Die sieben Kreuzesworte als Interpretamente des Todes Jesu

von Günther Scholz 

 

Unter allen Erzählungen der Evangelien ist die Passionsgeschichte von zentraler Bedeutung. Nicht nur, daß von ihr aus Linien nach rückwärts in die Evangelien hinein ausziehbar sind , sie ist auch das Bekenntnis unseres Glaubens in narrativ entfalteter Gestalt. Die besondere Wichtigkeit dieser Erzählung von Anfang an ist allein schon formal daran abzulesen, daß sich hier aufs Ganze gesehen die geringsten Abweichungen der Evangelisten voneinander befinden. Das bedeutet aber auch, daß Abweichungen dort, wo sie vorkommen, besondere Beachtung verdienen.


Starke Differenzen ergeben sich bei den letzten Worten, die Jesus am Kreuz spricht. Übereinstimmend wird lediglich das Daß erzählt, eine nur noch formale Übereinstimmung ist der Rückgriff auf Psalmverse bzw. Anklänge an Jes 53. Inhaltlich sind die letzten Worte Jesu bei Markus, Lukas und Johannes allerdings so verschieden, daß sie sich z.T. gegenseitig auszuschließen scheinen. Man vergleiche nur Mk 15, 34 mit Lk 23, 46.

Von der Dramatik der Erzählung her gesehen haben letzte Worte ein entscheidendes Gewicht. Ihnen muß eine Schlüsselfunktion zugesprochen werden, weil sie ein Leben abschließen und zugleich auch neue Perspektiven eröffnen. In ihnen liegt die Deutung eines ganzen bisherigen Lebens beschlossen, und sie sind Vermächtnis für die Nachwelt. Bezogen auf die Kreuzesworte heißt das, daß sich in ihnen eine Deutung des Lebens Jesu einschließlich seines Leidens und Sterbens ausspricht und daß mit ihnen implizit eine Ansage der Heilsbedeutung des Todes für uns verbunden ist. Fallen nun die letzten Worte bei den Evangelisten so verschieden aus, so weist dies auf unterschiedliche Deutungsakzente der Evangelisten hin, die jeweils ihren theologischen Intentionen entsprechen.

 

1. Mk 15, 34 ‘Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?’

Markus hat das letzte Wort Jesu in einen Stundenablauf im Dreierrhythmus hineingestellt: dritte Stunde, sechste Stunde, neunte Stunde. Hier läuft die alte Weltzeit ab. Es sind nur noch wenige Stunden bis zum Beginn des neuen Äon. Noch einmal bricht die Gottverlassenheit des alten Äon in Jesu Ruf und wortlosem Schrei durch, dann kann der Anbruch der neuen Zeit - in aller Unvollkommenheit - schon proklamiert werden (Mk 15, 39).

Jesu letzte Worte und sein Aufschrei - gerahmt durch die Am 4, 18, 8,9 entlehnte Gerichtsfinsternis und durch das Zerreißen des Tempelvorhangs - sind Ende und Anfang, Todes- und Geburtsschrei zugleich.

Dies alles geschieht nicht unkommentiert. Menschen stehen dabei, die davon berührt werden. Die einen bleiben in der Finsternis gefangen. Sie verharren im Spott und damit im Nicht-Erkennen. Der andere aber dringt angesichts des Todes Jesu durch zur ansatzweisen (er spricht von Jesus im Präteritum) Erkenntnis und ist auf dem Weg zu einem Bekenntnis, wie es dem neuen Äon entspricht.

Hieran wird deutlich: Der Tod Jesu fordert zur Stellungnahme heraus. Stellungnahme aber ist Bekenntnis. So spricht sich in Mk 15, 33-39 in sehr dichter Weise ein Bekenntnis aus. Das ist nicht nur auf einen Satz - etwa Mk 15, 39 - zu bringen, sondern es umfaßt mehrere ‘Artikel’. Einer ist der, der implizit von der Stellvertretung handelt: Die Gerichtsfinsternis, die eigentlich dem ganzen Land gilt, trifft den einen (Mk 15, 33). Ein anderer bekennt Christus als den leidenden Gerechten im Sinne von Ps 22,2 (Mk 15, 34), ein dritter die Gottesnähe im Leiden (Mk 15, 38f).

Das Thema der Gottesfinsternis durchzieht das Mkev von Anfang an. Sie ist immer mit im Spiel, wenn Menschen Jesus nicht mehr verstehen (3,21), ihn verwerfen (6, 1-6), auf seinen Tod sinnen (3,6,11,18,12,12). Sie zieht sich in bedrohlicher Weise im Passionsbericht über ihm zusammen im Verrat des Judas (14, 10ff), im Gebetskampf in Gethsemane und der schlafenden ‘Abwesenheit’ der drei auserwählten Jünger Petrus, Jakobus und Johannes (14, 66 ff). Sie äußert sich im Verlassenwerden durch Menschen - sogar das Volk verläßt ihn: Es will lieber einen Verbrecher freihaben statt seiner (15, 6ff) -, aber diese menschliche Verlassenheit ist zugleich auch eine von Gott vorausgesehene - besser: vorgesehene - Verlassenheit (vgl. bes. 14, 21). Läßt Markus Jesus in den Leidensweissagungen noch verheißungsvoll von einer neuen Zukunft sprechen, so ist davon in der Todesstunde, der eigentlichen Gottverlassenheit, nichts mehr zu hören. Nur Gott selbst kann diese aufheben und sich seinem Sohn wieder zuwenden. Daß dies trotz tiefster Verlorenheit geschehen ist, deutet der Mk-Schluß an.

Diese tiefe Verlorenheit findet in der Zitierung von Psalm 22, 2 ihren komprimiertesten Ausdruck. Aber nicht eigentlich die Warum-Frage ist das Bedrückende für den Leser - er kennt sie ja aus Psalm 22 und öfter (vgl. Ps 2, 10, auch Jer 12, 1) -, sondern das Erschreckende ist, daß sie scheinbar nicht erhört wird. Immerhin korrespondiert ja im vorliegenden Psalm 22 dem Vers 2 der Vers 22c (‘du hast mich erhört’), und nur in dieser Korrespondenz ist der Vers 2 auch zu interpretieren. Dann aber verkündet der Psalm als ganzer, daß in tiefster Todesnot (V 2ff) Gott nicht abwesend, sondern zugegen ist und aus dem Tod errettet (V 2c ff) wird.

Man wird den ganzen Psalm bei der Interpretation von Mk 15, 34 par Ps 22,2 nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Denn er hat ja nicht nur hier, sondern auch in anderen Versen auf die Gestaltung der Passionsgeschichte eingewirkt. Und das offenbar darum, weil eine tiefe Analogie der Situation empfangen wurde zwischen der Not und der Klage des Beters und dem Leiden und Ringen Jesu. In Jesus ist das Urleiden der Gottverlassenheit - im Psalmgebet paradigmatisch formuliert - zur Person geworden. Diese Aussage ist durch nichts zu relativeiren, sie muß in ihrer Härte bestehen bleiben. Dennoch ist - gerade auf dem Hintergrund der Korrespondenz zwischen Ps 22, 2 und V 22c - nicht nur die Klage zu bedenken, sondern auch die Errettung aus Todesnot, wo das Leid untragbar wird. Für den Betroffenen mag die Errettung ferne sein, für Markus ist sie gewiß. Sie auszuerzählen erscheint ihm nicht erforderlich.

Die Fomulierung der letzten Worte Jesu bringt noch einmal auf den Punkt, worum es Markus grundlegend geht Es geht um die Ich-Du-Beziehung Jesu zu Gott und Gottes Wirken an ihm. Insofern handelt es sich hier zunächst um eine christologische Deutung des Kreuzesgeschehen in dem Sinne, daß Gott den gehorsam Leidenden nicht im Tode beläßt. Implizit schwingt freilich - sonst wäre das Geschehen nicht erzählenswert - eine soteriologische Komponente mit: Wer in der Nachfolge Jesu steht, hat teil an seinem Geschick, er ist bereits auf dem Weg zum Kreuz -und wird gerettet werden. - Neben der Bedeutung von Ps 22 für Mk 15, 34 ist auch der unmittelbare Kontext zu beachten: Gott spricht sein Urteil über „das ganze Land“, aber es ergeht über den Einen, der es stellvertretend für die ganze Welt trägt . Auch hierin ist der soteriologische Sinn des Kreuzes implizit angesprochen. Er besteht in der stellvertretenden Übernahme des Gerichts. Er ist stellvertretend vorweggenommenes Endgericht und darin Wende und Neuanfang. Darin hat er sein Ziel.

 

2. Die lukanischen Kreuzesworte Lk 23, 34, 43, 46

In den lukanischen Kreuzesworten ist der soteriologische Aspekt stärker ausgeprägt. Hier geht es wohl auch um die Ich-Du-Beziehung zwischen Vater und Sohn (‘Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist’ (23, 46), aber mehr noch um den heilsgeschichtlichen Bezug des Kreuzesgeschehens für die Vielen (23, 34) und dem Einzelnen (23, 34). Wie bei Markus, so deuten sich auch hier Kreuzesworte und Kontext gegenseitig: Der Kreuzestod scheint nach Bestrafung der Übeltäter zu schreien, wird aber auf Jesu Bitte hin Vergebung bewirken, er scheint das Ende zu bedeuten, ist aber Übergabe des Lebens an den Vater.

 

a) Lk 23,34: ‘Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.’
In diesem Sinne muß auch Lk 23, 34 gedeutet werden. ‘Sie wissen nicht, was sie tun’, das wird in vielfältiger Weise illustriert an Judas wie auch an der Tempelpolizei, an Petrus ebenso wie am Hohenrat, an Pilatus und Herodes, an den Schriftgelehrten, den Soldaten und dem Volk. Aber sie alle stehen nicht unter diesem Urteil, sondern auch unter der Bitte um Vergebung. Jesu ruft Gottes Barmherzigkeit gegen seine Gerechtigkeit auf den Plan und durchbricht damit die Eskalation der Gewalt und der Zerstörung zugunsten der Liebe und des Lebens. Er tritt am Kreuz vor Gott für den verblendeten und unwissenden Menschen ein und richtet, insofern er die Barmherzigkeit Gottes in Person ist, diese am Kreuz vor aller Welt ein für allemal auf. Der Gedanke, daß sich mit dem Kreuz Fürsprache und Vergebung verbinden, ist urchristliche, auf Jes 53, 12d zurückgehende Tradition und wird sowohl von Paulus (Röm 8, 34) wie auch von Späteren benutzt (1 Joh 2, 1; Hebr 7, 25).

 

b) Lk 23, 43: ‘Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.’
Die lk Schächerszene weit deutlicher als bei den übrigen Evangelisten auf Jes 53, 12c zurück. Zwar heißt es auch dort, daß Jesus zwischen den ‘Räubern’ (Mk, Mt) bzw. ‘zwei anderen’ (Jh) hängt, hier aber ist von ‘Übeltätern’ die Rede. So ist Jesus hier als der leidende Gerechte gesehen, der vor Gott für den Umkehrwilligen eintritt. In dem zum reumütigen Schächer gesprochenen Wort zeigt die Aufrichtung der Barmherzigkeit erste Wirkung. Der Tod Jesu - so zeigt diese Szene - eröffnet eine letzte Chance zur Umkehr, und jemand nimmt sie wahr der der Allerwerteste in den Augen der Menschen ist. Aber er ist der erste und in dieser Situation einzige, der sich vom Kreuz überführen läßt. Im Gegensatz zum anderen Schächer verzichtet er darauf, Recht behalten zu wollen. Er erkennt sich als Sünder. Als einziges ‘Verdienst’ (V 41) nimmt er das gerechte Todesgericht an. Zugleich erfaßt er, daß für ihn alles davon abhängt, daß hier einer am Kreuz hängt, der vor Gott ohne Sünde ist. Diese Selbst- und Christuserkenntnis kann sich nur im Gebetruf Lk 23, 42 angemessen aussprechen (vgl. Lk 18, 13f.). Der eine Schächer will Befreiung vom Kreuz, der andere erfährt Befreiung durch das Kreuz. Das geschieht durch das Wort am Kreuz. Es verbindet eine von nun an (‘heute’) geltende Heilszusage mit einer existentiellen Heilserfahrung (mit Jesus sein).

Hier schreibt Lukas Heilsgeschichte vom Kreuz her.

Die gegenüber Mk stärkere Hervorhebung dieses Einen läßt fragen, ob es Lukas nicht überhaupt darauf ankommt, an einem Menschen jeweils exemplarisch zu zeigen, was Jesu Leiden, Tod und Auferstehung bewirkt. So könnte eine Linie führen von dem Diener des Hohepriesters über Barabbas bis zu dem Schächer: Der Diener ist der erste dem durch Jesu Tod Vergebung und Heilsein widerfährt, Barabbas ist der erste, der durch Jesu Tod Lösung vom Kreuz und damit Erlösung erlebt, der Schächer ist der erste, dem Jesus verheißt, im Tode nicht allein zu sein.

 

c) Lk 23, 46: ‘Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände’
Auch Lukas läßt Jesus in der Sterbestunde einen Psalmvers sprechen (Ps 41, 6) jedoch, wie es scheint, versöhnt und im Einverständnis mit Gott. Der Anstoß der Gottverlassenheit ist offenbar genommen und dem Gottvertrauen gewichen. Das ist schon durch Lk 23, 43 vorbereitet: Wer die Gewißheit des Paradieses hat, kann kaum noch sein Verlassensein beklagen, er darf getrost seinen Weg gehen.

Bei näherer Betrachtung jedoch sind sich Ps 22 und Ps 31 so unähnlich nicht. Trotz unterschiedlichen Akzentes fehlt in keinem von beiden das je andere Element. In Ps 22 wird der Schrei der Gottverlassenheit erhört und eröffnet neue Zukunft, in Ps 31 wird die Verfolgungssituation durch die Feinde des Beters und sein Verzagen (V 23) ebenso deutlich wie sein Vertrauen auf Gottes Güte und Treue. Wenn also Jesus mit Ps 31, 6 am Kreuz betet, dann ist darin die Realität des Kreuzes eingeschlossen. Vom Kreuz weg gibt es keine Rettung, weder für den Verbrecher noch für den zum Verbrecher Gemachten. Rettung gibt es auch für Jesus nur durch das Kreuz hindurch. Jesu Vertrauen sieht dieses ‘Hindurch’, mit der ausgesprochenen Vershälfte Ps 31, 6a ist die unausgesprochene (V 6b) mitgedacht: ‘du hast mich erlöst, du treuer Gott.’ So ist mit der Übergabe des Lebens an den, von dem es ausging, die Erlösung gewissermaßen vorweggenommen.

 

3. Die johanneischen Kreuzesworte

Die johanneischen Kreuzesworte spiegeln die Souveränität des Gottessohnes wider. Sie hatte u.a. ihren Ausdruck darin gefunden, daß Jesus hier im Unterschied zu den Synoptikern sein Kreuz selbst trägt (19, 17), ebenso in dem unfreiwilligen Zeugnis des Pilatus für ihn (19, 19). In der folgenden Szene der Kleiderverteilung allerdings (19, 23f) scheint Jesus nur noch Objekt des Handelns zu sein. Man teilt auf, was er hat, man verfügt über ihn. Jedoch sind Unglaube und Blindheit der Soldaten lediglich die Folie, von der sich die Erfahrung der Frauen unter dem Kreuz abhebt: Jesus ist der Zerteilte, sondern der souverän und vorausblickend Zuteilende. Er ist nicht der, über den man meint verfügen zu können, sondern er ist der Verfügende (1. Kreuzeswort d. Jh 19, 26f). Sogar noch in der Sterbeszene (VV 28-30) ist Jesus der Handelnde: Bis in den Tod hinein erfüllt er bewußt die Schrift mit seinem Ruf ‘mich dürstet’ (Ps 42, 2f) den Tod deutet er mit dem einen Wort (es ist vollbracht, V. 30) (2. u. 3. Kreuzeswort d.Jh.).

 

a) Jh 19, 26f: „Siehe, das ist dein Sohn, ...siehe, das ist deine Mutter...“
Daß Frauen Jesu Kreuzigung miterleben, ist traditionell vorgegeben. Nach den Synoptikern allerdings bleiben sie bewußt auf Distanz .. Im Jhev werden daraus ‘Nahestehende’ im wörtlichen und übertragenen Sinn. Zu diesen ‘Nahestehenden’ gehört auch der Lieblingsjünger. Im Nahestehen deutet sich schon die neue, nicht mehr auf familiären Bindungen beruhende und nicht mehr durch Volkszugehörigkeit begründete Gemeinschaft an. Die neue Gemeinschaft gründet sich vielmehr auf Jesu Wort. Es wird vom Kreuz herab gesprochen. Damit erhält das Kreuz eine zentrale Bedeutung. Es ist das Zeichen der neuen Gemeinschaft, das durch Jesu Stiftungswort gedeutete Zeichen ihrer Einheit.

Da das Kreuz im jh Sinne der Königsthron des im Kreuzesgeschehen Erhöhten ist, kann Jesus auch in der Stunde seiner Erhöhung der Verherrlichung mit Vollmacht gebieten und wirksam Gemeinschaft stiften. Es wird eine Gemeinschaft sein, in der Menschen dienend aufeinander angewiesen sind (vgl. Jh 13, 1-17).

 

b) Jh 19, 28: ‘Mich dürstet’
Dieses Wort - zwischen den letzten Anordnungen für die Folgezeit und der Vollendung stehend - spiegelt sehr deutlich die jh Theologie des Kreuzes als eines Durchgangsstadiums auf dem Weg zum Vater wider. Schon in Jh 18, 11 ist Jesu bereit, den Kelch zu trinken, den ihm sein Vater gegeben hat. Auf dieser Linie ist auch Jh 19, 28 zu interpretieren: Die Bereitschaft zu trinken ist zum Begehren gesteigert. Dabei hat Jh an die traditionell vorgegebene Essigszene angeknüpft und sie zum Anlaß genommen, ihr das Wort vom Durst beizuordnen. Es ist ein Durst nach dem Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht, wie ihn Ps 42, 2 (vgl. auch Ps 63, 2; 143,6) beschreibt.

 

c) Jh 19, 30: ‘Es ist vollbracht’
Auch das 3. jh Kreuzeswort ist mehrschichtig. Es läßt die Frage nach dem Subjekt offen: Was ist vollbracht? Im wesentlichen bieten sich zwei Antworten an: 1. Vollbracht ist das Werk der Offenbarung des Vaters oder 2.: Vollbracht ist das Werk der opferbereiten Liebe Jesu zu den Seinen . Die erste Interpretationsmöglichkeit kann anknüpfen an Jh 4, 34 und Jh 17, 4.

Jh 4, 34 nimmt Bezug auf die Sendung Jesu, die vom Vorstellungsgehalt her im Zusammenhang mit Jh 1 gesehen werden muß: Der Vater verbindet mit der Sendung des Sohnes einen Willen, der getan und dadurch zur Vollendung gebracht werden muß. So geschieht im Wirken Jesu das Werk der Offenbarung, das zur Erkenntnis des wahren Gottes und seines Gesandten führt und sich in der Verherrlichung des Vaters vollendet (Jh 17, 3f).

Die zweite Interpreationsmöglichkeit bezieht sich zunächst auf Jh 13,1: ‘Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.’ Hier ist die bis zum Äußersten, bis zur Vollendung bereite Liebe Jesu zu den Seinen angesprochen, die dann erfahrbar wird im Dienst der Fußwaschung. Die Fußwaschung wiederum weist als Symbolhandlung über sich selbst hinaus auf die völlige Hingabe Jesu im Tod, was Höhepunkt und Vollendung seiner Liebe für seine Freunde bedeutet (Jh 15, 13).

So ist das Kreuz bei Johannes Durchgangsstadium auf dem Weg zur Quelle des Lebens, zum Vater. Damit ist es aber nicht etwa zweitrangig, sondern eine ganz entscheidende Station des Weges Jesu. Denn es ist zum einen der Ort, wo neue Gemeinschaft durch Jesu zuteilendes Wort gestiftet wird. Unter dem Kreuz beginnt Gemeinde sich zu sammeln, das Stehen unter dem Kreuz ist ihr Zeichen. Zum anderen ist es der Höhepunkt der Liebe Jesu für die Seinen und damit der Gipfelpunkt der Offenbarung des Vaterwillens. Nun, da das Werk der Liebe und der Offenbarung vollbracht ist, gibt es nichts mehr, was noch darüber hinaus hinzugefügt werden müßte, ‘daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen’ (Jh 17, 3).

 

2. Didaktische Erwägungen

1. Begründung der Notwendigkeit der Behandlung des Kreuzeswort im Unterricht
Für das Verstehen des Christusgeschehens, der Grundlage unseres Glaubens, sind die Kreuzesworte ein nahezu unentbehrlicher Schlüssel. Denn an ihnen wird in gut nachvollziehbarer, einprägsamer und leicht wieder zu vergegenwärtigender Weise deutlich, daß Jesu Geschick als ein Leiden zu verstehen ist, das uns, den Vielen, zugute geschehen ist. So führen die Kreuzesworte fast gradlinig zum Bekenntnis. Damit erweisen sie sich auch als dessen Voraussetzung: Christus spricht das erste Wort, dem dann das Bekenntnis korrespondiert.

Das erste ist zugleich letzte, abschließende Wort. Insofern weist es auch zurück auf das Leben Jesu. Erst vom Kreuz her wird in unüberbietbarer Weise deutlich, daß Jesus sein Leben als einen Auftrag verstand, für andere dienend und sich gebend dazusein. Das Kreuz als letzte Konsequenz eines solchen Lebens macht eine Deutung in diesem Sinne zwingend. Es kann daher nicht umgangen, sondern muß in seiner Bedeutung erarbeitet werden. Das erfordert nicht so sehr historisierende, als vielmehr interpretierende Annäherung. Mögliche Interpretationen bieten die Kreuzesworte.

2. Voraussetzungen für die Behandlung der Kreuzesworte
Die Kreuzesworte gewinnen erst in einem Kontext ihren Sinn. Kontext im engsten Sinn nicht der Kreuzigungsbericht, dann die Passionsgeschichte - die Auferstehungsgeschichte braucht nur in der ursprünglichen Fassung des Mkev bekannt zu sein, alles andere sprengt das theologische Eigengewicht des Kreuzes -, der weiteste Kontext ist das jeweilige Evangelium insgesamt.

Verstehensvoraussetzung ist also die Kenntnis der Lebensgeschichte Jesu, insbesondere der Geschichten, die auf das Kreuz als letzter Konsequenz hinführen. Mit der Passionsgeschichte sollte der Schüler vertraut sein.

Sehr hilfreich wäre es, wenn der Schüler bereits in die Sprache der Psalmen eingeführt worden wäre. Er könnte dann die Grundsituation menschlichen Leidens und die Erfahrung der Rettung, die er dort ausgesprochen fand, ebenso die Bilder existentieller Not und Sehnsucht, in den Worten und in der Gestalt des Gekreuzigten wiederfinden.

 

3. Schwierigkeiten: Das Kreuz mit dem Kreuz
Schwierigkeiten, die Bedeutung des Kreuzes zu erfassen, entzünden sich an der Sinnfrage. Traditionelle Deutungsangebote werden kaum noch verstanden. So verhält es sich mit der ‘für-uns’-Formel. Sie hat sich seit urchristlicher Zeit bis heute erhalten, allerdings weitgehend nur noch der Form nach. Ein Erhellen der Formel in Herleitung von alttestamentlichem Sühne- und Stellvertretungsdenken wäre allenfalls ein historisches Erklären, aber kein existentielles Nachvollziehen oder gar Aneignen. Der Schüler oder Konfirmand wird mit der christlichen Wahrheit des ‘für uns’ konfrontiert, als sei das eine Binsenweisheit, und niemand hinterfragt sie, niemand gibt eine einleuchtende Erklärung dafür, in welcher Beziehung der Tod damals für uns heute steht.

Nichts aber ist für den Glauben schädlicher ls das Mitschleppen ausgewachsener und unverstandener Formulierungen. Sie werden eines Tages als Ballast über Bord geworfen und mit ihnen das zentrale Anliegen christlicher Botschaft.

 

4. Wege zur Überwindung der Schwierigkeiten
Wer die Schwierigkeiten überwinden will, die das ‘Für uns’ des Kreuzestodes bereitet tut gut daran, sich klarzumachen, daß es ein zwar wesentlicher, aber nicht der einzige biblische Deutungsaspekt ist. Neben der soteriologischen akzentuierten (Lk) gibt es auch noch eine stärker christologisch ausgerichtete (Mk) und eine stärker ekklesiologisch geprägte (Jh) Interpretation. Weiter sollte man beachten, daß das ‘Für uns’ in der Briefliteratur z.T. auch im Sinne einer Fürsprache-Christologie interpretiert worden ist (Röm 8, 34; Heb 7, 25; 1 Jh 2,1). Schließlich zeigt auch die Dogmengeschichte, daß der Tod Jesu teilhat an der grundsätzlichen ‘Offenheit jedes Geschehens in der Geschichte’ und daher einer ‘fortlaufenden Deutung’ bedarf. Diese Vorüberlegung sollte jeden Unterrichtenden dazu ermutigen, in ständiger Korrespondenz mit Bibel und Tradition seine eigene Interpretation des Kreuzes und des darin enthaltenen ‘Für uns’ zu finden. Dabei dürfte der Gedanke leitend sein, daß der Tod Jesu nicht in sich selbst wertvoll ist, sondern erst ‘als Realsymbol der konsequent durchgehaltenen Lebenslinie Jesu’ seine Bedeutung gewinnt. Mit anderen Worten: ‘Jesus hat nicht dazu gelebt, um am Kreuz zu sterben, sondern er hat den Kreuzestod auf sich genommen, um seinem erlösenden Leben treu zu bleiben. Nicht die Zerstörung ist das Erlösende, sondern die radikal gelebte Liebe.’ Das tiefere Verstehen des Kreuzes als Realsymbol kann auch historisierendes Denken überwinden helfen. Was E. Schlink in einer Predigt formuliert, kann auch als didaktischer Hinweis gelten: ‘Man suche Christi Kreuz nicht ausschließlich in Palästina. Es könnte sein, daß man es dort gerade nicht findet. Sondern man erblicke es mitten unter uns. Man suche Christi Kreuz nicht ausschließlich in der Vergangenheit, - um das Jahr 30 nach Christi Geburt. Sondern man sehe es gegenwärtig, - es steht unter uns... Es gibt keine Not des Menschen, unter der nicht auch er litte. Es gibt keine Verzweiflung des Menschen, bei der nicht auch Christus mitbangte und mitverzweifelt wäre... (Matth 25, 35ff)... So kreuzigen die Menschen Christus damals wie jetzt.’

In diesem Sinne hat F. Krotz das Kreuz und hier besonders den letzten Schrei zu aktualisieren versucht: Seinen Widerhall finde er in den vielen Schreien der zu Tode Gefolterten, aber gerade darin halte er doch auch die Hoffnung wach, ‘daß die Henker unter der Flut solcher Schreie ihr ‘Handwerk’ einstellen müssen.’

 

5. Notwendige Lernschritte
Das Kreuz zu erfassen ist ein lebenslanger Prozeß, und das muß auch so sein, wenn es denn meine Existenz betrifft. Schließlich ‘kreuzen’ sich in ihm Welt Gottes und Menschenwelt, es hat damit eine sich selbst tranzendierende Komponente und läßt sich von daher nicht völlig begreifen. Ein Rest an Geheimnis bleibt. Eine angemessene Annäherung an das Kreuz wird sich dann aber nur in einem immer wieder neuen Bedenken dieses Geschehens vollziehen können. Immer wieder neu muß es einbezogen werden, wenn es um die Gestalt Jesu Christi, wenn es um das Gottesverständnis, wenn es um Rettung von Mensch und Welt und wenn es schließlich um die Bildung, das Leben und den Weg der Gemeinde in der Welt geht.

Unter den verschiedenen Zugangsmöglichkeiten wähle ich einen Weg aus, der im Laufe einer längeren, sich über mehrere Schuljahre erstreckenden Zeit die wichtigsten Aspekte des Kreuzes berührt. Dabei kann ich von Markus über Lukas zu Johannes fortschreiten, wenn ich das Kreuz zunächst unter christologischem, später unter stärker soteriologischen und schließlich unter ekklesiologischem Aspekt betrachte.

a) Ich beginne mit Markus. Hier geht es zentral um das Geschick Jesu. Wie schon das letzte Wort Jesu zum Ausdruck bringt, geht es um die Frage nach dem Leiden des Gerechten, wie sie in Ps 22 im Sinne einer Ur-Situation formuliert war. Auf diesen Psalm wird bei der Betrachtung der MK Passionsgeschichte immer wieder zurückgegriffen werden müssen. An ihm wird der Schüler die tiefe Not des Alleingelassenseins erkennen. Auch er kennt die deprimierende Erfahrung der Isolation, insbesondere auch der Verspottung, wenn er sich in Wort und Tat zu christlichem Glauben und Handeln bekennt. Im Ps 22 kann er diese Erfahrungen in verdichteter Form wiederfinden. Zugleich aber liest er hier auch, daß Gott die Schreie des verzweifelten Beters hört. Auch dies kann im eigenen Leben wiedergefunden werden: Alles hat seine Zeit, auch das Bedrückende und Bedrohende geht vorüber. Der Psalmbeter bekennt dies dankbar als gnädiges Walten Gottes, ein Deutungsangebot auch für den Schüler. In ein solches Gerüst findet der Schüler dann auch die Passion Jesu eingezeichnet. Die Passion Jesu ist eine mit Leben gefüllte Konkretion des 22. Psalms. Als solche muß sie aber auch die Rettung Jesu aus dem Tod einschließen. Der Schrei der Verlassenheit kann nicht das Ende des Gerechten sein. Im Vergleich des Psalms mit der Geschichte des Lebensendes Jesus stößt der Schüler auf die Auferweckungsgeschichte und erkennt sie als Spiegelung von Ps 22 23. Bezogen auf das Kreuzeswort bedeutet das: Der Schüler erkennt in ihm die Frage nach Gott: Wo ist er in Jesu Not? Die Antwort läßt sich aus Mk 16, 1-8 erschließen: Er ist dem Leidenden nahe gewesen, er ist in keiner Minute von ihm gewichen. Hier ist das Gerechtigkeitsempfinden des Schülers angesprochen und zugleich sein Mitleiden mit dem Gekreuzigten. Es gibt eine Solidarität auch über 2000 Jahre hinweg. Gerechtigkeitsempfinden und Barmherzigkeit stehen hier im Blick auf Gottes Handeln nicht gegeneinander, der Schüler erfährt Gott als den in seiner Barmherzigkeit auch gerecht Handelnden.


Ist nun verstanden, daß Jesus nicht verlassen blieb, muß nun der Überschritt getan werden zur Bedeutung des Geschehens für uns. Zwar liegt bei Markus der Hauptakzent auf der christologischen Interpretation des Geschehens, aber die soteriologische Komponente ist damit ja immer zugleich mit im Spiel. Es soll nun deutlich werden: Die Gnade, die Gott einem Einzelnen erwies, verbürgt die Hoffnung auch für uns. Was Gott an Jesus Christus exemplarisch hat offenbar werden lassen, das geschieht mit jedem von uns. Jesu Leiden ist uns einschießendes Leiden, und Gottes Nähe im tiefsten Leiden ist uns mit umfassende Nähe.


Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zum (Neu)verständnis des Gottesbildes. Gott ist nicht der hohe, über alles Menschliche erhabene, ferne Allbeherrscher, sondern er ist der, der immer bei mir ist und mich auch im tiefsten Leid nicht verläßt. Die wesentlichste ‘Eigenschaft’ Gottes ist seine Treue. Hier kann die Nähe der Passionsgeschichte zum Glaubensbekenntnis entdeckt werden: ‘hinabgestiegen in das Reich des Todes’.

b) Wenn bei der Behandlung der markinischen Passionsgeschichte auch der christologische Aspekt im Vordergrund stand, so ist freilich schon hier die Heilsbedeutung für uns nicht auszusparen. Im Gegenteil, sie muß vorkommen, wenn denn die existentielle Relevanz des Themas zum Tragen kommen soll bzw. - theologisch gesprochen - wenn das Paradox verstanden werden soll, daß eine Leidensgeschichte frohe Botschaft ist. Deutlicher allerdings als bei Markus wird die Heilsbedeutung des Todes Jesu für uns bei Lukas herausgearbeitet, weshalb gerade die lukanische Passionsgeschichte mit ihren Jesusworten geeignet ist, diesen Aspekt besonders zu berücksichtigen. Im Umgang mit den letzten Worten Jesu nach Lk sollte sich ein Verständnis dafür anbahnen, daß Jesus vor Gott für uns Menschen in Fürbitte und Fürsprache eintritt (vgl. Lk 23, 34). Das hat zugleich existentielle Implikationen: Die Rede vom Eintreten Jesu für uns ist nur dann recht erfaßt, wenn sie eine Veränderung des Lebens nach sich zeiht (vgl. Lk 23, 43). Ohne diese Erkenntnis blieben Fürbitte und Fürsprache Jesu ohne Entsprechung und damit letztlich wirkungslos.

Voraussetzung für ein solches Verständnis ist die Auseinandersetzung mit eigener Schuld und deren Vergebung. Daß wir einander schuldig werden, ist ein menschliches Grunderlebnis, das jeder Altersstufe zugänglich ist. In der Erfahrung von Schuld liegt die Verknüpfung von Schüler und Sache, ebenso aber auch in der Erfahrung von Wiedergutmachung und Vergebung. Es gilt nun, unterscheiden zu lernen zwischen Verfehlungen, die reparabel sind, und Schuld, die im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen nie ganz wiedergutgemacht werden kann, Schuld, die über dem Leben liegt und es als ein verfehltes verurteilt. Eindeutige und nachvollziehbare Beispiele lassen sich überall da finden, wo menschliche Beziehungen irreversibel zerbrochen sind, wo der Tod eines Menschen die Folge fahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns ist., wo Völkermord geschieht. Hier drängt sich die Frage nach der Bewältigung solcher Schuld und nach der Rechtfertigung eines derart belasteten Lebens auf. Dabei wird deutlich werden, daß die Möglichkeiten, die ich zur 'Schadensregulierung' einsetzen kann, begrenzt sind und daß ich in den Fällen, die außerhalb der Möglichkeiten zwischenmenschlicher Wiedergutmachung liegen, darauf angewiesen bin, daß mir von anderswoher die Hand gereicht wird. Es ist die didaktische Aufgabe, das Verständnis dafür zu wecken, daß Jesus diese Möglichkeit eröffnet hat - durch sein Wort (Lk 23, 34).


Hier hat der Gedanke der Stellvertretung seinen didaktischen Ort. Denn Jesus vertritt mich ja in meiner Schuldverfallenheit vor Gott. Bevor jedoch 'Stellvertretung' im theologischen Sinne interpretiert wird, gilt es, ihre Bedeutung im zwischenmenschlichen Bereich zu erfassen. Daß jemand für einen anderen in einer schwierigen Situation eintritt, ist eine dem Schüler bekannte zwischenmenschliche Erfahrung. Auch sind Beispiele aus Kirchengeschichte, Profangeschichte und Gegenwart zur Genüge vorhanden. - Die Annäherung an die im Kreuz geschehene Stellvertretung müßte dann als nächster Schritt folgen. Hier gibt es bei Lukas zwei Gestalten, die eine solche Annäherung erleichtern, nämlich Barabbas einerseits und den reumütigen Schächer andererseits. Der freigelassene Barabbas ist der durch den stellvertretenden Tod Jesu Erlöste - Stellvertretung hier im zwischenmenschlichen Sinne, der reumütige Schächer ist derjenige, dessen verfehltes leben Jesus mit in seinen Tod nimmt und ihm in seinen Sterben neue Hoffnung schenkt - Stellvertretung hier in theologischer Dimension (nicht Befreiung vom Kreuz, sondern durch das Kreuz ). Jesus bahnt diesen Weg - durch seinen Tod (Lk 23, 43).

Schließlich soll noch der Schritt vom Damals zum Heute getan werden, so daß der Schüler im Kreuzestod das Handeln Christi auch 'für mich' heute entdecken kann. Das geht nicht, ohne einen Blick auf Jesu gesamtes Leben zu werfen und zunächst dieses zu interpretieren. Dabei zeigt sich, daß sein Leben im Für-Sein für andere bestand. Der Tod müßte nun als 'Grenzfall' des Lebens betrachtet werden, so daß auch er als Für-Handeln interpretierbar wäre. Nun ist aber das Für-Sein des Lebendigen anders qualifiziert als das Für-Sein im Tode. Im ersten Fall ist es, da Leben Zeiterfahrung ist, begrenzt auf bestimmte Menschen zu einer bestimmten Zeit; im zweiten Falle ist es, da Tod Widerfahrnis der Zeitlosigkeit ist, nicht an Zeit und Ort gebunden. So gilt das im Tode Jesu beschlossene Heilsereignis auch mir. M.a.W.: Nur weil Christus, durch den Tod gegangen, vor Gott steht, kann er überall und zu allen Zeiten Fürsprecher sein, auch 'für mich'.

Das 'Für mich' ist aber mir dann recht verstanden, wenn es nicht nur als theologische Wahrheit intellektuell nachvollzogen ist, sondern wenn es eine Veränderung des Lebens bewirkt bzw. in den zwischenmenschlichen Beziehungen erlebbar wird. Hier können Beispiele hilfreich sein.

c) Ließ sich bei Lukas die soteriologische Bedeutung des Kreuzes gut vermitteln, so weitet sich der Blick bei Johannes - wiewohl auch hier alle Komponenten mitgegeben sind - speziell zum ekklesiologischen hin. Ließ sich Lukas behandeln unter der Fragestellung: 'Was bedeutet das Kreuz für mich?', so können wir für Johannes formulieren: "Was bedeutet das Kreuz für die Gemeinde?' Diese Fragestellung impliziert symboldidaktische Aspekte. Es ist von daher geraten, die Erschließung der johanneischen Passionsgeschichte einschließlich der letzten Worte Jesu erst in höheren Klassen vorzunehmen. Die Passionsgeschichten sollten bekannt sein, ebenso der symbolisch gehaltene Stil des Johannesevangeliums. Unter dem Aspekt Faktum - Beschreibung - Deutung können nun die Passionserzählung des Mk, des Lk und des Jh miteinander verglichen werden. Faktum ist in allen drei Berichten die Kreuzigung, die Beschreibung ist jeweils nachzulesen, die Deutung in den Kreuzesworten brennpunktartig zusammengefaßt. Die 'Deutung' läßt das Kreuz als Symbol bei Jh klar hervortreten. Es ist der Ort, unter dem die Gemeinde sich versammelt. Sie ist nahezu eine Stiftung ihres Herrn. Weiter sollen die Schüler die hier beschriebene Situation als Zeichen dafür kennenlernen, daß die Sache Jesu mit seinem Tod nicht zu Ende ist, sondern weitergeht, rund um die Welt (Querbalken). Schließlich ist die Gemeinde nicht ohne ihren Herrn: Es wurde und wird verfügt, regiert (Längsbalken).

In diesem Sinne mag bedacht werden, daß das johanneische Jesuswort 'Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht' eine gleichnisartige Zusammenfassung dieses Gedankens ist. Übertragbar ist dieses Wort aber auch auf das lukanische und markinische Verständnis des Kreuzestodes Jesu. Welche Frucht das in die Erde fallende Weizenkorn dort jeweils bringt, könnte von den Schülern im Rückblick formuliert werden.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/1998

PDF