Das „Reich Gottes“ im Klassenzimmer – Didaktische Erschließungen

von Gerhard Büttner

 

1. Voraussetzungen

Wenn wir vom Reich Gottes reden, dann treffen wir den Kernbestand von Jesu Botschaft. (Mk1,15). Doch sollen wir konkretisieren, was der Begriff meint, dann geraten wir entweder ins Stocken oder wir fangen an, Geschichten zu erzählen von den menschenfreundlichen Taten Jesu oder von unseren eigenen Hoffnungen in dieser Welt, für diese Welt und darüber hinaus. Doch wie soll man das unterrichten? Oft taucht das Thema implizit auf, wenn es um Gleichnisse oder Wunder geht, die Bergpredigt, um Frieden oder Zukunft. Dies ermöglicht viele Anknüpfungspunkte, doch steht zu erwarten, dass dies nicht dazu beiträgt, dass die Schülerinnen und Schüler die Kompetenz erwerben, am Ende ihrer Schulzeit diesen Begriff in ihrem aktiven Wortschatz zu haben. Dies impliziert zweierlei: Einmal erscheint es notwendig, sich Gedanken zu machen, in welcher Gestalt und in welchem Kontext das Thema in den verschiedenen Altersstufen üblicherweise erscheint. Zweitens käme es aber darauf an zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie diese Thematisierungen zusammen hängen bzw. auf einander bezogen werden können im Sinne eines aufbauenden Lernens.

Ich untersuche dazu drei Felder: den begrifflich-exegetischen Kontext im NT, die metaphorologische Struktur des Begriffs und schließlich die kognitiv-strukturelle Dimension.

Wer die Evangelien synoptisch liest, dem wird auffallen, dass Mt in der Regel dort, wo Mk und Lk vom „Reich Gottes“ sprechen, den Begriff „Reich der Himmel“ bzw. „Himmelreich“ benutzt. Mt umschreibt damit den Begriff „Gott“ durch „Himmel“, um dem Missbrauch des Gottesnamens vorzubeugen. Wir sind an diesen jüdischen Gebrauch nicht gebunden; es fragt sich vielmehr, ob Himmelreich nicht eher verstanden wird als „Reich Gottes“. Empirische Studien zeigen, dass die Vorstellungen von einem „Reich“ sehr unklar sind, von territorialen Vorstellungen bis hin zum „Dritten Reich“. Beim Begriff „Himmel“ widerstreiten zwar die Vorstellungen von „sky“ und „heaven“, doch wird hier das Immaterielle leichter erfassbar. Mt spielt auch bewusst mit diesem Begriff, wenn er im Senfkorngleichnis davon spricht, dass in der ausgewachsenen Senfpflanze „die Vögel des Himmels“ (Mt 13,32) wohnen. Wie ich im Folgenden zeigen werde, ist zudem die Himmelsmetapher gerade in ihrer Rezeption vergleichsweise gut erforscht und lässt so didaktische Konsequenzen leichter formulieren als zum Begriff des „Reiches“.
Wenn wir vom Reich Gottes bzw. vom Himmelreich als Metapher sprechen, was soll das heißen? Ein Reich ist zunächst ein politischer Begriff – er bezeichnet ein bestimmtes Territorium. Was ein kleines Territorium wie eine Stadt oder Gemeinde ist, kann sich auch ein Grundschulkind schon vorstellen. Wenn dieses Territorium nun Gott gehört, er dort quasi König ist, dann kann man sich das ausmalen – von märchenhaft bis sozialutopisch. Doch, typisch für eine Metapher, zerbricht dieses Bild, weil Gott kein irdischer König ist und es an keinem Ort so ein Idealreich gibt. Es muss sich also um etwas Ähnliches handeln – aber eben doch ganz anders.

Für das Himmelreich funktioniert dieser Prozess ganz ähnlich. Die Ausmalungen dessen, was im Himmel ist, sind von dem des idealen Königreichs wohl oft gar nicht so fern. Für den Metaphernsprung bedarf es dann nur der Vaterunser-Sequenz „wie im Himmel, so auf Erden“. Die Metaphernforscher Lakoff und Johnson machen deutlich, wie sehr die Orientierungsmetaphern „oben“ und „unten“ auch die Aufladung des Himmelsverständnisses erklären. Sie zitieren anthropologische Grunderfahrungen (23ff): Wachsein, Gesund-Sein sind oben – Depression und Schlaf unten, Groß-Sein, Stark-Sein ist oben, das Gegenteil unten, Mehr ist oben, Weniger unten, Gut ist oben, Schlecht ist unten, Verstand ist oben, Gefühl ist unten. Diese Liste lässt erahnen, dass bereits Kinder mit dem Aufwachsen die Wertigkeit des Oben erfahren und von daher mit einem Ort „ganz oben“ wenig Probleme haben werden, sondern durchaus phantasieleitende Annahmen daraus herleiten.

Durch die Studien von Reto Luzius Fetz können wir die Genese der Himmelsvorstellung vom Kindes- zum Erwachsenenalter sehr gut nachvollziehen. Für das Kind stellt der Himmel einen konkreten Ort dar, im Bild des Hauses das Obergeschoss, in dem Gott (mit seiner Frau?!), Jesus und den Engeln wohnt. Die Szenerie kann erweitert sein um Verstorbene, Sterne etc. Mit der Wahrnehmung der „Sky-Realität“ kommt es dann zu sogenannten Hybridkonstruktionen: Im Himmel koexistieren Engel mit Flugzeugen und Raketen. Dieses Hybridstadium ist sehr zählebig und bleibt bei den meisten Menschen zumindest rudimentär auch im Erwachsenenalter erhalten.

Warum etwa fühlen sich die meisten Menschen auf hohen Bergen Gott näher? Warum sind wir intuitiv bereit, das Wetter mit Gott zu konnotieren? Andererseits beginnt die archaische Himmelsvorstellung sich im Grundschulalter aufzulösen. Wenn die Erde rund ist, macht es keinen Sinn einen Ort im Weltall als „oben“ zu bezeichnen. Je größer das Wissen über den Kosmos ist, umso weniger bleibt ein ausmachbarer Ort für einen religiösen Himmel. Andererseits wird der Himmelbegriff gebraucht, um in einer Theologia negativa das Gegenbild zur Immanenz zu benennen. Gott und der Himmel sind „jenseits“ der Immanenz – und gleichzeitig als anwesend und wirksam in dieser Welt gedacht. In der Sprache des Kirchentagsliedes heißt es dann: „Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf.“ Fetz bemerkt nun, dass eine abstrakte Begrifflichkeit vom Himmel leer bleibt, d. h., dass sie keine lebendige Metapher werden kann, wenn nicht die frühen Intuitionen wieder aktiviert werden können. D. h., die kindlichen Bilder von „Gottes Wohnungen“ (Jh-Ev) können die abstrakten Vorstellungen vom Jenseits Gottes füllen, gerade dann, wenn man den metaphorischen Charakter dieser Rede erkennt. Wer solche Bilder in der Kindheit nicht entwickeln konnte, läuft auf jeden Fall größere Gefahr „religiös unmusikalisch“ in dieser Frage zu bleiben und der Himmelbegriff wird ihm leer oder unzugänglich bleiben.

 

2. Unterrichtliche Konsequenzen

Für die didaktische Erschließung kommt es nun darauf an, die skizzierten sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf das Reich-Gottes-Thema umzusetzen. In einem ersten Schritt käme es darauf an, dass die Kinder den Reich-Gottes-Begriff und seine Bilder mit der eigenen Lebenswelt verknüpfen können. Dabei werden auch die oben erwähnten Himmelsbilder aus der „Gotteswelt“ mit einfließen. Im Laufe der Grundschulzeit wird das Thema dann im Hinblick auf die Jesus-Gestalt präzisiert. Dazu dienen einmal seine Wunder, zum anderen seine Gleichnisse. Im Kontext der Bergpredigt kommt es zum Ende der Sek I zu begrifflichen Präzisisierungen. In der gymnasialen Oberstufe kann man dann theologiegeschichtliche Rückgriffe auf die Bergpredigt, etwa im Sinne einer Ethisierung (Ritschl) oder einer Befreiungstheologie, zur weiteren Klärung behandeln. Ich werde im Folgenden diesen Vierschritt erläutern.

 

2.1 Baldermann: „Gottes Reich – Hoffnung für Kinder“

Ingo Baldermanns Vorgehen erscheint mir für die Entfaltung des Themas in der Grundschule nach wie vor grundlegend. Er geht aus von den Verheißungen der Seligpreisungen (22). Die Kinder können die Liste „Weinende werden lachen, Hungernde werden satt, Sanftmütige werden die Erde besitzen“ ohne Mühe mit ihren Bildern fortsetzen: „… da spielen die Tiere mit den Menschen, da gibt es keinen Müll …“. Mit der begrifflichen und bildlichen Ausgestaltung dieser Gottes- bzw. Jesuswelt können sie einerseits dem Reich Gottes eine „materielle“ Gestalt geben und es andererseits mit ihren individuellen Ängsten und Träumen verbinden.

 

2.2 Jesu Wunder als Zeichen des Reiches Gottes

Die Wundergeschichten realisieren nun die Hoffnungen und Träume und kontextualisieren sie in der Jesuszeit. Menschen haben damals wie heute Hunger, sie sind krank oder sie sind den Naturgewalten ausgeliefert. Die Rettung durch den Gottesmann Jesus bringt einerseits reale Hilfe, andererseits wird deutlich, dass das, was Jesus tut, Zeichen sind (so im Johannes-Evangelium) gewissermaßen für das Gesamtprogramm. Das Wunder geschieht in dieser unserer Welt, doch gleichzeitig ist dies immer ein Stück der Gotteswelt, die Jesus mit seiner Person repräsentiert. Es gehört zum Wesen der neutestamentlichen Wundergeschichten, dass sie auf der Grenze angesiedelt sind zwischen dem, was „möglich“ ist, und dem, was „unmöglich“ ist. So werden die Heilungswunder in der Regel auch von Skeptikern Jesus zugestanden, Wunder wie die Brotwandlung in einem materiellen Sinne eher kritisch gesehen. Doch wo jeder Einzelne die Grenze zieht, hängt von Tradition und Lebenssituation ab. Wenn die Schülerinnen und Schüler zu Recht interessiert, was „in echt“ möglich war und ist, ist das legitim, doch lässt sich die Paradoxie nicht knacken, dass das Göttliche in einer Gestalt erscheinen soll, die unserer Welt und ihren Gesetzen entspricht. Jesus selbst hebt in seiner Antwort auf die Anfragen der Johannes-Jünger nach seiner Sendung (Mt 11,5) die Bedeutung seiner Wunder als Zeichen der mit ihm anfangenden Heilszeit hervor und spricht damit zumindest indirekt auch vom Reich Gottes. Diese Funktion der Wunder für das Reich Gottes deutlich zu machen, kann und soll – mit Baldermann – in der Grundschule beginnen und sich in der Sek I fortsetzen.

 

2.3 Das Reich Gottes gleicht … – Gleichnisse

Ein Großteil der Gleichnisse Jesu ist explizit der Frage nach dem Reich Gottes gewidmet (Das Reich Gottes gleicht …). Betrachtet man alle expliziten Reich-Gottes-Gleichnisse, dann ergibt sich ein narrativ gesponnenes Bedeutungsnetz zum Thema, aber eben keine Begriffsdefinition im engeren Sinne. Dies könnte zusammen hängen mit dem Respekt vor dem Gottesnamen, der eine begriffliche Verfügung eher verbietet, es könnte aber auch im Wesen einer Sache liegen, zu deren Wesen eine gewisse Unschärfe gehört, weil sie so eigentümlich u. a. zwischen Gegenwart und Zukunft, geistiger und materieller Welt aufgespannt ist.
Versucht man, die bei Zimmermann (1006) unter dem Stichwort „Königreich (Gottes)“ genannten Gleichnisse in ein Schema zu bringen, dann lässt sich ein Feld erkennen, das zwei Pole umfasst: Einmal wird die passive Seite betont, die die Initiative Gottes betont, andererseits die aktive, die auf das angemessene Handeln des Menschen abhebt. Dazu tritt die Zeitdimension. Betonen einige Gleichnisse den allmählichen Wachstumsprozess, so insistieren andere auf die Plötzlichkeit der Ankunft des Gottesreiches. Zwei Gleichnisse machen zudem deutlich, dass das Reich Gottes nicht in Reinform greifbar ist, die endgültige Scheidung aber erst am Ende (durch Gott) erfolgen kann und soll. Damit ergibt sich das folgende Schaubild:

Gleichnisschema

Das Schema deutet bereits an, dass diese Zuordnung zwangsläufig fragwürdig bleiben muss, weil im Gleichnis vom Schalksknecht bzw. von der königlichen Hochzeit die Einladungs- bzw. Geschenkaktivität von „Gott“ ausgeht und das angemessene Verhalten bewusst als Antwort erwartet wird. Doch zeigt das Schaubild, dass es sinnvoll ist, mit einer Auswahl das Bedeutungsnetz der Reich-Gottes-Botschaft selbst mit den Schülerinnen und Schülern in der Weise zu erarbeiten, dass ein solches Modell entweder auf den Boden gelegt oder an einer Tapete dauerhaft festgehalten wird.

 

2.4 „Dein Reich komme!“ – Die Bergpredigt

Die Struktur, die sich narrativ auf der Basis der Gleichnisse erarbeiten lässt, zeigt sich in konzentrierter Form in der Bergpredigt, eine Zusammenstellung von Jesusworten durch den Evangelisten Matthäus. Die Seligpreisungen fokussieren die passive Seite der Reich-Gottes-Botschaft: Den Leidenden, Verfolgten, nach Gerechtigkeit Hungernden wird Gottes Glückseligkeit verheißen. Doch auch hier sind mit den Barmherzigen und den Friedensstiftern gleichzeitig auch „Aktive“ in die Liste mit aufgenommen. Es lässt sich ein Netzwerk derer erschließen, die erfasst von der Reich-Gottes-Idee nun ihrerseits zu deren Realisierung beitragen wollen, z. B. durch eine Auslegung der Thoragebote, die über deren reinen Wortlaut hinaus geht (Antithesen) mit dem Ziel, „vollkommen zu sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt 5,48). Im Aufbau der Bergpredigt wird nun aber deutlich, dass auch das ethische Wollen nur vorstellbar ist im Rahmen von Gottes eigenem Handeln, das wir im Vaterunser-Gebet erbitten: „Dein Reich komme!“ (Mt 6,10).
Bei einer Weiterführung (z. B. in der Sek II) kann man dann die verschiedenen Auslegungen der Bergpredigt thematisieren:

  • als Sonderethik für Mönche;
  • als Interimsethik im Angesicht der Naherwartung;
  • als Medium der Sündenerkenntnis;
  • als ethisches Programm der Sittlichkeit;
  • die Aufnahme des Reich-Gottes-Gedankens in der Befreiungstheologie;
  • etc.

 

3. Fazit

Das hier skizzierte Programm geht von einem logischen inneren Aufbau des Themas aus. Die Entfaltung konkreter Vorstellungen in der Grundschule wird dabei als Voraussetzung für die nachhaltige Erarbeitung von strukturiertem Wissen in höheren Klassen angesehen.

 

Literatur

  • Baldermann, Ingo, Gottes Reich – Hoffnung für Kinder, Neukirchen-Vluyn 1991.
  • Büttner, Gerhard, Roose, Hanna & Spaeth Friedrich, Was Jesus sagte: Gleichnisse und Bergpredigt, in: dies., Jesus Christus. Lehrerhandbuch, Stuttgart 2011, 66ff.
  • Fetz, Reto Luzius, Die Entwicklung der Himmelssymbolik. Ein Beitrag genetischer Semiologie, in: Jahrbuch der Religionspädagogik Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 1985, 206-214.
  • Lakoff, George & Johnson, Mark, Leben in Metaphern, Heidelberg ²2000.
  • Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007.

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2012

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