Die Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Von Arend de Vries

 

Im Herbst 2014 wurde in der Landeskirche eine Handreichung mit Materialien für einen Gottesdienst zur „Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft“ veröffentlicht. Mit dieser Veröffentlichung, die vom Bischofsrat in Abstimmung mit dem Landeskirchenamt herausgegeben wurde, war implizit die Einführung solcher Segnungsgottesdienste in der Landeskirche verbunden. Dieser Schritt wurde von der Landessynode begrüßt.

Der Weg hin zu dieser Form eines Segnungsgottesdienstes war ein langer Weg. Und dieser Weg ist eng verbunden mit der gesamtgesellschaftlichen Bewertung von gleichgeschlechtlicher Liebe einerseits und dem kirchlichen Umgang mit dieser Lebensform andererseits. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass sich zwar in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts gesellschaftlich ein zunehmend liberalerer Umgang mit Homosexualität entwickelte, die staatliche Gesetzgebung dem aber deutlich hinterher hinkte. Erst 1994 wurde der berüchtigte § 175 des Strafgesetzbuches abgeschafft, der gleichgeschlechtliche Beziehungen von Männern unter Strafe stellte. Dieser Paragraph ging zurück auf das Reichstrafgesetzbuch von 1872, wurde zur Zeit der Nazidiktatur noch einmal verschärft und fand sich dann im Strafrecht der Bundesrepublik wieder. Dem entsprach in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine latent homophobe Grundeinstellung, die auch noch die Achtundsechziger-Zeit überdauerte.

Diese Grundeinstellung war bis in die 1990er Jahre auch in beiden großen Kirchen vorherrschend. Dazu kam, dass in der Theologie das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe kaum Beachtung fand. Und wenn doch, dann eher im Duktus einer restaurativen Moralvorstellung. Noch 1970 wurde das Thema Homosexualität in einer grundlegenden theologischen Ethik unter der Überschrift „Die Entartungen der Geschlechtsbeziehungen“ verhandelt (Wolfgang Trillhaas, Ethik). Erstaunlich bei dem ganzen Thema, ob gesellschaftlich oder kirchlich-theologisch, ist, dass es eigentlich immer um männliche Homosexualität ging, gleichgeschlechtliche Frauenliebe war nur ganz selten im Fokus.

Aber neben der „kirchen-offiziellen Linie“ gab es schon seit den 1970er Jahren Gruppen in der Kirche, die sich mit dem Thema auseinandersetzten und sich dafür einsetzten, dass Schwule und Lesben unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung als Mitglieder und auch als Mitarbeitende in der Kirche ihren Platz erhielten. Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 1977 wurde die „Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexualität und Kirche (HuK) e.V.“ gegründet, eine der ältesten schwul-lesbischen Vereinigungen. Damit bekam die Bewegung eine Stimme, die wesentlich mitverantwortlich war für einen langsamen Wandel der Einstellung und Haltung der Kirchenleitungen in den evangelischen Kirchen. Allerdings – auch das muss man deutlich sagen – waren die ersten beiden Jahrzehnte dieser Bewegung eher „Arbeit im Untergrund“. Ältere Mitglieder der HuK berichten, dass sie sich anfangs nur telefonisch zu Treffen verabredet hätten und sich möglichst erst nach Einbruch der Dunkelheit trafen.

Ein Phänomen der damaligen Zeit war, dass häufig die Erwartung gerade an die evangelische Kirche herangetragen wurd, dass neben der kirchlichen Trauung doch auch eine vergleichbare kirchliche Feier für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein sollte. Vermutlich steckte dahinter der Wunsch, wenigstens von der Kirche den Segen für die eigene Lebensform zu erhalten, der von der staatlichen Gesetzgebung nicht gewährt wurde.

Eine besondere Fragestellung neben der allgemeinen Beurteilung der Homosexualität durch Kirche und Theologie war die Frage der kirchlichen Anstellungsfähigkeit von Homosexuellen. Anfang der 1980er Jahre wurden zwei Pastoren der Landeskirche, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekannt hatten, in den Wartestand versetzt. Die Landeskirche berief sich dabei auf das geltende Pfarrdienstrecht, nach dem Pastorinnen und Pastoren in ihrer Lebensführung auf das Leitbild Ehe und Familie verpflichtet seien – offen gelebte Homosexualität würde gegen dieses Leitbild verstoßen.

 

AUS PREDIGER SALOMO 4

Zwei sind besser dran als nur einer.
Sie haben guten Lohn für ihre Mühe.
Denn fallen sie, so hilft der eine dem andern auf.
Was tut einer, wenn er fällt,
und keiner ist da, ihm aufzuhelfen?
Liegen zwei beieinander, so haben sie es warm.
Wie aber könnte ein einzelner warm werden.
Mag einer einen einzelnen überwältigen.
Zwei mögen widerstehn.
 


Kampfabstimmung in der Landessynode 1993

Für das Selbstverständnis vieler kirchenleitender Personen war es daher fast ein Paukenschlag, als 1993 die Landessynode in einer Kampfabstimmung mit einer Stimme Mehrheit beschloss, dass Pastorinnen und Pastoren sowie andere Mitarbeitende, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebten, Anstellungsmöglichkeiten in der Landeskirche eröffnet werden sollten. Dieser Beschluss wurde vom damaligen Landesbischof aber nicht akzeptiert, weil hier Grundfragen des Glaubens berührt seien, über die man nicht per Mehrheitsbeschluss entscheiden könne. Vielmehr bedürfe es eines so genannten magnus consensus in der Landeskirche und in der EKD zu dieser Frage – und der sei nicht gegeben.

In der Tat gab es auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) keine Mehrheit für eine generelle Zulassung von Homosexuellen zum Pfarramt. Die Orientierungshilfe der EKD von 1996 „In Spannungen leben“ stellte fest, dass es keine einheitliche Position innerhalb der evangelischen Kirche gäbe. Der in der Landeskirche eingesetzte „Arbeitskreis Lebensführung“ kam 1998 nach fünf Jahren zu der Feststellung, dass die Kirche sich zwar gegen die Diskriminierung homosexuell lebender Menschen einsetzen solle – im Blick auf ihre Anstellung in der Kirche die Spannung zwischen seelsorglicher Abwägung und theologisch-kirchenrechtlicher Argumentation aber zu groß sei. Es blieb nur ein vorläufiges Moratorium in der Frage, was viele engagierte Schwule und Lesben in den Gemeinden sehr verbittert hat.
 


Kern der Auseinandersetzung: Das Schriftverständnis

Im Kern der Auseinandersetzung ging es dabei stets um das Schriftverständnis, mit dem die Bibel gelesen und ausgelegt wurde. Homosexualität ist, wie übrigens auch die Ehe, nie ein eigenständiges Thema in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Aber sie wird mehrfach erwähnt. Nimmt man die biblischen Aussagen je für sich, wird Homosexualität bzw. gleichgeschlechtliche Sexualität unter Männern stets abgelehnt. Liest man die biblischen Aussagen in ihrem jeweils zeitgeschichtlichen und kulturellen Kontext, wird deutlich, dass es schon bei den alt- und neutestamentlichen Aussagen um die Ablehnung von sexueller Gewalt und den Missbrauch junger Menschen ging. Nirgends ist aber bei den ablehnenden biblischen Aussagen zur Homosexualität eine Liebesbeziehung zweier Menschen im Blick, die auf gegenseitige Verantwortung und Dauerhaftigkeit angelegt ist.

Konkurrierendes Bibelverständnis war lange Zeit in der Landeskirche das entscheidende Hindernis für ein gleichberechtigtes Verständnis von hetero- und homosexueller Lebensform. Auch eine zweite Arbeitsgruppe, die 2001 als so genannter „Runder Tisch“ eingesetzt wurde, kam nicht über die Feststellung hinaus, dass das Schriftverständnis entscheidend sei für die Beurteilung der biblischen Aussagen über Homosexualität – und über das Schriftverständnis wurde keine Einigung erzielt. Dennoch brachte die Arbeit dieses Runden Tisches einen Fortschritt: als hermeneutischer Schlüssel konnte der alte lutherische Ansatz Bedeutung gewinnen, dass das, „was Christum treibet“, der Maßstab sein sollte für eine Differenzierung biblischer Aussagen. Nur über die Frage, was den Geist der Freiheit und der Liebe abbildet und darum Vorrang haben muss vor biblischen Aussagen, die zeitgeschichtlich zu verstehen sind – darüber waren sich die Teilnehmenden nach wie vor nicht einig. Aber ein weiterer Fortschritt im Ergebnis des Runden Tisches war, dass die unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen zu diesen Fragen nicht kirchentrennend sein sollten. Damit war wenigstens Raum dafür geschaffen, dass anders Denkenden nicht ihr Christ-Sein abgesprochen wurde. Für manche in der Kirche war das schon zu weitgehend – für andere blieb dieses Ergebnis, das vor 15 Jahren vorgelegt wurde, weit hinter den Erwartungen zurück.

Inzwischen war 2002 staatlicherseits das „Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft“ verabschiedet worden. Damit war von „weltlicher“ Seite eine gesetzliche Regelung über das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Partnerinnen und Partner geschaffen, die an einigen Punkten aber hinter den gesetzlichen Regelungen für die Ehe zurückblieb. Einerseits waren die Erwartungen an die Kirche im Blick auf eine Segenshandlung nicht mehr so aktuell, da nun staatlicherseits eine verbindliche Regelung gefunden war. Andererseits musste die Kirche sich aber damit auseinandersetzen, dass es eine rechtliche Regelung gab, der keine kirchliche Handlung entsprach.


VERSPRECHEN

N.N. (1):
Ich will dich, N.N.,
aus Gottes Hand nehmen.
Ich will unsere Liebe
schützen und bewahren
und dir mit Achtung begegnen.
Ich will zu dir stehen
in guter und in schwerer Zeit
bis ans Lebensende.
Ja – dazu helfe mir Gott.


Der Weg zur Handreichung zur Segnung eingetragener Lebenspartnerschaften

Es war ein Zwischen-Schritt, den die Landeskirche Hannovers ging, als Bischofsrat und Landeskirchenamt 2002 mit dem „Modell der Fürbittandacht“ reagierten. Die Feier hieß nicht Segnung, die äußere Form unterschied sich deutlich von einer Trauung – aber das Handeln war weitestgehend in die Hände und in die seelsorgliche Verantwortung von Pastorinnen und Pastoren gelegt. Dieser Schritt erntete viel Kritik und wurde vielfach als zu ängstlich eingestuft. Auf der anderen Seite gab es innerkirchlich kaum Widerstände für diese – im Nachhinein als Übergangslösung zu beschreibende – Form.

Nachdem langjährige Beratungen auf der Ebene der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und der EKD 2010 zu einem Abschluss gekommen waren, gab es dienstrechtlich für Pastorinnen und Pastoren keine Einschränkungen mehr im Blick auf ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Damit waren auch die Einzelfallentscheidungen, die es schon viele Jahre gab, überflüssig geworden. So sind gleichgeschlechtlich liebende Paare inzwischen in den meisten landeskirchlichen Gemeinden weitestgehend akzeptiert und wohnen auch gemeinsam im Pfarrhaus.

Trotzdem hat es noch geraume Zeit gebraucht, bis mit der Vorlage einer Handreichung die Segnung von Menschen, die in eingetragener Lebenspartnerschaft leben, auch eine öffentliche gottesdienstliche Form fand. Das Vorwort der Handreichung macht aber den Sinneswandel gegenüber früheren Zeiten deutlich, indem ausdrücklich begrüßt wird, wenn Menschen in Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und gegenseitiger Verantwortung eine Beziehung eingehen und diese auch mit der (staatlichen) Eintragung nach außen dokumentieren. Wenn sie dann den Wunsch äußern, diese Gemeinschaft auch unter den Segen Gottes zu stellen, dann sind sie herzlich eingeladen, dieses in einem öffentlichen Gottesdienst zu feiern und sich segnen zu lassen.

Die Form, die dafür gewählt wurde, die Liturgie für eine solche Segensfeier, entspricht weitestgehend der Form einer kirchlichen Trauung, die ja auch als Gottesdienst gefeiert wird. Dazu gehören Lieder und Gebete, Lesungen und Predigt, aber auch die Fragen an die Partnerinnen bzw. Partner und das gegenseitige Versprechen der Liebe und Treue, ein Ringtausch und natürlich der Zuspruch des Segens. Der Trauung heterosexueller Paare und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist gemeinsam die „vertrauensvolle Erwartung, dass Gott Menschen segnet, wo sie in Liebe und Verantwortung verlässlich miteinander leben wollen“ (Vorwort der Handreichung).

Ohne große Überraschung einerseits, aber auch ohne große Widerstände andererseits ist diese Ordnung nun seit mehr als zwei Jahren in Geltung. Einen Überblick, wie häufig solche Segnungs-Gottesdienste gefeiert werden, gibt es noch nicht. Die Zeit ist auch noch zu kurz, um Erfahrungen auszuwerten.
Auf eine Differenz ist allerdings noch hinzuweisen: In der Praxis der Landeskirche wird unterschieden zwischen der Trauung heterosexueller Paare und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, so wie dies auch die staatliche Gesetzgebung mit Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft tut. Einige andere Landeskirchen sind noch einen Schritt weitergegangen, wenn Sie die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare als Trauung beschreiben und damit zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft nicht mehr unterscheiden.

Diesen Schritt ist die Evangelisch-lutherische Landeskirche bislang nicht gegangen. Das liegt auf der Linie der letzten knapp zwanzig Jahre, in denen der beschriebene Weg sehr behutsam gegangen worden ist, um möglichst viele Kirchenmitglieder und Kirchengemeinden mitzunehmen und größere Verwerfungen innerhalb der Kirche zu vermeiden. Damit hat die Landeskirche den schwulen und lesbischen Kirchenmitgliedern viel Geduld abgefordert, sie wurde häufig als zu zögerlich beschrieben, von manchen auch abgeschrieben. Aber vielleicht erweist sich das langsame Vorangehen doch als guter Weg im Blick auf das Einvernehmen in und die Einheit der Landeskirche.
 


Zur aktuellen Situation

Wo stehen wir also heute? Als evangelische Kirche segnen wir Menschen, ob in der traditionellen Form der heterosexuellen Ehe oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Wir vertrauen darauf, dass dieser Segen, der in einem Gottesdienst zugesprochen wird, Menschen, die sich lieben, auf ihrem Lebensweg stärkt und ihre Liebe bewahren hilft. In der evangelischen Kirche arbeiten Menschen, ehrenamtlich und hauptamtlich, die ihrer Prägung gemäß Partnerschaft und Beziehung leben, unabhängig davon, ob sie dieses heterosexuell oder homosexuell tun. Gleichgeschlechtlich liebende Pastorinnen und Pastoren leben in Pfarrhäusern und arbeiten in den Einrichtungen der Kirche, in den Ämtern und in den Kindergärten, in der Diakonie und in der Gemeindearbeit. Und das ist auch gut so!

Es gibt aber auch noch Vorbehalte: In unseren Gemeinden gibt es Menschen, die sich dieser Sicht nicht anschließen wollen oder meinen, es aus Gewissensgründen nicht zu können. Wir können theologische Einsichten nicht erzwingen, sie nicht durchsetzen. Denn es ist ja gerade reformatorische Einsicht und auch evangelische Freiheit, dass jede Christin, jeder Christ nur seinem eigenen Gewissen in seiner Gottesbeziehung verpflichtet ist. Und deshalb gibt es auch einige Pastorinnen und Pastoren, die sich aus Gewissengründen und ihrer theologischen Überzeugung entsprechend nicht in der Lage sehen, einen Gottesdienst mit Segnung von Menschen in eingetragener Lebenspartnerschaft durchzuführen. Dazu werden wir sie als Kirche auch nicht zwingen. Aber sie haben auch nicht das Recht, die Entscheidungen, die wir als Kirche getroffen haben, in Frage zu stellen.

Es war ein langer Weg, den wir als Kirche gegangen sind. Und er ist nicht zu Ende.

Solange homophobe Strömungen in unserer Gesellschaft, aber auch in unserer Kirche auftreten, wollen wir dem entgegentreten. Solange Menschen darunter leiden müssen, dass sie anders leben und lieben wollen als die Mehrheit es tut, dürfen wir dazu nicht schweigen.