12; 1. Petr. 3,9
  12. C. Westermann, Der Segen, S. 90
  13. D. Greiner, a.a.O., S. 126
  14. Evangelisches Gesangbuch, 508, Strophe 2
  15. Evangelisches Gesangbuch, 457
  16. D. Greiner, a.a.O., S. 129
  17. C. Westermann, a.a.O., S. 100
  18. A.a.O., S. 101
  19. F. Steffensky, a.a.O., S. 34f

Text erschienen im Loccumer Pelikan 2/2001

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