Was heißt eigentlich „Trans“ und wofür steht das Sternchen? - Das Projekt „Diversity Box” zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt

Von Giuseppina Lettieri

 

Bereits zu Beginn des Jahres 2017 sind zwei Veröffentlichungen erschienen, die deutlich machen, dass geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im gesellschaftlichen und medialen Diskurs keine Randnotiz mehr sind.
In einer Sonderausgabe des National Geographic, eher bekannt für Berichterstattungen und Fotostrecken zu Naturlandschaften und Tieren, werden unter dem Titel „Gender Revolution“ Kinder und Jugendliche aus den USA, Brasilien oder China porträtiert, die selbst über das Finden der eigenen Geschlechtsidentität, den Druck gesellschaftlicher Rollenerwartungen und das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen zu Wort kommen.

Auch die Studie „Gleiches Recht für jede Liebe”1 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erfährt seit der Veröffentlichungen der Studienergebnisse im Januar 2017 viel Aufmerksamkeit. Laut der Studie sind 82,6 Prozent der Befragten dafür, die Ehe zwischen zwei Frauen bzw. zwischen zwei Männern zu erlauben. 75,8 Prozent der Befragten sind dafür, dass es lesbischen bzw. schwulen Paaren erlaubt sein sollte, Kinder zu adoptieren. Für unsere Arbeit waren aber vor allem zwei Ergebnisse interessant. 38,4 Prozent der Befragten finden es unangenehm, wenn zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen. Homofeindliche Einstellungen sind also immer noch stark in der deutschen Gesellschaft verankert. Erfreulicher stimmen da die Zahlen, die sich auf den Arbeitsbereich unseres Projekts, die Kooperation mit Schulen, beziehen. Dahingehend sind 89,6 Prozent der Befragten der Meinung, dass im Schulunterricht Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Menschen vermittelt werden sollte.

Seit 2015 arbeitet unser Bildungsprojekt „Diversity Box” zur Akzeptanz und Anerkennung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt unter Bezugnahme auf homo- und transfeindliche Einstellungen. Beide Veröffentlichungen sind deshalb so relevant für uns, da wir sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in unserem Projekt gemeinsam thematisieren, da beides oft komplex miteinander verwoben ist. Jedoch sollten sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten nie miteinander gleichgesetzt werden. Eine Trans*2 - Geschlechtsidentität sagt nichts über die sexuelle Orientierung dieses Menschen aus. In unserer Arbeit wird oft deutlich, wie viel Bedarf an Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, vor allem zu Genderaspekten und zu geschlechtlicher Vielfalt mit Jugendlichen und Erwachsenen dazu noch erkennbar ist.


Geschlecht als Spektrum

Geschlecht fernab der Kategorien Mädchen oder Junge und Frau oder Mann zu denken und sich auf die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen einzulassen, fällt vielen Menschen, nicht nur in Deutschland, schwer. In den vergangenen Jahren zeigt sich, vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram, dass es eher jüngere Menschen sind, die diese Netzwerke mit Veröffentlichungen von Fotos, Zeichnungen oder Aussagen zu Gender oder Trans* Themen als Kommunikations- und Vernetzungsform benutzen, um sich über Fragen zu Geschlechtsidentitäten und zu Geschlechterrollen zu positionieren. Im Vergleich zu vielen Generationen vor ihnen, steht den Jugendlichen heute dafür ein größeres Angebot von Begriffen für das Spektrum von Geschlechtsidentitäten und Geschlechterrollen zur Verfügung. Von Agender über genderqueer oder genderquestioning bis hin zu Transmann. Es ist zwar dadurch auch heute im gesellschaftlichen Leben und vor allem im Alltag nicht unbedingt leichter, wenn man sich z. B. bestimmter Geschlechterrollen verweigert, doch die Möglichkeit sich über das Internet auszutauschen und gegenseitig zu stärken, kann in Zukunft gesellschaftliche Veränderungsprozesse mitgestalten. Ein Zeichen für diese Veränderungsprozesse zeigt sich bei dem sozialen Netzwerk Facebook. Seit 2014 können die Nutzer und Nutzerinnen bei der Angabe des Geschlechts nicht mehr nur aus zwei Kategorien, sondern aus über 60 Definitionsangeboten wählen. Facebook macht damit deutlich, dass geschlechtliche Vielfalt mitberücksichtigt wird und trägt zudem zu mehr Sichtbarkeit von Menschen bei, die sich nicht weiblich oder männlich definieren.


Von Beleidigungen bis zu Hassverbrechen

Trotz der zunehmenden Sichtbarkeit und Thematisierung von LSBTI*3 - Themen und Menschen in der Gesellschaft sind die Gefahren von Diskriminierung wie Mobbing, Beleidigungen, Ausgrenzung bis hin zu Gewalt, für LSBTI*-Menschen immer noch hoch. Auch die zunehmende rechtliche Gleichstellung in vielen Ländern lässt homo- und transfeindliche Diskriminierungen in städtischen wie ländlichen Sozialräumen nicht verschwinden. Beschimpfungen wie „Schwule Sau“, „Kampflesbe“ oder „Transe“ sind auf deutschen Schulhöfen und auch bei vielen Erwachsenen keine Seltenheit. Auch die konkreten Auswirkungen auf Betroffene, wie die gut dreimal so hohen Suizidraten unter LSBTI*-Jugendlichen und die wachsende Zahl von Gewalt- und Hassverbrechen gegen LSBTI*-Menschen4 , zeigen die gesellschaftliche Notwendigkeit für die Arbeit gegen homo- und transfeindliche Diskriminierung.

Durch die Zunahme antifeministischer Gruppierungen, die sich gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Gesellschaft positionieren, werden Vorstellungen von Familie oder die Rollen von Mann und Frau immer unversöhnlicher und hasserfüllter diskutiert. Ob es sich um Hate Speech im Internet, um Diffamierungskampagnen gegen Projekte zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt oder um Verschwörungstheorien unter den Stichworten „Genderismus”, oder „Homo- und Gender-Lobby” handelt: All diese Attacken haben gemein, dass sie die Akzeptanz und Anerkennung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bekämpfen und vermeintlich klassische Männer- und Frauenrollen verteidigen wollen.


Unser Ansatz: Das Projekt Diversity Box

Stereotype Geschlechterrollen, sexistische Rollenverteilungen sowie diskriminierende Sprache und Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Trans*Menschen gibt es auch in den zahlreichen Jugendkulturen. Als Projekt des Archivs der Jugendkulturen e. V. haben wir seit vielen Jahren eine tiefgehende Expertise zu jugendkulturellen Entwicklungen und Ausdrucksweisen. Beim Projekt Diversity Box analysieren wir einerseits jugendkulturelle Entwicklungen zu homo- und transfeindlicher Diskriminierung. Andererseits beobachten wir eine Zunahme von Initiativen sowie von Künstlern und Künstlerinnen, die für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt stehen, Geschlechterrollen hinterfragen und irritieren. Dazu gehören bekannte Beispiele wie Conchita Wurst, David Bowie oder Lady Gaga, aber vor allem auch Künstler und Künstlerinnen und Musiker und Musikerinnen, die in der Öffentlichkeit weniger bekannt und oft nur Szene-Kennern und Kennerinnen ein Begriff sind. Im Hip Hop ist da z. B. die Rapperin Sookee zu nennen, die mit ihrem Musiklabel „Springstoff” viele LSBTI*-Musiker und Musikerinnen unter Vertrag hat und mit der Kampagne „Make Some Noise“ gegen Sexismus und homo- und transfeindliche Diskriminierung im Rap und Reggae Dancehall aktiv ist.

Wir setzen mit Diversity Box bei dieser oft unbekannten Vielfalt und den emanzipatorischen Wurzeln von Jugendkulturen an. Dies wird kombiniert mit dem Ansatz, aktuelle LSBTI*-Musiker und Musikerinnen sichtbarer zu machen, um Jugendlichen Identifikationsfiguren vorzustellen, die nicht, wie viele Künstler und Künstlerinnen in der Mainstream- Popkultur, sexistische oder homo- und transfeindliche Bilder reproduzieren.

Über unsere jugendkulturellen und medienpädagogischen Workshops in Kombination mit Methoden der geschlechterreflektierten Bildungsarbeit bieten wir Angebote an, die kreativ und partizipativ ausgerichtet sind und sich zudem nah an den Interessen und Lebenswelten der Jugendlichen befinden. Angeleitet werden die Jugendlichen von unserem in der politischen Bildung geschulten Team aus Medienschaffenden und Szene-Leuten aus verschiedenen Jugendkulturen. Das Team besteht aus 20 Menschen, die für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einstehen. Ziele sind neben der Aufklärung und Sensibilisierung von Jugendlichen und Erwachsenen für homo- und transfeindliche Diskriminierungen auch die Vermittlung von Informationen und Wissen über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, die direkte Begegnung von Jugendlichen mit einem Team, das für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsteht, und das Empowerment von LSBTI*-Jugendlichen und Erwachsenen in unserer Gesellschaft.


Kreativworkshops und Vorträge für Jugendliche zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt

Unsere Hauptzielgruppe sind Jugendliche im Alter ab zwölf Jahren. Die in der Pubertät verstärkte Frage der eigenen Identitätsfindung beschäftigt sich auch zentral mit Fragen zur eigenen Geschlechtsidentität, Rollenerwartungen und sexuellem Begehren. Dies findet in der Regel immer noch in einem von heterosexueller Dominanz geprägten Milieu statt. Für LSBTI*-Jugendliche kann das zu Ausgrenzungen, Mobbing, Verdrängungen oder Diskriminierungen führen. Daher sind zum einen LSBTI*-Jugendliche unsere Zielgruppe, die in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität gestärkt werden sollen. Andererseits möchten wir auch mit denjenigen Jugendlichen arbeiten, die bereits abwertende Haltungen zu Homosexualität oder Trans* Themen entwickelt haben. Im Alter ab zwölf Jahren beginnen außerdem Abgrenzungsprozesse gegenüber Erwachsenen, die sich auch in einer Orientierung oder Identifizierung mit einer der zahlreichen Jugendkulturen zeigen können. Die Projektidee, geschlechterreflektierte Ansätze mit dem Thema Jugendkulturen zu verbinden, bietet sich daher besonders für die Zielgruppe der Zwölf- bis circa 20-Jährigen an.

Wir bieten neun Workshops zu Graffiti / Streetart, DJing, Rap, Poetry Slam, Comic / Manga, Fanzine, Tanz, Video und Fotografie an. Über kreative Ausdrucksmöglichkeiten möchten wir die Jugendlichen über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Jugendkulturen aufklären und sensibilisieren. Zudem sollen Jugendliche, egal welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, durch die Sichtbarkeit von Künstlern und Künstlerinnen, die für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt stehen und sich gegen homo- und transfeindliche Diskriminierung stark machen, in ihrer eigenen Identitätsfindung sowie in ihrem diskriminierungsfreien Handeln gestärkt werden. Alle Workshopangebote sind in Form großer Projekttage und Projektwochen sowie auch in Form von einzelnen Workshops bundesweit buchbar. Komplettiert wird unser Angebot für die geschlechterreflektierte Bildungsarbeit mit Jugendlichen durch Vorträge zu Gender, Queer, Feminismus und Sexismus, in denen neben Geschlechterrollen auch gesellschaftliche Machtverhältnisse und Mehrfachdiskriminierungen thematisiert werden.
 


Die haben wir hier gar nicht …?!

Fortbildungsangebote für Lehrkräfte zur Sichtbarkeit von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in der Schule

Für viele Lehrer und Lehrerinnen, mit denen wir bisher gearbeitet haben, sind die Themen Sexualität und Geschlecht oft mit eigenen Hemmungen und Unsicherheiten bezüglich der Thematisierung im Unterricht verbunden. Wir hatten bisher das Glück, dass engagierte Lehrer und Lehrerinnen uns bei der Überwindung schulbürokratischer Hürden oder dem Abbau von Skepsis im Kollegium geholfen haben, so dass wir in Form von Projekttagen oder Einzelworkshops bereits in Berlin, Niedersachsen, Sachsen und Brandenburg mit Jugendlichen zu Fragen von homo- und transfeindlicher Diskriminierung arbeiten konnten.

Nicht selten wird uns aber auch erwidert, dass es an der Schule oder in der eigenen Klasse gar keine lesbischen, schwulen, bisexuellen, Trans*- oder Inter*-Jugendlichen gibt. Die Nachfrage, worauf sich diese Annahme gründet, bleibt dann oft unbeantwortet. Laut der Coming-Out-Studie des Deutschen Jugendinstituts outen sich viele schwule, lesbische oder bisexuelle Jugendliche und auch Trans*-Jugendliche nicht in ihrer Schullaufbahn, da sie Schule nicht als diskriminierungsfreien Ort empfinden. Vor allem bei den komplexen Themen rund um Geschlechtsidentitäten und um das Thema Trans* begegnete uns in den vergangenen Jahren bei Erwachsenen viel Unwissen bis hin zu eigenen diskriminierenden Handlungen im Umgang mit Trans*-Jugendlichen. Auch über Selbsthilfegruppen oder Beratungsprojekte zu LSBTI* im eigenen Sozialraum sind oft wenige Erwachsene gut informiert.

Eins unserer Angebote richtet sich dahingehend explizit an Lehrkräfte und weitere Akteure und Akteurinnen der Jugendsozialarbeit, um über die Lebenswelten von schwulen, lesbischen und bisexuellen Jugendlichen aufzuklären und zudem deutlich zu machen, worin sich die Lebenswelten und Diskriminierungsfaktoren für Trans* und Inter*- Jugendliche unterscheiden. Im Rahmen dieser Fortbildungen geben wir zudem den Lehrkräften die Möglichkeit, sich über Hemmungen und Fragen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auszutauschen, um gemeinsam Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
 


Fazit

Mit Diversity Box arbeiten wir seit zwei Jahren an Schulen und Jugendeinrichtungen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt mit Jugendlichen und Erwachsenen. Die Erfahrungen variieren. Sie sind manchmal hoffnungsvoll und manchmal entmutigend. Viele engagierte Lehrer und Lehrerinnen, meistens selbst Teil der LSBTI*-Community, haben es uns ermöglicht, zu diesen sensiblen Themen mit Schülern und Schülerinnen zu arbeiten. In nicht wenigen Fällen gab es aber auch Hemmungen, Unsicherheit und auch viel Unwissen, vor allem, wie mit komplexen Fragen zu Gender und Geschlechtsidentitäten umzugehen ist und wie Angebote an der Schule verankert werden können. Der gesellschaftliche Backslash verunsichert auch viele unserer Kooperationspartner und Kooperationspartnerinnen und macht auch unsere Arbeit nicht leichter. Doch die Zunahme von antifeministischen und gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gerichteten Gruppen macht nur umso deutlicher, dass die gesellschaftspolitische Arbeit und die Stärkung von zivilgesellschaftlichem Engagement zu diesen Themen elementar ist – für eine demokratische Gesellschaft, die für die Vielfalt und die Gleichwertigkeit aller Menschen einstehen will.


Anmerkungen 

  1. Die Studie untersucht die Bevölkerungseinstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen und läutete zugleich das Themenjahr für sexuelle Vielfalt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein.
  2. Das Sternchen kommt ursprünglich aus der Computersprache und stellt im Trans* Kontext einen Versuch dar, sämtliche Identitätsformen und Lebensweisen im Spektrum von Trans* zu berücksichtigen.
  3. LSBTI* ist ein Sammelbegriff und steht für Lesbisch- Schwul- Bisexuell- Trans*- Inter*.
  4. Laut Bundesinnenministeriums wurden bis September 2016, 205 politisch motivierte Straftaten mit dem Unterthema sexuelle Orientierung gemeldet. 2015 waren es im vergleichbaren Zeitraum 171 Straftaten.
     


Literatur

  • Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hg.): Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage, Berlin 2017
  • Deutsches Jugendinstitut e. V. (Hg.): Coming-out – und dann…?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen, München 2015
  • LSVD-Pressemeldung: Deutlicher Anstieg homo- und transphober Straftaten in Deutschland, Berlin 2016- Online Version der Pressemeldung zuletzt abgerufen am 23.01.2017 unter: www.sendcockpit.com/appl/ce/software/code/ext/_ns.php?&uid=b1cc92421fe14b8d9cf7142306361de0
  • National Geographic (Hg.): Special Issue. The shifting Landscape of Gender. Gender Revolution. Vol. 231, No.1, Januar 2017
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Bildstreifen zu Künstlern und Künstlerinnen aus Jugendkulturen
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Wir bieten neun Workshops zu Graffiti/Streetart, DJing, Rap (Foto), Poetry Slam, Comic/Manga, Fanzine, Tanz, Video und Fotografie an.