Kirchenerkundung – und was dann? Eine Unterrichtseinheit über “Kirche” als Gebäude und Gemeinde

von Christian E. Berndt

 

Zwei Tage nach der Erkundung der St.-Marien-Kirche in Uelzen lautete die schriftliche Aufgabe in der vierten Klasse: “Was ich in der Kirche gesehen habe”. Dennis hatte viele Gegenstände auf seinem Zettel gesammelt. Als er nun als erster aufgerufen wurde, war seine Antwort aber nicht “Kanzel”, “Kerzen”, “Klingebeutel” o. ä. Seine Antwort lautete: “Geschichten!” Es hatte ihn beeindruckt, dass die Kirche nicht nur ein totes Gemäuer ist, sondern Geschichten erzählt, Geschichten des Glaubens.

Kirchen sind manifestierte Glaubensgeschichte. Und um diese Geschichte und die mit ihr verbundenen Geschichten wieder lebendig werden zu lassen, gibt es inzwischen an vielen Kirchen Angebote für kirchenpädagogisch durchdachte Erkundungen der Gebäude. Schulklassen und andere Gruppen werden eingeladen, die Kirchenräume “mit allen Sinnen” zu erkunden. Die Kinder (und auch Erwachsene) erfahren dabei, dass die Gebäude Ausdruck einer lebendigen Glaubensgeschichte sind, die heute noch andauert. Um welche Geschichten es aber geht, das können sie bei einer Erkundung nur erahnen. Allerdings macht eine solche Erkundung die Kinder neugierig, mehr darüber herauszubekommen. Insofern bietet sich eine Kirchenerkundung dazu an, Ausgangspunkt für eine Unterrichtseinheit über Glaubensgeschichten zu werden, die die Grunderfahrungen der Kirche verdeutlichen.

Im folgenden stelle ich eine Unterrichtseinheit vor, die ich im Herbst 1998 mit zwei vierten Klassen durchgeführt habe: “Kirche als Gebäude und Gemeinde”. Dieses “Teekesselchen” kommt schon in der griechischen Ursprungsbedeutung von “Kirche” (kyriakós – zum Herrn gehörig) zum Ausdruck. Ein zweites “Teekesselchen” durchzieht die Unterrichtseinheit: ein Schiff. Die Kinder lernen bei der Kirchenerkundung, dass ein Teil des Gebäudes Kirchenschiff genannt wird. Außerdem gibt es in St. Marien verschiedenste Schiffsdarstellungen. Das Schiff ist früh zum Symbol christlicher Gemeinde geworden. Deshalb wird während der Einheit im Klassenraum ein Schiff wachsen. In den Stunden kommen immer wieder zentrale christliche Glaubensaussagen und grundlegende Erfahrung der christlichen Kirche zur Sprache, die anhand des Schiffes illustriert werden.
 

Die Einheit:

1. Stunde:
“Kirche” meint das Haus (Gebäude) und die Menschen (Gemeinde).
Als Einstieg spielen wir Teekesselchen (Strauß, Bett, Nagel, Killer, Blatt, Decke, Schalter, Birne ...). Während der Einheit haben die Kinder dies immer wieder gefordert. Danach gestalten die Kinder in Einzelarbeit zwei Werbeplakate:
a) Die St.-Marien-Kirche feiert ein Fest. Beginn mit gemeinsamem Gottesdienst am ....
b) Die St.-Marien-Kirche wird 700 Jahre alt. Besichtigungen ab ... Die Kinder malen zu a) eher Menschen, zu b) eher das Gebäude.

2. Stunde:
“Wir erkunden St. Marien”:
Dreistündige Kirchenerkundung mit “Kirchenkorb”, Erkundungsbogen, Raum der Stille, kreativen Angeboten. (Vgl. zu den Möglichkeiten die RPI Praxishilfe: “Der Religion Raum geben” (1999) und R. Degen/I. Hansen: Lernort Kirchenraum (1998)).

3. Stunde:
Auswertung des Kirchen-Erkundungsbogens.

4. Stunde:
Vertiefung der Kirchenerkundung.
Einzelarbeit: “Was ich im Kirchengebäude gesehen habe.” Beim Zusammentragen der Ergebnisse werden die Funktionen der einzelnen Gegenstände wiederholt oder neu erklärt. Es endet mit der Beobachtung: In der Kirche gibt es Bilder von Schiffsgeschichten und “Schiff” ist auch Ausdruck für das Kirchengebäude selbst.

5. Stunde:
Kirche ist (wie) ein Schiff.
Einführung des die Einheit von nun an begleitenden Mediums: Ein Schiffsrumpf wird an die Pinnwand geheftet. Er erhält den Namen “Kirche”. In den kommenden Stunden soll anhand biblischer Geschichten nachgeforscht werden, warum “Schiff” in der Kirche so wichtig ist. Dabei wird das Schiff “Kirche” in der Klasse vervollständigt.
Erste biblische Geschichte: Berufung der ersten Jünger zu Menschenfischern. Anknüpfungspunkt ist das St.-Marien-Fenster zu dieser Geschichte. Jesu Auftrag an die Jünger lautet: “Erzählt von mir und tauft die Menschen”. Die Menschen in der Kirche sind also “Die-aus-dem-Wasser-Gezogenen”. Gespräch über Ganzkörpertaufe und die Tauferlebnisse der Schüler. Das “Kirchenschiff” bekommt ein Netz.

6. Stunde:
Sturmstillungsgeschichte.
Diese Geschichte ist eine Mutmachgeschichte für die Gemeinde, die sich der Nähe Jesu nicht mehr sicher ist. Medium: Bild der Sturmstillung von Walter Habdank, auf dem der Mast des Schiffes sich als Kreuz abzeichnet. Das Kreuz in der Kirche ist ein Zeichen, das Mut macht und Hoffnung bringt: Jesus ist nicht zu sehen, aber er “schläft nicht”. Das Schiff “Kirche” bekommt einen Mast in Kreuzform.

7./8. Stunde:
Das Leben auf einem Schiff funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten und alle ihre Qualitäten einbringen (vgl. 1. Kor. 12). Anhand von Gemeindebriefen wird überlegt, wer alles auf dem Schiff “Kirche” mitsegelt. Bilder aus Gemeindebriefen werden angeheftet. Alle sind eingeladen: Die Kinder basteln sich selbst und bevölkern das Schiff “Kirche”.

9. Stunde:
Der Proviant. [Diese Stunde habe ich aus Zeitgründen nicht ausprobiert, sie würde sich hier aber organisch einfügen.]
Das Abendmahl ist Gemeinschaftserlebnis und Stärkung.

10. Stunde:
Gottes Geist setzt das Schiff “Kirche” (und uns) in Bewegung: Pfingsten.
Einstieg: Schüler erzählen von eigenen Erfahrungen mit Wind. Erzählung der Pfingstgeschichte. Auch wir haben Puste von Gott: Schüler stellen sich im Kreis auf und mehrere Federn werden rundgepustet. Hefte dienen als Fanghilfe und Abpustrampe. Das “Kirchenschiff” bekommt Segel und eine Wolke, aus der Wind bläst.

Folgende Merksätze wurden unter Mithilfe der Schülerinnen und Schüler formuliert:

Das Wort “Kirche” meint das Haus (Gebäude) und die Menschen (Gemeinde). (1. Stunde)
 

Das Schiff “Kirche” ...

  • hat ein Netz, weil Jesus zu seinen Jüngern gesagt hat: “Ich will Euch zu Menschenfischern machen.” (5. Stunde)
  •  hat ein Mast, der aussieht wie ein Kreuz. Denn wir brauchen keine Angst zu haben. Jesus ist bei uns. (6. Stunde)
  • hat eine Mannschaft. Jeder ist wichtig. Alle sind eingeladen. (7./8. Stunde)
  • hat Proviant an Bord. Der gibt Kraft. Die Gemeinde feiert regelmäßig gemeinsam Abendmahl, um neue Kraft zu bekommen. (9. Stunde)
  • mit allen Menschen darauf wird von Wind bewegt. Denn Gottes Geist ist wie der Wind und setzt die Gemeinde

Text erschienen im Loccumer Pelikan 1/2000

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