Blutbäder und Kampfszenen auf unseren Bildschirmen sind nicht zu rechtfertigen - Zu viel Gewalt in unseren Medien? – Ja

von Rainer Merkel

 

Zosch! Bumm! Peng! … An PC und im TV wird en masse getötet, geschlagen und gestorben (= „weggeballert“ / „umgefaustet“ / „draufgegangen“). Form und Ausmaß dieser Gewalt im Detail zu beurteilen, bin ich nicht der Richtige. Schließlich wachsen meine drei Kinder ohne Fernsehen und (noch) ohne eigenen PC auf. Das allerdings aus gutem Grund.

Von einer oberflächlichen, moralinsauren Medienschelte halte ich nichts. Ein einfacher kausaler Zusammenhang von Gewaltkonsum und aggressivem Verhalten lässt sich schwer nachweisen. Aber im Ganzen ist die Faktenlage doch so eindeutig und empirisch bestätigt, dass die Blutbäder, die Kampfszenen und die Verrohung auf unseren Bildschirmen durch nichts zu rechtfertigen sind.

Jeder Jugendliche hat im Schnitt 18.000 Tote gesehen. Ein Kondolenzschreiben kann er nicht verfassen. In virtuellen Medien heißt Konfliktlösung: Störfaktoren aus dem Weg räumen. Im wahren Leben geht eine konstruktive Streitkultur immer mehr verloren. Virtuelle und reale Welten fallen auseinander. Wir leben allein von der idealistischen Hoffnung, die Aufenthalte in virtuellen Räumen ließen ihre Besucher weitgehend unberührt. Oder, noch idealistischer: wir könnten unsere animalischen Abgründe, unsere niedere Triebhaftigkeit in diesen schmutzigen Gegenwelten ausleben und abladen, um desto gereinigter und moralischer daraus hervorzugehen. Nahezu alles spricht gegen einen solchen Optimismus.

Kinder können bekanntlich erst ab einem Alter von sechs bis sieben Jahren Fiktion und Realität voneinander unterscheiden. Doch selbst bis ins Erwachsenenalter hinein ist eine saubere, rational gesteuerte Distanzierung medialer Erfahrungen illusorisch. Wer in andere Realitäten eintaucht, tut dies mit Leib und Seele, zeigt sogar körperliche Reaktionen. Hinzu kommt, dass so genannte Ego-Shooter den Effekt der Identifikation voll ausreizen. Die Spiele werden immer lebensechter, die Filmschnitte immer schneller. Wollen wir in der Begegnung mit Literatur auf sittliche Reifung und humanistische Bildung hoffen und in derart vereinnahmenden Medien die Scheuklappen aufsetzen?

Theoretisch könnte man reklamieren, dass zumindest erwachsene Menschen mit ihrem Verstand und ihrer Reflexionsfähigkeit über ein Kontrollzentrum verfügten. Ein verantwortungsvoller Selbstschutz ist indes keineswegs gegeben. Vielmehr haben Studien den „Mir-schadet-es-nicht- Effekt“ aufgedeckt. Demzufolge stufen Probanden Medien häufig als gefährlich ein für andere, während sie sich selbst für immun halten. Eines der eindrücklichsten Forschungsarrangements ist jedoch das „Scharfe-Sauce-Experiment“: Testpersonen wurden mit einem als Reaktionstest getarnten Gewaltsetting am Bildschirm konfrontiert. Anschließend sollten sie einer anderen, unsympathisch in Erscheinung getretenen Person ein fertiges Mittagessen servieren. Die – widerlich scharfe – Sauce war noch zu ergänzen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die einen friedlichen Reaktionstest absolviert hatte, ergaben sich signifikante Mengenunterschiede: Der Aggressionsüberschuss ließ sich mit einer einfachen Waage in Gramm bestimmen …

Vor allem männliche Jugendliche verbringen einen Großteil ihrer Freizeit vor dem Bildschirm. Dabei stellt sich eine gefährliche Gewaltspirale ein. Denn gewalthaltige Filme und Computerspiele steigern bekanntlich Aggressionspotenziale und Gewaltbereitschaft. Und Jugendliche mit erhöhtem Gewaltpotenzial wiederum verlangen nach mehr und zeigen sich ansprechbarer für Angebote dieser Gattung. Die Gewalthaltigkeit unserer Medien insgesamt nimmt dabei stetig zu. Filme, die vor 20 Jahren als jugendgefährdend eingestuft waren, werden heute von der Schwarzen Liste gestrichen. Wohin soll die Reise noch gehen? Sicher: Man kann sich an alles gewöhnen. Fraglich ist nur, ob man deshalb aus dem kritischen Ist-Zustand eine allgemeine Unbedenklichkeitsbescheinigung ableiten darf – oder ob man nicht eher von schleichender Abstumpfung sprechen müsste. Solange wir die Antwort darauf weitgehend dem freien Markt überlassen, erlaube ich mir, mich mit einem Schwarzenegger-Zitat zu verabschieden: „Hasta la vista, baby!“ Bumm!

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2010

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