Wer bin ich denn, dass ich von Gott erzähle? - Ein dringender Appell zum Perspektivenwechsel*

von Martina Steinkühler

 

Es ist wichtig, darüber Bescheid zu wissen, wie das Buch, auf das Christen ihren Glauben und Religionspädagogen ihre Arbeit aufbauen, entstanden ist – wie es „spricht“ und was es damit „meint“. Nur so lässt es sich übersetzen – aus der Glaubwürdigkeit damals in die Glaubwürdigkeit heute. Im Folgenden gebe ich daher vier knappe Hinweise auf Traditions- und Lehrzusammenhänge im Alten Testament (mit einem Exkurs ins Neue Testament). Es folgen Konsequenzen für das Reden von Gott heute, sei es zu Kindern, sei es zu Erwachsenen. Zum Schluss finden sich Beispiele und Hinweise für die Praxis.

 

Die Bibel –
gesammelte und gedeutete Gotteserfahrung

Wer eigentlich erzählt von Gott? In den erzählenden Texten der Bibel sind es (scheinbar) allwissende Erzähler. Zum Beispiel in den Mosebüchern: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde … – Als sei der Erzähler dabei gewesen! Er – wer? Früher haben die Menschen gedacht: Mose. Und der hatte es von Gott. Direkt. Und Gott sah, dass es gut war …

Heute betrachten wir die Bibel differenzierter. Wir wissen, dass in der Bibel die Erfahrungen vieler Menschen und Generationen versammelt sind, dass in der Deutung von Lebens- und Geschichtserfahrungen viele Traditionszusammenhänge, viele theologische Schulen zu Wort gekommen sind.

 

Schöpfung

Wenn der Erzähler sagt: Gott schuf … und: Gott sah, dass es gut war – dann teilt er uns damit eigentlich mit, wie er (oder seine Schule) die Welt, seinen Ort darin und seinen Gott erlebt hat. Er hat erfahren, dass das Leben auf der Erde nicht Zufall ist, sondern gewollt, und dass er nicht ein Mängelwesen ist, sondern gut, so wie er ist – in den Augen eines persönlichen Gegenübers, das größer ist als die menschliche Vernunft. Eben Gott.

 

Erwählung und Berufung

Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland … in ein Land, das ich dir zeigen will … Wie hat der Erzähler davon erfahren? Hat Abraham es seinen Söhnen so erzählt – und die wieder ihren Söhnen und so fort? „Eines Tages hörte ich Gottes Stimme …“ Oder, vorsichtiger: „Eines Tages war es mir, als höre ich Gottes Stimme …“ Oder vielleicht im Rückblick: „Eines Tages bin ich aufgebrochen. Sonst wären wir nie in dieses Land gekommen. Ich glaube, Gott hat mich geführt.“ Oder ist es noch anders gewesen?

Wir wissen heute auch, dass die Familiengeschichte Abraham – Isaak – Jakob – Josef eine Verkettung von Einzelsagen ist, zu dem Zweck, eine Geschichtsdeutung vorzunehmen: Wie aus umherziehenden Nomaden das Volk Israel wurde, das sich als von Gott erwählt verstand, das bildet die Familiengeschichte Abrahams und seiner Kinder in konzentrierter Form ab: Gottes Wort war es von allem Anfang an, Gottes Wort an eine bestimmte Person, und Gottes Segen, der vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde, auch mit Umwegen.

Hier offenbart der Erzähler – während er so tut, als „wisse“ er – in Wahrheit seine persönliche Deutung der Geschichte des Volkes Israel bzw. die Deutung seiner Zeit: Es war nicht blinder Zufall, der die Israeliten nach Kanaan brachte, es waren nicht die Höhen und Tiefen des Schicksals – es war Erwählung, es war Begleitung und Führung durch einen zugewandten Gott, der Großes mit „seinem Volk“ vorhat.

 

Ungehorsam und Strafe, Umkehr und Rettung

Und der Herr sprach zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege abgewichen, den ich ihnen geboten habe … Und der Herr sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne … (2 Mose 32,7-8a.9-10a)

Wie Abraham ist auch Mose einer, der nach den Erzählungen der Bibel Gottes Stimme hört, ja sogar „von Angesicht zu Angesicht“ mit Gott verkehrt „wie mit einem Freund“. Erzählt wird das wie über Abraham: im Nachhinein, vom Hörensagen. Deutung ist das, Zuschreibung für einen großen Anführer, der Gottes Namen und Gottes Weisungen im Munde führte, Interpretation aber auch der Geschichte Israels als des erwählten und von Gott geführten Volkes.

Das sprichwörtliche Murren des Volkes, sein Zweifeln und wiederholtes Revoltieren gegen Mose und Gott gibt denen, die im Nachhinein vom Auszug und der Wüstenwanderung erzählen, ein Deutungsmuster in die Hand: Wenn ich in der Befreiung Israels aus Ägypten eine Rettungstat Gottes sehe, dann muss ich auch annehmen, dass es Gott kränkt, in dieser Weise hinterfragt zu werden. Dann wiederum nehme ich an: Gott straft … – und das erklärt die Mühsal der Wanderung, die Rückschläge, die Kämpfe, die zu führen sind.

Im 2. Buch Mose setzt diese Art der Deutung ein, wirkt weiter in den Büchern Josua und Richter und findet ihren Höhepunkt im Gegeneinander der Könige und Propheten des Königreichs Israel bzw. der Königreiche Israel und Juda: Höhen und Tiefen, Krieg und Frieden, Siege und Niederlagen und schließlich das Exil und die Rückkehr werden als Strafe und Vergebung Gottes erzählt, als Reaktionen auf Abfall und Umkehr des Volkes. (Ein anderes Deutungsschema, das in den Büchern Mose nach dem Exodus immer prominenter hervortritt, ist die Polemik gegen die Völker Kanaans, die „auf Gottes Geheiß“ vernichtet werden sollen; diesen Aspekt führe ich hier jedoch nicht aus, da er beim heutigen Nacherzählen biblischer Geschichten glücklicherweise keine Rolle mehr spielt. Er ist längst als politisches und ideologisches Interesse erkannt und hintangestellt worden.)

 

Tun und Ergehen, Lohn und Strafe

Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, kam auch der Satan unter ihnen… Das Buch Hiob wird mit einem „Vorspiel im Himmel“ eingeführt, bei dem Gott und Satan eine „Wette“ auf die Frömmigkeit des Menschen Hiob abschließen. Wiederum: Wie allwissend ist da der Erzähler! War er dabei?

Die Einleitung der kleinen Szene „Es begab sich aber“ relativiert den Anspruch und verrät die Textgattung: So beginnen Märchen. Dass Gott Hiob in Satans Hand gibt, um ihn zu versuchen und zu prüfen, ist Fiktion – gesetzt als ein Versuch zu erklären, warum ein Mensch, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen, dennoch leiden muss. Am Ende wird das Märchen weitererzählt und zeigt sich nun erst recht als Märchen: Hiob hat die Probe bestanden und wird rehabilitiert: Und der Herr segnete Hiob fortan mehr als einst … Und Hiob starb alt und lebenssatt … Ein typisches Märchenende also und gerade deshalb vollkommen unglaubwürdig. Als könnte man verstorbene Kinder jemals ersetzen!

Das Märchen basiert auf der Annahme eines Deutungsmodells, das dem Modell von Vergehen und Strafe (s. o.) ähnlich ist, dem sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhang. Da wird behauptet, dass es guten Menschen gut, schlechten Menschen aber schlecht geht. Der dafür sorgt und dafür garantiert, ist Gott als Richter, als belohnender und bestrafender Übervater. Noch einmal: Das ist eine Annahme, ein Denkmodell, keine irgendwo festgesetzte Wahrheit!

Im Fall Hiobs wird das besonders augenfällig. Denn das Hiob-Märchen ist nicht ungebrochen überliefert. In den Mittelteil zwischen dem Anfang und dem Ende des Märchens ist eine Folge von Gesprächen eingebettet, in denen Hiob nicht nur klagt und mit Gott hadert, sondern auch und vor allem den Tun-Ergehen-Zusammenhang in Frage stellt. Hier besteht Hiob darauf, dass er keine Schuld auf sich geladen habe, dass es überhaupt keinen Grund für Gott geben könne, ihn zu bestrafen, schlicht: dass er unschuldig sei.

Und Gott? Der, der hier erzählt, lässt Gott persönlich Stellung nehmen. In zwei „Gottesreden aus dem Wettersturm“ gibt Gott dem Hiob recht. Was ihm geschieht, ist unverdient. Denn offenbar hat das persönliche Schicksal nichts, aber auch gar nichts mit Schuld und Strafe zu tun. Der Gott, der hier spricht, ist als Schöpfer mit der Bewahrung der Schöpfung beschäftigt, mit kosmischen Zusammenhängen. Die Menschen liebt und achtet er. Aber Höhen und Tiefen des individuellen Lebenswegs sind nicht sein Werk und jedenfalls nicht Ausdruck seiner belohnenden oder strafenden Hand. – Wiederum ein Deutungsversuch. Eine Antwort auf die Frage nach dem Leid in der Welt.

 

Reue und Erbarmen

(So spricht der Herr:) Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen …(Jesaja 54,7-8).

Die Texte der Bibel, soviel sollte an dieser Stelle klar sein, sind Zeugnisse des Nachdenkens über Gott und die Welt. Und sie sind durchaus nicht einstimmig. Mich persönlich fasziniert es daher umso mehr, dass ich einen Zug finde, der das Reden von Gott in allen seinen Facetten verbindet: Ob in den Ur- oder in den Vätergeschichten, ob beim Zug durch die Wüste oder später im Exil – die Festlegungen auf je ein Deutungsmodell für Gott bleiben nie ungebrochen: Wo Gott angreift, kann er nachgeben, wo Gott straft, kann er vergeben, wo Gott seinem Zorn freien Lauf lässt, kann er bereuen und einlenken, oder – noch bemerkenswerter – sich besänftigen lassen.

Abraham verhandelt mit Gott über Sodom. Mose tritt zwischen den erzürnten Gott und das schuldige Volk. Dramatischer Höhepunkt: Gott verschont Ninive, obwohl der Prophet Jona – im krassen Gegensatz zur Mittlerrolle Abrahams und Moses – ihm solches Erbarmen vehement ausreden will: Das aber verdross Jona sehr und er ward zornig und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war, weshalb ich auch eilends nach Tarsis fliehen wollte; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben … (Jona 4,1-3).

Woraufhin der Erzähler Gott „sich rechtfertigen“ lässt: Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht aufgezogen, die in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere? (Jona 4,10-11).

Es ist dieses Erbarmen, das dann im Neuen Testament in Jesus Christus Gestalt, menschliche Gestalt annimmt. Deutungsversuche der Evangelisten wie des Paulus weisen in diese Richtung: Jesus ist gekommen, um die Menschen zu retten; Jesus stirbt, um die Menschen zu erlösen. Oder Johannes: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3,16).

Wieder ist zu betonen: Deutung! Das ist „nur“ (?) Deutung – aber Deutung, die sich wie ein roter Faden durch beide Testamente zieht, die sperrig und anstößig ist und angesichts der Größe und Erhabenheit Gottes ganz unglaublich und bemerkenswert: Dieser Gott gibt (sich) hin und opfert und liebt …

Mir scheint immer, dies ist das Wichtigste, das von ihm zu erzählen ist, auch das, was ihn von anderen Göttern ringsum, seien es die Götzen damals oder die Götzen heute, fundamental unterscheidet. Gotteserfahrungen, die eine solche Deutung nahelegen, sollten wir in erster Linie bewahren und weitergeben.

 

Die biblische (Nach-)Erzählung – mit dem nötigen Respekt

Bevor wir uns nun daran machen, es den Erzählern der Bibel nachzutun und ihre Geschichten weiterzuerzählen, sollten wir uns zwei kritische Fragen stellen bzw. zwei Vorbehalte ernst nehmen:

  • Wer bin ich, wenn ich erzähle? Die Erfahrungen des biblischen Erzählers sind nicht meine; die Deutungen erst recht nicht.
  • Wer hört mir zu? Die Voraussetzungen des heute Hörenden sind nicht die des Hörenden zurzeit der biblischen Erzähler.

Ich antworte in umgekehrter Reihenfolge, in gut didaktischer Gewichtung: Die Orientierung am Lernenden bestimmt den Stoff und die Art der Vermittlung.

 

Wer hört mir zu?

Kinder (oder Erwachsene), denen wir, sei es in der Schule, sei es in der Gemeinde, heute von Gott erzählen wollen, bringen unterschiedliche Erfahrungen mit – dass Gott spricht, gehört in der Regel nicht dazu. Selbst wenn sie getauft sind und ein wenig religiöse Sozialisation mit im Gepäck haben, ist ihr Umgang mit Gott auf Nischen beschränkt – ein Sonntagsgott –; in die Schule und zum Spielen auf die Straße und in die Aktivitäten mit Freunden aber nehmen sie ihn eher nicht mit.

„Reli ist ganz interessant“, sagt Kai (8); „aber das ist ja alles so weit weg. Früher hat Gott noch geredet. Heute macht er das nicht mehr.“ Die Kinder von heute chatten im Internet, sie haben virtuelle Freunde und begleiten einander online – in den Rollen von Zauberern, Zwergen und Elfen durch albtraumhafte Welten und mörderische Abenteuer. Das heißt auch: Sie haben eine gewisse Übung darin, so zu leben „als ob“. „Ach, Mama“, sagt Tim (10), als ich mich über das neue Videospiel aufrege, das nur auf Kampfszenen hin konzipiert ist, „das macht doch einfach Spaß. Und wir wissen ja sowieso, es ist nicht echt.“ Wir wissen sowieso, dass es nicht echt ist – und wie sollen sie wissen, dass das, was wir von Gott erzählen, anders ist? Wenn auch bildlich und annähernd, aber doch „echt“?

 

Wer bin ich, wenn ich erzähle?

Ich erzähle zunächst einmal nach: erzählte Geschichten, die, wie wir gesehen haben, Deutungen von Menschen enthalten und wiedergeben, die in einer anderen, weit entfernten Zeit, in einer anderen, weit entfernten Umwelt unter anderen Bedingungen, Einflüssen und Vorstellungen gelebt haben. Mit dem Erzähler der Geschichte, die ich nacherzählen will, verbindet mich der Wunsch, von Gott zu erzählen. Und zwar zu erzählen, dass Gott da ist, dass er zugewandt ist, dass er sich mit Menschen eingelassen hat und für ihr Leben bedeutsam gewesen ist. Mindestens.

Vermutlich – wenn ich Religionspädagoge, Lehrerin, Erzieherin, Haupt- oder Ehrenamtlicher in einer christlichen Gemeinde bin – verbindet mich mit jenem fremden Erzähler zudem der Glaube, dass Gott auch mir zugewandt ist, auch heute noch für das Leben von Menschen und für mich persönlich bedeutsam ist, dass er die Welt lenkt, damals wie heute. Mit Zorn und Liebe und immer wieder: Erbarmen.

Wenn ich nun die alten Geschichten nacherzähle – mit Treue zu dem, was da zu erzählen ist – denn es ist erlebt und erfahren worden und hat daher seine Bedeutung –, dann erzähle ich aber zugleich auch eine neue Geschichte, nämlich das, was ich mir bei dieser alten Geschichte denke und wie ich darin Gott finde und was von ihm ich damit weitergeben will.

Das ist, wie es klingt, ein sehr komplexer Prozess – mit immer wieder offenem Ende. Ich bin ein Nacherzähler, ein Vermittler und Übersetzer, aber auch ein neuer Zeuge dessen, was (für mich) wahr ist.

Beide Fragen und Bedenken führen – bei mir jedenfalls – zu einer gehörigen Portion Respekt, die ich vor meinen Hörerinnen und Hörern, meinem Stoff und meinem Auftrag habe. Sie sollen produktiv dazu führen, dass ich mir genau überlege, was ich über Gott erzählen will und wie und welche Deutung ich einbringen möchte bzw. verantworten kann.

In erster Linie heißt es: Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass die bildliche Rede – „Gott spricht“ und „Gott macht“ – als das verstanden wird, was sie ist: nämlich Deutung. Ich muss annehmen, dass meine Hörer meinen, ich wollte ihnen etwas als „echt“ weismachen, was ihrer Erfahrung nach unmöglich „echt“ sein kann, und dass sie es deshalb ihren virtuellen Erfahrungen zuordnen.

Ich bin nun mal kein allwissender Erzähler – und sollte auch nicht als solcher auftreten. Das ist so naheliegend, dass es mich erstaunt, wie viele Erzähler bis heute in eben diese Falle tappen. In fast jeder Ausgabe biblischer Erzählungen steht ganz selbstverständlich geschrieben: „Gott sagt“, „Gott will“, „Gott schickt“. Ja, es erstaunt mich. Und es ärgert mich. Denn ich fürchte und erlebe: Es macht viel kaputt. Chancen werden verspielt, unnötig. Andererseits: Den Dreh, wie das zu vermeiden ist, habe auch ich gerade erst für mich gefunden …

 

Einige konkrete Vorschläge

Nehmen wir Formulierungen, wie sie gern verwendet werden:

  • Gott erlaubte den ersten Menschen, von jedem Baum im Garten zu essen, vom Baum der Erkenntnis aber zu essen, verbot er.
  • Gott sandte eine große Flut.

Nun kann man diese direkte Redeweise natürlich umgehen, indem man sich eine Rahmengeschichte ausdenkt; das wird immer wieder getan:
Sara und Ruben etwa denken darüber nach, warum das Leben manchmal so schwer ist – und dann erzählt der Großvater die Geschichte von Adam und Eva … – beziehungsweise: Paul steht am Fenster und beobachtet den Regen und sagt zu seiner Mutter: Ob das wohl gar nicht wieder aufhört? – und dann erzählt die Mutter von der Sintflut und dem Regenbogen …

 

Gott straft?

Einfacher ist es, einfach die Perspektive zu wechseln. Nicht: Gott sandte eine Flut, sondern: Es kam eine Flut. Und die Menschen sagten: Die kommt bestimmt von Gott. Die Menschen glaubten, dass Gott sie für ihre bösen Taten bestrafen wollte … – So kann man dann auch mit den Kindern darüber reden, ob Gott so etwas tun würde oder nicht. Und ebenso am Ende dann der Regenbogen: Die Menschen sahen ihn und atmeten auf. Das ist bestimmt ein Zeichen von Gott, sagten sie. Jetzt will er Frieden mit uns machen.

Es wird deutlich: Durch solchen Perspektivenwechsel öffnet sich die Geschichte. Sie wird offen fürs Gespräch, fürs Weiterdenken, auch und besonders für eigene Eintragungen und Erfahrungen der Hörenden / Lesenden.

Ein wenig schwerer fällt die Umformung in der Paradiesgeschichte, aber wieder erweist sie sich als großer Gewinn. Etwa so:
Da standen Bäume im Garten, von denen die Menschen aßen. Nur an einen Baum trauten sie sich nicht heran; der stand in der Mitte des Gartens und sie dachten sich: Von dem essen wir lieber nicht. Das ist bestimmt verboten. Das wird Gottes besonderer Baum sein, der ist ihm heilig.

So kommt durch die beiden Personen die subjektive Haltung zum Ausdruck: Adam und Eva rechnen mit Gott; indem sie glauben, dass Gott eine Grenze setzt, besteht diese Grenze und sie müssen sich damit auseinandersetzen. Die Geschichte könnte dann, das wäre mein Vorschlag, (ohne Gottes Strafe und Fluch) damit enden, dass Adam und Eva nach dem Genuss der „bestimmt verbotenen“ Früchte sehen, dass sie nackt sind. – Und wir lassen die Kinder das deuten (Enttäuschung, Ernüchterung, Ende des unbefangenen Dahinlebens …).

 

Gott rettet!

Für Rettungstaten Gottes ist die neue subjektive Perspektive erst recht ergiebig: Sei es, dass Manna vom Himmel regnet, sei es, dass ein Weg gefunden, ein Feind geschlagen wird. Das kann zunächst von außen so geschildert werden, also wiederum nicht: „Gott lässt Manna regnen“, sondern schlicht: „Es regnet Manna.“ Und die Menschen sagen dann im Rückblick: „Das war bestimmt Gott“ oder leichter: „Gott sei Dank“. So lernen Kinder heute Gott sehen: Sie blicken zurück und erkennen erleichtert: Das hatte ja Sinn …

Gottes Reue, die mir (s. o.) besonders am Herzen liegt, lässt sich subjektiv erzählen, wenn wir dem Pfad folgen, den die Jona-Geschichte weist: Da ist einerseits der Prophet, der Unrecht wahrnimmt und anprangert und ganz sicher ist: Das ist bestimmt gegen Gottes Willen. Der dann eine Strafe ankündigt und wartet, dass sie erfolgt. Und wider Erwarten geht es für die so Bedrohten gut aus. Sie ändern sich, sie überleben. Es folgt die Deutung: „Natürlich war Gott zornig“, sagt sich der Prophet. „Aber dann hat er sich besänftigen lassen. Die Leute haben Einsicht gezeigt. Und prompt hat es Gott schon wieder leid getan. Denn immerhin: Er hat sie ja geschaffen.“

Das treibt Erzähler und Hörer zur eigenen Auseinandersetzung: Kann der Prophet damit umgehen? Mit dieser Inkonsequenz, dieser verschwenderischen Liebe Gottes? – Und wir sind mitten im Neuen Testament. Wie ringt Jesus immer wieder darum, dass Menschen dies verstehen: Dass in Gottes Reich allgemein Freude herrscht über jeden, der umkehrt, und nicht die Schadenfreude der Selbstgerechten über die, die es nicht geschafft haben …

 

Gott spricht

Das Leichteste zum Schluss – und da finden sich in den vorhandenen Erzählvorlagen bereits allerlei Versuche: Anstatt unvermittelt zu behaupten: „Gott spricht“, lässt sich entwickeln, dass der Protagonist auf einmal einen Einfall hatte (was heißt „Einfall“ anderes, als dass er auf einmal etwas denkt, was er vorher nie dachte – das wie von außen in ihn „hineingefallen“ ist!), einen „Drang“ spürte („Ich konnte nicht anders, ich musste gehen …) – und wenn er dann entscheidet, die Konsequenzen zu ziehen, dann, weil er erkannte oder glaubte, das sei Gott gewesen, der da zu ihm sprach. Und dass Gott es gut mit ihm meint. Das ist dann Deutung, aber Deutung, die auch als solche kenntlich ist. Und wiederum die Kinder zur Auseinandersetzung einlädt und sie fragt: Glaubst du das auch?

Ich bin überzeugt und habe es erlebt: Wenn man die biblischen Geschichten so erzählt – nicht als scheinbar allwissender Erzähler, sondern als Deuter und Frager – dann erhalten die alten, fremden Geschichten auf einmal „offene Stellen“, Zugänge. Dann tauchen die Kinder ein und lassen sich verwickeln. Und dann kann die existenzielle Bedeutung deutlich werden, die virtuelle Märchenwelten, wie die Kinder sehr gut wissen, eben gerade nicht besitzen.

 

Anmerkung

* Ausführlicher und mit über 40 Erzählbeispielen: Martina Steinkühler, Bibelgeschichten sind Lebensgeschichten, Göttingen 2011 (erscheint in Kürze)

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2011

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